Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1948 Nr. 12

Spalte:

759-762

Autor/Hrsg.:

Eisenhuth, Heinz Erich

Titel/Untertitel:

Vom ökumenischen Sinn der Kirche 1948

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

759

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 12

760

Setzung sagt etwa folgendes: Mensch und Schicksal sind von
einer letzten, sie beide tragenden Ebene her aufeinander eingestellt
und ausgerichtet, wobei der Mensch nicht automatisch-
mechanisch reagiert, sondern im Rahmen einer Gesamtbestim-
mung mit einem logisch nicht mehr zu umgrenzenden Maß von
Freiheit ausgestattet ist. Das Verschlungensein von Freiheit
und Bestimmung läßt die Möglichkeit der Freiheit insoweit
gelten, als das Ergebnis freier menschlicher Entscheidung in
den Gang eines schicksalsmäßigen Gefüges sinnvoll eingeht.
Der Mensch ist soweit frei, daß die Verantwortung für seine
Tat nicht aufgehoben wird, zugleich aber auch soweit nicht
frei, als seine Begegnung mit seinem Schicksal nach Gesetzen
höherer Art verläuft, die nicht in seine Hand gegeben sind.
Von hier aus ergibt sich die Möglichkeit eines widerstrebend
Geführten. Sie aber wird dort aufgehoben, wo der Blick vom
Schicksal als von etwas Vergewaltigendem weggelenkt und auf

die das Schicksal und den Menschen zugleich tragende Ebene
bezogen wird. Diese nun läßt sich — theologisch gesehen — aus
sich selbst heraus deuten. Durch alle Schicksalsführungen und
auch durch alle Widerstände des Daseins hindurch darf sich
der in Gott Geborgene getragen und behütet wissen. Darin
liegt die Kraft einer unerhörten Verwandlung: Die Lichtseiten
der Schicksalsführungen werden zu einem Erweis freundlicher
Vatergüte; Leid, Not, Sorge, Trübsal werden zur Zisilierarbeit
der letzten Macht an den Seelen der Menschen, um sie reicher,
tiefer, reifer zu machen; selbst derTod wird zum Gang in die ewige
Heimat. Von hier aus gesehen wird die Wahlverwandtschaft von
Mensch und Schicksal wie das Aufeinanderabgestimmtsein
zweier Harfen, die durch Konsonanzen und auch durch Dissonanzen
hindurch zu einem Ganzen gegenseitiger Bestimmungen
sich vollenden. In diesem Sinne ist vielleicht doch noch ein
amor fati, wenn auch ein amor fati höherer Ordnung, möglich.

Vom ökumenischen Sinn der Kirche

Von Heinz Erich Eiseuhuth, Jena

Vom ökumenischen Sinn der Kirche sprechen heißt:
Glauben, Hoffnung und Liebe sich im Gebet und in der Fürbitte
neu schenken zu lassen, um die Abgründe, die zwischen
den Kirchen stehen, zu überbrücken und das Gemeinsame,
das von Gott Gegebene in seinem Wort, einer Verwirklichung
im Glauben entgegen zu führen. Vom ökumenischen Sinn der
Kirche sprechen heißt: vom glaubensmäßigen Ursprung der
Kirche, vom Pfingstwunder aus, die Kirchen in schuldhafter
Getrenntheit und dennoch als Glieder des einen mystischen
Leibes Jesu Christi in ihrer begnadeten Verbundenheit erkennen
, so, daß wenn ein Glied leidet, alle Glieder mitleiden,
und wenn eines herrlich gehalten wird, sich alle Glieder mitfreuen
(1. Kor. 12, 7).

Unser Thema enthüllt ein Nein und ein Ja in ihrem radikalen
Gegensatz. Schauen wir auf die Geschichte, so ist von
der Vergangenheit her und für die Zukunft hin zu unserem
Thema ein glattes Nein zu sprechen. Es hat, historisch gesehen
, auf Erden nie die eine Kirche gegeben, die mit historischem
Rechte einen ökumenischen Sinn beanspruchen
konnte. Ökumenisch bezeichnete ursprünglich die Kulturwelt
der Griechen im Unterschied zu den fremden Völkern.
Im kirchlichen Sprachgebrauch wurden um der weltumspannenden
Weite des Evangeliums willen die nationalen
Grenzen aufgehoben. Ökumenisch bezeichnet das, was in der
ganzen bewohnten Welt die Gesamtkirche angeht. Es gibt
aber in der Welt nur Kirchen, aber keine Kirche. Sie sind
untereinander sehr verschieden, und den Kirchen ist nach der
Trennung nichts gemeinsam. So scharf und schneidend müssen
wir im Blick auf die Geschichte urteilen.

Unser Thema enthält aber in diesem Nein verborgen ein
ganz anders geartetes Ja. Dem historischen Nein der Menschen
steht das Wunder wirkende Ja Gottes gegenüber. Stellt sich
dem Historiker die Geschichte der Kirchen nur dar als e in
spannungsreiches Feld gegensätzlicher Kraftentfaltung der
Menschen, so sieht der in dieser Geschichte aus Glauben und
Verantwortung handelnde Christ die geheimnisvollen und
sinnhaften, wenn auch oft schmerzhaften Führungen Gottes.
Nach einem bestimmten Bauplan läßt Gott in der Verborgenheit
der Geschichte dennoch seine Behausung in der Welt erstehen
, nicht die eine Kirche, sondern wie es im Epheser-
brief heißt, seine Wohnstätte im Geist (Eph. 2, 22).

Dieses Ja Gottes ist stärker als das menschliche Nein
und hat eine uns alle in gleichem Maße verpflichtende Gültigkeit
. Um dieses Ja Gottes als unsere große verheißungsvolle
Aufgabe recht zu begreifen, um es aber als das Ja Gottes
nicht mit einem menschlichen Ja zu verwechseln, muß zunächst
einmal der ganze Umfang des menschlichen Unvermögens
im Blick auf unser Thema dargelegt werden, um dann
das Ja als Glaubensmotiv in unserem Leben recht in Ansatz
bringen zu können. Wie dies zu zeigen versucht wird, soll
durch die Themeuangabe des ersten Teiles angedeutet werden.

I. Das menschliche Nein

1. Die drei Gestalten der Kirche in ihrem geschichtlichen
Werdeprozeß.

2. Die getrennten Kirchen im Rückgriff auf das
allgemeine Priestertum.

3. Gescheiterte Einigungsbemühungen.
Zwischen den drei Kirchen stehen nicht Menschen mit

ihren Unzulänglichkeiten und Fehlern allein, sondern steht
Gottes Wort selbst. Wenn die römisch-katholische Kirche die
anderen als abgefallen und als Ketzer bezeichnet und von

dieser ihrer Uberzeugung bis zur Stunde nicht lassen k;mn,
so gilt umgekehrt auch die Uberzeugimg Luthers bis zum
heutigen Tag, daß die römisch-katholische Kirche von der
alten Kirche abgefallen ist, und das allein gültige Wort Gottes
durch Tradition, Werke und Ämter um seine allein wirkende
Kraft für den Glauben gebracht hat. Luthers Kirche hat und
behält aus ihrer eigenen Mitte heraus den bleibenden und
unverlierbaren Auftrag, der nicht nur für die Kirche selber,
sondern weit darüber hinaus für die gesamte geistige Entwicklung
den Primat verantwortungsgebundener Mündigkeit
verkündet. Sie will die unlösbare, nach menschlichem Ermessen
völlig ungesicherte, aber gerade deshalb einzig gewisse
Grundbeziehung für Leben und Sterben, Heil und Seligkeit
wach und lebendig erhalten: sola gratia, sola fide, Gnade
und Glauben allein. Wir dürfen also sagen: Jeglicher Begriff,
der zwischen Katholizismus und Protestantismus gemeinsam
zu sein scheint, empfängt im Katholizismus von dieser objektiven
Kirche her seine bestimmte vorgegebene Wert- und
Rangordnung, während er im Protestantismus auf die persönlich
gewagte Glaubens- und Gewissensentseheidung exi-
stenziell und aktuell hinführt, so daß er den Menschen trotz
der Kirche auf das Einzelsein vor Gott hinweist. Dies gilt von
der Bibel ebenso wie von den Sakramenten und den Bekenntnissen
. Bemühungen um die Einheit sind bisher immer gescheitert
, weil sie in irgendeiner Form die Eine Kirche auf
Erden zum Ziele hatten. Darin aber haben sie einen bleibenden
Wert, wenn sie es vermocht haben, in der Verschiedenheit
den Wegspuren Gottes nachzugehen und sich gegenseitig vor
die Wahrheitsfrage zu rufen.

II. Das Ja Gottes

Die historische Darlegung mit ihrem negativen Ergebnis
soll nicht an bestehende Wunden rühren oder ungestillte Sehnsucht
vermehren, sondern von der Geschichte, Lehre und Gestaltung
der Kirchen aus in der Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit
menschlichen Geschehens auf die unsichtbare Mitte
Gottes hinweisen, die uns davor bewahrt hat und bewahren
will, daß die Getrenntheit der Brüder zum todbringenden
Ärgernis in der Welt werde.

Auch wenn es keine Einheit in der Lehre zwischen den
getrennten Kirchen gibt, so gibt es darüber hinaus von dieser
unsichtbaren Gottesmitte aus eine Gemeinsamkeit, die uns
in zweifacher Weise zusammenführen und zusammenhalten
sollte: Die in Christus geschenkte Offenbarungserkenntnis
Gottes und die in seinem Blut geschenkte Erlösung*«
f reude des Menschen. Die Urbeziehung von Gott und Mensch
umschließt in ihrer Abgrüudigkeit die Grundfragen aller
menschlichen Existenz überhaupt. Diese Urbeziehung allen
Seins schlechthin ist durch Jesus Christus für uns Christen
aus dem Dunkel ins Licht ewiger Klarheit Gottes gerückt.
Auch wenn wir durchaus nicht alle Geheimnisse über Gott
und Menschen ergründen, und seine Wege uns oft rätselhaft
und verborgen erscheinen, so dürfen Christen dennoch auch
im Dunkel die Hand des Vaters spüren, sowohl im eigen« D
Leben wie im Leben der Völker. Auch als Kirchen stehen wir
wie die armen Bettler vor Gott und danken ihm für das, was
er den einzelneu Kirchen an Erkenntnis seiner Weisheit geschenkt
hat. Darin kann dann ökumenische Gemeinsamkeit
entstehen, daß wir uns als Glieder an demselben Leibe Christi
wissen, und daß wir uns der Gaben des Geistes erfreuen, die,
wie Paulus sagt, sich in einem jeglichen erzeigen zu gemeinsamen
Nutzen (1. Kor. H, 17).