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Ausgabe:

1948

Spalte:

1

Autor/Hrsg.:

Noth, Georg

Titel/Untertitel:

- 10 Die Aufgabe der Verkündigung im Untergang einer Welt Leipzig, 1948

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Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack
Unter Mitwirkung von Professor D. Ernst Sommerlath, Leipzig
HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR LIC. KURT ALAN D, HALLE-BERLIN

NUMMER 1

Spalte

Die Aufgabe der Verkündigung im Untergang
einerWelt. Von Georg Notli...... 1

Die Häresie des Kolosserbriefes.

Von Günther Born kämm .............. 11

Der gegenwärtige Stand der Erforschung
des Johannesevangeliums.

Von Johannes Behm .................. 21

Literarische Schätze aus der Geniza der
alten Synagoge in Alt-Kairo.

Von Otto Eißfeldt.................... 29

Heidler: Christi Gegenwart beim Abendmahl

(O. Weber)............................ 38

Johansson: Det urkristna nattvardsfirandet

(Fendt)............................... 33

73. JAHRGANG

Spalte

Kahle: The Cairo Geniza (Eißfeldt)....... 29

Lietzmann: Geschichte der Alten Kirche.
4.: Die Zeit der Kirchenväter (Dörries)... 39

Lüthi: Deutschland zwischen gestern und
morgen (Krummacher) ................. 43

Mazzarino: La dottrina di Teodoreto di Ciro
sull' unione ipostatica delle due nature in
Cristo (Abramowski f).................. 42

Müller, Guido: Lexikon Athanasianum.

1. Lfg. (v. Campenhausen)............... 41

Müller, Hans-Gerhard: Menschenrechte
(H. Köhler)............................ 46

Pauli: Freiheit und Erkenntnis in ihrem inneren
Zusammenhang (Reisner) ............ 45

JANUAR 1948

Sptlte

Plcijel: Svensk Lutherdom (Fendt)---- 44

Roetschi: Humanitätu. Idealismus (Delekat) 45
Sasse: Vom Sakrament des Altars (O.Weber) 36
Wenzl: Geist und Zeitgeist zweier Generationen
. 2. Aufl. (Hessen)................ 45

Berichte und Mitteilungen:

Der Papyrusfund von Tura (Klostermann) 47

Von Personen:

In niemoriamOtto Procksch(Fr.Baumgärtel) 49

Von den deutschen Theologischen Fakultäten
................................ 5t

Zum vorliegenden Heft................. 63

Die Aufgabe der Verkündigung im Untergang einer Well1

Von Georg Noth, Löbau

Das von Kierkegaard so bezeichnete Problem der Gleichzeitigkeit
mit dem Evangelium enthält die entscheidende
Aufgabe, dem heutigen Menschen das Evangelium zu vergegenwärtigen
. Die folgende Arbeit setzt voraus, daß es Kierkegaard
und der unter seinem Einfluß stehenden modernen,
insbesondere dialektischen Theologie nicht gelungen ist, diese
Frage und Aufgabe zu lösen. Vielleicht handelt es sich um
eine Frage, welche die Grenzen der Theologie durchbricht und
nur durch eine Verkündigung beantwortet werden kann,
welche dem aller Theologie vorausgehenden Evangelium unmittelbar
entstammt. Dieses Evangelium hat endzeitlichen
Charakter. Die Frage nach der Gleichzeitigkeit mit dem Evangelium
kann nur durch eine endzeitliche Verkündigung beantwortet
werden, welche jedenfalls Kierkegaard nicht kannte.
Der endzeitliche Charakter des Evangeliums ist erst um die
Jahrhundertwende entdeckt worden, wobei das bürgerliche
Sicherheitsgefühl sich der akuten Bedeutung dieser Endzeit-
Uchkeit verschloß. Daher werden uns erst durch die einen
Untergang enthüllenden unheimlichen Ereignisse die Augen geöffnet
für die Gleichzeitigkeit mit diesem endzeitlichen Evangelium
. Dieser Untergang vollzieht sich au der modernen Welt
und stellt der Verkündigung eine ganz bestimmte Aufgabe.
Dieser Aufgabe dürfen wir nicht ausweichen, obwohl die Versuchung
dazu besonders für uns Theologen nicht gering ist;
denn der Untergang soll uns zum Eingang in das endzeitliche
Evangelium werden, welches damit gleichzeitig wird.

Es ist eine vielsagende Tatsache, daß dieser Untergang
nicht von Theologen oder ausgesprochenen Christen geahnt
oder vorausgesehen worden ist. Das Gefühl, sich in dem sinnlosen
Zustand einer untergehenden Welt zu befinden, brach
erstmalig vor 150 Jahren bei dem einsamen Hölderlin durch,
welcher als Lyriker die Tragik dieses Zustandes zu fassen versuchte
. Er ahnte, daß dieser Zustand durch die Verkündigung
des Evangelium überwunden werden könnte.

Nietzsche geht mit unerbittlicher Kritik an die Zustände
der europäischen Welt heran und beurteilt sie als Dekadenz
und Auflösung unter dem Zeichen des Nihilismus, der zum
Untergang führt. Er hat die schweren kriegerischen Auseinandersetzungen
, durch welche diese europäische Welt sich
selbst zerstört, auch zeitlich richtig vorausgesehen. An der

Aufgabe, in diesem Ende einen Anfang zu setzen, ist er gescheitert
. Durch eitle Selbstüberschätzung gehindert — und
durch den Zustand eines verlogenen Restchristentumes angewidert
, fand er nicht den Zugang zum Evangelium und verschloß
sich damit der Einsicht in den Vorgang, der allein der
eigenen Lage und Aufgabe entsprach. Gleichwohl ist seine Behauptung
, daß das Christentum schuld sei am Untergang sowohl
der antiken wie der modernen Welt, erneut zu überprüfen
. Auch ist wichtig, daß er die Idee des Antichrist aufgenommen
hat, sie ist freilich von dem groben Mißverständnis,
daß der Antichrist Träger der Wahrheit sein könne, zu befreien
.

Spengler hat im Anschluß an Nietzsche die Schicksals-
notwendigkeit des Unterganges der abendländischen Kultur
darzulegen versucht, ohne die Aufgabe der Überwindung zu
empfinden. Dieser Mangel hängt damit zusammen, daß er
grundsätzlich die religiöse Beurteilung ausschließt, obwohl er
die Tatsache anerkennen muß, daß alle Kulturen eine religiöse
Grundlage haben und so lange lebendig bleiben, als sie vom
religiösen Quell her gespeist werden. Wichtig für uns ist sein
Begriff von der zweiten Religiosität, die im Unterschied zu der
ersten, im Beginn einer Kultur liegenden, nach einer Aufklärung
auftritt. Wahrscheinlich sind nämlich sämtliche Versuche
, kirchliches Leben nach einer Aufklärungszeit zu erneuern
, Ausdruck jener unschöpferischeu zweiten Religiosität,
die über Restaurationen nicht hinauskommt. Die Aufgabe, die
der Untergang stellt, ist von dieser zweiten Religiosität aus
nicht zu lösen.

Wenn wir von Llölderlins ahnungsschwerera Versuche und
von gelegentlichen Äußerungen anderer absehen, hat allein
Paul Ernst die Aufgabe in vollem Umfange gesehen, die der
Untergang der modernen Welt dem heutigen Menschen stellt.
Er hat sie zugleich als Dichter erfüllt. Sein Lebenswerk wurzelt
in der erschütternden Erfahrung der Sinnlosigkeit der
Großstadt, die er in den achtziger Jahren, aus den noch geordneten
Verhältnissen des Harzer Bergbaues kommend, als
Student in Berlin gemacht hat. (Vgl. „Ein Credo" S. 16, geschrieben
1923):

„Ich muß eine Art kindlicher Hellsichtigkeit gehabt haben. Ich sah die
Stadt zerstört und in verwitternden Ruinen, Ich sah das ganze Volk vernichtet
; und kein Mensch von denen, mit denen ich zusammenkam, merkte, was
ich spürte. Ich verspürte das alles an unbedeutenden Kleinigkeiten, die den
anderen wahrscheinlich gar nicht auffielen. Ich studierte Theologie. Meine
Lehrer hatten keine Ahnung von dem, was vor ihren Augen vor sich ging.
Sie lehrten über das Alte Testament und über Paulus, über Kirchengeschichte
und Reformation, und merkten nicht, daß alte diese Gedanken und Begeben-

') Erstmalig als Vortrag gehalten vor den in Breslau verbliebenen
Pfarrern am 10. Oktober 1946, hier gekürzt und leicht abgeändert. Dem Vortrag
gingen Auseinandersetzungen voraus, in welchen schon 1939 und 1941
die hier behandelten Fragen angeschnitten wurden.