Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1949 Nr. 4

Spalte:

211-222

Autor/Hrsg.:

Hertzberg, Hans Wilhelm

Titel/Untertitel:

Zur neuen Auslegung des Alten Testaments 1949

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5, Seite 6

Download Scan:

PDF

211

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 4

212

Zur neueren Auslegung des Alten Testaments1

Von H. W. Hertzberg, -Kiel

Die Frage nach der rechten Auslegung des Alten Testaments
ist an sich immer eine Frage gewesen, mit der sich die
christliche Theologie und die kirchliche Verkündigung haben
ausemandersetzen müssen. Aber sie ist im Kirchenkampf
stärker aufgebrochen als zuvor und ist seither als Frage vor
uns stehen geblieben, die von der jetzigen Generation — wie
von jeder künftigen — unter Auswertung der in den vergangenen
Jahren gewonnenen Erkenntnisse zu beantworten ist.
Bekanntlich hatte die Ablehnung des Alten Testaments seitens
der nationalsozialistischen Weltanschauung nicht nur politische
Gründe, die in dem Willen der damaligen Machthaber,
jüdische Einflüsse auszumerzen, ihre Erklärung fanden. Sondern
das Problem hatte auch einen aus der Sache selbst kommenden
Hintergrund, der mit dem Verhältnis des Alten Testaments
zum Neuen zusammenhängt. Die im wesentlichen geschichtliche
Auffassung vom Alten Testament drängte zu der
Frage, wieso denn eine Urkunde, die weitgehend nur in geschichtlicher
Verbindung mit dem Neuen Testament stehe, für
die Verkündigung der Kirche verbindlich, eben ,,Gottes Wort"
sein könne. Nachdem durch ein Jahrhundert hindurch von
allen Seiten — Religionsgeschichte, Profangeschichte, Literaturgeschichte
, Archäologie, Volkskunde — die Verwurzelung
des Alten Testaments in zeitgenössischen Tatbeständen nachgewiesen
war, mußte gefragt werden, was denn nun vom Alten
Testament als Gegenstand der Verkündigung bleibe. Zwar
hatten Männer wie Gunkel und Gressmann — um die Namen
noch Lebender zu übergehen — dem Frömmigkeitsgehalt des
Alten Testaments ihre Aufmerksamkeit zugewandt; andere
hatten, zum Teil in kongenialer Weise, die Prophetie lebendig
werden lassen. Aber teilweise blieb das so Erhobene dennoch

*) Nötscher, Friedrich, Prof. d. Dr.: Die Heilige Schrift in deutscher

Übersetzung. Echter-Bibel. Das Alte Testament hrsg. 1.—4. Lfg. Würzburg
: Echter-Verlag 1947/48. gr. 8".

1. Lfg.: Nötscher, Friedrich, Prof. D. Dr.: Die Psalmen. VIII, 292 S.

Kart. DM. 7.80.

2. Lfg.: — Jeremias. IV, 175 S. — Die Klagelieder. IV, 23 S. Kart.

DM. 6.20.

3. Lfg.: — Zwölfprophetenbuch oder Kleine Propheten. 187 S.

— Kohelet. Ekklesiastes oder Prediger. 34 S. Kart. DM. 6.60.

4. Lfg.: Schötz, Dionys, D. Dr., P.OFM.: Erstes und zweites Buch

der Makkabäer. IV, 107 S. Kart. DM. 4.60.

Thilo, Martin, Dr.: Das Alte Testament ausgelegt für Bibelleser.
1. Teil; 1.—4. Lfg.: Die fünf Bücher Mose. VIII, 507 S. 5. Lfg.: Josua
1,1 —l.Sam. 7, 2. 128 S. Gütersloh: Bertelsmann [ 1947]. gr. 8°. Je Lfg.
DM. 4.—, geb. 4 Bde DM. 80.—.

Flügge, Theophil, Dozent: Gott in der HÖile. Hiobs Klage den Trotzigen
und Verzweifelnden zu Trost nacherzählt. Berlin-Dahlem: Christi.
Zeitschriften-Verlag 1947. 63 S. 8». DM. 2.50.

— Der zerbrochene Antichrist. Wie Jesaja Jesum schaute (Jesaja
1—11). Den Freunden Jesu zur Freude nacherzählt. Berlin: Christi. Zeitschr.-
Vlg. 1947. 64 S. 8». DM. 3.90.

Bender, Herbert: Das schaffende Wort. Eine Auslegung des ersten
Buches Mose. Wuppertal-Barmen: Emil Müller o. J. 104 S. 8"= Im Wort gegründet
H. 2. DM. 2.50.

Schempp, Paul: Die Geschichte und Predigt vom Sündenfall.

l.Mose 3 aufs neue ausgelegt. München: Kaiser 1946. 141 S. 8°. DM. 3.60.

Huhn, K-, Pfr.: Die Entrückung HenochS — ein Vorbild auf die
Entrückung der Gemeinde. Hamburg: Verlagsbuchhandlung Bethel [1946J.
47 S. 8». DM. 1.—.

Bartsch, Hans Werner, Dr. theol.: Schöpfung und Schuld vor
Gott. Die Botschaft von den geheimnisvollen Anfängen. Hamburg: Reich &
Heidrich [1948]. 30 S. 8*= Evang. Zeitstimmen H. 18. DM.—.75.

Künzil, Edwin: Der Vater des Glaubens. Eine Auslegung der biblischen
Abrahamsgeschichte für die Gemeinde. Basel: Majer [1943]. 125 S. 8°.

Paulsen, Anna, Lic: Hiob. Ein Buch der Bibel für unsere Zeit gedeutet
. Hamburg: Wittig 1947. 31 S. mit Abb. 8». DM.—.80.

Lüthi, Walter: Die kommende Kirche. Die Botschaft des Propheten
Daniel. 15. Aufl. Basel: Reinhardt [1937]. 159 S.8°. Geb. Schw. Fr.4.—.

— Habakuk rechtet mit Gott. 5. Aufl. Basel: Reinhardt o. J.
81 S. 8». Schw. Fr.4.50, geb. Schw. Fr. 6.50.

— Die Bauleute Gottes. Nehemia, der Prophet im Kampf um den
Aufbau der zerstörten Stadt. 5. Aufl. Basel: Reinhardt [1945]. 201 S. 8°. Kart.
Schw. Fr. 4.50, geb. Schw. Fr. 6.50.

Bienz, W.: Haggai der Nachkriegsprophet. St. Gallen: Schweizerischer
CVJM-Vlg. 1945. 63 S. kl. 8*. geb. Schw. Fr. 3.—.

ViSCher, Wilhelm: Psalmen ausgelegt für die Gemeinde. 2. Aufl.
Basel: Reinhardt [1944]. 201 S. 8». Schw. Fr. 4.50, geb. Schw. Fr. 6.50.

Brunner, Robert, Pfr. Lic: Unterwegs mit Gott. Das Zeugnis des
Propheten Jona. Basel: Majer o. J. 55 S. kl. 8*. geb. Schw. Fr. 1.50.

ein Stück Vergangenheit; oder es dokumentierte sich als eine
religiöse Urkunde, die anderen, au!3erbiblischen Stoffen an die
Seite zu stellen, aber eigentlich nicht mehr sei als diese. Daher
kam es ja dann zu dem zwar täppischen, aber nicht gut zu
überhörenden Trompetenstoß von Friedrich Delitzsch in seineu
zwei Büchern ,,Die große Täuschung" und zu Harnacks bekanntem
Urteil in seinem „Marcion", daß das Alte Testament
als kanonisches Dokument nicht mehr zu konservieren sei. Der
Kirchenkampf vollends, der zu diesen Tatsachen noch die politisch
-weltanschaulichen hinzufügte, offenbarte die Schwierigkeit
für die alttestamentliche Wissenschaft, über ihre geschichtlichen
Voraussetzungen hinaus zu einer positiven Lösung
zu gelangen und das Alte Testament als eine Größe der
Kirche und der Gegenwart erscheinen zu lassen.

Die einzelnen Phasen dieser Entwickelung sind hier nicht
darzustellen, und ebensowenig können die Literaturerscheinungen
, die hierfür in Betracht kommen, rückblickend gewürdigt
werden. Die wichtigsten von ihnen sind in der ThLZ, zum
Teil sehr ausführlich, besprochen worden. Man mag zu Wilhelm
Vischers ,,Christu.szeugnis" stehen, wie man will; hier ist der
entscheidende Punkt gesehen worden: eine wesentlich historisch
eingestellte Wissenschaft vom Alten Testament kann auf
die Frage, inwiefern das Alte Testament ein Buch der Kirche
der Christenheit sei, keine durchschlagende und befriedigende
Antwort geben. Andererseits kann sie sich aber auch nicht als
unzuständig erklären und die Antwort „der Kirche" überlassen
; sie muß Stellung beziehen und dazu die Frage des
Alten Testaments theologisch anfassen und durchdenken.

Es ist diesem wichtigen theologischen und kirchlichen Problem
in den hinter uns liegenden fünfzehn Jahren viel Zeit
und Kraft gewidmet worden. Von allen die Bibelwissenschaft
betreffenden Arbeiten ist in dieser Zeit, allenfalls neben Bultmanns
Entmythologisierungsaufsatz1, kein Buch so viel diskutiert
worden wie Vischers i. Band seines „Christuszeugnis im
Alten Testament"2. In der literarischen Erörterung waren uns in
jener Zeit Grenzen gesetzt. Dennoch ist in vielen Broschüren
und Aufsätzen Stellung genommen und weitergearbeitet worden
. Es hat wohl keine Pfarrkonferenz gegeben, die in jenen
Jahren sich nicht irgendwie einmal mit diesen Dingen beschäftigt
hätte. Vischers Buch hat dabei direkt zur Mit- und Nacharbeit
angeregt, wie es natürlich auch zur Nachprüfung der
eigenen Situation und zu kritischer Auseinandersetzung gedient
hat. Andererseits lag die Abkehr von der ganz oder überwiegend
historischen Einstellung innerhalb der alttestamcnt-
lichen Wissenschaft und die Hinkehr zu theologischen Fragestellungen
einfach in der Luft. Man muß dazu die drei Lehrbücher
der alttestamentlichen Theologie ins Auge fassen, die,
bezeichnenderweise, unter diesem Titel und nicht mehr als
„Israelitisch-jüdische Religionsgeschichte" in Abständen von
drei Jahren von 1933 an erschienen sind (Sellin, Köhler, Eichrodt
). Jede von ihnen versucht in ihrer Weise von dem geschichtlichen
Aufriß zu einer systematischen Darstellung und
zur Auf Weisung der theologischen Tatbestände zu gelangen.
Dabei ergibt sich dann alsbald die Frage: sind das vergangene
oder ständig gültige Fakta ? Was ist nur historisch, was ist
übergeschichtlich ? Ist eine theologische Bestandsaufnahme
schon eine biblische Theologie ? Anders ausgedrückt: wir sind
in der alttestamentlichen Wissenschaft auf Schritt und Tritt,
nicht nur bei dem Kapitel der Eschatologie oder in einem
Schlußparagraphen unserer Lehrbücher, nach der Beziehung
zum Neuen Testament gefragt.

Das gilt vor allem in bezug auf die Auslegung des Alten
Testaments. Hier hat es sich zu zeigen, ob die alttestamentlichen
Bücher lediglich geschichtlich bemerkenswerte, allenfalls
religiöse Dokumente einer alten Zeit oder ob sie Stück der
Bibel der Christenheit sind. Für die christliche Gemeinde ist
das auch in den letzten hundert Jahren keine Alternative gewesen
; die alte Entscheidung im zweiten Sinne war übernommen
und wurde praktisch nicht bestritten. Aber, wie gesagt,
in zunehmendem Maße begann solche Bestreitung, wenn auch
meist vom Außenrande der Gemeinde her; und besonders der
Theologe selbst mußte zu einer Klarheit darüber zu kommen

') Rudolf Bultmann, Offenbarung und HeilsKeschehen. München 1941.
(„Das Problem der Entmythologislerung der neutestamentllchen Verkündigung
.") Auch hier geht es Im Grunde um die Frage, wie die Botschaft dem
gegenwärtigen Menschen zu sagen ist. Dieses Orundanllegen ist, bei aller Verschiedenheit
, das gleiche wie bei Vlscher.

■) 1934; der zweite Band, 1942 In der Schweiz erschienen, fiel nach Inhalt
und Wirkung dagegen ab.