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Ausgabe:

1948 Nr. 12

Spalte:

757-760

Autor/Hrsg.:

Schulze, Fritz

Titel/Untertitel:

Die Begegnung des Menschen mit seinem Schicksal 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 12

758

Strophen des 20. Jahrhunderts einen Rückfall der abendländischen
Menschheit in das finsterste Mittelalter oder in noch
frühere Zeiten sah, wenn Spengler von der Gefahr einer „Fella-
chisierung des Abendlandes" redet, dann sind dies nur Hinweise
darauf, daß in diesen Katastrophen der Immanenzglaube
zerbrochen ist. Dies bedeutet keineswegs, daß der Mensch von
heute damit schon bereit wäre, sich dem christlichen Gottesglauben
wieder zu öffnen. Die gegenwärtige Lage ist im Gegenteil
dadurch gekennzeichnet, daß der Mensch offenbar meint,
sich einer Glaubensentscheidung überhaupt entziehen zu
können. Er vertritt einen Agnostizismus in den metaphysischen
Fragen und meint, es genüge eine „Weltorientierung''.
Dies wird besonders deutlich an den ontologischen Versuchen,
wie sie etwa Reminger, Nicolai Hartmann und Heidegger
unternommen haben, auf deren Boden sich auch der französische
Existentialismus bewegt. Man meint, wie es doch eben
auch noch Jaspers tut, der vielleicht am weitesten geht, auf
dem Wege über eine Weltorientierung zu einer „Existenzerhellung
" zu gelangen. Die große Beliebtheit, deren sich diese philosophischen
Richtungen heute erfreuen, ist ein Zeichen dafür,
daß sie der inneren Haltung des heutigen Menschen weitgehend
entgegenkommen. Die Theologie darf durchaus das
echte Bemühen um eine sachliche und nüchterne Deutung des
menschlichen Seins aufnehmen. Sie muß aber die weitere Frage
nach den ethischen Folgerungen stellen, die sich aus diesem
Agnostizismus ergeben. Sie bewegen sich in einer doppelten
Richtung. Entweder wird ein „Aushalten" gefordert oder das
„Wagnis" eines „Sprunges", ein Gedanke, den man von Kierkegaard
entnommen hat, ohne aber dessen christliche Voraussetzungen
mit zu übernehmen. Beide Haltungen setzen keinen
Gottesbegriff voraus. Dies wird deutlich an der Art, wie die
Lage des Menschen gekennzeichnet wird. Typisch dafür ist
Heideggers Begriff der „Geworfenheit". Er enthält eine reine
Zustandsschilderung ohne metaphysischen Hintergrund. Es
fehlt jeder Gedanke, daß der Mensch einen metaphysischen
Halt benötigt, aber ebenso jede Richtung für das menschliche
Handeln. Daher erklärt es sich, daß man als emzige Haltung
ein Aushalten fordert, daß diese Ontologie für das Problem der
Geschichte unaufgcsclilossen bleibt. Von der Theologie her

muß betont werden, daß hier eine falsche Sicht des Menschseins
vorliegt. Der Mensch stellt wesensmäßig immer in eüier
Gebundenheit. Er muß eme Norm haben, er muß etwas
glauben, er muß eine Richtung für sein Handeln haben. In
seine Freiheit und Verantwortlichkeit ist lediglich gelegt, woran
er glauben und unter welche Norm er sein Handeln stellen
will. Auch dies ist nicht belanglos für ihn. Eine Entscheidung
gegen die von der tragenden Wirklichkeit Gottes gesetzte und
ihn bestimmende Wirklichkeit ist eine Entscheidung gegen das
Sein und den Seiiissinn selbst. Jegliche Sinnverfenlung muß
zur Seinsverfehlung führen. Es muß deutlich werden, daß es
eine Illusion ist, „aushalten" zu wollen. Der Mensch vermag
dies nicht. Er gerät dann entweder in Resignation oder in Verzweiflung
. Aus einer Resignation heraus aber wird die gegenwärtige
Not nicht überwunden. Es gibt, wie Thielicke richtig
bemerkt, auf die Dauer keine Haltung ohne einen Halt. Endet
aber die Haltlosigkeit in einer Verzweiflung, so wird daraus
ein Vabanquespiel. Dies ist jene Folge, die dann zum Nihilismus
hinführt. Nihilismus ist praktisch das Ergebnis jeder Bin-
dungslosigkeit. Man handelt, aber man weiß eigentlich nicht,
welches Ziel man erstrebt. Diese Gefahr steht heute sehr sichtbar
vor unserer Welt. Es ist die Aufgabe der Theologie, deutlich
zu machen, daß allein aus der christlichen Bindung an den
in Christus geoffenbarten lebendigen Gott jene Haltung der
Liebe, einer vergebenden, erlösenden, die Welt überwindenden
Liebe folgt, die der Welt von heute so dringend nottut und
die allein in der Welt den inneren wie den äußeren Frieden
zurückbringen und die Gefahr des Nihilismus überwinden
kann; denn sie macht den Menschen erst innerlich wieder
frei — christlich gesprochen: sie erlöst ihn von der Sünde und
psychologisch gesprochen: sie entspannt ihn aus seiner jetzigen
Verkrampfung heraus. Nur der freie und entspannte Mensch
kann wirklich sinnvoll und fruchtbar handeln. Dazu bedarf es
eines Sprunges, aber nicht ins Ungewisse, sondern in die Arme
Gottes. Allem diese christliche Haltung aber ist auch frei von
aller Utopie; sie weiß, daß wir auch ethisch immer nur Ringende
sind, nicht Vollendete, aber in der Nachfolge Christi der
Vollendung Entgegenstrebende.

Die Begegnung des Menschen mit seinem Srl1irks.1l

Von Fritz Schulze, Ludwigshöhe

Begegnungsmitte (der Ort, an dem die beiden sich begegnen)
oder das Begegnungsdritte, das die zwei Begegnungspartner
trägt und verbindet. Vom Begegnungsdritten her, von derBe-
gegnungsmitte aus ist Begegnung mehr als ein äußerliches Sich-
berühren und Schnittpunkt sinnleerer Durchkreuzungen von
Ereignissen, ist Begegnung vielmehr eher da als die Begegnungspartner
, ist Begegnung vorgegeben. Die Vorgegebenlieit
der Begegnung hat ihren zureichenden Grund in der Begeg-
nungsmitte. Wenn die Begegnung von Mensch und Schicksal
eine echte Begegnung sein soll, muß sie auch eine Begegnungsmitte
haben. Diese aber kann nur der gemeinsame Semsgrund
sein, der das Dasein sowohl des Schicksals als auch des Menschen
trägt. Die Wahlverwandtschaft zwischen Mensch und
Schicksal weist auf einen Punkt hin, von dem aus der Mensch
und das Schicksal als zueinander gehörend geschaffen und aufeinander
zulaufend gedacht sind. Wir nehmen also Schicksal
und Mensch aus einer tiefer liegenden, sie beide tragenden
Schicht entgegen und sehen in der Möglichkeit der Entgegennahme
aus ein und derselben Hand den tieferen Grund für den
Tatbefund, der als Affinität und Wahlverwandschaft bezeichnet
worden war.

Das Aufeinanderzu und Miteinander von Mensch und
Schicksal kann nun verschiedenartig gedeutet werden. Drei
Möglichkeiten des Verstehens bieten sich an: 1. Das Aufeinanderzu
oder Gegeneinander von Mensch und Schicksal kann deterministisch
verstanden werden. Schicksal und Mensch ruhen
in einer Hand. Sie stehen unter ein und demselben, beide beherrschenden
Gesetz, dessen Engmaschigkeit keine Möglichkeit
des Hindurchschlüpfens offen läßt. 2. Der Wille entscheidet
, indeterministisch gedeutet, ursachlos aus sich selbst. Er
wählt sich das Schicksal, das er will. Seine Freiheit ist uneingeschränkt
und absolut. 3. Schließlich ist noch ein Übergang
zwischen Determinismus und Indeterminismus denkbar, so bei
Kant, der die empirische, naturverflochtene Person des Menschen
als determiniert, die sittliche Persönlichkeit dagegen als
frei ansieht. Eine ähnliche Mittelstellung nahmen schon Luther
und Zwingli ein. Wenn auch wir uns für eine solche Mittellinie
entscheiden, dann geschieht dies mit Hilfe eines Urteils, das
wir setzen, aber nicht zu beweisen vermögen. Eine solche

Friedrich Nietzsche hat die Liebe zum Schicksal gelehrt,
wie es auch sei. Es gibt auch Menschen, denen es leicht wird,
ihr Schicksal zu lieben, weil sie mit dem zufrieden sein können,
was ihnen zugedacht ist. Aber das Schicksal kann den Menschen
auch von der einen Not üi die andere jagen. Dann wird
«■s leichter, es zu hassen als zu achten. Es gibt aber auch noch
die dritte Möglichkeit der Distanzhaltung, die ich lediglich
konstatieren möchte. Ihr bietet sich ein Aspekt, der zur Besinnung
aufruft. Im Dasein ein und desselben Menschen treten
«ämlich immer wieder Situationen und Wendungen auf, die
sieh ähnlich sind. Es gibt beispielsweise Menschen, die immer,
wenn sie vor einem Aufstieg stehen, den sie leistungsmäßig
auch verdienen, im letzten Augenblick scheitern. Es gibt aber
auch Menschen, die erreichen, was sie wollen und was ihnen
zukommt (Fichte), aber es wieder aus den Händen verlieren,
kaum daß sie es erfaßt haben. Diese Beobachtung legt die
Präge nahe, ob die Menschen gar keinen Einfluß auf ihr Schicksal
haben oder ob etwa Napoleon und Elba doch auf eine uns
verborgene Weise zusammengehören.

Zunächst gehen die Entschlüsse und Handlungen der
Menschen mit in ihr Schicksal ein. Das sogenannte Schicksal
ist ein Ganzes von Komponenten, dessen eine Komponente
aus Charakter, Bewußtsein und Tat des Menschen aufsteigt.
I>er Mensch bestimmt sein Schicksal mit, obschon diese Mitbestimmung
auf den Nullpunkt absinken kann. Aber auch
zwischen den Komponenten seines Schicksals, auf die der
Mensch keinen Einfluß hat, und ihm selbst bestehen Beziehungen
. Es liegt hier eine eigentümliche Weise von Parallelität
von innerem Gericlitetsein und Bestimmtwerden vor, eine Art
Wahlverwandtschaft oder Affinität. Wahlverwandtschaft zwischen
Mensch und Schicksal besagt, daß ein Mensch in demselben
Maße den ihm entsprechenden Weg geführt wird, wie
dieser Weg in ihm denjenigen Menschen findet, der wie kein
anderer geeignet und wert ist, ihn zu beschreiten. Dieses aufeinander
Ausgerichtetsein von Mensch und Schicksal vollzieht
sich in der Form einer Begegnung. Affinität und Wahlverwandtschaft
sind Arten des Vorgegebenseins von Begegnung.
Wo Begegnung ist, sind immer drei Größen gegeben: der eine
«egegnungspartner, der andere Begegmingspartner und die