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Ausgabe:

1948 Nr. 12

Spalte:

743-746

Autor/Hrsg.:

Oepke, Albrecht

Titel/Untertitel:

Noch einmal das Weib des Pilatus 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 12

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Noch einmal das Weib des Pila

Von Albrecht

In seiner Studie zu Mt. 27, 191 hat Erich Fascher .in
dankenswerter Weise gezeigt, daß in der Auslegung jener
Stelle zwei Linien nebeneinander her laufen. Vorherrschend
ist die der Meinung des Evangelisten wohl am meisten entsprechende
Auffassung, daß Gott der Claudia Procula ihren
Traum gesandt habe. Ihr gegenüber steht, keineswegs ganz
vereinzelt, die dämonische Deutung: Satan merkt, daß ihm
der Tod Jesu gefährlich zu werden droht und sucht ihn deshalb
zu hintertreiben2. Diese hat auch in der Dichtung des
Mittelalters ihre Spuren hinterlassen, so im Heliand. Von besonderem
Interesse scheint mir aber eine Version, die ich in
einem spätmittelalterlichen Passionsspiel fand.

Es handelt sich um ein nachweislich 1501, 1511 und 1517,
vermutlich vorher schon des öfteren im hessischen Alsfeld aufgeführtes
Spiel, dessen einzig erhaltene Handschrift sich heute
wohl noch in der Landesbibliothek in Kassel befindet, wohin
sie, von einem hessischen Pfarrer um den stolzen Preis von
einem Reichstaler vor der drohenden Makulierung bewahrt,
einst durch Vilmars Vermittlung gelangt ist. Sie ist 1874 von
C. W. Grein publiziert worden und wird im Folgenden nach
der mit neuem Kommentar versehenen Ausgabe von R. Fro-
ning (Deutsche Nationalliteratur hrsg. von Joseph Kürschner,
14. Band, 2. Teil, o.J., S. 547—864) zitiert. Hier ist es der Teufel
Fedderwisch, der im Traumgcsicht zum Weibe des Pilatus
spricht:

O, du hochgeborn konigyn!

ich byn der engel Seraphim:

got hot mich zu der gesant,

das du sendest zu Pilato zu haut,

das hie icht rieht ubber den man,

den die Jtidden gefangen han,

das der icht sterbe unschuldigkliche:

ir vortirbet anders ewigkliche! (4418—4425)

Der Teufel, getarnt als Lichtengel, der Anwalt Christi! Die
an sich naheliegende Auffassung, daß der Satan aus Angst um
die eigene Sache die Verurteilung Jesu in letzter Minute hintertreiben
will, hat Frouing unbesehen übernommen. Es ist aber
mehr als fraglich, ob damit die Meinung des Dichters ganz getroffen
ist. Denn die Möglichkeit einer Vereitelung der Kreuzigung
ist durch die ganze Anlage des Spiels nahezu ausgeschlossen
.

Als Vorspiel ist der Handlung nach Art der Hexenszenen
in Shakespeares Macbeth, nur wesentlich umfangreicher, eine
höllische Ratsversammlung vorangestellt, in der auch der
Teufel Federwysch (sie!) schon einmal auftritt (374 ff.)3. In
dem ganzen Vorspiel geht es fast ausschließlich um die dänionische
Anstiftung der Juden zum Messiasmord. Sathanas berichtet
dem Luzifer:

0 edele herrc Luciper,

ich hau volnbracht dynn beger!

ich byn gewest in der Judden schar,

ich han sie alle vorsencket' gar:

sie hon gesworn Jhesum breiigen umb syn leben I

das sal der gefallen gar eben! (183—188)

Er will auch den Judas zum Verrat verleiten (191 ff.). Des*
gleichen will der Teufel Bone die Juden bestimmen, ,,das sie
Jhesum keuffen umb dryssigk pennige" (209 f.). Milach will
in gleicher Absicht in Hannas und Kaiphas fahren (220 ff ),
Natyr in den alten Juden Sinagoga, der in dem ganzen Spiel
der fanatische Widerpart Jesu ist und das zeitgenössische
Judentum vertritt (235 ff.). Auch Raffenzanu rühmt sich
-seines diabolischen Einflusses auf die Juden (285 ff., 300 ff.).
Luzifer gibt dem Satan und seinen Gesellen den besonderen
Auftrag, die Juden aus allen Landen zur Hölle herbeizuholen
(310 ff.). Binckenbangk hat mit der Aufstachelung des
jüdischen Hasses gegen Jesus sein Meisterstück vollbracht

') Th LZ 72 (1947) 201 ff.

') Eine dritte von Fascher nachgewiesene Darstellung, nach der Jesus
selbst den Traum gesandt hat, weil er ein Goet ist und seinem verdienten
Schicksal entgehen will, kann hier außer Betracht bleiben, denn sie findet
sich wohl nur Acta Pilati A II 1 (Evangelia apoerypha ed. Tischendorf' 1876,
223) und wird hier als Meinung der Juden, also nicht als christliche Deutung,
vorgetragen.

') Daß dies Auftreten in einem stark moralisierenden Einschob von
späterer Hand (352—463) erfolgt, ist Zufall und kann für unseren Zweck auller
Betracht bleiben.

•) Zu Falle gebracht.

(us. Fragment einer Dämonologie

Oepke, Leipzig

Hnrxl Stephan zum 75.Geburtstage
(330 ff.). Die Worte des Teufels Spiegelglantz, die den Ein-
schub einleiten, sind kaum mehr als eine Dublette zu früher
bereits Gesagtem. Die Gestaltungskraft zumal des hier zu
Wort kommenden Dichters hat ihre Grenzen. Immer wieder
ist die dämonische Verhetzung der Juden das Thema. Dem
steht nur eine dämonische Attacke auf Pilatus gegenüber,
die der Teufel Rosenkrancz allein bestreitet (250 ff.). Man
wird daher nicht fehlgehen in der Annahme, daß im Alsfelder
Spiel der Antisemitismus des Spätmittelalters das Wort führt.

Unser Spiel steht darin keineswegs allein. Uber die antisemitischen
Hintergründe des Dramas und der bildenden
Kunst etwa seit der Jahrtausendwende habe ich in der Festschrift
für Anton Fridrichsen berichtet1. Die Erlauer2 und
Freiburger' Spiele, das Sterzinger Passionsspiel4, das Kün-
zelsauer Fronleichnamsspiel4 und manche andere ließen sich
hier ebenfalls nennen. Ihren Höhepunkt erreicht die antisemitische
Hochflut, nun in possenhafter Verzerrung, erst in
den späten Fastnachtsspielen Die Alt und Neu Ee° und Der
Herzog von Burgund7, neben denen Hans Sachs' treuherzige
„Comedie" vomMessias8 eine wohltuende Ausnahme bedeutet.
Aber das Alsfelder Spiel mit seinen beiden Frankfurter Vorbildern
, der Dirigierrolle * (um 1350) und dem Passiousspiel
von 149310, marschiert gewissermaßen an der Spitze. An die
Stelle der hergebrachten biblischen Namen treten Zeitgenössische
Judennamen wie Seligmann, Snoppenkeile u. a., die
zum Teil in den betreffenden Städten auch urkundlich nachgewiesen
sind11. Stadtbekannte Juden wurden also lächerlich
gemacht. Die Spielanweisung des Benediktbeurer Weihnachtsspiels12
: Archisynagogus . . . dicat trudendo socium suum,
movendo caput suum et totum corpus et pereuciendo terram
pede, baculo etiam imitando gestus Judei in omuibus wunlr
gewiß zum Gaudium der Zuschauer genauestens befolgt. In
Alsfeld ist's Sinagoga, hier männlich, der Jesus von einem
Richter zum anderen schleppt (3536 ff., 3776 f., 4006 ff.,
4128 f.), der sich über seine zu ehrenvolle Behandlung beschwert
(3784 ff.), der dem heidnischen Landpfleger manch
einen Ausbruch gegen seine Verstocktheit entlockt (3968 ff.
u. ö.). Die Juden geißeln Jesus (nach 4255 von späterer Hand
eingetragen). Sie verspotten ihn (4980 ff., 5281 ff). Sie führen
ihn aus ihrem Hause zur Kreuzigung (5958 ff.) Sie sind es, die
die Kreuzigung — mit absichtlich stumpfen Nägeln (5594 ff.) —
begutachten und belohnen (5560—5669), bei ihr Handlangerdienste
leisten (5641 ff.), sie wohl gar selbst vollziehen13. Sic
vollführen, das Kreuz umtanzend, das Crurifragium (6352 ff.).
Kurz, die Juden haben Jesus ,,ermort" (5024). Es legt sich
hiernach die Vermutung nahe, daß die Warnung der Procula
durch einen Teufel in Engelsgestalt im Sinn des Dichters erfolgt
, um die Juden als Satans Vasallen vollends und ausschließlich
zu belasten.

Dem entspricht auch der Fortgang nach der Ausrichtung
der Warnung an Pilatus. Die Wahl zwischen Jesus und Barnabas
wird an einen früheren Platz gestellt (4201 ff.). Auf diese
Weise wird entgegen dem Bericht des Matthäus, dem der
Dichter im ganzen folgt, die Ubergabe Jesu an die Juden, die
Selbstverdammung der letzteren nach Mt. 27, 25 und das
Händewaschen des Pilatus („gebet mer wasser und eyn duch")
unmittelbar an die Warnung angeschlossen (4466 ff.). Die
innere Verknüpfung liegt auf der Hand. Der Eindruck wird
durch das nun folgende höchst umfangreiche Streitgespräch

') Ein bisher unbeachtetes Zitat aus dem fünften Buche F.sra. Coni?ctanea
Neotestamentica XI, Lund und Kopenhagen 1948, S. 179—195.
') K. F. Kummer, Erlauer Spiele (1882).

*) E. Martin, Freiburger Passionsspiele des 16. Jahrhunderts (1872)
an Ztschr. d. Gesellschaft zur Beförderung der Gescliichtskundc Frciburg 3
(1874) 1 ff.

') J. Wackernell, Altdeutsche Passionsspiele aus Tirol (1897) 1 — 177.
*) A. Schumann, Das Künzelsaucr Fronleichnamsspiel vom Jahr 1479

(1926).

•) Fastnachtsspiele aus dem 15. Jahrhundert hrsg. von A. v. Keller I
(1853) 1—33.

') v. Keller a. a. O. 169—190.

•) Hans Sachs' Werke hrsg. von A. v. Keller I (1870) 163—173.
") I'roning a. a. O. 340—-374.
'•) Ebd. 375—546.

") W. Arndt, Die Personennamen der deutschen Schauspiele des Mittelalters
(1904) 3 ff., 32 ff.

") Froning a. a. O. 880.

") So im Heidelberger Passionsspiel, hrsg. von G Milchsack (1880) 5347 ff.