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Ausgabe:

1948 Nr. 3

Spalte:

139-146

Autor/Hrsg.:

Thulin, Oskar

Titel/Untertitel:

Kunst und Religion 1948

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139

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 3

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Kunst und Religion

Von Oskar Thulin, Wittenberg

Außer in Zeiten der Verflachung hat Kunst immer im
geistigen Raum geschaffen: Nicht nur Abbild wollte sie, sondern
Urbild, Wesensausdruck; nicht nur Dasein und Hiersein,
sondern in Sehnsucht erahntes, im Willen erstrebtes, im
Glauben geschautes Ziel; nicht nur Wohn- und Arbeitsraum,
sondern Räume, die den Menschen bilden, erziehen, umgestalten
sollten. In den Vorhöfen und im Bereich der Tempel
und Kirchen hat die Kunst der Vergangenheit ihre bedeutendsten
Bauhütten gehabt.

Die Kunstdenkmäler der deutschen Vergangenheit sind
daher, je älter sie sind, überwiegend wesentlich kirchlicher
Art. Ihre wissenschaftliche Erforschung und Deutung war und
ist allerdings keine Domäne der Theologie, die aber einen erheblichen
Prozentsatz an Forschern gestellt hat. Nur in der
frühchristlichen Kunst sind die christlichen Archäologen noch
führend, weil die Epoche der Spätantike und des Vormittelalters
bis zum Weltkrieg zum Forschungsgebiet des Kunsthistorikers
im allgemeinen noch nicht, zu dem des Archäologen
nicht mehr gehörte. Und doch sind die Probleme der späteren
Jahrhunderte nur zu begreifen von diesen grundlegenden Anfangsbegegnungen
von Antike und Christentum her. In den
letzten 30 Jahren hat sich daher auch die wissenschaftliche
Situation grundlegend geändert. Im edlen Wettstreit bemühen
sich jetzt die christlichen Archäologen und Kunsthistoriker
, die klassischen Archäologen, Profanhistoriker und
Religionsgeschichtler um diese spätantiken Jahrhunderte, die
zugleich die Geburtsjahrhunderte des kommenden christlichen
Abendlandes sind. Es entstand so eine ideale, sachlich und
menschlich beglückende „Universitas" der Forschung, oft als
vorbildlich empfunden in einer Zeit, in der die alte Universitas
zur Spezialitas zu zerfallen drohte.

Aber auch an der Erforschung der deutschen kirchlichen
Kunstdenkmäler, diesen monumentalen Quellen der Kirchen-
geschichte, muß die Theologie ein besonderes Interesse bekunden
. Denn mit Datierung und stilistischer Einordnung in
landschaftliche und persönliche Zusammenhänge und Abhängigkeiten
ist nicht alles gesagt, was über einen Kirchenbau
und seine bildlichen Kunstwerke gesagt werden kann. Weit
hinaus über die dogmengeschichtlich fixierten systematischen
Gedankengänge hat in der kirchlichen Kunst die tatsächlich
gelebte Gemeindefrömmigkeit, die Fülle des Lebens Gestalt
gewonnen als tragender, breiter Strom wie als ewig junges,
fruchtbares Land der Volksfrömmigkeit. Es muß uns daher
um eine Deutung gehen, die danach fragt, welch letztes Lebensinteresse
und welche Gläubigkeit einer Zeit sich darin in-
karniert hat, und wie immer bei der Beschäftigung mit der
Geschichte wird am Schluß auch die Frage nach der Verbindlichkeit
oder Vorbildlichkeit auftauchen, die eine solche künstlerische
Gestaltung für unsere Gegenwart und Zukunft hat.
Freilich hat solche in unser Leben eingreifende geistige Begegnung
nichts zu tun mit der Stufe der stimmungsmäßigen
Sympathie oder Antipathie, des nur Schönfindens, der unverbindlichen
Schwärmerei oder des zufälligen persönlichen Geschmackes
. Vom aufgeregten Stimmungsschwarm für die
Kunst der Gotik im Jahrzehnt nach dem Weltkrieg ist daher
auch ein steter Weg zur Epoche der Bindung, der festen, geschlossenen
Romanik zu bemerken, und in der unmittelbaren
Gegenwart, die weithin überkommene Wertungen problematisch
, bisherige Stellungnahmen fragwürdig machte, ist die
Frage nach der Sinndeutung und bleibenden Verpflichtung an
die gesamte Vergangenheit zu stellen, nicht allein aus dem
historischen Gewissen, sondern aus der Not der täglichen
Lebensbehauptung.

Neben den zahlreichen Monographien mehrten sich wohl
auch aus diesem Grunde in den letzten Jahren die zusammenfassenden
Werke über deutsche Kunst, europäische Kunst,
kirchliche Kunst. Drei Werke seien aus der Fülle herausgegriffen
, die eine historische Gesamtschau, eine systematisch-
theologische Betrachtung und einen Gegenwartsüberblick
geben wollen.

„Religiöse Kunst aus deutscher Vergangenheit,
Versuch einer Gestaltpsychologie der deutschen bildenden
Kunst", hat Amadeo Graf von Silva Tarouca sein Buch genannt1
.

») Tarouca, Amadeo Graf von Silva: Religiöse Kunst aus deutscher

Vergangenheit. Versuch einer Gestaltpsychologie der deutschen bildenden
Kunst. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag [1941]. 162 S., XLV Tat. gr. 8».
Oeb. RM 8.20.

„Gestaltpsychologisch einfühlende Wege" will er gehen,
„von innen, d. h. vom Idealbild und Wunschtraum, vom
innersten Lebens- und Gestaltungstrieb der Künstler selber"
(S. 7). Da „dieser tiefste Antrieb aber seinem innersten Wesen
nach stets religiöser Antrieb" ist, so liegen die Akzente seiner
Untersuchung auf den Epochen kunstgeschichtlicher Vergangenheit
, die religiös am bedeutsamsten sind. Der romanische
Stil bedeutet für ihn den „bekrönenden Mittelpunkt",
den „Gipfelstil", den christlich-deutschen Jugendstil, weil in
ihm sich die beiden Eigenarten germanisch-deutschen Wesens
und germanisch-deutscher Kunstgestaltung in höchster
Dynamik und Spannungseinheit gefunden haben: Religiöse
Gottessehnsucht, metaphysischer Tiefendrang einerseits und
meisternder Weltdrang nach außen, das Diesseits bejahender
Weltwille andererseits.

In der Basilika findet Tarouca die klassische Raumform dieser geistigen
Haltung, deren Wandel und Auflösung in der Geschichte sich für ihn im
Wandel und der Auflösung der Basilika bis zur letzten Wiederkehr im Barock
wertmäßig ablesen läßt. Die Grunderkenntnis von der Entstehung aus der
antiken Umwelt ist richtig gesehen: „Die antike Halle des harmonischen Auf-
und Abschreitens verwandelt sich unter seinen Händen (d. h. des Protestes
gegen ein mittelpunktloses, irdisch prächtiges und selbstgenügsames Raumbild
) in den eindeutigen ,Weg' zum Altar" (S. 46). In der altchristlichen
Basilika sieht Tarouca diesen Weg zum Überirdischen, „weg" vom Irdischen,
in vollster Einseitigkeit, als Gegenkraft gegenüber der „Gefahr einer Welt-
haftigkeit und profan-politischer Übergewichtigkeit" (S. 46) und deutet auch
die Mosaiken und Fresken in dieser Richtung, während er in der Romanik die
Weltbejahung als Weltbejahung in den Dienst Gottes gestellt und daher auch
die irdisch-körperlichen Massen des Baustoffes In die göttliche Ordnung eingegliedert
sieht. Wenn er in der geschichtlichen Folge dann auf den gefährlich
auflösenden (auch geistig auflösenden) Charakter der Gotik hinweist, die den
Weltdienst zur Selbstaufgabe zwingen will, so als gäbe es hier keine „Welt"
mehr mit ihrer gottgegebenen Schwerkraft, als gäbe es nur noch das Religiöse,
so ist diese gefährliche Entwicklung mit Recht als das „zutiefst utopische
Pathos des späten Abendlandes, der Traum vom gottseligen Jerusalem, von
der ewigen Gottesstadt auf Erden" bezeichnet (S. 48). War in dem christlich-
deutschen Jugendstil, der Romanik, Gottesdienst und Weltbejahung in der
christlichen Ordnungseinheit im lebendigen Spannlingsausgleich vereinigt, so
brechen in der Gotik die Gegensätze auseinander, um sich dann in der deutschen
Sondergotik, im „bürgerlich frohen Stil unproblematischer Weltfreude und
natürlicher Frömmigkeit als dem eigentlich altdeutsch behäbigen Stil" noch
einmal menschlich zu beruhigen. Erst im süddeutsch-österreichischen Raum
sieht Verf. im 17. und 18. Jahrhundert den Versuch, auf neuer menschlichnatürlicher
Grundlage die alte christliche Einheit wiederherzustellen, die dann
freilich einer „Welt ohne Gott" in der Neuzeit Platz machen muß.

Nur von der hochkirchlicli-katholischen Grundeinstelhmg
des Verf.s her (vgl. andere Werke des Grünewaldverlages) ist
es zu verstehen, daß mit keinem Wort die aus tief sten Quellen aufbrechende
Reaktion gegen die Gefahrzoneu gotischer Haltung,
die deutsche Reformation Martin Luthers auch nur erwähnt
wird, weder in ihrem geistigen Geschichtskampf noch in ihrem
künstlerischen Wollen, obwohl Luther im Taroucaschen Sinne
weithin eine Wiedergeburt der romanischen Geisteshaltung
bedeutet. Die großen spätgotischen Hallenkirchen werden nur
als Umwandlung des Gotteshauses als Opferraumes (einzig
echte Form für den Verf.) in einen Predigtraum angesehen
und die hier erwähnte Tendenz des jungen Protestantismus
zur Kanzelbetonung wirkt natürlich dann auch diagonal den
Raum auflichtend gegenüber der einzigen Weg-Richtung vorher
. Da Spätgotik und Protestantismus schließlich total mit
„Renaissance" identifiziert werden, so geben alle drei gemeinsam
: Das neue Profane, das Aufgeben der Basilika, das Aufatmen
nach der Befreiung aus transzendenten und kirchlichen
Bindungen, den Stolz über das vermeintlich neu errungene
Selbstgenügen, die Autonomie des Individuums, den leidenschaftlichen
Willen zur Befreiung von allen christlich-transzendenten
Ordnungsbindungen des öffentlichen Lebens (S. 129)-
Der sonst den Liberalismus in allen Erscheinungsformen
scharf bekämpfende Verf. weiß offenbar nicht, daß Luthers
Kampf gegen diese Autonomie des Individuums nicht minder
leidenschaftlich war als sein Kampf gegen die Staat gewordene
Romkirche.

Auch der Wegcharakter der als einzig klassisch anerkannten
Basilika erschöpft ja nicht die Problematik und
geistige Fülle des christlichen gottesdienstlichen Raumes. Gerade
in deutschen spätgotischen Hallenkirchen wie im refor-
matorischen Gottesdienst liegen notwendige Korrektive gege11/
über den Gefahren des überbetonten Weges, in hochkirchlicn
sichtbarer Form „Prozessionsweges". In den urchristlichen
Jahrhunderten war noch die Gemeinde als Totalität absolut