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Ausgabe:

1948 Nr. 3

Spalte:

162-163

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hengstenberg, Hans-Eduard

Titel/Untertitel:

Das Band zwischen Gott und Schöpfung 1948

Rezensent:

Hessen, Johannes

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161 Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 3 162

Gemeinschaft erwachsenes, vom wahrhaft fortschrittlichen
Geist getragenes Abendland. Die Schrift übersieht m. E. diese
Tatsachen; sie ist einseitig, aber sie ist auch anregend. Mag
sich jeder, der sie liest, auf seine Weise mit ihr und der abendländischen
Geschichte ehrlich auseinandersetzen. Dazu angeregt
zu haben, ist wohl ihr größtes Verdienst.

Leipzig Hans Köhler

sich keineswegs reibungslos vollzog, sondern daß sehr entscheidende
Umwandlungen der antiken Haltung durch den
weltumgestaltenden Geist der christlichen Ethik sich gegenüber
der sozialen wie politischen Haltung des Altertums vollzogen
. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation kann
nicht einfach als Nachfolgerin des antiken Römischen Imperiums
betrachtet werden. Der Verf. übersieht, daß das ganze
Mittelalter hindurch — etwa in der Reform von Cluny und in
rtr Entstehung der großen Bettelorden-Proteste gegen jene
Identifizierung des Reiches mit dem antiken Reich spürbar
wurden, die keineswegs aus antichristlicher Haltung geboren
waren, sondern im Gegenteil sich gegen eine allzu starke Identi-
»v run8 des Papst- wie auch des Kaisertums mit dem antiken
krbe wandten. Zum Zweiten: Der Verf. läßt die gesamte
außerdeutsche Geschichte des Mittelalters außer Betracht. Er
ubersieht, daß auch Frankreich und England im Mittelalter
eine Rolle spielten und den deutschen Führungsauspruch bestritten
. Zum Dritten: Das mittelalterliche Reich war, geschichtlich
gesehen, auf der Tatsache aufgebaut, daß das
Wittehneer das Zentrum der damaligen Welt war. Mit der Verlagerung
dieses Zentrums in den Atlantik hatte die Idee eines
^eutschen Universalreiches ihre Bedeutung verloren. Die
Vorherrschaft ging spätestens unter Karl V., den der Verf.
y?n da her ganz falsch versteht, auf den europäischen Westen
Uber. Zum Vierten: Der Verf. hat recht, wenn er dieses Reich
riter einem übernationalen, universalen Gesichtspunkt bejahtet
. Es war übernational geformt. Aber diese Universali-
**~t kam nicht daher, daß man den Nationalismus schon über-
urmen hatte, sondern daher, daß es einen deutschen Natio-
er flsrnus damals überhaupt noch nicht gab. Dieser erwachte
st mit dem ausgehenden Mittelalter. Er erwachte als nationalistischer
Geist in fast allen Ländern Europas. Er war aber
ÄJvHv geboren aus der Renaissance, aus dem Geist jener
ntikc heraus, der zuerst in den italienischen Fürstenstaaten
ausgehenden Mittelalters wirksam wurde. Hier zeigt es
^. > daß seine Sicht der Antike zumindest sehr einseitig war.
leser nationalistische Geist hat dann in der Tat das Heilige
ornische Reich aufgelöst. Er war nicht aus christlichem,
Ht6"1 aus heidnischem Erbe geboren. Zum Fünften: Das
er?' C ^om'sche Reich deutscher Nation ist diesem Geist
egen, ist weiter durch die Verlagerung des weltpolitischen
hisf etlte'S semer Bedeutung beraubt worden und ist dadurch
't°risch überwunden worden. Es hat die Zeugnisse seiner
Auf'» v. • nohen Kultur hinterlassen und hat seine historische
in r insofern erfüllt, als sich im Laufe seiner Geschichte
der Tlr0rja Aneignung christlichen Geistes vollzog, der in
dah >» Ethik des europäischen Menschen geprägt und von
abe" ^UcI' se*ne Kultur grundlegend bestimmt hat. Dies darf
J„ r "wht dazu führen, daß man meint, dies allein genüge,
jü" aus diesen Kräften, die der Verf. selbst gerade in der
Hur Geschichte mehr und mehr verdrängt werden sieht,
ver°Pa ci,1Iach zu erneuern. Es muß im Gegenteil gesehen
Batik ' C^aü Verbindung zwischen christlichem und

dace m Geist damals wohl eine Notwendigkeit war, daß aber
WeltV"'" ^eradc aus christlichen Motiven einer fortschrittlichen
,,jc] ^estaltung heraus Protest erhoben wurde, ein Protest, der
deutl''iUlr *n ^cn erwähntcn mittelalterlichen Bewegungen
"ius Wurde, sondern ebenso in der Reformation, im Pietis-
die V^jF Aufklärung und im Sozialismus. Gewiß liefen auch
Sturile "'seh bestimmten Haltungen gegen diesen Geist
Duiilf' 8*Wiß haben sie im Nationalsozialismus einen Höhe-
niein erlebt- Wir schließen daraus nun das Folgende: Wir
sehichtf *?a^ I(^ec ^efi heiligen Römischen Reiches ge-
ist eK überwunden sei. Sie wiederauferwecken zu wollen,
hatte M Roniantik- Die mittelalterliche Reichsidee ist tot; sie
unser Bedeutung für ihre Zeit, aber nicht mehr für die
jjs ?■ Wir dürfen das Christentum nicht ihr identifizieren,
den I i ^erade heute darum, aus den echten weltumgestalten-
Sie n n" ^Cs Christentums heraus eine neue Welt zu schaffen.
Rom1 ^ahei gerade das heidnische Erbe des alten Imperium
meint1U!m überwinden. Der Verf. hat sehr recht, wenn er
'ändi ' 1 ^es Nationalismus vorbei sei. Die abend-

weiln -le Welt wird und muß sich zu einer Einheit finden,
die -a, Si.e Wt>iterleben will. Das Christentum kann ihr dabei
opfer, °llsten Kräfte der Liebe, Wahrheit, Treue und Auf-
nfuß "!R vermitteln. Aber die Einheit, die da wachsen soll,
und an i • 1 11 eu sein, geboren aus der geschichtlichen Not
Tjns 1 5S~chtlichen Stunde des gegenwärtigen Abendlandes.
StaatsH-i Wc'der ein liberalistisch zusammengeschweißtes
nach r m P°rm der Vereinigten Staaten von Europa

des II i/-1 ^uster Coudenhove-Calergis noch einev:Neuauflage
allein gen Römischen Reiches deutscher Nation, uns hilft
Leide«Lmjaus ^er Erfahrung des heidnisch-nationalistischen
u"d den christlichen Kräften dienender Liebe m echter

Hengstenberg, H.c: Das Band zwischen Gott und Schöpfung.

Paderborn: Verlag der Bonifacius-Druckcrci 1940. 213 S. gr. 8°.

Lw. RM 6.—.

Hengstenberg, ein schriftstellerisch sehr reger katholischer
Laie, handelt in dieser Schrift über ,,die Spuren der
Dreifaltigkeit im einzelnen Ding", den ,.Ursprung der Dinge
in Gott" und „die Spuren der Dreifaltigkeit im Kosmos".
Sein Gedankengang ist folgender: Das Band zwischen Gott
und Geschöpf setzt eine gewisse Seinsverwandtschaft voraus.
Sic liegt in der analogia trinitatis: das Geschöpf vollzieht
seine Einheit von Dasein, Wesen und Existenz als eine Nachahmung
der allerheiligsten Dreifaltigkeit. Diese analogia trinitatis
wird durch Gott begründet: die Existenz gewinnt ihren
Vollzug nur dadurch, daß Gott ein persönliches Verhältnis zu
ihr eingeht und die Existenz gewissermaßen vor sich hinstellt.
Dieser Schöpfungsakt darf aber nicht als Verursachung gefaßt
werden. „Die Beziehung von Schöpfer und Geschöpf erweist
sich als das gerade Gegenteil einer Kausalbeziehung"
(S. 207). Sie läßt sich am besten von der Ausdrucksbeziehung
her verstellen. Gott drückt sich in der Schöpfung in einer
Weise aus, für die die innerweltlichen Ausdrucksbeziehungen
(Künstler - Werk - Beziehung, Mutter - Kind - Verhältnis)
die besten Analogien darbieten. Die Art und Weise, wie
Gott sich im Schaffen ausdrückt, spiegelt sein trinitarisches
Wesen wider: im Vater erlangt das Ding den Selbstand, im
Sohn die Wesenheit, im Geiste die Verbundenheit mit Gott.
Damit tritt neben die individuelle eine kosmologische
analogia trinitatis: das Band zwischen Gott und Schöpfung
begründet nicht nur eine analogia trinitatis, es stellt auch
selbst eine solche dar, weil es das Verhalten des dreipersön-

lichen Gottes ist.

Das Wertvollste an dieser Schrift ist der durchaus gelungene
Nachweis, daß die Beziehung zwischen Gott und
Schöpfung nicht als Kausalbeziehung gefaßt werden darf.
Wie in diesem, so sucht Hengstenberg auch in anderen
Punkten von der Scholastik loszukommen. Er lehnt die aristo-
telisch-thomistische Akt-Potenz-Lehre ebenso ab wie das damit
eng zusammenhängende metaphysische Begriffschema
Stoff-Form. Er ist der Meinung, „daß Thomas nicht ganz
glücklich daran tat, die ,reine Urmaterie' von Aristoteles zu
übernehmen", weil mit ihr ein Prinzip gesetzt sei, „welches
der christlichen Weltsicht nicht gemäß ist" (S. 45). Verf. bekundet
einen klaren Blick für die Unvereinbarkeit des aristotelischen
mit dem christlichen Gottesbild. Der aristotelische
Gott ist actus purus, aber nicht creator; er ist „reine
Wirklichkeit", die zu den abgestuften Möglichkeiten der Weltdinge
als krönendes Prinzip hinzutritt, aber nicht personaler
Grund der Dinge; er ist Anfang, macht aber keinen Anfang
(S. 52). Von hier aus kommt Verf. zur Ablehnung des Gottesbeweises
aus der Kausalkette, der Gott als Endglied oder,
vom Standpunkt der Seinsordnung aus gesehen, als Erstglied
einer Kausalkette (prima causa) betrachtet. Bei dieser Kritik
am System des „Fürsten der Scholastik" leitet den Verf. der
Gedanke, „daß das eigentliche Anliegen des thomasischen
Denkens erst ganz voll in seinem Glänze aufscheint, wenn wir
die Loslösung desselben von einigen aristotelischen Begriffen
vollziehen (S. 46). (Daß er dabei auf die einschlägigen Untersuchungen
von mir [„Piatonismus und Prophetismus", „Das
Kausalprinzip" u. a. m.] und von anderen Forschern [z. B.
Hans Meyer: „Thomas von Aquin"] keinerlei Bezug nimmt,
sondern außer seinen eigenen Schriften nur seine Lieblingsautoren
zitiert, ist vom Standpunkt wissenschaftlicher
Arbeitsweise aus nicht zu billigen.)

Trotz der erfreulichen Ansätze zu einer grundsätzlichen
Kritik an der Scholastik bleibt Verf. doch dem scholastischen
Denken verhaftet. Das n^onov y>evSo^ seiner ganzen Schrift ist
die für die Scholastik typische Verquickung von Religion und
Philosophie, Offenbarung und Theologie. Seine ganzen Spekulationen
über die analogia trinitatis beruhen auf einer Verkennung
des numinosen Charakters des Trinitätsgeheim-
nisses. Die dogmatische Trinitätslehre ist die spekulative Ausdeutung
der uns in der biblischen Offenbarung entgegentretenden
transzendent-numinosen Wirklichkeit. Sie ist ein
Ideogramm, das man von dieser Funktion als „Deute-Zeichen"
nicht loslösen kann, ohne sein Wesen zu zerstören. Das heißt
aber: man darf es nicht zu einer obersten Prämisse für theo-