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Ausgabe:

1949

Spalte:

389-396

Autor/Hrsg.:

Koepp, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Vom Hiobthema und der Zeit als Leiden 1949

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389

Theologische Literaturzeitung 19,49 Nr. f

A. Orientierung1
Man halte sich zu allererst die außerordentliche Fremdheit
der Hiobgestalt vor Augen. Wie Hempel schon 1929 ausführte
, handelt es sich im Sinne des Buches um einen völlig
einmaligen Fall: um das unerhörte Unglück des betont
reinsten und frömmsten, des vor Gott weisesten
und schuldlosesten Einzelmenschen, der überhaupt gedacht
werden kann. Die alte Deutung, die Hiobgestalt meine
das leidende Volk Israel, ist längst aufgegeben. Vor uns steht
eine reine Individualfigur, unter einem unerhörten Sturm rein
individueller Not. Der hier gezeichnete Mensch .ist uns so fern
und fremd, entstammt einem so andern Denken, daß eine
große Warnungstafel vor jede vorschnelle Deutung und In-
einssetzung zwischen ihm und uns tritt.

Aber für all das unsägliche Leiden unserer Tage, in denen
viele Einzelne in aller Welt nur noch die Aussicht auf ein aussichtsloses
Leben wie Hiob besitzen, möchten wir doch tiefer
dringen. Das erste wäre die Frage, welches denn nun das
genaue Thema dieses biblischen Buches von dieser einmaligen
Gestalt und ihrem so einmaligen und fast unwieder-
holbaren Unglück und Leiden sei.

Man meint gewöhnlich, das Hlobthema sei irgendwie die Frage nach
dem Grunde des Leidens. Noch Hempel, 1929, setzt als selbstverständlich
voraus, daß es sich um „Leidenserklärung" als „Lebenserklärung" handele; genauer
ständen wir im Hiob vor der Krisis eines der größten theologischen
Systeme solcher Erklärung: der Lebenserklärung aus der individuellen
V^rgeltungslehre im Rahmen eines einzelnen individuellen Lebenszu-
sammenhangs zwischen Geburt und Tod, ohne Qlauben an ein vergangenes
"der ein zukünftiges Leben. Dieser Vergeltungstheorie gegenüber versuche das
Hiobbuch neue Wege der Leiderklärung: bald den Verzicht des Glaubens auf
menschliches Verstehen des Leidens überhaupt, bald den Rückgang auf ein
"loßes Dennoch des Olaubens an eine doch vorhandene tiefere Rationalität
fles göttlichen Handelns, das nur zu gewaltig für den kleinen Menschen sei,
bald den Gedanken des Epiloges, daß der Dulder als Oottesknecht, Märtyrer
u"d Zeuge andern zum Segen werden solle, bald die Idee der Elihureden, Leiden
sei dort, wo es nicht Vergeltung sei, ein Läuterungsleiden, Warnung vor Sünden
Und Erziehung zu immer größerer Vollendung. Deutlich versagt sich so selbst
,u> Hempel eine einheitliche, klare Oesamtlinie im Hiobbuch. Das Buch erscheint
auch bei ihm, wie schon vielfach, als eine Zusammenklitterung. Am
»Urksten und kaum noch überbietbar hat dann Baumgärtel, 1933, das Buch
ln lauter Einzelquellen auflösen wollen.

An sich macht aber das Hiobbuch ästhetisch-literarisch
J?1 hohem Maße den Eindruck eines einheitlichen Werkes eines
der größten und tiefsten Geister der Weltgeschichte. Wenn
'ast jeder Literarkritiker es wieder anders zerlegt, rührt das
vielleicht von der These, daß das Thema des Hiob die Erklärung
des Leides sei, her; vielleicht versagt nur diese These
atn Buch. Vielleicht sind das Leidensproblem und die
Völlige Auflösung der Vergeltungslehre überhaupt
nur Hintergrund, aber nicht das Thema selbst!
. Endgültig weist in diese Richtung eine zweite Beobach-
SjJJfc die auch Hempel nicht voll gesehen hat. Der berühmte
Prolog des Buches bietet ja allem vorweg bereits eine eindeutige
Und den Rahmen- und Enddichter selbst offenbar
V°U zufriedenstellende Erklärung des einmaligen und
unsäglichen Unglücks seines frömmsten und gerechtesten
Renschen] Hiobs Leiden ist diesem Dichter von vornherein
'"von Gott selbst geordnetes und verhängtes Prüfungs-
"d Erprobungsleiden dieses Gerechtesten, der nur selbst
p?n dieser Erprobung nichts wissen darf! Die Abspaltung der
, 'Kur des Satans als himmlischen Oberstaatsanwalts in Gottes
."»indischem Machtstaat ändert daran nichts. Der Epilog beim
entsprechend ebenso eindeutig die auf welche Art auch
«nier bestandene Prüfung auf das herrlichste. Vielleicht ist
°ch auch das ganze Buch als Werk eines großen Enddichters
in diesem Lichte zu sehen! Der „Dulder" Hiob ist immer
.geprüfte und wohlbewährte Dulder". Leiden kann Ver

|eltm1g) kann auch Erziehung sein; in diesem Fall mit seiner
ÜrrT?*n. Einmaligkeit ist es Erprobung, die Gott anordnet,

w° und wie er will.

Das Unglück des „Frömmsten" wäre dann in der Tat
jSich dem Enddichter gar kein Problem! Es wäre nur
ej!"tergrund! Das eigentliche Thema müßte dann
^JM^*nzjinderes sein!

t ') Der Aufsatz setzt die gesamte Hiobllteratur bis 1945, soweit sie mir
Auf cllDar war. voraus, ohne sie zu nennen. — Er entstammt einem größeren
"atzkreis „Zeit — vor — Oott".

Vom Hiobthema und der Zeit als Leiden

Von Wilhelm Koepp, Greifswald

B. Analyse

Das eigentliche Thema erfaßt man vielleicht am besten,
wenn man das Hiobbuch von hinten her aufschlüsselt.
Die letzte Höhe des Buches liegt in den Gottesreden
(Kap. 38/39 und 40/41). In beiden wendet sich Gott mit den
gleichen Worten sofort voller Ingrimm und Ironie an Hiob:
„Wer da verdunkelt göttlichen Ratschluß mit Worten
ohne Erkenntnis?! Gürte wie ein Mann deine Lenden!
Nun will ich dich fragen: Lehre du mich!" (38, 2 und 40, 7).
Der Beginn der zweiten Rede sagt dazu noch klarer: „Will
mit dem Allmächtigen wirklich streiten der Tadler, beantworten
dies, der da hadert mit Gott?!" (40, 2). Dem entspricht
beidemal genau dieAntwortHiobs! Das erste Mal legt
er die Hand auf den Mund . . . Das zweite Mal, bis in die Tiefe
getroffen, nimmt er sein ganzes Vorhaben zurück mit den
Worten: „Ich weiß, daß du alles vermagst und nichts dir verwehrt
ist, was du dir vornimmst! (Du fragst mich:) Wer da
verdunkelt den Ratschluß ohne Erkenntnis?! So habe ich
denn Reden gehalten ohne Erkenntnis! Meinen Verstand
überstieg es, was ich gesprochen! Höre nun, ich frage
nun dich, lehre du mich!" Und zum Schluß von allem:
„Darum nehme ich mein Vorhaben zurück und bereue (es) in
Asche und Staub!" (42, 1—6).

Das, was er so zurücknimmt und bereut, ist ohne Zweifel
sein eigentliches Vorhaben und damit auch d.as eigentliche
Thema des Buchs! Es ist der Versuch, Gottes Ratschluß
zu verdunkeln mit Worten ohne Erkenntnisl
Gänzlich eindeutig gipfelt hier als Thema auf der letzten Höhe
des Hiobbuches die Frage und These auf: Darf der fromme
Weise, auch wenn er der denkbar schuldloseste
und gerechteste ist, im unsäglichen und hoffnungslosesten
Unglück Gottes Ratschluß mit Worten
ohne Erkenntnis verdunkeln ? Darf er, erprobt,
mit Gott hadern, ihn vorfordern und mit ihm
einen Rechtsstreit begehren? Er darf das nicht;
er muß verstummen, zurücknehmen und bereuen!

Von dieser Sicht aus ordnet sich das ganze Buch mit großer Leichtigkeit
. Der ganze Aufriß ist danach ausgerichtet. Es gewinnt alles den geschlossensten
Zusammenhang. Im ersten Teil, dem Dialogteil, wächst der
Gedanke der Vorforderung Gottes allmählich heran. Die zweite Hälfte, zu
der das Buch mit Kap. 27/8 übergeht, bringt den titanischen Versuch seiner
Ausführung und sein Scheitern. Das sei etwas näher ausgeführt.

Der Prolog öffnet den allgemeinsten Hintergrund. Einmal wird der
treibende Motor des Ganzen angeworfen: „Auch dieser Frömmste könnte doch
Gott den Abschied geben und Oott fluchen 1" Weiter wird dabei die bisherige
völlige Unschuld Hiobs ausdrücklich festgestellt: Es handelt sich um ein Verderben
Hiobs „ohne Grund". Endlich wird die Szene voll geöffnet: Wäre Hiob
wohl wirklich gottesfürchtig „ohne Lohn"? Also ist sein Leiden eindeutig sogleich
nur ein Prüfungsleiden. Im frommen Leser und Hörer formt sich aber
schon im Stillen auch sogleich, herausgereizt durch Satan, die Themafrage:
Wie wird Hiob das aufnehmen ? Wird er nun vielleicht zwar Gott nicht fluchen,
aber doch anderes tun? Wird er Ihn nicht doch wenigstens vorfordern und über
sein Unglück mit ihm rechten?! Diese Frage lag für vorzugsweise in Rechtskategorien
denkende Fromme nahe.

Nach der ersten Unglücksserie des Prologs zwar deutet sich das Thema nur
erst negativ an: „In dem allen sündigte Hiob nicht und maß Gott kein Anstößiges
bell" Nach dem zweiten schlimmeren Unheilssturm wird schon die
letztere Verneinung nicht wiederholt, obwohl Hiob (auch hier) der jetzt ausdrücklichen
Versuchung zum Gottesfluch von Seiten seiner Frau durchaus widersteht
. Er versündigt sich „nicht mit seinen Lippen". Aber in seiner Seele
scheint nun doch ein Kampf anzuheben. Das Thema des Buches ist im stillen
bereits gestellt.

Es bricht auch am ersten Tage der großen Oesprächswoche, die
wir analog den sieben Tagen Schweigen wohl Im Gesamtgesprächsgange des
Hiob finden dürfen, noch nicht offen heraus. In seinem Unmut wendet sich
Hiob zunächst nur gegen sich selbst: er flucht zwar nicht Oott, aber dem Tag
seiner eigenen Geburt. Doch schon quellen dabei indirekt Fragen der Empörung
auch gegen Oott empor: „Warum gibt er den Mühseligen noch
Licht und noch Leben den bitter Betrübten, die den Tod vergeblich erhoffen
?!" (3, 21).

Am zweiten Tag, im ersten Gesprächsgang des großen Dialogteils
, kommt das Hauptthema dann ans Licht. Schon der erste Freund, Ell-
phas, der vorsichtige, seelsorgerliche, aber auch entschiedene Vertreter der
alten Vergeltungslehre, läßt sogleich nach der Einleitung seiner ersten Rede den
Themagedanken verführerisch aufblitzen, freilich er nur, um in seelsorgerlicher
Ironie Hiob damit zur Beichte seiner verborgenen Schulden vor Oott zu
bringen: „Rufe doch (nur einmal)— gibt einer (gibt Oott) dir Antwort!? An
wen unter den Engeln (als deinen Anwalt vor Oott) willst du dich wenden I?"
(5, 1). „Ich würde an Oott mich doch wenden und der Gottheit meine Sache