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Ausgabe:

1949 Nr. 5

Spalte:

287-288

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Simon, Gottfried

Titel/Untertitel:

Die Welt des Islam und ihre Berührungen mit der Christenheit 1949

Rezensent:

Spuler, Bertold

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287

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 5

288

großen Maschinen: aber' wozu denn die Maschinen, wenn alle
Einzelnen nur dazu nutzen, sie zu unterhalten ? Maschinen,
die sich Zweck sind — ist das die Humana comedia?"

Demgegenüber hat der jüngst verstorbene russische Religionsphilosoph
Berdjajew in einem kritischen Essay über
Formen des Humanismus positive Gedanken entwickelt. Der
Humanismus der Renaissance sei in tragischer Dialektik über
eine Selbstgenügsamkeit des Menschen (ohne Gott) in eine
Negation des Menschen umgeschlagen. Wissenschaft und Technik
hätten den Menschen nicht befreit, sondern sie seien
Quellen einer Enthumanisierung in unserer modernen Zivilisation
geworden. Die Würde des Menschen setze die Existenz
Gottes voraus. Der Mensch sei nur Persönlichkeit, wenn er
als freier Geist das höchste Sein in sich abbilde. Es sei die
Aufgabe einer christlichen Anthropologie, einen neuen Personalismus
statt des zersetzenden Individualismus zu entwickeln
.

Es wäre nun für uns als Ärzte die Frage, ob eine moderne
medizinische Anthropologie in eine christliche Anthropologie
münden muß, oder wenigstens entscheidende Anregungen von
ihr empfangen kann. Aber diese Frage führt über unser heutiges
Thema hinaus.

RELIGIONS WISSENSCHAFT

Simon, Gottfried: Die Welt des Islam und ihre Berührungen mit der

Christenheit. Gütersloh: Bertelsmann [1948]. 693 S. 8». Hlw. DM22.—.

Wenn einer der bekanntesten evangelischen Islam-Missionare
zur Feder greift, um eine Darstellung des Islams zu
geben, so darf man erwarten, hier Gesichtspunkte betont zu
linden, die in der übrigen Literatur zu diesem Gegenstand
übergangen werden. In der Tat entrollt der Verf. vor allem das
Bild der volkstümlichen Vorstellungen innerhalb dieser Religion
: jene Gebiete, wo der Islam der Primitiven noch (oder
wieder) weitgehend von heidnisch-animistischen Bräuchen
durchsetzt ist, wo der Zauberer noch eine große Rolle spielt
und wo er — nur gelegentlich mit der Person des ,,Mollas"
verschmolzen — die eigentliche Macht über das Gemüt der
Gläubigen ausübt. Der Koran wird hier aus dem heiligen
Buche zum Fetisch und die Sure oder das rituelle Gebet zum
Beschwörungstext; vom Islam bleiben daneben noch eine
Reihe von Speiseverboten und Kultgebräuchen, der eigentliche
Inhalt dieser Religion ist bei dieser Schicht von „Gläubigen
" nicht bekannt und für ihr Fassungsvermögen wohl
auch nicht eigentlich ergreifbar.

Es sind zwei Länder, die uns S. unter diesem Gesichtspunkte
mit großer Ausführlichkeit und unter Beibringung
zahlreicher Einzelbeispiele, die sich teilweise wörtlich wiederholen
(S. 308/09 = S. 330; oder S. 514 usw.), vorführt: das
schwarze Afrika und Indonesien; Gebiete wie Indien, Persien
oder die Türkei treten demgegenüber zurück (vgl. auch S. 99,
Anm. 1). Das liegt in dem Lebenswerke des Verf.s begründet,
hat aber zur Folge, daß dem Leser die Entwicklung vor allem
in Ländern vorgeführt wird, in denen der Islam (wie bei
einigen Negerstämmen oder einigen Völkerschaften Sumatras)
erst vor kurzem eingedrungen ist. S. hebt selbst hervor, daß
gerade bei diesen Menschen Ubertritte zum Christentum verhältnismäßig
leicht zu erzielen sind, während sie sonst zahlenmäßig
kaum ins Gewicht fallen. Freilich bedeutet das zugleich
, daß das Bild des Islams hier in manchem verzerrt ist,
daß also die Eindrücke, die hier gewonnen werden, nicht
ohne weiteres für den ganzen Islam verallgemeinert werden
dürfen. Hier liegt bis zu einem gewissen Grade eine Gefahr
für den Leser, der in islamischen Dingen nicht genau Bescheid
weiß. Denn so wenig man etwa die Entwicklung der nesto-
rianischen Kirche in Mittel- (nicht in Vorder-) Asien vom 7. bis
13. Jahrhundert oder die Anschauungen der Malabar-Christen
bis in die Gegenwart hinein schlechthin mit der Entfaltung
des Christentums oder der Theologie des Glaubens an den Erlöser
gleichsetzen darf, läßt sich das für die Situation muslimischer
Randgebiete im Vergleiche mit den Kernländern und
religiös-kulturellen Mittelpunkten rechtfertigen.

Das Lebenswerk des Verf.s bedingt es auch, daß ihm die
islamische Wirklichkeit des Alltags in den Ländern seiner
Tätigkeit besser bekannt ist als die historisch-theologische
Entfaltung der Lehren Mohammeds. So kann es nicht wundernehmen
, daß ihm manche neueren Forschungsergebnisse unbekannt
blieben (etwa August Fischers neue[aber nicht allgemein
angenommene] Auslegung der in. Sure [zu S. 119];
die äußerste Fragwürdigkeit der angeblichen Gesandtschaft
Härün ar-Raschids an Karl den Großen [zu S. 331] oder die
anscheinend unausrottbare Sage von der Übertragung des
Chalifats von den ägyptischen Abbasiden auf die osmanischen
Sultane 1517 [zu S. 194]), daß die Umschrift wenig deutlich
und teilweise uneinheitlich ist (etwa S. 177, 492, 625, 627
,,dzikr", S. 256 „dhikr") und daß ihm verschiedene Versehen
unterlaufen, deren Aufzählung im einzelnen hier nicht beabsichtigt
ist, von denen aber einige genannt seien:

Der Schaich ül-Islam in Konstantinopel hatte nie „päpstliche Autorität"
(S. 73); die neugebildeten türkischen Wörter erreichen natürlich keinesfalls
die Zahl 100000 (!) (S. 82; welche Sprache hat überhaupt so viele Wörter?!);
1810 herrschte in der Türkei nicht Mehmed II. (so S. 79), sondern Mahmud II.;
das Zufluchtsgebet vor den Ränken Allahs (S. 121) ist koranisch (Sure 113);

älter als die Nizämija in Bagdad ist die Azhar in Kairo (zu S. 154); S. 169
lies „Hasan al-Basri"; S. 198 lies „Amir al-Mu'minin (statt Munimim)"; die
Schiiten hoffen nicht auf die Wiederkehr 'Alis (so S. 234), sondern des „Sähib
az-zamän"; einen Pascha von Ofenpest hat es bis 1686 durchaus gegeben (zu
S. 477); die Zahl der Krim-Tataren hat wohl nie 1000000 betragen (S. 66; vgl.
Olgierd Görka: LiczebnoäC Tataröw krymskich i ich wojsk [Die Zahl der Krimtataren
und ihrer Heere], Warschau 1936 [SA aus dem „Przeglad Historyczno-
Wojskowy" VIII/2[), war auch 1941 nicht mehr 200000 (jetzt sind bekanntlich
die Krim-Tataren ausgesiedelt, teilweise in die Gegend von Grodno) (vgl.
Bertold Spuler: Die Krim unter russischer Herrschaft [in: Blick in die Wissenschaft
1948/VIII, S. 356—363], S. 359, 363); ebenso gibt es in Kleinasien
beileibe keine 3000000 Nicht-Muslime (S. 71); von den 200000 Muslimen in
Japan (S. 319) sind viele ausgewanderte Rußland-Türken (Bertold Spuler:
Die Lage der rußland-türkischen Emigration im Fernen Osten, in: Osteuropa
XII [1936/37], S. 541—545). — Wer der Iman (gemeint ist „Imam"),
Afam (S. 88) und „Baibau, der 40000 Mongolen erschlug" (S. 203), sein sollen,
weiß ich nicht.

Auch die Darstellung der' Geschichte des Islams (S. 58
bis 99) und der „arabischen" Philosophie (S. 153—160) sind
(trotz der Einschränkung S. 157) in dieser Form doch wohl
nicht ausreichend, und mit der Wertung (S. 162) der Mystik
(S. 161—185) wird wohl auch mancher Christ nicht einverstanden
sein. Dagegen enthält der Abschnitt über das Recht
(S. 186—227) manches aus dem täglichen Leben, das eine wertvolle
Ergänzung des bisher Bekannten bietet.

Freilich liegt es nicht in der Absicht Simons, ein wissenschaftliches
Lehrgebäude des Islams zu geben (das vielleicht
besser dem Fachmann überlassen worden wäre): sein Anliegen
ist ausschließlich praktisch — missionarisch. So zieht
denn ein zweiter Teil (S. 343—660) die Alltagsforderungen für
den Missionar. An Hand einer Fülle von ausführlichen Einzelbeispielen
wird die christliche Mission unter Muslimen (S. 343
bis 476) in ihren Mitteln, ihrem Inhalt, ihren Schwierigkeiten
und Erfolgen behandelt und abschließend (S. 477—660) die
Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam dargestellt
. Dieser Abschnitt ist auch für den Religionsforscher
von Wichtigkeit mit seiner deutlichen und klärenden Herausarbeitung
des theologischen Standpunktes bei den (evangelischen
) Christen und den Muslimen. Freilich wird man religionsgeschichtliche
Gesichtspunkte hier vergeblich suchen:
alles ist vom praktischen Standpunkte der unbedingten Überlegenheit
des Christentums aus geschrieben. Diese Feststellung
soll natürlich nicht besagen, daß diese Überlegenheit in Zweifel
gezogen werden soll, sie muß aber zur Kennzeichnung des
Buches gemacht werden.

Uber Sinn und Ergebnisse der Mission zu urteilen, steht
dem Unterzeichneten nicht zu. Er findet aber in dem vorliegenden
Buche — wenn auch nur am Rande bemerkt — die
Tatsache erwähnt, daß die Erfolge der Mohammedaner-
Mission aufs Ganze gesehen äußerst gering sind, daß die Zahl
der Bekehrten in Ägypten und Persien z. B. in Jahrzehnten
noch nicht 1000 betrug und nur bei der Bewahrung vom
Islam schon fast erreichter oder eben berührter Stämme in
Afrika und Indonesien einen größeren Umfang erreichte.
Diese Feststellung gibt dem Religionshistoriker und auch dem
Missionar zu denken und bestätigt erneut die Tatsache, daß
der Islam der härteste und bis jetzt noch an keinem Punkte
auch nur ernsthaft gefährdete, geschweige denn überwundene
Gegner des Christentums ist.

Hamburg Bertold Spuler

Orr, w. o.: Armed Religious Ascetics In Northern India. Manchester:

University Press 1940. 22 S.

In Fortführung der Arbeiten von Prof. J. N. Farquhar
(„The Organisation of the Sannyäsis of the Vedänta" im Journal
of the Royal Asiatic Society 1925 und „The Fighting Ascetics
of India" im Bulletin of the John Rylands Library 1925,
vol. 9 Nr. 2) bietet Dr. Orr eine materialreiche Studie über
„Krieger-Mönche", über deren Existenz seit der Verfallszeit
des Mogulreiches, deren blutige Taten und Gewalttätigkeiten,
deren Bewaffnung und Zusammensetzung aus allen religiösen