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Ausgabe:

1948

Spalte:

94-95

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ebrard, Johann Heinrich August

Titel/Untertitel:

Beiträge zur pfälzisch-bayerischen Kirchengeschichte 1948

Rezensent:

Hermelink, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 2

94

dem Heidelberger Dreigestirn, Georg Jellinek, Ernst Troeltsch
und Max Weber zukamen. Und doch finden sich in dieser Darstellung
hin und wieder einzelne Gedanken, die wir so und
ähnlich schon in dem Aufsatze vom Kirchenregiment und auch
hier und da an anderer Stelle, doch wenigstens mitschwingend
schon gelesen haben, z. B. in „die Hohenzollern und der Adel".

Unseres Wissens hat der 1931 erschienene Aufsatz Hintzes
über Calvinismus und Staatsräson nicht die Beachtung in
theologischen Kreisen gefunden, die er verdient, und so sind
die von Hintze aufgestellten Theorien von der kleinstaatlichen
Enge deutschen Luthertums und von dem weltoffenen, zu
Macht und Ansehen führenden Calvinismus bisher noch nicht
erörtert bzw. widersprochen. Es ist hier nicht der Ort, das in
aller Gründlichkeit zu tun. Aber es sei gestattet, wenigstens
mit einigen Fragen einige Hinweise zu geben.

Das territorialistische Luthertum, das bei Hintze etwas
kleinbürgerlich und spießerhaft dasteht, ist doch eben so
wenig die lutherische Kirche, die es an Oekumenizität nicht
fehlen läßt, wie der zu Macht und Ansehen, zu wirtschaftlichen
Erfolgen und Reichtum führende Calvinismus die nach Gottes
Wort reformierte Kirche ist. Die lutherische Auswanderung im
19. Jahrhundert z.B. haftet nicht annähernd so an heimatgebundener
Enge, wie das calvinisch beeinflußte Sektentum am
Niederrhein und in Westfalen oder wie der reformierte Pietismus
(vgl. Albrecht Ritsehl, Geschichte des Pietismus Bd. I.
1880. S. 367 ff.)!

Hier bedarf es noch genauerer theologischer Untersuchungen
und besserer Formulierungen.

Was war eigentlich das Primäre: das Luthertum im Osten
und der Calvinismus im Westen ? — oder die patriarchalische
Grundherrschaft im Osten und die vorgeschrittene Geld- und
Handel.swirtschaft im Westen ? Haben nicht auch im Osten
Gebiete mit patriarchalischer Grundwirtschaft den Calvinismus
angenommen ? (Polen), und haben nicht ebenso im Westen
die kapitalistisch hochentwickelten Stadtrepubliken am
Luthertum gehangen ? (Nürnberg, Augsburg.)

Wenn wir etwa bedenken, wie in der Pfalz, zumal in der
Oberpfalz, oder in der Grafschaft Lingen von der reformierten
Landesherrschaft jede andere Religionsübung unterdrückt
wurde, dann paßt das schlecht zu der von Hintze aufgestellten
These von der Toleranz des Calvinismus und von dem über
L'ntertauen mehrerer Bekenntnisse ausgleichend regierenden
ealvinistischen Landesherrn.

Als Hintze 1931 diesen Aufsatz veröffentlichte, machte
der Luther-Band Karl Holls schon seit zehn Jahren seinen
Weg durch die wissenschaftliche Welt. Es hatte eine neue
Epoche der Lutherforschung begonnen, die die Welt und die
Wirtschaft, das Leben und den Beruf, den menschlichen Alltag
und seine Sorgen in lutherischer Schau neu zur Erörterung
stellte. Troeltsch und die Seinen hatten von diesem Luther
nie etwas gehört und gesehen, und Hintze hat, wie uns scheint,
von den Ergebnissen dieser Arbeit auch nicht Notiz genommen.
Andernfalls wäre ihm diese einseitige Gegenüberstellung von
Luthertum und Calvinismus gewiß nicht möglich gewesen.

Daß die Annahme des Calvinismus in Brandenburg die
erste Stufe auf dem Wege zur Weltmacht bedeutete, wollen
wir nicht bestreiten und nicht als eine Zufälligkeit bagatellisieren
. Wir weisen aber darauf, daß die calvinische Oberpfalz
keine Weltmacht wurde und daß die calvinischen
Oranier und Brabanter Gaufürsten und Herzöge auf der angestammten
Scholle blieben. Andererseits war Gustav II.
Adolf von Schweden zwar Lutheraner, aber seine Aussichten
in der Welt waren doch andere als die seines calvinischen
Schwagers von Brandenburg.

Sehr verständig wägt Hintze ab, was an Ideen und Energien
in Johann Sigismund bei seinem Übertritt mächtig war,
wie Religion und Politik in starker gegenseitiger Polarität
diesen Schritt befördert und gehemmt und dann schließlich
ausgelöst haben. Hintze versucht dabei, dem Charakter des
Kurfürsten sympathische Züge abzugewinnen. Aber während
er ihn zunächst als betont evangelisch-calvinischen Charakter
halten möchte, resultiert schließlich doch „eine religiös gestimmte
Natur, aber kein politischer Kopf und kein selbständiger
fester Charakter" (S.316). Die strenge Kirchenzucht der
nach Gottes Wort reformierten Kirche würde jedenfalls einen
Lebenswandel und eine Ehe, wie sie aus der Darstellung von
Toni Saring (Kurfürstin Anna von Preußen in: Forschungen
zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 53,
J94L S.248—295) hervorgehen, durchaus verurteilen.

In den späteren Abschnitten befaßt sich der Aufsatz dann
mit der Entstehung des Geheimen Rates in Brandenburg
(französische Anregung, pfälzisches Muster), und da ist Hintze
wieder mehr auf dem eigenen Gebiet.

Berlin Otto Lerche

Ebrard, D.August: Beiträge zur Pfälzisch-Bayerischen Kirchengeschichte
. Ausschnitt aus dem 2. Band der Lebenserinnerungen von D. A.
Ebrard. Mit einem Vorwort u. einer Einleit. unt. Mitwirk. v. Prof. Friedrich
August Ebrard hrsg. v. Heinrich Noe. Kaiserslautern: Verlag d. Ev. Vereins
f.d. Pfalz [1939]. X, 54 S. 8«. RM. 2.—.

Der aus Erlangen stammende Theologe Joh. Heinrich
August Ebrard (geb. 1818; Privatdozent in Erlangen 1842,
außerordentlicher Professor der systematischen Theologie in
Zürich 1844—1847; der erste ordentliche Professor für reformierte
Theologie in Erlangen von 1847 an) wurde im Jahr
1853 plötzlich durch Königliches Reskript aus München zum
Konsistorialrat in Speyer ernannt. Er hat in den 8 Jahren
seines Dienstes in der Leitung der unierten Kirche der
bayrischen Pfalz (vom 16. März 1853 bis zum selbstgewählten
Abgang am 22. April 1861) im Kampf gegen den alteingesessenen
Rationalismus einerseits und gegen den aus der
fränkisch-bayrischen Kirche eindringenden lutherischen Konfessionalismus
andererseits versucht, den Staudpunkt einer
positiven Union durchzuführen, ist aber im Gegensatz zu den
staatlichen Mächten (der bayrisch-pfälzischen Kreisregierung
in Speyer, des bayrischen Oberkonsistoriums in München, des
bayrischen Kultusministers Zwehl), letztlich auch gegenüber
dem Summepiskopat der Krone, mit seinen Bestrebungen der
Schaffung eines Unionskatechismus, der Feststellung eines
eindeutigen Bekenntnisstands der Lehrunion (mit Hilfe der
„lokupletierten Konfession von 1540", d.h. der Augustana
variata) und des Ausbaus der Generalsynode (unter starker
Berücksichtigung des Laienelements), endlich auch der stark
umkämpften Einführung eines neuen Gesangbuchs, nach einzelnen
Anfangserfolgen schließlich auf der ganzen Linie gescheitert
. Von diesen Kirchenkämpfen in der Pfalz, die zunächst
um die Verfassungsfrage, und gleichzeitig' um die
Frage des Bekenntnisses und des Unionskatechismus gehen,
wobei die Gegner das Nebeneinander und die freizugebende
Wahl des Lutherschen und des Heidelberger Katechismus zur
Benutzung durch jeden einzelnen Pfarrer forderten, bis zum
Gipfelpunkt der Katastrophe in der „Gesangbuchstragödie",
gibt der von Noe ausgewählte und herausgegebene Abschnitt
aus dem ungedruckt gebliebenen Teil der Lebenserinnerungen
Ebrards eine detaillierte Darstellung der wechselreichen Positionen
und Kämpfe, sowie eine charakterisierende Schilderung
der einzelnen beteiligten Personen.

Der erst 43 jährige Emeritus begab sich nach Erlangen
zurück, wo er seit 1863 an der Universität auf Grund der 1842
erworbenen venia docendi die Vorlesungstätigkeit wieder aufnahm
. Von 1875—1887 war er zugleich Pfarrer der kleinen
französisch-reformierten Gemeinde in Erlangen, von 1876
—1886 auch Präses des Moderamens der reformierten Synode.
Am 23. Juli 1888 ist er gestorben. Der von Ebrard selbst noch
zum Druck gebrachte erste Teil seiner „Lebensführungen",
unter dem Titel „In jungen Jahren", geht bis zum Ende seiner
„Hofmeisterjahre" (1841), die ihn in die französisch-refor-
mierte Kolonie in Friedrichsdorf geführt hatten. In ihrer übergroßen
Ausführlichkeit, um deretwillen eben auch der Druck
des zweiten Teils unterblieb, zeigen sie den Verfasser als einen
reich begabten und sehr vielseitig interessierten Theologen,
dessen Hauptarbeit später die auch mit einer gewissen Starrheit
ausgebaute „Apologetik" gewesen ist. Sein erstes größeres
theologisches Werk, mit dem er Karriere gemacht hat, war
seine gegen David Friedrich Strauß gerichtete „Wissenschaftliche
Kritik der evangelischen Geschichte" (Frankfurt 1842;
3. Aufl. 1868). Nicht nur Strauß, auch einzelne seiner konservativen
Gegner sprachen von der „rabulistischen" Methode
des Kritikers, von der auch in der aus seinen Lebenserinnerungen
hier vorgelegten „Apologetik" seiner Haltung im
Pfälzer Kirchenkampf etwas zu verspüren ist. Die Tragik
seines Lebens war die, daß er, der geborene Reformierte, der
auch noch 1884 an der Gründung des Reformierten Bundes
für Deutschland in Marburg lebhaften Anteil hatte der sich
in dem veröffentlichten Teil der Lebenserinnerungen'(S. VIII)
rühmt, wie es ihm zusammen mit zwei Amtsgenossen an
einem Herbsttag 1852" gelungen sei, in glücklicher Überrumpelung
und Verschwägerung mit Oberkonsistorialrat
Burger in München, ein „Moderamen für die reformierten Angelegenheiten
" in Bayern bei den Münchener Behörden zur
Anerkennung zu bringen —, daß dieser Erzreformierte den
Kampf gegen das siegreich aufkommende Luthertum in
Bayern fuhren zu können glaubte, als Anwalt der positiven"
Union, und der Schöpfer ihrer lehrgesetzlichen Grundlagen
in Bekenntnis, Verfassung und Gesangbuch. Der Ministerialrat
Dr. Rust im Kultusministerium in München der sein
Amtsvorgänger in Speyer gewesen war, rief ihm mehrmals zu •
„Haben Sie Latitude!" Doch mit seinem Starrsinn verdarb
er es nicht nur mit allen Behörden, sondern verlor auch das