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Ausgabe:

1949 Nr. 4

Spalte:

232-233

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Hommage et reconnaissance 1949

Rezensent:

Weber, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 4

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Paulus, und die des Paulus ist nicht die des Johannes"); der
Moralismus („das Heilige wird nur noch moralisch verstanden
") ; der Mangel an Gemeinschaft (daß die Kirche nicht
durch ihre Existenz eine Lösung der sozialen Probleme ist);
mangelnde Missionskraft und mangelnde missionarische Weisheit
der Kirchen (die Kirche zu einer Mittelstandsangelegenheit
geworden); das Wort des lebendigen Gottes nicht einfach
identisch mit dem offiziellen Reden der Kirche; die Sakramente
noch im Banne der mittelalterlichen Entwicklung. Das
Ganze ein etwas rauher, aber notwendiger Zusatz zu jeder
Ekklesiologie (und nicht bloß für die Ekklcsiologen).

Heinrich Hermelink, „Das Luthertum der württembergischen
und der bayrischen Landeskirche" gibt einen eingehenden
, klaren, mit freundschaftlicher Polemik gewürzten
Abriß einer württembergisch-bayrischen „Symbolik" — von
der Sicht eines württembergischen „mildlutherischen" Lutheraners
aus, der zugleich ein bewährter Kirchenhistoriker ist.
(Man könnte sich denken, daß nun auch ein bayrischer „hart-
lutherischer" Lutheraner über dasselbe Thema schriebe!).
Hermelink kommt zu dem Resultat: 1. In Württemberg hat
das Luthertum im 16. Jahrhundert die Eigenart der dortigen
Kirche gestaltet, und das ist dort unverlierbarer Besitz geworden
; in Bayern ist das Luthertum heute das Ergebnis
einer auf die Überflutung durch den Rationalismus folgenden
Restaurationsbewegung, die noch nicht ganz abgeschlossen
ist und ihre werbende Kraft auch für die Zukunft zu entfalten
oder jedenfalls zu erhalten sucht. (In Franken war der
Rationalismus endemisch, in Württemberg blieb er nur eine
Randfigur.) 2. Württemberg ging im Aufbau den Weg von
unten (pietistisch-presbyterialer „Kollegialismus"), Bayern
den Weg vom schriftgemäßen Bekenntnis mit Ausgestaltung
der Liturgie zu einem Betätigungsfeld der Laien. 3. Nichts
dokumentiert den Unterschied zwischen württembergischem
und bayrischem Luthertum so einschneidend wie der Unterschied
im gottesdienstlichen Gebrauch. (Aber im liturgie-
wissenschaftlichen Streit zwischen Württemberg und Bayern
wird der postulierte „Hartlutheraner" nur liturgiewissenschaftliche
Kriterien gelten lassen — die Iiier ist kein liturgiewissenschaftliches
Kriterium. Was aber Hermeliuk über die
württembergische Predigt sagt — „numinose", „betende"
Predigt, für bibelkuudige Gemeinden — das schlägt durch).

Karl Hartenstein, „Die Beziehungen von Württemberg
und Basel" („ein Beitrag zur Kirchengeschichte Süddeutsch-
lands und der Schweiz"), arbeitet die Bedeutung der großen
Abtgestalten von St. Gallen, wie eines Notker Labeo, für die
kirchliche Eigenart des oberdeutschen Raumes heraus, dann
die der Reformation (Johannes Oekolampad), die des Pietismus
in der Christentumsgesellschaft (Samuel und August
Urlsberger), endlich die der Basler Mission, die übernationalen
Charakter, überkonfessionellen Charakter, freie Sozietät, colle-
gium fratrum, Ringen um das Verständnis der wahren Gemeinde
Jesu Christi in das kirchliche Leben Oberdeutschlands
signalisierte und signalisiert.

Helmut Thielicke, „Zur Frage .Gesetz und Evangelium
', eine Auseinandersetzung mit Karl Barth", führt die
Auflösung der Spannung zwischen Gesetz und Evangelium bei
Barth, die er eine „monistische Entschärfung des Gegensatzes
" nennt, auf Calvin zurück. Calvin nimmt seinen Ansatz
immer wieder bei der Einheit des Gottesbegriffs und sieht demnach
Gesetz und Evangelium nicht in einem Spannungs-,
sondern in einem harmonischen Ergänzungsverhältnis. Das
bedeutet für die calvinische Exegese: Es gibt im Grunde nur
einen Bund, der bloß in mehreren Formen variiert wird (Tendenz
zur Ungeschichtlichkeit). Luthers Theologie hingegen
lehnt jeden theologischen Bezug, jede Korrelation von
Gesetz und Evangelium ab; daß bei Gott Gesetz und Evangelium
schließlich ein Monon sind, das muß man glauben, das
kann man nicht theologisch aufzeigen. Darum liegt bei Luther
der Akzent deutlich auf der Geschichtlichkeit der Offenbarung
. (Vgl. den Beitrag von Helmut Lamparter.)

Eugen Gerstenmaier, „De rebus civilibus. Zum Artikel
XVI der Confessio Augustana", antwortet auf die Frage:
„Was ist der Staat ? Wie soll sich ein Christenmensch zu ihm
verhalten ?" mit einer aufschlußreichen Exegese von Art. XVI
der Augustana, die zu einer bekenntnismäßigen theologischen
Ethik der lutherischen Kirche für den Weg der Kirche in die
Zukunft führt. „Die Kirche hat ihre Aufgabe nicht bloß mit
dem Worte zu erfüllen, sondern mit ihrer seinshaften Realität
". Die Individualethik der Augustana Art. XVI, „rechte
Furcht Gottes und rechter Glaube an Gott", verlangt nach
der Sozialethik. Die Rolle der „Ordnungen" wird positiv beschrieben
. Die Marksteine der Theologie sind nicht Sünde und
Gnade, sondern Schöpfung und Reich Gottes. Die Staatslehre
kann nicht in den 2. Glaubensartikel verwiesen werden.

Martin Haug, „Amt und Geist", bietet der Pastoraltheologie
eine warmherzige Einführung in die Lehre vom
Geistlichen Amt. Ein gehaltvoller Durchblick durch die Geschichte
und ein grundsätzlicher Teil geben Gelegenheit, die
heutigen Probleme des Amtes anzufassen und im Sinne des NT
zu lösen.

Kurt Hutten, „Kirche ohne Hoffnung ?", untersucht die
Geschichte des Zurücktretens der F.ndhoffnung in der kirchlichen
Verkündigung und geht auf das Problem des „Bald"
ein. Für die „Ideengeschichte der Predigt" von Wichtigkeit.

Martin Plieninger, „Der Offentlichkeitsauftrag der
Kirche", ist ein willkommener Beitrag zur Frage der „politischen
Predigt" in Wort und Schrift. Die Bedeutung der
„Atmosphäre" wird untersucht.

Max Loeser, „Der tote Punkt in der evangelischen Verkündigung
" bringt eine aktuelle Homiletik in uuee. Der „tote
Punkt" wird von ihm sowohl in der Gemeinde, als in der
Person des Predigers, als in der gesamtkirchlichen Gegenwartspredigt
, als in der Genesis der Einzelpredigt, als auf dem
Grunde des Evangeliunis selbst entdeckt. So kommen alle
Probleme der „Homiletik des Inhalts" zur Sprache und werden
einer theologisch vollkräftigen Behandlung zugeführt.

Wilhelm Leinpp, „Die innere Haltung des Seelsorgers",
dient der Lehre von der Seelsorge mit einer Weiterführung
(und z. T. Kritik) des Buches von Eduard Thurneysen „Die
Lehre von der Seelsorge" und des Buches von Hans Asmussen
„Die Seelsorge".

Erich Schick, „Psychologie in der Seelsorge", weist mit
solider psychologischer und theologischer Kenntnis der Psychologie
den Platz in Seelsorge und Verkündigung au, den sie
in der Konsequenz der Inkarnation Jesu Christi zu beanspruchen
hat.

Rudolph Alexander Schröder, „Allzeit Mehrer des
Reichs", gibt dem Kirchenlied diese Uberschrift wegen der
Erbauungstätigkeit des Kirchenlieds. In dem Aufsatz selbst
behandelt er die Frage des Unterschieds im Gefälle der Lieder
(geistliches Volkslied — erschöpftes Lied — Lieblingslieder —
die Psalmen). Schröder setzt seine .eigenen milderen Ansichten
in ein Verhältnis zu den strengen Thesen der Liturgiker.

Friso Melzer, „Sprache und Existenz" („Vom vierfachen
Dienst der Sprache"), baut an einer Theorie der
Sprache, die immer wieder um die „Existenz in Christo"
kreist, aber ebenso wichtig für die Rhetorik wie für die exegetische
und praktische Theologie werden kann.

Albrecht Goes, „Uber die Milde", steuert ein dichterisches
Zwiegespräch bei, dessen Hauptthese lautet: „Du hast
ganz recht, die Entscheidung für die Milde ist im letzten eine
Entscheidung des Glaubens" — und erweist so, daß der Dichter
die Theologen lehren kann.

Wer nicht in der Lage ist (und heute sind es bei uns viele
nicht), die jetzige Theologie in ihren einzelnen Neuerscheinungen
zu studieren, der hat in diesem Bande die Möglichkeit
, die heute in der Praxis drängenden theologischen Probleme
in etwa zu überschauen. Die Kritik aber mag jeder
von seinem Fache aus (und von der Praxis aus, von der
eigenen Kirche aus) anbringen. Uns handelte es sich darum,
auf den Inhalt der Aufsätze hinzuweisen.

Wertingen Leonhard Fendt

[Barth, Karl] : Hommage et Reconnaissance. Recuei! de travaux publies
ä l'occasion du soixantieme anniversaire de Karl Barth. Neuchätel: Dela-
chaux & Niestie [1946]. 261 S. gr. 8« = Cahiers theologiques de l'actualite
protestante. Hors serie 2. Schw. Fr. 8.—.

An der zu K. Barths 50. Geburtstage erschienenen Festschrift
war kein Theologe französischer Zunge beteiligt. Zum
60. Geburtstag Barths — den er wieder auf deutschem Boden
verlebte — konnte lediglich eine französische Festschrift erscheinen
, in der sich Arbeiten westschweizerischer und französischer
Verfasser vereinigt finden. Der Kreis der auf solche
Weise ihre Glückwünsche Darbringenden ist weit. Es finden
sich in ihm nicht bloß die unmittelbaren Schüler und Freunde
Barths (z. B. J. L. Leuba), sondern auch u. a. O. Cullmann
oder E. Grin. Ja, es mag kennzeichnend sein, daß gewichtige
Beiträge auch von scheinbar „Außenstehenden" kommen, etwa
von Etienne Gilson oder von Georges Bemanos oder Denis
de Rougemont: tatsächlich sind gerade diese Beiträge ein Beweis
dafür, wie sehr die Theologie Barths in Frankreich auch
außerhalb der theologischen Welt und bis in die katholischen
Kreise hinein (Gilson, Bernaues) ihre bewegende Kraft beweist
.

Es würde den Rahmen dieser Anzeige sprengen, wenn hier
auf jeden einzelnen Beitrag eingegangen werden sollte. Daher
sollen nur zwei Punkte hervorgehoben werden, die unser Interesse
in besonderem Maße beanspruchen.