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Ausgabe:

1948 Nr. 2

Spalte:

87-88

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Eklund, Ragnar

Titel/Untertitel:

Life between death and resurrection according to Islam 1948

Rezensent:

Spuler, Bertold

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 2

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man, wie oft christliche Kirchen in unmittelbarer Nahe
antiker Kultstätten, ja oft sogar in diesen1 selbst, gegründet
wurden, so könnte der hier direkt neben dem
Palast in späterer Zeit errichtete Dom jene Mutmaßung nur
begünstigen. Diese religionsgeschichtlich höchst interessante
Frage, deren Lösung die Klärung vieler anderer Probleme
ganz sicher zur Folge hätte, muß hier offen gelassen werden.

Eine — vielleicht für die Lösung wesentliche — Parallele
sei zum Schlüsse noch erwähnt. Das Dionysos-Mosaik hat zwar
in den germanischen Provinzen, wie gezeigt wurde, kein
Pendant aufzuweisen, wohl aber in einer anderen Provinz2,
nämlich in Noricum. In der Hauptstadt dieser Provinz, in
Viruuum (bei Klagenfurt), befindet sich gleichfalls ein
Dionysos-Mosaik3, das in seinem figürlichen und orna-

RELIGIONS WISSENSCHA FT

Eklund, Ragnar: Life between death and resurrection according to

Islam. Inaiigural-Dissertation. Uppsala: Almqvist & Wiksells 1941. VIII,

188 S. gr. 8». Kr. 7.—.

Seit Ignaz Goldzihers Tode ist auf dem Gebiete der
islamischen Traditionswissenschaft trotz der mustergültigen
Erschließung des Stoffes durch Arent Jan Wensincks „Con-
cordance et indices de la tradition musulmane", Leiden
1933ff., nur verhältnismäßig wenig systematisch gearbeitet
worden. Es darf also als erfreuliches Zeichen betrachtet werden
, wenn ein junger Schwede in der vorliegenden Arbeit ein
wenn auch eng begrenztes Gebiet muslimischer Glaubens-
anschauuugen auf Grund der islamischen Theologie und der
religiösen Uberlieferung (Hadith) untersucht. Der Gegenstand
eignet sich dafür deshalb besonders gut, weil — wie der Verf.
zeigt — im Koran keine Aussagen darüber vorliegen, welches
der Zustand des Menschen zwischen dem Begräbnisse und der
Auferstehung sei. Hat doch Mohammed die Auffassung vertreten
, daß die Seele nach demTode in völlige Bewußtlosigkeit
versinke, so daß das letzte Gericht unmittelbar auf den
Tod zu folgen scheine (vgl. Tor Andrae: Mohammed. Sein
Leben und sein Glaube, Göttingen 1932, S. 73). Trotzdem
nahm sich seine Gemeinde volle Freiheit, diesen Zeitraum
(,,Barzach" genannt) mit ihren eigenen Vorstellungen auszufüllen
. Natürlich hat sie dabei — wie immer — die eigenen
Auffassungen auf nachträglich konstruierte Aussagen des
,,Propheten" oder doch wenigstens seiner näheren Umgebung
zurückzuführen versucht. Freilich hat sich — doch wohl im
Bewußtsein der eigentlichen Auffassung Mohammeds — im
Islam verhältnismäßig fest die Ansicht durchgesetzt, daß die
Idee einer „Bestrafung im Grabe" eigentlich jüdischen Ursprungs
sei. Daneben entfaltete sich im Laufe der Zeit eme
Reihe von sehr weit auseinandergehenden Spekulationen über
das Verhältnis von Körper und Seele, über die Bedeutung
der beiden für die Seele im Arabischen zur Verfügung stehenden
Wörter „Nafs" und „Ruh" (eigl. ,,Geist"), über deren
Aufenthalt in diesem Zwischenstadium zwischen Tode und
Auferstehung und über die möglichen Strafen, die sie — oder
auch den Körper im Grabe — treffen können und die mehr
oder minder als eine Läuterung aufgefaßt werden, wodurch
die Bedeutung des „Barzach" in die Nähe des christlichen
Fegefeuers gerückt wird.

') So wurde in Köln in nächster Nähe des Isisheiligtnms eine Kirche für
die Märtyrer-Jungfrauen, deren Erneuerung die vielleicht dem 9. Jahrhundert
angehörende Bauinschrift des Clematius bezeugt, angelegt, aus der später die
jetzige (im letzten Kriege zerstörte) St. Ursula-Kirche hervorgegangen ist. Vgl.
Klinkenberg a. a. O., 148 11. 254; W. Neuß, Die Anfänge des Christentums
im Rheinlande (Bonn 1933) Kap. III. — In ähnlichem Zusammenhang steht
wahrscheinlich das Bonner Münster mit dem Heiligtum der Matronae Aufaniae,
vgl. H. Lehner und W. Bader, Baugeschichtliche Untersuchungen am Bonner
Münster, BJb. 136/137. 1932. 1—210, bes. 209ff. — Aus einem Tempel des
Mercurius ist vielleicht der Kölner Dom hervorgegangen. Zur Kontinuität des
Domhügels in Köln als Stätte kultischer Anlagen in römischer und christlicher
Zeit bis auf unsere Tage vgl. F. Fremersdorf, BJb. 133. 1928. 223. — Ahnliche
Beispiele bei Springer, Handbuch d. Kunstgesch. II: Frühchristi. Kunst
u. Mittelalter "(1924) 5; L. Reinhard t, Helvetien unter den Römern 496 u. 498.

■) Auf das Mosaik von Caesarea in der Provinz Mauretania (dem heutigen
Cherchel) sei nur beiläufig hingewiesen, vgl. Jean Berard, Un triomphe
bacchique sur une mosaique de Cherchel, Melanges d'archeologie et d'histoire
53. 1936. 151 — 165 mit 2 Taf.

•) Vgl. R. Eggtr, Führer durch die Antikensammlung des Landesmuseums
in Klagenfurth (Wien 1921) 78—83 in. Abb. 54—56; A. Scho ber,
Die Römerzeit in Österreich 82f., Abb. 34. — Zu Eggers viel zu früher
Datierung des Mosaiks von Virunum (a. a. O., 83: „sicher noch vor dem Jahre
100 n.Chr.") ist zu berücksichtigen, daß damals die grundlegende Arbeit
von E. Krüger (s.o. Sp. 81 Aura. 4) noch nicht vorlag.

mentalen Schmuck so auffallend mit dem Kölner Mosaik verwandt
und nach Schober auch um die gleiche Zeit, vielleicht
ein wenig früher (erste Hälfte des 2. Jhdts.) entstanden ist,
daß man ohne weiteres beide Dionysos-Mosaiken von denselben
Künstlern ausgeführt vermuten möchte. Ist es ein
Zufall, daß sich diese beiden so sehr übereinstimmenden
Mosaiken jeweils in Hauptstädten einer römischen Provinz,
hier der Germania inferior, dort von Noricum, befinden ?
Also beide Male an Orten, in denen ein römischer Statthalter
seinen Sitz hatte ? Es scheint so, als dürfe dieses Dionysos-
Mosaik von Virunum bei der Untersuchung des ganzen, hier
nur kurz angedeuteten Problems, dessen Lösung in erster
Linie von Seiten der Religionswissenschaft erwartet werden
kann, nicht unberücksichtigt gelassen werden.

Die Spekulation über dieses Thema ist durch die sunnitische
orthodoxe Theologie zwar innerhalb gewisser Grenzen
fest umrissen worden, hat aber doch immer einen verhältnismäßig
großen Spielraum gehabt, weil nämlich die Auseinandersetzungen
über dieses Thema nicht in den Mittelpunkt
der Kontroversen der einzelneu Rechtsschulen (Madhähib),
der theologischen Richtungen (Orthodoxie, Mu 'tazila usw.)
oder gar der einzelnen Konfessionen (Sünna, Schi'a usw.) gezogen
und dadurch bestimmte Ansichten verketzert wurden.
Es lag also auch kein Grund vor, allzu scharfe Abgrenzungen
vorzunehmen.

Eklunds Verdienst beruht nun in seiner sorgfältigen Zusammenstellung
der einzelnen theologischen Schulmeinuugen
und in ihrer genauen Analyse und Registrierung. Der Stoff
ist aus den oben angeführten Gründen nicht systematisiert
und deshalb recht zerstreut und sehr weitschichtig, so daß der
Verf. ziemliche Mühe bei seiner Arbeit gehabt hat. Als Haupt-
Interpreten und Sammler der sunnitischen Meinung konnte
er at-Tirmidhi (gest. zw. 883 und 893), Ibn Qajjim al-
Dschauzija (gest. 1350) und As-Sujüti (gest. 1505) feststellen.

Die Forschung wird nun in zwei Richtungen fortgeführt
werden müssen: einmal werden andere Fragen der Theologie
auf Grund der Tradition (des Hadith) ebenso untersucht
werden müssen, also neben Goldzihers Längsschnitt durch die
Traditionswissenschaft werden nun die Querschnitte nach den
einzelnen Themen gelegt werden müssen. Daun aber wird man
auch versuchen müssen, die Entwicklung der muslimischen
Theologie systematisch zu ordnen in noch konziserer Weise,
als Eklund das versucht hat. Man wird vor allem nun die
Frage anschneiden müssen, wie weit etwa Einflüsse aus dem
Christentum, dem Judentum, dem Manichäismus, dem Täufer-
tum, dem Zoroastrismus oder andern Religionen (neben dem
Erbe der Antike) bewußt oder unbewußt — wesentlich oder nur
am Rande — die islamische Entwicklung beeinflußt haben.
Hat doch Tor Andrae (a. a. O. 73f.) zeigen können, daß gerade
für die spezielle Thematik der vorliegenden Untersuchung
nestorianische Anschauungen Mohammeds Auffassung maßgeblich
beeinflußt haben. (In dem recht guten Literaturverzeichnis
fehlt dieses Buch Andraes auffälligerweise überhaupt
.) In beiden Beziehungen steht die Forschung erst am
Anfang, nur Untersuchungen wie diejenige Eklunds werden
hier weiter führen und zugleich den Boden für neue Fragestellungen
ebnen.

Eklunds Buch selbst ist m. E. etwas unglücklich angelegt
insofern, als der Verf. zuerst die Uberlieferung behandelt,
dann auf den Koran zurückgreift und schließlich die orthodoxe
Systematisierung schildert. Dadurch leidet die Darstellung
etwas an Unübersichtlichkeit. Es wäre doch wohl
besser, derartige Untersuchungen immer mit dem Koran beginnen
zu lassen, selbst dann, wenn er — wie in diesem Falle —
nichts aussagt. Aber gerade dieser Umstand ist ja vielfach
für die Entwicklung der islamischen Theologie von ausschlaggebender
Bedeutung geworden. Daraus hätte sich dann von
selbst eine etwas schärfere Gliederung und Disposition des
Ganzen ergeben, die dem Leser die Ubersicht durch kurze Zusammenfassungen
des Wesentlichen am Beginn oder Schlüsse
eines jeden Abschnitts erleichtert hätte und vor allem dem
Erforscher benachbarter Gebiete sicherlich von Stoßen
Nutzen gewesen wäre. (Das „Supplement" von einer einzigen
Seite am Schlüsse des Ganzen — S. 176 — ist doch zu kurz,
und auch der höchst nützliche Namen- und Sachindex kann
das nicht ersetzen.) Dadurch soll aber weder der enorme Fleiß
dieser Uppsalaer Dissertation noch auch die grundlegende Bedeutung
einer erneuten Inangriffnahme der Iladith-Forschung
in Frage gestellt werden. Die Arbeit ist ein Anfang, den man
bald fortgesetzt zu sehen wünschte.

Güttingen Bertold Spuler