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Ausgabe:

1948 Nr. 1

Spalte:

685-686

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schniewind, Julius

Titel/Untertitel:

Die geistliche Erneuerung des Pfarrerstandes 1948

Rezensent:

Fischer, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. II

wohl der Herr, nicht aber „das Haupt der Mächte und Ge- bei uns eigentlich nur in Bethel". „Es gibt durch ganzDeutsch-
walten" (52), und von einem „Reich Christi zur linken Hand" land hin . Widerstände dagegen auf den Konventen, auch

(53) «at jedenfalls Luther, auf den D. sich hier, undeutlich
genug, bezieht, nichts gewußt, — er kennt nur ein Reich
Gottes zur linken Hand, das von dem Reich des Sohnes
(Kol. 1, 13) gerade unterschieden wird. Die Konsequenzen
dieser zweifelhaften Exegese sind weittragend; Staat und
Kirche stehen für D. „unter der gemeinsamen Leitung eines
Herrn" (ebd.). Was daran richtig ist, hat K. Barth in seiner
Schrift „Christengemeinde und Bürgergemeinde" jedenfalls
umsichtiger als D. umschrieben. Die abstrakte Scheidung der
„zwei Reiche" und die neuprotestarrtische „Eigengesetzlich-
keit" des Politischen bedarf der Korrektur. Aber dieser notwendige
Widerspruch gegen den Dualismus darf nicht, wie
D. hier tut, zu einem christokratischen Monismus übersteigert
werden; es wird nicht einsichtig, was dann der Protest
gegen die Theokratie (46 f.) noch bedeutet. D.s Gedankengänge
in diesem Vortrag sind auffallend unscharf und zudem
von Ressentiments belastet, die der Uberzeugungskraft seiner
Schrift nicht förderlich sind. Der Warnung vor „christlichen"
Parteien im heutigen Staat pflichten wir bereitwilliger bei als
den Argumenten, mit denen sie (63 f.) begründet wird. Warum
D. die alte Halbwahrheit von Luthers „ausgesprochen konservativ
-autoritärer Haltung" im Politischen so leidenschaftlich
wiederholen muß (70), ist schwer zu begreifen für den,
der den „politischen" Luther mitsamt den Widersprüchen, die
ihm anhaften, ernsthaft zu sich reden ließ. Die sehr verständigen
, wenngleich nicht allzu tief in die konkreteste Problematik
von heute eingreifenden Richtlüiien des „christlichen"
Staatsethos, die D. vorträgt, hätten dieser wie mancher
anderen polemischen Beeiferung nicht bedurft. Um noch ein
Beispiel zu nennen: wir geben D. darin recht, daß die neue
Freude an der Liturgie weithin mit Neigungen zu einer Abkehr
von der Gefahrenzone unserer Wirklichkeit zusammenhängt
. Aber daß er nach seinem Zeugnis in dieser liturgischen
Bemühung „niemals (!) etwas anderes als eine, wenn auch
vielfach unbewußte, Fluchtbewegung gesehen" (27) hat,
empfiehlt nicht eben die Verläßlichkeit seines Blickes.

Rostock Martin Doerne

Schniewind, Julius, Prof. D.: Die geistliche Erneuerung des Pfarrerstandes
. Berlin: Verlag Haus und Schule 1947. 47 S. 8«= Der Anfang.
Eine Schriftenfolye d. Kirchl. Hochschule Berlin, hrsg. v. Dr. F. Dehn.
DM 2.75.

Bei dem traditionellen theologischen Säkularismus droht
dies Büchlein unwirksam zu bleiben, denn wir zeigen wenig
Neigung, mit unserer an sich möglichen theologischen Erkenntnis
Emst zu machen. Das theologische Geschwätz geht
in vollen Mühlen. Es ist nicht leicht, wirklicher Substanz
Bahn zu brechen. Dielegalistische Gewissensverwirrung durch
die scheintheologische Forderung der „Wahrung des Erbes"
kostet zuviel Kräfte, als daß wir noch zum NT und zur Sache
der Kirche kämen. Man kann deshalb nur zu diesem Büchlein
locken, wohl wissend, daß es eine Umkehr nötig macht.

Hier ist alles Denken gesättigt am NT und deshalb fruchtbar
. Die durchschnittliche Literatur wird uninteressant, weil
man schon vorher ziemlich genau weiß, in welcher Gestalt ein
Arbeitsthema, wenn es oben in die Mühle eingeschüttet wird,
nach dem Durchgang durch ein theologisches System sich als
Arbeitsergebnis darbieten wird. So kann man sich die Lektüre
oft sparen, wenn man den Arbeitsgang kennt. Das Ergebnis
ist vorher zu berechnen, dialektisch oder pietistisch, „lutherisch
" oder historisch-kritisch. Mit neuen Erkenntnissen
braucht selten gerechnet zu werden. — Hier ist dies alles
anders. Bei lebendigem Kontakt zu den genannten Denkstilen
gibt es hier Hören, Sehen, Wägen und Wagen am
dialektischen, pietistischen, lutherischen oder historisch-
kritischen Zwangsvcrständnis vorbei. Daher ist das Büchlein
eminent theologisch und erreicht einen hohen Grad theologischer
, d. h. kirchlicher Verbindlichkeit. Es ist in der Schriftreihe
der Kirchlichen Hochschule Berlin erschienen. Man hat
offenbar die in diesem Heft rfiedergelegte Erkenntnis als dem
..Anfang" zugehörig verstanden. Sollte die Hochschule ernstlich
diese theologische Wachheit behaupten, wäre etwas von
ihr zu erwarten. Von dem Heft sollte bald die 2. Auflage erscheinen
, anstelle vieler theologischer Makulatur. Es eignet
sich für ernsthafte theologische Gemeinschaftsarbeit in kleinen
Pfarrerkreisen. Hier ist gesunde Lehre.

Nach eingehender biblischer Begründung der Erneuerung
Un Sinne der eschatologischen Existenz des neuen Menschen
unter dem Wort geht Schniewind zur Erörterung des theologischen
Studiums und der Pfarrkonvente über. „Was in den
nordischen und angelsächsischen Ländern selbstverständlich
lst, Theologiestudium von Kirche und Kerygma her, gab es

nur ernsthaft theologische Arbeit zu treiben, geschweige, daß
es zur Gemeinschaft des Gebets käme" (S. 21). Verachtung
der Wahrheitsfrage bei Apotheose der Wissenschaft feierte
Triumphe. „Aber wie weit reicht denn dies alles ? Bis zu technischen
Entdeckungen, oder bis zu einer letzlich belanglosen
Häufung historischen Wissens. Aber kommt man wirklich bis
zur eigentlichen Wahrheitsfrage ? Wahrheit ist doch nicht
Faktizität!" (S. 20). Gleichzeitig gab es „eine Theologie, die
an ernsten Schwierigkeiten und Fragen unbewußt oder auch
bewußt vorbeiging und dadurch uns Christen in den Verdacht
brachte, unwahrhaftig zu sein" (S. 24). Deshalb erneute Wendung
zur Lehre (in wissenschaftlicher Verantwortung) in
ihrer überraschenden Kraft. Diese aber lehrt die Rechtfertigung
: Das ist: (auch als Theologe) im jüngsten Gericht
bestehen! (Es wäre verwunderlich, wenn der Teufel solches
zu lehren irgendwo zuließe. Es wäre verwunderlich, wenn
Christus solches zu lehren nicht immer neu ermöglichte,
vielleicht da, wo es nicht erwartet wurde. Alles in allem: Das
Heft ist Muster eines theologischen Traktats, gleich fruchtbar
für die theologische Arbeit wie für die Praxis der Kirche, ein
Erweis, daß die theologia wirklich als eminens practica zu
verstehen ist.

Berlin-Zehlendorf Martin Fischer

Leenhardt, Henry, Prof. Dr.: Le Mariage chretien. Neuchätel: Dela-
chaux & Niestte 11946]. 190 S. 8° = Collection „L'actualite protestante".
Schw. Fr. 4.50.

Haug, Theodor: Ehescheidung oder Erneuerung der Ehe? Hamburg:

Reich & Heidrich [1947). 16 S. 8" = Evangelische Zeitstimtnen H. 14.
DM —.75.

Das Leenhardtsche Buch über die christliche Ehe ist ein
äußerst begrüßenswerter Beitrag zur Klärung einer Fülle von
Problemen, die uns heute schwer belasten und in denen die
Kirche sehr ernsthaft nach ihrer Antwort gefragt wird. — Es
ist schlicht aufgebaut. Nach einem Kapitel, das festzustellen
sucht, was die Bibel über die Ehe sagt, wobei abgesehen von
Gen. 1 und 2 vor allem Jesu Worte zur Ehefrage und die in
1. Kor. 7 und Eph. 5 enthaltenen paulinischen Aussagen sorgfältig
besprochen werden, wird in einer sorgsam aufgebauten
Stufenfolge zunächst die Problematik der Liebe entfaltet:
das gesamte Gebiet von Eros und Agape, von Liebe und
Leidenschaft wird zum Gegenstand einer feinen Analyse gemacht
; sodann wird über die Ehe gesprochen, wobei — wieder
von außen nach innen fortschreitend — zunächst die Abirrungen
, die Hurerei und der Ehebruch, sodann die eheliche
Gemeinschaft unter moralischem, dann unter religiösem Gesichtspunkt
, schließlich die Frage der Ehescheidung und der
unnormalen Ehen (hier auch die Frage des §218) ins Auge
gefaßt werden. Ein letztes Kapitel spricht über eine Fülle
von heute aktuellen Fragen, z. B. die Verlobung, vor allem
über das Problem der Geburtenregelung.

Das Buch ist mit großem Ernst geschrieben. Es verschließt
seine Augen nicht vor all den Schwierigkeiten, mit
denen heute die zu kämpfen haben, die ein rechtes eheliches
Leben gestalten möchten. Von vornherein wird die Ehe unter
dem Doppelgesichtspunkt gesehen einerseits des gottgewollten
Mittels zur Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts,
andererseits der gegenseitigen Hingabegemeinschaft von Mann
und Frau zur gegenseitigen Hilfe (gemäß der verschiedenen
Zielsetzung für die Ehe in den beiden Schöpfungsberichten
Gen. 1 und 2). Dieser Doppelgesichtspunkt wird gerade im
Schlußkapitel angesichts der Frage von besonderem Gewicht,
wie man sich prinzipiell zum Problem der Regelung der Kinderzahl
bzw. der geschlechtlichen Abstinenz zu verhalten habe;
die Rücksicht darauf, daß nicht durch eine übertriebene
Askese einerseits, durch eine das Leben der Frau aufs Spiel
setzende Rücksichtslosigkeit andererseits die eheliche Gemeinschaft
zerstört werden darf, läßt der Verf. sich gegen
bestimmte katholische kirchliche Forderungen deutlich absetzen
.

Das eigentlich Originelle aber an diesem Buch liegt in
anderen Punkten. Erstlich darin, daß Verf. darauf drängt,
doch in gewisser Weise die Ehe als Sakrament zu bezeichnen.
Er macht in diesem Zusammenhang einen Unterschied
zwischen Erlösungsgnade und Segensgnade. Während in Taufe
und Abendmahl es sich um die Zueignung der Erlösungsgnade
handelt, geht es in der Ehe und etwa auch in der Konfirmation
um Beziehungen, auf die Gott seinen Segen gelegt hat. Es liegt
ihm dabei nicht am Wort „Sakrament", aber er hält es für
wichtig, daß man nicht Konfirmation oder auch Trauung als
rein menschliche Handlungen ansieht, sondern als göttliche
Segenshandlungen zur Geltung bringt. Zweifellos liegt darin