Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1949 Nr. 6

Spalte:

352-353

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Lenz, Joseph

Titel/Untertitel:

Vorschule der Weisheit 1949

Rezensent:

Reisner, Erwin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

351

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 6

352

Werte in sich beschließt, die anerkannt werden müssen, auch
wenn sein Inhalt von einer wirklichen Erfassung des religiösen
Fundamentes auch aller wissenschaftlichen Arbeit noch weit
entfernt ist. Die Kritik dieses Buches darf darum nicht von
dem Bilde getrennt werden, das es uns von seinem Verfasser
übermittelt, und das das Bild eines wahrhaft sokratischen
Mannes ist, der eine große Aufgeschlossenheit gegenüber der
heutigen Naturwissenschaft verbindet mit umfassenden Kenntnissen
, mit einer Fähigkeit zu strenger systematischer Darstellung
, und mit einer eindringlichen und leicht verständlichen
Sprache. Mit diesen Worten schon werden ganz grundsätzliche
Werte des Buches anerkannt. Es enthält eine Fülle
anregender und beachtenswerter Gedanken und ist von einem
hohen Ethos getragen, was allein schon das Buch sehr lesenswert
macht.

Wenzl möchte uns in diesem Buche eine Metaphysik der
Freiheit geben, die nicht nur mit der heutigen Wissenschaft in
Einklang steht, sondern die es auch dem religiösen Menschen
ermöglichen soll, die Wissenschaft und insbesondere die Naturwissenschaft
aus einer religiösen Grundhaltung heraus zu bejahen
. Bei dieser Zielsetzung wäre freilich zu erwarten, daß
das Fundament des Werkes theologisch begründet werden
müßte, und daß sein Weg voll den Grenzen der Religion zu den
Grenzen der Naturwissenschaft führen müßte. Wie aber aus
den Titeln der vorhergehenden Bände seines Lebenswerkes,
von denen dieses Buch den dritten Teil darstellt, nämlich
seiner: „Wissenschaft und Weltanschauung" und seiner
„Philosophie als Weg von den Grenzen der Wissenschaft an
die Grenzen der Religion", hervorgeht, geht Wenzl aber gerade
den umgekehrten Weg; er findet die Basis seines Denkens in
der Naturwissenschaft und versucht von hier aus zum Religiösen
als dem umfassenden und übergeordneten Sein zu gelangen
. Dies aber ist der Weg eines Fisches, der aus der Reuse
herauszukommen sucht, in die er sich gefangen hat. Die Frage
ist: Ist es Wenzl gelungen, seinen Weg in das Labyrinth der
Wissenschaft so sicher zu markieren, daß er anhand seiner
Marken dies Labyrinth wieder verlassen kann; so, daß er uns
in seiner Philosophie der Freiheit diesen Weg eindeutig und
sicher beschreiben kann ? Gelingt ihm diese schwere Arbeit
nicht, dann ist alle seine Mühe nichts weiter als ein Vorhang,
den er vor das Fenster seines Glaubens selbst aufhängt, und
er selbst bleibt trotz seinem hohen ethischen und religiösen
Streben der Gefangene seines Wissens.

Die Antwort auf diese Frage aber ist, daß Wenzl den Weg
zur Freiheit, den er mit ganzem Herzen sucht, nicht gefunden
hat; einfach darum nicht, weil er den Weg der Philosophie von
den Grenzen der Naturwissenschaft her beschreitet, ohne voll
zu erfassen, daß diese Grenzen selbst im menschlichen Denken
liegen und mit diesem Denken, d. h. aus diesem Denken
heraus, nicht überwunden werden können. Bei allen seinen
Versuchen auch der Wissenschaft gegenüber eine kritische
Grundhaltung zu bewahren, fehlt Wenzl leider der Zugang zu
einer wirklichen Kritik der Wissenschaft, weil sich sein ganzes
Denken allein im Rahmen dieser Wissenschaft selbst bewegt,
in den er eingefangen ist.

Dies zeigt sich vor allem auch dann, wenn er Beispiele
anführt, die vom Standpunkt der Wissenschaft selbst als
fehlerhaft bezeichnet werden müssen.

So sagt er z. B. S. 28: „Ein kugelförmiges Teilchen treffe senkrecht auf
eine absolut glatte Wand; gehört es zu seinem Wesen, in Bewegung zu bleiben,
so ist die einzuschlagene Richtung in der Ebene der Wand unbestimmt".

Dieser Satz ist physikalisch falsch. Entweder nämlich reflektiert in
diesem Falle das Teilchen senkrecht an der Wand, oder es dringt in senkrechter
Richtung in die Wand ein; eine Bewegung in der Ebene der Wand aber
könnte nur eintreffen, wenn die Wand nicht völlig glatt wäre, und wäre dann
in ihrer Richtung durch die Eigenschaften der Wand bedingt. Alles dieses
weiß Wenzl zweifellos selbst, und es ist nicht das fehlerhafte Beispiel, das hier
nennenswert ist (und das schon darum nicht auf einem mißverständlichen Oedankengang
beruhen kann, weil ihm unmittelbar ein zweites gleich fehlerhaftes
Beispiel folgt), sondern die ganze Entwicklung des Oedankenganges, die
ausgehend von der Ungenauigkeitsrelation der Quantenmechanik schließlich
zur Wiedergabe falscher Beispiele darum führt, weil es Wenzl nicht gelungen
ist, das Wesen dieser Relation von einem erkenntnistheoretischen und nicht
nur vom physikalischen Standpunkt aus kritisch zu erfassen.

Tatsächlich beruht die Grundhaltung des Buches darauf,
daß A. Wenzl versucht, nach Übernahme des im Grunde auf
positivistischem Denken aufgebauten Weltbildes der theoretischen
Physik, insbesondere im Sinne von P. Jordan, dieses
Weltbild als ein Ganzes im Sinne eines empirischen Kritizismus
umzudenken, was allein schon darum nicht gelingen kann,
weil auch die ganzen Grundlagen dieses Weltbildes schon positivistisch
bedingt sind. Der Weg, den Wenzl einschlägt, würde
es darum notwendig machen, auch jede einzelne dieser Grundlagen
kritisch zu durchdenken, eine Arbeit, die freilich den
Rahmen des vorliegenden Werkes weit überschreiten müßte.
(Ein Beispiel, wie hier von der naturwissenschaftlichen Seite
her vorgegangen werden kann, bildet der Aufsatz von M. Hartmann
über Quantenphysik und Biologie in der Zeitschrift:
Universitas, Jg. 3, H. 3.)

Die Folge seines im Obigen kurz gekennzeichneten Vorgehens
ist aber, daß A. Wenzl im Grundergebnis zu einem
Panpsychismus geführt wird, der mit einer christlichen Glaubenslehre
im Grunde nichts mehr zu tun hat und mit einer
solchen auch kaum in Einklang zu bringen sein dürfte. Wenn
auch kein Zweifel daran bestehen kann, daß Wenzl selbst ein
demütiger und bescheidener Mensch im echten christlichen
Sinne ist, und wenn diese Tatsache auch aus jeder Zeile seines
Buches spricht, so wird in seinem Werke doch die Forderung
des Primates der Wissenschaft und insbesondere der Philosophie
nicht überwunden. Zu welch merkwürdigen Konsequenzen
dies führt, zeigt folgender wörtlich wiederholte Satz
(S. 243):

„Was H. Conrad-Martins in zwei Aufsätzen über die Zeit gesagt hat,
scheint auch uns verpflichtend: Soweit die Weit in Betracht kommt, muß
auch Gott ein Eintreten in die Zeit zuerkannt werden, unbeschadet seiner
Überzeitlichkeit und Unveränderlichkeit in sich: Die Vorsehung will und kann
sich im wörtlichen Sinne nur auf die Vorsehung der Möglichkeiten, der
.Wahrscheinlichkeiten', der eigenen Lenkung und des Mitwissens je
mit der Entscheidung beziehen."

Nach diesem Satze müßte es dem menschlichen Verstände
möglich sein, Gott etwas zuzuerkennen, ja sogar das Wirken
seiner Vorsehung auf die „Wahrscheinlichkeiten" zu limitieren.
Wie wir diesen von Wenzl ausdrücklich als „verpflichtend" bezeichneten
Satz auch umwenden, stets bleibt er ein Versuch,
das Göttliche auf Grund eines wissenschaftlichen (und zwar
in falschem Sinne wissenschaftlichen) Denkens zu determinieren
, d. h. eine Grenzüberschreitung, die auf der Vorstellung
beruht, daß die Wissenschaft aus sich selbst heraus zur Wahrheit
finden könne, und mit der damit diese „Wahrheit der
Wissenschaft" als eine undurchdringliche Wand vor Gott errichtet
wird.

Da aber A. Wenzl dennoch selbst weiß, daß diese „Wahrheit
der Wissenschaft" im Grunde nur die „Wahrheit des
Menschen" darstellt, und dieses Wissen darum aus seinem
Werke auch nicht vollständig fernhalten kann, bleibt dies
Werk dennoch lesenswert; ja es ist, als ein Versuch eines
Mannes von umfassendem Wissen auf allen Gebieten der
Natur- und Geisteswissenschaften das Problem der Freiheit
gedanklich zu meistern, auch für diese Wissenschaft selbst von
großem Werte, indem es ihr zeigt, daß das positivistische
Denken als solches nicht imstande ist, das Fundament zu
geben, auf dem wir Menschen unser Leben aufbauen sollten.

Köln Heinrich Lange

Lenz, Joseph, Prof. Dr.: Vorschule der Weisheit. Einleitung in eine

wissenschaftliche Lebensphilosophie. 2., erweit. Aufl. Würzburg: Augustinus
-Verlag 1948. XV, 552 S., 1 Taf. 8'. Hlw. DM 15.—.

Das Buch eines katholischen Theologen für katholische
Theologen, gedacht zweifellos in erster Linie als Lehrbuch für
Studenten. Daß es diesen Zweck in ausgezeichneter Weise
erfüllt, muß anerkannt werden. Der Verf. hat ein ungeheures
Wissen umsichtig und planvoll verarbeitet. Die philosophische
Problematik wird von allen Seiten her in Angriff genommen,
und sämtliche Disziplinen kommen zu Wort. Auch der Geschichte
der Philosophie ist im Rahmen des Ganzen ein Platz
ausgespart. Besonders wertvoll, auch für den Nichtkatholiken,
sind die überaus reichhaltigen Literaturangaben in übersichtlicher
Zusammenstellung.

Die Grundlage bildet, wie das von einem Professor der
katholischen Theologie ja nicht anders erwartet werden kann,
die thomistische Philosophie. Auch die jüngere und jüngste
Philosophie bis zum Existentialismus wird von hier aus beurteilt
und in ein Schema eingeordnet, das den Glauben an
die Möglichkeit einer philosophia perennis zur Voraussetzung
hat. Daß es dabei ohne Gewaltsamkeiten nicht abgehen kann,
ist selbstverständlich. Es bedarf keines besonderen Scharfblickes
, um zu erkennen, daß sich die Geschichte der Philosophie
gerade nicht in der Richtung auf eine solche philosophia
perennis, sondern umgekehrt auf die absolute Aporie
hin bewegt. Es wäre gewiß falsch, die sich auf den Platonis-
mus und Aristotelismus gründende optimistische Philosophie
einfach als falsch zu verwerfen und ihr eine rein kritisch-
aporetische als die allein mögliche entgegenzustellen, aber es
ist doch offenbar so, daß der ungelöste Zwiespalt zwischen
beiden in ihrer Einseitigkeit fragwürdigen Extremen, das para-
doxale Sowohl-als-auch oder Wedcr-noch ausgehalten werden