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Ausgabe:

1948 Nr. 12

Spalte:

737-742

Autor/Hrsg.:

Leipoldt, Johannes

Titel/Untertitel:

Zu den Auferstehungs-Geschichten 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 12

738

Zu den Auferstehuiigs-Geschidilen

Von Johannes Leipoldt, Großpösna/Leipzig

Bei den letzten Verhandlungen über die neutestanient-
lichen Erzählungen von der Auferstehung Jesu wurde, wenn
ich recht sehe, der Religionsgeschichte und der Geschichte
des Schrifttums kaum gedacht. Eine gewisse Ausnahme bildet
eine Leipziger Dissertation von Johannes Müller-Bardorff, die
leider nicht gedruckt wurde (1941). In jedem Falle liegen hier
Tatbestände vor, die Belehrung versprechen und des Bearbeiters
harren. Ich breite die wichtigsten Stoffe aus und
beurteile sie kurz.

Zuvor sei ein Mißverständnis abgewehrt' Man kann nicht
bezweifeln, daß die Jünger überzeugt sind, den Auferstandenen
zu sehen. Sonst wird der Ursprung der Jerusalemer Gemeinde
und damit der Kirche zu einem Rätsel. Jesus stirbt den Tod
am Kreuze, entgegen der messianischen Hoffnung des Judentums
; stirbt eines Todes, der in der alten Welt als besonders
ehrlos gilt. Dazu bringt gerade die älteste Uberlieferung ein
Wort des Gekreuzigten, das zunächst wie ein Widerruf klingt,
wie ein Schrei der Verzweiflung darüber, daß das Lebenswerk
umsonst ist (Marc. 15, 34). Dennoch sammeln sich in kurzer
Zeit wieder Gläubige um den Namen Jesu, und zwar ausgerechnet
in der Stadt, da das Furchtbare geschah. Zwischen
dem Tode Jesu und dieser Sammlung muß ein Ereignis liegen,
das den Jüngern neuen Mut gibt. Es kann sich wohl nur um
eines handeln: es entsteht der Glaube an Jesu Auferstehung.

Aber wenn die Jünger nun von diesem Erlebnisse berichten
, benutzen sie die Formensprache, die in solchen Fällen
üblich ist. Sie betonen gewisse Züge, die immer in den Vordergrund
gestellt werden. Das entspricht der Art jener Zeit, die
selten so persönlich gestaltet, wie wir das heute gewohnt sind.

Jüdische Beiträge zur Formensprache der Auferstehungsgeschichten
fehlen. Der Jude kennt nichts Vergleichbares. Ihm
erscheint deshalb das entscheidende Erlebnis der Jünger
fremd. Er kann es nicht in eigener Weise wiedergeben, sondern
nur bestreiten; dabei bleibt er leicht am äußeren Vorgange
haften. Er urteilt: die Jünger seien nachts gekommen und
hätten den Leichnam Jesu gestohlen (Matth. 27, 64; 28,
11—15). Oder: der Gärtner habe den Leichnam fortgeschafft,
damit nicht die vielen Besucher des Grabes die Salatpflanzen
zertrampelten (Tertullian über die Schauspiele 30). Oder: wer
habe denn den Auferstandenen gesehen ? Zuerst eine von der
Tarantel gestochene Frau (Maria von Magdala): eine solche
Gespensterseherin sei keine glaubwürdige Zeugin (so der Jude
bei Kelsos: Horigenes gegen Kelsos II 55; vgl. Luk. 8, 2).
Nur einmal entdeckt ein jüdischer Gegner der Christen die
religionsgeschichtliche Frage, die im Hintergrunde ruht: wie
verhält sich die Auferstehung Jesu zu den vielen Auferstehungs-
geschichtcn, die sonst erzählt werden ? Es sei zu untersuchen,
..ob einmal jemand, der in Wahrheit gestorben war, mit demselben
Leibe auferstanden sei". Aber auch dieser Jude dringt
nicht tiefer; er vertritt die Meinung: die christlichen Auf-
erstehungsgeschichten seien Fabeleien, genau wie die ähnlichen
Geschichten bei den anderen (Horigenes II 55; vgl.
III 22 und 24).

Wenn wir beginnen, die verschiedenen heidnischen Überlieferungen zu
vergleichen, so denken wir zuerst an die Sagen von sterbenden und auferstehenden
Göttern, Osiris, Taniuz, Adonls, Attis, Dionysos usw. Wir stoßen
"'er im Morgenlandc bis in die Anfänge der geschichtlichen Zeit zurück. Dort
■nag die Vorstellung ihre Heimat haben, daß selbst übermenschliche Wesen
dem Tode unterliegen, allerdings um dann wieder zum Leben zu erwachen.
Aber auch Griechenland kennt solchen Glauben; nur nehmen griechische
Dinker frühzeitig daran Anstoß, daß ein Gott sterben solle; das hat zur
F(»lge, daß man die betreffenden Erzählungen noch stärker verheimlicht, als
das im Morgcnlande der Fall ist. Auch abgesehen davon ist es nicht immer
leicht, den Tatbestand zu durchschauen. Die Quellen sind verstreut. Plutarch
bietet uns In später Zelt einen zusammenhängenden Abriß der Lebens-
Keschlchte des Osiris (über Isis und Osiris 12 ff.). Aber der Bericht ist, wie
Plutarch selbst zugibt, unvollständig. Wir müssen ihn aus Andeutungen er-
Eänzen, die wir vor allem ägyptischen Quellen älterer Zeit entnehmen. Sogar
die Zaubertexte bringen zuweilen wichtige Stoffe hinzu: sie bewahren ja
mancherlei Reste gesunkener Hochreligion. So lesen wir in einem Liebeszauber
: „Lieben soll mich die N.N. auf ihre ganze Lebenszeit, wie Isis den
°siris liebte"; die Liebe der Isis ist also sprichwörtlich (Karl Preisendanz,
papyri Graecae maglcae II 1931, S. 172). Noch weiter sind die Quellen für
Tainuz verstreut usw.

Wer das ganze Gebiet überschaut, gelangt immerhin zu
einer Reihe sicherer Schlüsse. Unterschiede zwischen der mor-
genländisch-gricchischen und der christlichen Uberlieferung
drängen sich sofort auf. Die sterbenden und auferstehenden

Götter sind vor allem, noch in römischer Zeit, Verkörperungen
des Vergehens und Werdens in der Natur. Das gilt nicht nur
von Osiris, sondern ebenfalls von Dionysos. Manche Götter,
vor allem Tamuz und Adonis, kommen über diesen Bereich
niemals wesentlich hinaus. Ein solcher Zug spielt in den Evangelien
keine Rolle. Er scheint nur in jüngeren Überlieferungen
gelegentlich anzuklingen. So Luk. 23, 31, wo man ein Tatnuz-
Motiv fand: „Wenn man das am grünen Holze tut, was soll am
dürren werden ?" Dionysisch mutet Job. 15,1 an: „Ich bin der
wahre Weinstock"; es gibt Flachbilder aus der Kaiserzeit, die
das Dionysos-Kind zeigen, wie es aus Trauben, Reben und
Akanthos herauswächst. Dazu kommt Job. 12, 24: „Wenn das
Weizenkorn nicht in die Erde fällt und abstirbt, bleibt es ein
Korn; wenn es aber abstirbt, bringt es viele Frucht"; das erinnert
an die Weihen von Eleusis; möglich, daß Kore einmal
eine sterbende und auferstehende Göttin war. Aber was beweisen
diese Sprüche ? Das sind Gleichnisse. In der Predigt
Jesu liegt der Nachdruck auf dem rechten Verhältnisse zwischen
Gott dem Vater und dem Gläubigen, das Jesus vermittelt
, und auf den .sittlichen Verpflichtungen, die sich daraus
ergeben. Soweit von der Natur die Rede ist, wird hervorgehoben
, daß sie der Allmacht und Vorsehung Gottes
untersteht.

Mit diesem ersten Unterschiede hängen weitere zusammen
. Die erdgebundene Art des Osiris und seiner Verwandten
hat zur Voraussetzung oder zur Folge, daß neben
dem Gotte eine Göttin steht, als Gattin, Geliebte oder auch
Mutter. So Isis neben Osiris usw. Das gilt auch für Dionysos;
nur hat er nicht immer dieselbe Frau neben sich (Semele,
Ariadne, Demeter kommen in Betracht). In manchen Bereichen
ist für den Frommen die Göttin sogar wichtiger als
der Gott: Kybele ist gewaltiger als Attis, Aphrodite wirksamer
als Adonis. Oder im Laufe der Entwicklung überflügelt
die Göttin den Gott, wie Isis den Osiris. Auch für
diesen Zustand bietet das Neue Testament kein Spiegelbild:
Jesu Mutter Maria übernimmt erst später eine Rolle, die mit
der Bedeutung der Isis verglichen werden kann.

Ein dritter Unterschied: die Auferstehung erfolgt in den
erwähnten Kreisen oft durch einen Zauber. Kein Wunder,
wenn es sich um naturhafte Wesen handelt: damals wird,
mindestens von der Masse des Volkes, die Natur mit Hilfe des
Zaubers „beherrscht". So scheint, insbesondere im Falle des
Osiris, die Vergänglichkeit durch Zauber überwunden. Der
Gott gewinnt sein Leben wieder, indem er das Auge des Hör
verzehrt. Oder Isis fächelt ihm Luft zu und ruft ihn dadurch
ins Dasein zurück. Dabei müssen bestimmte Formeln hergesagt
werden. In einem griechisch-ägyptischen Zauberbuche
findet sich ein Spruch, der mit den Worten gekennzeichnet
wird: „Isis hat ihn gesprochen und aufgeschrieben, als sie
den Osiris heimlich mitnahm und seine zerstückelten
Glieder zusammenfügte" (Preisendanz II S. 43 f.; vgl.
S. 151 f.). Die Evangelien bringen nichts, das man mit solchen
Uberlieferungen vergleichen könnte. Die ältesten Texte vermeiden
es überhaupt, den Augenblick der Auferstehung Jesu
auszumalen.

Der Zauber hat kein sicheres Verhältnis zur Sittlichkeit.
Infolgedessen versagt der Glaube an Osiris, Attis usw. nicht
selten, wo es sich um sittliche Entscheidungen handelt. Erst
im Laufe der Entwicklung versuchen die Nachdenklichen unter
den Frommen, die Lücke einigermaßen auszufüllen. Aber die
Gestalt Jesu ist von vornherein sittlich bestimmt. Jesus erlebt I
Tod und Auferstehung nicht wie ein blindes Schicksal, das
mit seinem Wesen nichts zu tun hätte. Sondern er ist ein
Prediger, der die Menschen zu Gott leitet und zur rechten
Gestaltung des Lebens anhält. Sein Leiden und Sterben folgt
daraus, daß er dein Widerstande der verständnislosen Volksführer
nicht nachgibt. So sieht er den Tod vor sich, weicht
aber nicht aus. Auch der ferner Stehende wird mindestens das
Jesus zugestehen, daß er eüi Märtyrer der eigenen Uberzeugung
ist.

Die Unterschiede zeigen uns, daß man die Auferstehungsberichte
der Evangelien nicht aus dem Glauben an sterbende
und auferstehende Götter ableiten kann. Das schließt nicht
aus, daß in den christlichen Geschichten einzelne Züge vorkommen
, die auch bei den Göttern eine Rolle spielen.

Da fällt zunächst die Betonung der Dreizahl auf. Nach dem ägyptischen
Festkalender stirbt Osiris am 17. Athyr, wird „aufgefunden" (also
wieder lebendig) am 10.; das ist am dritten Tage (Plutarch über Isis und