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Ausgabe:

1948 Nr. 3

Spalte:

163-165

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kindt, Karl

Titel/Untertitel:

Klopstock 1948

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 3

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logisch-metaphysische Spekulationen machen. Wer das tut,
vollzieht eine fietdßaats eis ölXo yevos. Er sieht nicht die Wesensverschiedenheit
der religiös-numinosen und der rational-metaphysischen
Sphäre. Das Trishagion des Jesaja läßt sich
nicht in die Tonart des spekulativen Denkens
transponieren! Uber allen seinen Rationalisierungsversuchen
liegt, um eine klassische Wendung Lotzes zu gebrauchen
, „der Schatten des Altertums mit seiner unheilvollen
Uberschätzung des Logos". Der Geist des antiken
Intellektualismus, der schon Augustins Denken in seinem
Werk De Trinitate in fragwürdige Bahnen gedrängt hat, lebt
auch in diesen jüngsten Trinitätsspekulationen weiter, die
ebenso wie die Th. Haeckers (der die analogia trinitatis in der
Dreiheit von Erkennen, Wollen und Fühlen sieht) auf den,
der nicht bloß theoretisch, sondern auch erlebnismäßig um
das „Ganz andere" weiß, letzten Endes als Spielereien wirken.

Zu den theologischen treten philosophische Bedenken.
Verf. will Philosophie bieten, freilich eine „von der Theologie
her ergänzte" Philosophie (S. 13). In Wirklichkeit aber bietet
er theologische Spekulationen. Er sieht nicht, daß es von den
Prinzipien des hl. Thomas aus eine wissenschaftliche Philosophie
nicht gibt und nicht geben kann. Wissenschaftliche
Philosophie ist autonome Philosophie. Sie hat ihren Nomos
in sich selbst. Bei Thomas aber empfängt die Philosophie
ihren höchsten Nomos von der Theologie.
Zwar will diese nur eine „negative Norm" sein. Faktisch aber
muß die Philosophie alle metaphysischen Begriffe anerkennen,
die im theologisch-dogmatischen System enthalten sind.
Andernfalls gerät sie sofort mit dem Dogma in Konflikt. (Wer
z. B. den scholastischen Substanzbegriff mit seiner distinctio
realis von Substanz und Akzidenz ablehnt, tritt damit in
Widerspruch zur Lehre von der Transsubstantiation, die jenen
Begriff zur Basis hat.) Daß aber die Philosophie durch solche
Unterordnung unter die Theologie ihre Autonomie und damit
ihren wissenschaftlichen Charakter verliert, ist luce clarius.
Leider sehen unsere katholischen Laienphilosophen, die heute
in „Neuthomismus" machen, diese Zusammenhänge nicht,
weil sie — als Laien — die Gedankenwelt des Doctor angelicus
gerade von dem Blickpunkt aus nicht zu sehen vermögen, der
für ihr tieferes Verständnis und für eine kritische Stellungnahme
zu ihr der entscheidende ist: dem theologischen.
Ich kenne nur einen katholischen Laienphilosophen, der eine
rühmliche Ausnahme von dieser Regel bildet: E. K. Winter,
der in seiner bedeutsamen, leider viel zu wenig bekannten
Schrift „Die Sozialmetaphysik der Scholastik" (1929) zwischen
„Philosophie als Wissenschaft" und „Philosophie als Behelf
und Werkzeug der Theologie" scharf geschieden wissen will
und sich mit Nachdruck für eine freie, selbständige, von der
Theologie unabhängige Philosophie einsetzt. (Der „Thomist
von heute" muß nach ihm „Antithomist" sein!) Freilich bedeutet
die von ihm vorgeschlagene Scheidung noch keine endgültige
Lösung des Problems. Diese kann vielmehr nur in der
Einsicht liegen, daß die religiöse Substanz des Christentums
nicht in, sondern gewissermaßen hinter den lehrhaften Formeln
des theologisch-dogmatischen Systems steckt und daß
diese nur menschliche, zeitgeschichtlich bedingte Versuche
darstellen, das ewige Geheimnis des Göttlichen dem menschlichen
Verstände näher zu bringen. Die rationalen Formeln
sind nichts Absolutes ; das Absolute liegt vielmehr
eine Schicht tiefer. Wird so das theologischdogmatische
System als solches seiner Absolutheit entkleidet,
dann ist wieder eine freie und autonome Philosophie möglich.
Diese hat sich dann nicht mehr rationalen Normen unterzuordnen
, die außerhalb ihrer Wesenssphäre liegen und darum
einen Fremdkörper für sie bedeuten; sie kann vielmehr ihrem
eigenen Wesensgesetz folgen. Indem sie das tut, stößt auch
sie auf ein Absolutes, das ihr in Gestalt der religiösen Wertwelt
entgegentritt und sich ihr als ein erhabener Untersuchungsgegenstand
darbietet. So wird sie, nachdem sie aufgehört
hat, ancilla theologiae zu sein, ancilla religionis,
was sie ohne Preisgabe ihrer Autonomie und das heißt ihres
wissenschaftlichen Charakters sein kann.

Köln Johannes Hessen

ZUR LITERATURGESCHICHTE

Kindt, Karl: Klopstock. Berlin: Wichern-Veilag 1941. [Ausg. 1943]
714 S. 8°. RM 14.—.

Hier haben wir die große monographische Darstellung
und Deutung Klopstocks, die schon längst nötig war, und zugleich
den Versuch, den Deutschen den einst von ihnen so
geliebten Dichter, der seit längerem nur noch eine Größe der
Literaturgeschichte war, neu zu schenken.

Daß Klopstock so lange mißverstanden worden sei und
nur noch als Karikatur weitergelebt habe, ist nach der Meinving
Kindts die Schuld der modernen Literaturwissenschaft,
die kein Verhältnis zur Theologie, zur Bibel, zum Glauben,
zum Sakralen, zur Philosophie großen Stils, zur Reichsidee,
zur Inspiration habe. Ist dieses Urteil auch etwas schief, so ist
doch richtig, daß nur eine genuin religiöse Betrachtungsweise
Gestalten wie Klopstock gerecht wird und die Literaturwissenschaft
der Ergänzung von dieser Seite her dringend bedarf.
Eine im Ansatz theologische und von da aus nach den anderen
Regionen sich entfaltende Arbeit zum Verstehen der Dichter,
wie ich selbst sie vor einem Vierteljahrhundert an den neuesten
deutschen Dichtern begonnen habe, ist nötig. Das Buch
Kindts ist die bedeutendste Monographie dieser Art. Daß sie
sich von vielen der üblichen literaturwissenschaftlichen Kategorien
weithin freimacht, kann als Vorteil betrachtet werden.
Ja, in manchem kann hier Kindt der zünftigen Literaturwissenschaft
selbst Wege weisen. U. a. lehnt er (zwar in seinem
Temperament gar zu scharf, aber im großen und ganzen mit
Recht) die Betrachtung nach dem „Gänsemarsch der Stile"
und den „Fetisch Entwicklung" ab; denn den Mittwoch kann
man nicht aus dem Dienstag ableiten, die Großen bilden eine
Welt für sich, der zeitlich Spätere kann doch der Ältere,
eigentlich Frühere sein; und zur Zeit Klopstocks rangen Aufklärung
, Pietismus, „Empfindsamkeit", Klassizismus, Orthodoxie
gleichzeitig miteinander. Dadurch, daß Kindt bei
Klopstock letztlich alles auf „Hochbarock" zuschneidet, verfällt
er allerdings selbst zum Teil der von ihm abgelehnten
Methode.

Ohne Zweifel leuchtet Klopstock durch das Buch Kindts
neu auf. Ob er als Dichter unserer Zeit zurückerobert
werden kann, erscheint mir allerdings fraglich. Als Dichter
bleibt er —■ meine ich — für uns, trotz des Werkes von Kindt,
ebenso unlebendig, wie der ebenfalls lang fast vergessene und
von anderen Dichtern — seit Schiller! — und von der Literaturwissenschaft
verkannte Hölderlin lebendig geworden ist.
Sicher ist dies: daß die aus dem unbewußt-mystischen Erleben
sich erhebende Gestaltenfülle der „Götter" (Hölderlin!)
einen viel besseren „Stoff" zur Dichtung abgibt als die
eherne Unveränderlichkeit der dem bewußten Glauben sich
erschließenden Welt der christlichen Offenbarung (Klopstock!)-
Ja, ich bin überzeugt — was ich bisher nur in Vorlesungen,
nicht im Druck begründen konnte —, daß Hölderlin letzten
Endes den Weg zum theistischen Gottesglauben, dem er zustrebte
, deshalb nicht ging, weil er dann nicht mehr jene
Götterwelt als Höchstes hätte darstellen können, also nicht
der Dichter hätte bleiben können, der er war. In diesem —
Hölderlin selbst nicht völlig bewußten — Selbstopfer (das
mindestens bis zu der Zeit seiner Umnachtung gilt) liegt
etwas, was vielen heutigen Menschen seine Dichtung unwiderstehlich
macht.

Folgen wir nun noch im einzelnen den Ausführungen
Kindts: Mit Recht stellt er die Tatsache voran, daß die
deutsche Klassik viergipfelig ist (Dichtung, Theologie, Philosophie
, Kunst). Zunächst legt er den philosophischen
Hintergrund Klopstocks dar. Es ist der Geist von Leibniz,
der offenbarungsgläubig ist, aber die Glaubenswahrheiten als
denkmöglich betrachtet. Wie Leibniz sei Klopstock Idealist:
Vorrang der intellegiblen Welt vor der Welt der Erscheinung
und Primat des Geistes vor den Sinnen; aber auch Realist-
(Bezeichnungen nach beiden Seiten wohl nicht ganz richtig-)
Beide waren, wie Kindt richtig feststellt, sogleich „fertig" und
ändern sich nicht mehr. Als religiösen Hintergrund stellt
Kind die Orthodoxie heraus und sieht hinter Klopstock den
ganzen Gerhard. Daß Klopstock nicht zum Pietismus gehört,
wie eine kurzsichtige Betrachtung meinte, zeigt Kindt unwiderleglich
. Dagegen stehe er den Aufklärern nahe, die den
christlichen Glauben stützen wollten, wie Geliert und Claudius
; dies scheint mir nicht ganz zuzutreffen. Der künstlerische
Hintergrund ist das Barock. Hierbei kommt Kindt'
wie oben angedeutet, zu der von ihm selbst bekämpften Ein*
schachtelung, die allerdings dadurch ziemlich immunisiey"
wird, daß er „Barock" außerordentlich weit spannt. (Vgl-
S. 60: Von Hutter bis Otinger, von Böhme bis Hamann, von
Rubens bis Füger, von Hans Reichel bis Ignaz Günther, von
Elias Holl bis Konrad Schlaun, von Schütz bis Gluck, von
Opitz bis Wieland.)

Bei der Schilderung der Persönlichkeit Klopstocks be'
tont Kindt dessen heitere Männlichkeit, seine Liebe zu Leibesübungen
, Musik, Flirt und Wein. Er schiebt das, was Unj|
empfindsam vorkommt, ganz auf das Konto der Art de
damaligen Zeit. Dies trifft nicht zu. Die Empfindsamkeiten
in Klopstocks Dichtung blieben ja, als das Empfindsame ffl
der Zeit längst nicht mehr herrschte. Wichtig ist die Fest'