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Ausgabe:

1949 Nr. 4

Spalte:

205-210

Autor/Hrsg.:

Schlunk, Martin

Titel/Untertitel:

Mission als ökumenisches Handeln und Denken 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 4

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fordert unweigerlich den Angreifer heraus". Damit wird, vielleicht
nicht ausreichend konkret, in der Tat zur Lage gesprochen
, wie denn die Anschauung von der Unvermeidlichkeit
des Krieges von der gesamten Sektion als irrig und in
ihren Auswirkungen verhängnisvoll mit Schärfe abgelehnt
wurde. Der Bericht bemüht sich, auch angesichts aller dahingegangenen
Hoffnungen der letzten Kriegsjahre und der
bitteren Erfahrungen der Gegenwart das Vertrauen der
Christenheit zu stärken: „Gott hält die Welt in seinen
Händen! . . . Die Erfahrung der Geschichte erlaubt uns nicht
zu verzweifeln oder uns an die Macht zu verlieren . . . Kein
Ding ist unmöglich bei Gott ... Er ist nicht taub für das,
was Menschen von ihm erbeten oder erhoffen. Wir sind gefordert
, daß wir Glauben halten und gehorsam sind". Dieser
Gehorsam fordert, daß jeder Christ sich in den Dienst des
Friedens stellt.

So gilt es auch für die Kirchen als Gesamtkörperschaften.
Sie tragen Schuld an der bestellenden Unordnung. Sie haben
zu Dingen geschwiegen, zu denen sie nicht schweigen durften.
Sie müssen ihrer Verantwortung durch positive Bemühungen
Rerecht werden. Mit Recht wird auf die positive Bedeutung der
Bildung des Ökumenischen Rates der Kirchen hingewiesen.
Eine solche Zusammenarbeit aller christlichen Kirchen kann,
wenn sie zur Sache aller Christen wird, die Versöhnung
zwischen den Nationen in der Tat kräftig fördern. Die
m der volkstümlichen Erörterung der Kriegsfrage nach dem
ersten Weltkriege — und wieviel hoffnungsvoller waren doch
(freilich im Gegensatz zu der weit größeren Unklarheit der
Argumentierung) jene Gespräche und Kundgebungen als alles,
was heute in dieser Sache gesagt wird! — immer wiederholte
Wendung: Ja, wenn die Christen nur wirklich Christen wären!
enthält ohne Zweifel eine echte Wahrheit, die auch politisch
v°n unmittelbarer Bedeutung sein kann, und eben sie stellt
eine der stillschweigenden Voraussetzungen dar, von denen
die ermutigenden und zum Handeln aufrufenden Sätze des
Amsterdamer Sektionsberichtes ausgehen. Auf keinem Gebiet
menschlichen Handelns sind die Christen so sehr wie auf dem
«er Außenpolitik in Versuchung, sich als unzuständig zu empfinden
und gegenüber vermeintlichen Zwangsläufigkeiten
Selbst auf das Bekenntnis ihrer christlichen Uberzeugung und
auf das Aussprechen ihres christlichen Urteils über eine sich
in törichter nationaler Selbstsucht bewegende politische
Hihrung zu verzichten, ja nicht einmal der Haßpropaganda
mit deutlicher Abwehr zu begegnen. Die Kirchen müssen weit
mehr tun, um den Mut zu einem solchen tapferen Christsein
zu wecken und zu weitsichtigem Urteil anzuleiten.

Der Bericht der vierten Sektion meint dies alles auch; er

hätte es wohl auch für den schlichten Christen noch verständlicher
sagen dürfen. Der kurze Hinweis auf die Tätigkeit des
ständigen ökumenischen Ausschusses für die internationalen
Angelegenheiten war notwendig, wird aber in dieser Kürze
wenig wirksam sein. Doch die Frage nach der möglichen oder
zu erwartenden Wirkung des Berichtes ist natürlich auch im
Blick auf das Ganze zu stellen. Ganz selbstverständlich wird
der anders urteilen, der sein Zustandekommen miterlebte, als
der daran Unbeteiligte. Während dieser es leicht finden wird,
ihn als unbefriedigend nachzuweisen, sei es um seiner allzu
matten Sprache, sei es um dieser oder jener schmerzlich empfundenen
Lücke, sei es um der ihn ärgernden Verteilung der
Gewichte willen, wird der Mitverantwortliche versichern, wie
viel Grund zum Dank durch die Tatsache gegeben ist, daß in
Amsterdam Christen, also doch Menschen aus allen Teilen der
Welt, Menschen aller Rassen, Menschen aus Ländern der
Sieger wie der Besiegten, aus Ländern auf beiden Seiten des
eisernen Vorhanges in voller Offenheit und dennoch brüderlich
von den die ganze Welt bis zur Unerträglichkeit umtreibenden
Geschehnissen und Fragen sprechen und ein so
großes Maß von Übereinstimmung in einer Fülle von entscheidend
wichtigen Dingen, von Ubereinstimmung nicht nur
in einigen allgemeinen Prinzipien, sondern im Urteil über konkrete
Einzelheiten der Weltlage gewinnen konnten. Wo wäre
das außer auf dem Boden der Kirche möglich gewesen ?

Aber so groß das ist, ein wirkliches Geschenk, es hat
nicht die Kraft gehabt, die Wolken über uns zu teilen. Auch
für den Christen ist es schwer, zuversichtlich zu bleiben, wenn
die Welt auf ihrem gefährlichen Wege an Abgründen entlang
weitertaumelt. Der Bericht der vierten Sektion hat sich genötigt
gesehen, in seinen Schlußsätzen den Ton wenigstens
anklingen zu lassen, der vielen, zumal den Christen des europäischen
Kontinents in der Arbeit von Amsterdam nicht hell
und kräftig genug aufzuklingen schien, und der zu ihrer Freude
wenigstens in der „Botschaft" der Weltkonferenz kräftig zur
Geltung kommt, den Ton der eschatologischen Erwartung:
„Bei Christus ist der Sieg und auf ihn trauen wir. Wir bitten,
Er möge uns mit der Kraft seiner Stärke erfüllen und zur
Vollendung seines Heilsplanes unter den Völkern gebrauchen.
Denn er ist der Fürst des Friedens und das auferstandene und
lebendige Haupt der Kirche".

Auch im Blick auf den Bericht der vierten Sektion ist
nichts lebhafter zu wünschen, als daß er von allen denen beachtet
wird, denen Verantwortung für die internationale Ordnung
auferlegt ist, und daß die ihm zuteil werdende Kritik
den Dienst der Kirche im Bereiche dieser Fragen fördere.

jj , Dem aufmerksamen Beobachter der Geschichte der ehrist-
de tu ^iss*on mußte es schon seit der Jahrhundertwende
bal werden, daß sich ein neues Zeitalter der Mission an-
"dioUu I5crilnte in der christlichen Urzeit mit ihrer rein
^igiösen Einstellung aller Missionserfolg im wesentlichen auf
Oe Persönlichen Zeugnis des einzelnen Christen, der einzelnen
Yj lnt'mde, so brachte schon das 2. Jahrhundert eine Wendung,
ent itfc* kann ,nan sic wurzelhaft in der ArcopagredefAkt. 17)
chk 1 Re,len: das aus der Provinz stammende, der grie-
Rinnt rÖmiscllen Welt völliK fremdartige Christentum be-
Paßt tt ? Auseinandersetzung mit der Hochkultur seiner Zeit,
und ■] illr nicl,t nur an. sondern nimmt sie in seinen Dienst
der xc'i UIlter Konstantin Staatsreligion. Zum Bündnis mit
Biin 1 tritt also sofort das Bündnis mit der Politik, ein

nicht Si'i 1 durch das ganze Mittelalter gilt und noch heute
Politik'ig RC,öst ist- Die Weltmission wurde Pionier der Welt-
rialjsr ■ ' u Römischen Reiches und aller ihm folgenden impe-
]nit (l. tr " Bestrebungen, und blieb es über ein Jahrtausend
Wart ] • T11 spürbaren Nachwirkungen bis in unsere Gegen-
Man "mein. Je weiter die koloniale Eroberung des weißen
die s'j Ylra"K- um so '"ehr wurde die Frucht deutlich, daß
Paisier Reitende Christianisierung in starkem Maße Euro-
SSnfer' Wllrde- Nicht nur die katholische Mission stand im
Auch 1 U1Kl damit untei" dem Schatten des Imperialismus,
•nacht Wo sich in ihr rein religiöser Impuls neu geltend
^lissm iWlc etwa bci Franz Kavier und ebenso in dem neuen
dänisn/'u'fb des Protestantismus, bei Egede, Elliot, den
erWie« • 1 ,lisr,u''i Missionaren und bei der Brüdergemeine
strebt 1 flie übc,nnacht der politischen und kulturellen Be-
^'ird. 1£e"' Tci,s oIme es zu wollen, teils mit Bewußtsein
nie Mission .staatlichen und kulturellen Zwecken dienst-

Mission als ökumenisches Handeln und Denken

Von Martin Schlunk, Tübingen

bar. Das 19. Jahrhundert, „das Missionsjahrhundert", ist geradezu
klassischer Ausdruck der Verquickung mit politischen,
kulturellen, sozialen Nebenaufgaben. Als das den kritisch
prüfenden Führern und Beobachtern deutlich wurde, hatte in
der „farbigen" Welt bereits eine ganz starke Gegenbewegung
gegen die Überlegenheit des weißen Mannes eingesetzt, so daß
für die Mission sowohl von Seiten der alten wie der jungen
Kirchen eine Neueinstellung wünschenswert, ja notwendig
wurde.

Vielleicht kann man als erstes Symptom der neuen Zeit
in der protestantischen Mission das Werden eines kirchlichen
Bewußtseins mit dem Ziel der Schaffung bodenständiger
Volkskirchen nennen. Die Losung Rufus Andersons aus der
Zeit vor 100 Jahren von der sich selbst erhaltenden, sich selbst
verwaltenden und sich selbst ausbreitenden Kirche war etwa
der Anfang, und das Entstehen selbständiger volkseigener
Missionskirchen mit eigenem Pfarrerstand, eigenem Schulwesen
, eigenem Gottesdienst in der Muttersprache und eigener
Verfassung und Verwaltung war zur Freude der Missionsleitungen
die Frucht. Bald mischte sich ernste Sorge in die
Freude. Denn mit der wachsenden Selbständigkeit wuchs das
Unabhängigkeitsbestreben der jungen Kirchen und verband
sich notwendig mit nationalen und rassischen Motiven, oft in
unreifer, unausgeglichener Weise, und brachte die jungen
Kirchen z. T. in einen spannungsreichen Gegensatz gegen die
frühere patriarchalische Leitung und gegen die Völker, denen
sie das Evangelium verdankten. Schon auf der Edinburger
Weltmissionskonferenz von 1910 wurde ein deutliches Streben
spürbar, alle Missionsarbeit von kolonialen, kulturellen,
rassischen und imperialistischen Bindungen zu lösen und sie
rein religiös, rein kirchlich zu gestalten. Die Konferenzen in