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Ausgabe:

1949 Nr. 5

Spalte:

267-274

Autor/Hrsg.:

Onasch, Konrad

Titel/Untertitel:

Raub der Eschatologie 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 5

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sich die Lutheraner eines tatsächlichen Monopols; in Amerika
mußten sie mit anderen protestantischen Gruppen um die
Loyalität und die Unterstützung ihrer Glieder kämpfen.

Alle diese Faktoren haben unter den amerikanischen
Lutheranern eine aggressive religiöse Selbstbehauptung hervorgebracht
, die wenigstens bis vor kurzem unter ihren europäischen
Brüdern völlig unbekannt war. Die Lutheraner in
Amerika sind unnachgiebig in ihrer Glaubenslehre. Obwohl
sie im allgemeinen geneigt sind, die Autorität des Staates in
seinem Bereich anzuerkennen, und obwohl sie bereit sind, sich,
wenn auch langsam, an die vorherrschende soziale Ethik der
Zeit anzupassen, betonen sie jedoch ihre Besonderheit in Angelegenheiten
des Glaubens. Sie wehren sich hartnäckig gegen
eine Änderung ihres Lehrsystems im Interesse von Gleichförmigkeit
oder Einheitlichkeit. Sie verweigern Anpassung in
der Lehre. Das europäische Luthertum verlor viel von seinem
ursprünglichen protestantischen Charakter, als es sich mit dem
Staate identifizierte. Durch eine Reihe von Ursachen gewann
das Luthertum in Amerika seinen protestantischen Charakter
wieder und drückte es in kultureller und theologischer Rückständigkeit
aus. Die Geschichte des Luthertums in Amerika
zeigt, daß die Lutheraner eine Kampfgruppe darstellen, die
wesentlich darauf bedacht ist, ihre Lehrmeinungen gegenüber
anderen Gruppen aufrecht zu erhalten, ohne Rücksicht auf
Ubereinstimmung mit diesen Gruppen in Frömmigkeit oder
Kirchenorganisation und teilweise sogar trotz solcher Ubereinstimmung
. So findet der Geist des isolierten National-
kirchentums, den Troeltsch dem europäischen Luthertum zuschreibt
, sein Gegenbild in der kulturellen Rückständigkeit
des amerikanischen Luthertums.

VI.

Ein großer Unterschied zwischen den Lutheranern in
Europa und Amerika besteht im Umfang der finanziellen
Organisation, besonders hinsichtlich freiwilliger Liebesgaben.
Die Mittel, die für diese Zwecke von den amerikanischen Kirchen
aufgebracht werden müssen, sind sehr viel größer als in
den lutherischen Landeskirchen Europas. Die Freikirchen-
Organisation in Amerika hat das möglich und notwendig gemacht
. In den europäischen Kirchen wird Missions- und Wohlfahrtsarbeit
von besonderen Organisationen getragen. Diese
wurden organisiert und werden laufend unterstützt von Einzelpersonen
, die die Notwendigkeit dieser Arbeit verstehen. In
Amerika andererseits sind diese wohlfahrtspflegerischen und
caritativen Aufgaben in fast jeder lutherischen Gruppe unmittelbar
in den Händen der Kirche als solcher, und sie

nehmen einen wichtigen Platz in dem erzieherischen Programm
und in den Plänen für die Förderung der guten Sache
ein. überdies müssen die amerikanischen Kirchen ihre eigenen
Kirchengebäude bauen und instand halten, ihre Pastoren und
andere Angestellte, wie Diakonissen und Kirchendiener unterhalten
und ihre eigenen Ausbildungsanstalten, Gemeindeschulen
, Colleges und Seminare bauen und laufend finanzieren
.

Diese Tatsache verlangt und entwickelt Gewohnheiten
des freiwilligen Gebens, die in der Heimat nicht notwendig
waren. Außerdem hat die enge Berührung mit den Brüdern
der reformierten Kirchen, die so viel mehr auf religiöse
Aktivität eingestellt sind, zweifellos die Flut von wohltätigen
Unternehmungen unter den Lutheranern in Amerika gefördert
. Damit läuft die viel umfangreichere Teilnahme der
Laien an dem Leben und der Arbeit der Kirche parallel. Aus
derselben Wurzel stammt der viel intensivere Charakter der
seelsorgerischen Arbeit in der Gemeinde.

In den meisten Großstädten Amerikas sind die Lutheraner
der verschiedenen Gruppen zusammengeschlossen in der
Durchführung sozialer Aufgaben vorbeugender und helfender
Art. Die Vereinigte Lutherische Kirche (United Lutheran
Church), die die Lutheraner aus der Kolonialzeit umfaßt und
ungefähr ein Drittel des gesamten amerikanischen Luthertums
einschließt, hat kürzlich einen Ausschuß (Board) für Soziale
Mission eingesetzt, der ein sehr weites Programm für soziale
Unternehmungen durchführt. Das National Lutheran Council
(das keine Kirche oder gar Konferenz ist, sondern nur ein gemeinsames
Organ der Kirchen darstellt und das zwei Dritteln
des gesamten amerikanischen Luthertums dient) hat einen besonderen
Unterausschuß für soziale Arbeit, der die Aufgabe
hat, Interesse zu erwecken und die Zusammenarbeit der Lutheraner
in sozialen Problemen zu fördern. Der Lutherische Weltbund
hat bei seiner letzten Tagung in Lund in einer seiner
drei Sektionen sich ausschließlich mit dem Einfluß der Kirche
auf die menschliche Gesellschaft beschäftigt. Die Kommission,
die beauftragt war, den vorläufigen Bericht über dieses Thema
vorzubereiten, bestand begreiflicherweise fast ausschließlich
aus amerikanischen lutherischen Sachverständigen. Zusammenfassend
kann festgestellt werden, daß die lutherischen
Kirchen in Amerika eine ausgesprochene Verantwortlichkeit
für das Leben in der menschlichen Gesellschaft kundgeben,
ohne sich jedoch damit völlig zu identifizieren. Sie zeigen ihre
besondere Stärke auf dem Gebiet vorbeugender und rettender
sozialer Arbeit, die nicht in demselben Umfange unter den
lutherischen Kirchen Europas, wenigstens bis auf die neueste
Zeit, gefunden werden kann.

Raub der Eschatologie

Zur Kritik ostkirchlicher Theologie und Frömmigkeit

Von Konrad Onasch, Hohenferchesar

'A710 Se tmv tifitQ&v 'Imdvvov tov ßantiotoC icog äpti
ßaoikeia täv ovqavtöv ßio%txai, xal ßiaotai tkono%ovotv avt-fjv.
Matth. II, 12.

Die Problematik unseres Themas empfiehlt sich an zwei
besonders spezifischen Erscheinungen ostkirchlicher Theologie
und Frömmigkeit aufzuzeigen: am Bilderdienst (Ikonolatrie)
und am Hesychasmus. Hier wiederum kommt es uns nicht
auf die Entfaltung der jeweiligen Fragen in möglichster Breite
an. Wir wollen vielmehr in Form von Thesen auf eine besondere
, und wie uns scheint, zentral bedeutsame Schwäche
ostkirchlicher Theologie und Frömmigkeit aufmerksam
machen.

1. Das Grunddogma der Ikonolatrie ist die Menschwerdung
des Logos1. Wenn dieser das Menschliche und damit
grundsätzlich auch das Irdische als Wohnung annahm
(olxeiovtai Se tä av&Qwmva. b Aöyos, Joh. Damasc, De fide
orthod. 3, 3)8, und zwar so, daß der rilews &ebe auch wirklicher
tileios "av&ftoTzoe (vgl. De fide orthod. 3, 13)3 wurde,
dann ist er nach Theodor von Studion auch der ne^iyQa<p{]
unterworfen; denn so argumentiert er: el Se /utj neqiyqäfpotto,
'an6faole rd elvai äv&^eanos, nolXov ye elnelv, fieaires*.

Da das leidenschaftliche Ringen der Griechen in den

') ITgooxvvw Xqiotov tixovi, wg oeoapxcofidpov &eov, Joh. DamaSQ.
Or. 1, Nr. 21; MO 94, 1252 D (EA, Nr. 1331).
') MO 94, 993 (EP, Nr. 2361).
•) MG 94, 1033 (EP, Nr. 2365).

*) Theod. Stud. S. 371 B. Bei Schwarzlose, Der Bilderstreit, S. 191,
Anm. 1.

christologischen Kämpfen um die Paradoxie des 6yog oeoaQ-
xoiftevog durch den Brief Leos an Flavian auf die forensische
Ebene des mediator Dei et hominum1 abgeschoben wurde,
fand es seine Fortsetzung in den Kämpfen um die Bilder*.
So stehen denn in Actio VIII des zweiten Nicänums (787)
kennzeichnend diese beiden Sätze nacheinander: 'Hftcis täi

oentäg elxövag änoSexd/ied'a • i/fielg toiig fiy ovtmg i%oviag t(ö 'ava-

9ifiati xaö'vTioßdD.ofitv.....EX ris Xqwtbv rbv &ebv fj/iöiv nept-

yqantbv ov% bfiokoyel xatä rb &vt>QÜ>ittvov, ärd&t/ua totui3 . . .

2. Diese dogmatische Fundamentaleinsicht erfährt nun
eine spezifisch ostkirchliche Deutung in Verbindung mit der
platonisch-christlichen Weltanschauung, wie sie Dionysios vom
Areopag in Auseinandersetzung mit der Gnosis und dem Neu-
platonismus zum ersten Male genial entwirf t*. Weitab von den
alten Symbol- und Dogmenbildungen, die ja aus der (Tauf)-
praxis der Gemeinde entstanden, findet hier ein überaus be-

') ES, Nr. 143. Vgl. Harnack, Dogmengeschichte, S. 254 f.

•) Walter Elliger, Zur bilderfeindlichen Bewegung des 8. Jahrhunderts
(Forschungen zur Kirchengeschichte und zur christlichen Kunst, Festgabe zürn
siebzigsten Geburtstage von Johannes Ficker, S. 40 ff.) führt aus, daß die
großen Themen des Bilderkampfes bereits in der Kontroverse zwischen der
alexandrinischen und antiochenischen Theologie entwickelt werden.

•) Mansi XIII, 415 AC (ES, Nr. 306, 307). — Es mutet wie ein verspäteter
Zusatz zu den Streitigkeiten an, die zum Chalzedonense führten,
wenn Theodor von Studion betont, daß Jesus nicht In seinem Verhältnis zurrt
Vater, sondern nur in &znttfirjT(>ofiolovoisne(>iy(>antot sei, vgl. Schwarzlose
, a. a. O., S. 192/93.

') Vgl. Hugo Ball, Byzantinisches Christentum (München 1923).