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Ausgabe:

1949 Nr. 5

Spalte:

261-268

Autor/Hrsg.:

Wentz, Abdel Ross

Titel/Untertitel:

Die Unterschiede zwischen den Lutheranern Europas und Amerikas 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 5

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gionsgeschichtliche Forschungsmethode schätzen (Bousset,
Wrede usw.), und der damit gegebenen Einstellung ist er
mit wenigen Modifikationen sein Leben lang treu geblieben.
Wesentlich auf konservativer Linie steht Dr. L. J. Koch, ehemaliger
Vorsteher einer Diakonissenanstalt, der auf seinen geschätzten
Kommentar zu 2. Kor. 1943 einen Kommentar
zu den Johannesbriefen folgen ließ. Einen originellen Beitrag
zum Verständnis des Problems der scheinbaren Sündenfreiheitslehre
eben dieser Briefe hat ein Pfarrer Chr. Lindskrog
in einem Kommentar, der 1941 erschien, geliefert. Eine gründliche
Untersuchung der verschiedenen Bedeutungen des Wortes
Glaube bei Paulus bietet Dr. Marius Hansen, Pfarrer in Ko-
enhagen, in seinem 1937 erschienenen Buch ,,Om Trosbegre-
et hos Paulus" [über den Glaubensbegriff bei Paulus]. Mehr
originell als überzeugend ist ein Versuch von Barge Dide-
richsen „Paulus Romanus", 1941, zu beweisen, daß der Römerbrief
nur teilweise ein origineller Brief von Paulus sei, während
ein Paulusschüler diesen Brief erweitert habe. Ganz wertvoll
ist eine ziemlich kleine Arbeit „Satanas und Soteria,
Untersuchungen zur neutestamentlichen Dämonologie", 1948
(deutsch geschrieben), von Dr. BentNoack.

Erwähnt seien auch die drei höchst eigenartigen Werke,
die der 1948 verstorbene Professor der Religionsgeschichte in
Kopenhagen, V. Granbech geliefert hat: „Jesus, Menneske-
sennen" [Jesus, der Menschensohn], 1935; „Paulus, Jesu
Kristi Apostel", 1940, und „Kristus, den opstandne Frelser"
[Christus, der auferstandene Heiland], 1941. Diese Werke sind
zwar nicht im eigentlichsten Sinne wissenschaftliche Forschung
, eher eine künstlerische Einfühlung oder besser ein
mißlungener Versuch solcher Einfühlung; sie haben aber auch
unter Theologen ziemliches Ansehen und eine recht lebhafte
Diskussion erregt. Die Werke sind aber viel aufschlußreicher,
wenn man Grönbech, als wenn man das Urchristentum studieren
will. Jesus wird dargestellt als der große Verkündiger
und Darsteller des echten Lebensgefühls, der wirklichen Lebensart
, als der unmittelbar lebendige Mensch, der aus der
mnersten Fülle des Lebens schöpft, unbekümmert um pharisäische
[d. h. modern kirchliche, vor allem pietistische] Lebensregeln
und Moralformen. Paulus dagegen hat mit der Botschaft
Jesu im Grunde nichts zu tun. Granbechs Buch über
«ja ist eigentlich ein gehässiger Angriff auf ihn. Paulus sei eine
Mischung von Pharisäismus und Hellenismus, lebenslänglich
gemartert von Angst, gebunden an die ethischen Gesetze und
Lebensregeln seiner Vorzeit. Und die Urgemeinde und die mystisch
aufgefaßte johanneische Literatur, die Granbech in dem
dritten Buch darstellen möchte, haben natürlich auch nichts
mit dem geschichtlichen Jesus zu tun.

Die alttestamentliche Forschung hat eine beträchtliche
Reihe von Werken hervorgebracht. Vor allem hat Professor
Aage Bentzen (Kopenhagen) sehr fleißig literarisch
sich betätigt. Er hat schon 1939—1940 einen ausführlichen
Kommentar zu den Psalmen geschrieben, woran sich jetzt

seine „Salmestudier, Indlaeg i en Diskussion" [Psalmenstudien
, Beitrag zu einer Diskussion], 1945 schließen. Auch zum
Predigerbuch (1942) und zum Jesajabuch (1943—1944) hat er
ausführliche Kommentare geschrieben (schon 1937 ist ein
Danielkommentar von seiner Hand deutsch erschienen, in
Eißfeldts Handbuch zum Alten Testament). Hierzu kommt
(1941) eine dreibändige „Indledning til G. T." [Einleitung in
das AT], die nun auch (1948) in etwas abgeänderter Form
englisch erschienen ist (Introduction to the Old Testament].
Erwähnt seien auch von seiner Hand die erste dänisch verfaßte
Darstellung der alttestamentlichen Archäologie „Hver-
dagsliv og Gudstjeneste, Gammeltestamentlig Arka;ologi"
[Alltagsleben und Gottesdienst, alttestamentliche Archäologie]
und schließlich sein deutsch geschriebenes „Messias, Moses re-
divivus, Menschensohn", 1948 (Zwingli-Verlag). Unter den
älteren alttestamentlichen Forschern steht Bentzen sicher
S. Mowinckel am nächsten. Er zeichnet sich aus durch eine
sehr eingehende Kenntnis der heutigen Diskussionslage, immer
offen für neue Problemstellungen.

Weniger produktiv war sein Fachkollege Fl. Hvidberg
(auch Kopenhagen). Die wenigen Bücher, die er veröffentlicht
hat, zeugen aber von großer Originalität und wissenschaftlicher
Fähigkeit. Er ist ziemlich stark von Johannes Pedersen beeinflußt
, geht aber immer wieder seinen eigenen Weg und entfernt
sich immer mehr von den alten auf Wellhausen usw. zurückgehenden
Lösungen. Die Ergebnisse der Ausgrabungen in Ras
Shamra verwendend schrieb er 1938: „Graad og Latter i G. T.,
en Studie i kanaanaeisk-israelitisk Religion "[Weinen und
Lachen im AT, eine Studie der kanaanäisch-israelitischen Religion
]. Und 1943 kam sein „Den israeliske Religions Historie"
[Die Geschichte der israelitischen Religion] heraus. Auch der
Professor des AT und der semitischen Philologie an der Universität
Aarhus E. Hammershaimb hat sich, indessen von rein
philologischer Seite, mit dem Ras Shamra Funde beschäftigt.
1942 hat er (deutsch) veröffentlicht „Das Verbum im Dialekt
von Ras Shamra". 1946 hat er dann auch einen Kommentar
zu Arnos geschrieben, in dem er sich als konservativ in der
Beurteilung der Textüberlieferung zeigt. — 1944 wurde ein
viel versprechender junger Theologe (Sekretär in der Juden-
mission) Egon Johannesen von den Helfern der Gestapo
erschossen. Von seiner Hand lag einigermaßen fertig „Studier
over Ezras og Nehemjas Historie" [Studien über die Geschichte
Esras und Nehemias], das dann 1946 veröffentlicht
wurde.

Erwähnt sei auch noch, daß unter der Redaktion von
Professor Johannes Pedersen, Kopenhagen, dänische Forscher
(Vilh. Granech, Joh. Pedersen, O. E. Ravn, C. E. Sander
-Hansen und Poul Tuxen) in Zusammenarbeit mit anderen
Skandinaviern (Bernhard Karig ren, Sten Konow, Martin P.
Nilsson und H. S. Nyberg) 1948 eine ziemlich ausführliche
„Illustrered Religionshistorie" [Illustrierte Religions-
geschichte] veröffentlicht haben.

i:

Die Unterschiede zwischen den Lu

Von Abdel Ross Wentz,

Zwei Faktoren sind für die Wandlung des Luthertums
durch seine Verpflanzung von Europa nach Amerika verantwortlich
. Der erste Faktor ist natürlich die Tatsache, daß
seine Vertreter in ein neues Land kamen und sich einer neuen
Kultur anpassen mußten. Diese Erfahrung teilten die Luthe-
faner mit den anderen christlichen Gruppen, deren Ursprung
m Europa lag.

Für die Lutheraner kam aber hinzu, daß sie wenigstens
Während der Kolonialzeit unter Bedingungen wirtschaftlicher
Notlage und kultureller Rückständiglceit ihre Heimat verlassen
hatten und dann auch unter diesen Bedingungen in
Amerika zu leben hatten, die den anderen größeren Gruppen
von Emigranten unbekannt blieben.

Der andere Grund für die Veränderungen liegt darin, daß
uie Lutheraner aus so verschiedenen Ländern in Europa
kamen und in so vielen verschiedenen Teilen Amerikas sich
niederließen.

Aber die lutherischen Kirchen in Amerika sind nicht eine
tXOtische Verpflanzung von einer fremden Küste. Ihre Lage
ln jenem Lande beruht auf angestammtem Recht. Die lutherische
Kirche ist nicht eine Emigrantenkirche, die in das
amerikanische System naturalisiert werden mußte, nachdem
sie von einem europäischen Land eingeführt worden war. Sie
ist viel älter als die amerikanische Republik; sie ist so alt, wie
die amerikanische Nation selbst. Sie wurde zur gleichen Zeit

heranern Europas und Amerikas

Gettysbury, Pa. (USA.)

wie die Nation geboren, erwuchs Seite an Seite mit ihr und
ging durch die gleichen Phasen der Entwicklung. Für drei
Jahrhunderte hat sich die lutherische Kirche nicht nur an
amerikanische Bedingungen angepaßt; sie half sie zu entwickeln
und beeinflußte so die amerikanische Kultur. Dieser
Entwicklungsvorgang hat aber auch Veränderungen in der
Art und Struktur des amerikanischen Luthertums herbeigeführt
.

I.

Die amerikanischen Lutheraner kamen aus verschiedenen
europäischen Ländern und sprachen viele verschiedene Sprachen
und Dialekte. Das religiöse Territorialprinzip, das zuerst
im Religionsfrieden von Augsburg 1555 anerkannt und
später im Frieden von Münster und Osnabrück festgelegt
wurde, verhinderte Deutschland nicht nur an der Entwicklung
zu einer einheitlichen Nation und einer Kolonialmacht. Es
hatte außerdem zur Folge, daß Deutschland niemals zu einer
einheitlichen Nationalkirche kam, sondern eine Mannigfaltigkeit
von Kirchen, lutherisch, reformiert, und katholisch, hervorbrachte
. Darum fanden die amerikanischen Lutheraner
keine machtvolle kirchliche Organisation, die sie durch ihr Ansehen
zusammenhielt. Obwohl sie die gleiche deutsche Sprache
sprachen, kamen viele Lutheraner nach Amerika aus völlig verschiedenen
staatlichen Gebilden und völlig verschiedenen
kirchlichen Organisationen. Infolgedessen warfen sie mit Freu-