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Ausgabe:

1949 Nr. 4

Spalte:

233-238

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

In deo omnia unum 1949

Rezensent:

Ratschow, Carl Heinz

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 4

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Einmal: dieses Buch läßt uns einen Blick in die Fragen
tun, von denen ernsthafteste theologische Arbeit in Frankreich
und der Westschweiz bewegt wird. Sie kreisen um drei Brennpunkte
: Neues Testament, Klärung des Verhältnisses zur Philosophie
, konkrete Erneuerung des kirchlichen Lebens. Vom
Neuen Testament soll hernach noch kurz die Rede sein. Die
Arbeiten zur Auseinandersetzung zwischen Theologie und Philosophie
fallen schon durch ihre Zahl auf. Sie zeigen fast sämtlich
, wie die Theologie ihren Standort neu zu bestimmen versucht
, noch dazu gegenüber einer Philosophie, die ihrerseits —
Existenzialismus — in neue Bewegung geraten ist. „Die Zeit
als Problem" (Roger Mehl) — „Die Situation der Vernunft"
(Pierre Thevenaz) — „Theologie und Humanismus" (Andre
Dumas)! Schon die Themastellungen belegen das Gesagte.
Aber der kurze und sehr wesentliche Beitrag von Denis de
Rougemont „Theologie und Literatur" gehört ebenfalls hierher
. Aus ihm seien einige Sätze mitgeteilt. „Die allgemeine
Unkenntnis, in der sich die modernen Schriftsteller gegenüber
den Anfangsgründen der Theologie befinden, zieht unmittelbar
die Folge nach sich, daß sie sich dazu verurteilen, alle zwanzig
Jahre ein neues Amerika zu entdecken, das längst kolonisiert
ist" (S. 164). „Heute stehen die Schriftsteller unter dem Einfluß
des theologischen Radikalismus — während der Liberalismus
dazu neigte, sich seinerseits bei dem in die Schule zu begeben
, was ihnen gefiel, und ihnen eben deshalb nichts gab"
(1o5)- — Im Blick auf die kirchliche Ordnung fällt sofort ein
kräftiges liturgisches Interesse auf. Reformierte Kirche heißt
nicht: liturgisch chaotische Kirche! Die konkreten Forderungen
entsprechen dem, was auch bei uns die Gemüter bewegt
. Beachtlich sind — bei Jean Bosc wie bei Max Dominice
— die theologischen Grundlagen dieser Forderungen. Das
Abendmahl tritt auch hier erneut in den Mittelpunkt der Betrachtung
, nicht auf Kosten der Predigt, aber als ihre Konkretisierung
. Auffällig ist bei beiden Verfassern die Forderung,
das Kirchenjahr wieder zu Bedeutung zu bringen. Eni wichtiges
Kleinen! kirchlichen Lebens, die Kirchenzuelit, macht
Jacques Courvoisier zum Gegenstand einer bedeutsamen historischen
Studie. Uber den ökumenischen Rat berichtet der hierzu
Berufenste: W. A. Visser't Hooft.

Zum Zweiten: das Neue Testament! Wieder drängt sich
dem Leser die Gemeinsamkeit der Probleme und der Lösungen
anf. Die entscheidende Bedeutung der Eschatologie für das
Verständnis des Neuen Testaments wird in nahezu sämtlichen
Exegetischen Beiträgen in den Vordergrund gerückt, und ihre
Erkenntnis fördert immer neue Einsichten zutage. O. Cull-
ttUUin spricht über die „vorweggenommene Erlösung des
menschlichen Leibes", d. h. vor allem: über die Bedeutung der
Auferstehung Christi für unsere Leiblichkeit nach dem Neuen
Testament. Theo Preiss legt eine außerordentlich anregende
Studie über „die Rechtfertigung im johanneischen Denken"
ypr, deren innerer Ausgangspunkt bei der Erkenntnis des unlösbaren
Zusammenhangs von Eschatologie und Rechtfertigung
liegt: Johannes rückt ganz nahe an Paulus heran und behält
doch seine eigene Art. Hier wird geradezu eine neuartige
PfeMUntdentung des vierten Evangeliums geboten, die m. E.
besondere Beachtung verdient. Pierre Bonnard schreibt über
die „Bedeutung der Wüste nach dein Neuen Testament":
Wüste und eschatologische Heilszeit!

Das sind nur wenige Einblicke. Aber sie dürften andeuten,

01 wie kräftiger Bewegung sich die Theologie des französischen
Sprachgebiets befindet — und wie nachdrücklich gerade Karl
■Harth als „ökumenischer" Theologe wirkt. Man hat beim Stu-
yUin dieses so außerordentlich wertvollen Buches nirgendwo
j|as Empfinden, sich in der Fremde aufzuhalten, sondern be-
£0>iiint im Gegenteil einen höchst eindrucksvollen Beweis da-
jlr, wie sehr es ein gemeinsames Fragen und Antworten in der
^rche gibt, sobald nur die Eine Frage in den Mittelpunkt

Güttingen Otto Weber

,n Deo omnia unum. Eine Sammlung von Aufsätzen. Friedrich Heiler
2l>m 50. Ocburtstag dargebracht. Hrsg. v. Christel Matthias Schröder.
München u. Basel: Reinhardt 1942. VII, 399 S., 1 Tat. gr.8»= Sonder-
ail»gabe der Zeitschr. „Eine heilige Kirche". Jg. 23.

Eine Besprechung des vorliegenden Sammelbandes, der
durch ungewöhnliche Vielfalt auszeichnet, ist nicht anders
Möglich, als in der Angabe der einzelnen Beiträge:

, l. Adolf Attenhofer, Von Tag und Dunkel, von Weg
Ut»d Ziel: 7 Gedichte.

D 2. Gerardus van der Leeuw, Religionsgeschichte und
^rsönliches religiöses Leben (4—25). Der Gegenstand dieses
Iiisatzes ist das Problem, daß in der Religionsgeschichte die

2 .'Kionen durch den persönlichen Glauben des Forschers vereinet
werden. Man schiebt seinen persönlichen Gott ein,

und dabei ist ja nur zu sagen: Gott ist in den Religionen
„jedenfalls etwas anderes als ich bin" (S. 5). Dieses andere
aber zeigt sich durch Offenbarung. Die religionsgeschichtliche
Forschung handelt aber nie vom „lieben Gott" und seiner
Offenbarung, sondern sie handelt sehr uneigeiitlich „von der
Religion als einem menschlichen Phänomen". Daher findet
der Religionsforscher auf seinem Gebiet andere Dinge als er
erwartet. Er erwartet vielleicht Lehre, vielleicht Gefühl. Doch
er findet „Menschen, die im Kampf der sie umringenden
Mächte das Gleichgewicht durch Mittel zu behaupten suchen,
die dem modernen Menschen oft sinnlos vorkommen müssen"
(S. 8). Die Wahrung des Gleichgewichtes ist das Streben der
Religion. Zwar verbirgt sich hinter diesem Gleichgewichts-
prozeß selbstverständlich ein religiöses Erlebnis, denn alle
Religion hat es mit Gegebenem zu tun. Das religiöse Erlebnis
verbirgt sich hinter ritischen und kultischen Objektivitäten.
Es fehlt nie. Es ist aller Religionen Prinzip, aber es ist selbst
nicht die Religion. Sie ist fast immer konkret, praktisch,
kollektiv. Dieser Religion als Hersteller des Gleichgewichts
gegenüber ist der Glaube ein entscheidender Umschwung. Er
besagt, daß die Einheit des Lebens aufgegeben wird. „Von dem
Augenblick an, wo Gott als eine in die Welt eintretende Macht
erfahren wird, ist es unmöglich geworden, die Welt ins Gleichgewicht
zu bringen" (S. 23). Diese Erkenntnis von der Leeuws
erscheint uns von entscheidender Bedeutung zu sein. Die Religion
als Glaube wird erst da möglich, wo die Welt als „gebrochene
Welt" sichtbar wird.

3. Gerhard Rosenkranz, Zur Methodik der Religionswissenschaft
als geisteswissenschaftlicher Disziplin (15—37).
Dieser Aufsatz stellt neben dem ersten eine wichtige zweite
Seite religionswissenschaftlicher Forschung heraus, in dem er
nämlich die These begründet, daß jeder Religionswissenschaft-
ler religiös sein muß, daß jede Art von Indifferenz seiner
Forschung tödlich ist (S. 36). Diese Thesen begründet Rosenkranz
unter Zuhilfenahme von Rothackers Methode des Ver-
stehens (S. 32). Verf. lehnt sowohl den Naturalismus wie den
objektiven Idealismus als legitime Methode der Religionswissenschaft
ab. Seine These, daß jede wissenschaftliche
Methodik ein „weltanschauliches Bekenntnis" sei, ergänzt die
Feststellungen des ersten Aufsatzes sehr glücklich.

4. Rudolf Franz Merkel, Zur Geschichte der Religions-
phänomenologie (38—61). Die Zusammenstellung des Aufsatzes
ist sehr interessant. Leider verzeichnet der Aufsatz
nicht, welche Intentionen die Forschung des 17. Jahrhunderts
begleiteten, als sie zu religionsphänomenologischer Fragestellung
kamen. Das muß sehr bedauerlich erscheinen, denn
der einfache Tatbestand, daß damals die Religionen auch in
phänomenologischer Hinsicht betrachtet wurden, besagt ja
noch verhältnismäßig wenig. Hinter der heutigen Phänomenologie
stehen sehr erhebliche Vorannahmeii in bezug auf die
methodische Erkennbarkeit und Verwertung des Gegenstandes
der Forschung. Die heutige Phänomenologie grenzt
sich in der Frage des Verstellenwollens ja ganz entscheidend
gegen frühere Bildungen ab. Man wird also von Phänomenologie
streng genommen nur unter Mitbeachtung dieser geistes-
geschichtlichen Voraussetzungen reden können. Es wäre also
zu fragen, inwieweit die religionsgeschiclitlichen Ansätze des
17. Jahrhunderts in ihrer phänomenologischen Fragestellung
mehr mit der heutigen Forschung verbindet als äußere Ähnlichkeit
. Diese Frage ist in dem Aufsatz nicht beantwortet.

5. Kurt Reuber, Das Leib-Seele-Problem und die Religionswissenschaft
(62—76). Der Aufsatz kommt über die
These, daß der Bereich des Religiösen und Ethischen der
Periodik und Konstitution des Leibes unterliegt, nicht hinaus.
Man kann nur zwei Grenzpositionen bestimmen, die der Verfasser
feststellt. Einmal ist es der Satz: „Der Glaube an die
Allmacht des Geistes ist eine tragische Fiktion des Geistes".
Andererseits sagt Verf.: „Wirksam und mächtig ist der Geist
als Bildekraft innerhalb der Grenzen jener geprägten Form
der Persönlichkeit (S. 75).

6. Johannes Hessen, Die Bedeutung der Philosophie für
die Theologie (77—82). Verf. legt dar, wie wichtig die Philosophie
für die Theologie ist. Er zeigt mit Recht, wie mangelhaft
weithin die philosophische Kenntnis im evangelischen
Raum ist, und er kündigt endlich sein Lehrbuch der Philosophie
an.

7. Emil Balla, Jeremia 13, 1—II (83—110). Der Aufsatz
versucht nachzuweisen, daß das angegebene Stück eine echte
symbolische Handlung enthält, die in den Jahren 605—597
ausgeführt wurde, als es klar wurde, daß Babel das Unheil
vom Norden sei. Die bisher gesehenen Schwierigkeiten, daß
die Handlung ohne Zeugen geschah, daß ihr Sinn dem Jeremia
selbst erst nachträglich klar wurde, daß die Handlung lange
Zeit in Anspruch nahm, das alles sind Dinge, die Balla auch