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Ausgabe:

1948 Nr. 11

Spalte:

683-684

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Meyer-Benfey, Heinrich

Titel/Untertitel:

Tolstois Weltanschauung 1948

Rezensent:

Stupperich, Robert

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«8Ö1

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 11

684

und hypostatischen Attributen Gottes. Lobstein sieht die
Lösung des theologischen Erkenntnisproblems in der kantischen
Zweigleisigkeit von theoretischer und praktischer Vernunft
; Neeser nimmt ein religiöses Organ an, das uns die Gewißheit
Gottes gibt. W. Monod entwickelt eine gnostische
Anschauung, indem er einen Demiurgen als Weltschöpfer annimmt
, der nicht identisch ist mit dem Vatergott Jesu Christi.
Die „vierte Idee' — neben Gott, Seele und Unsterblichkeit
des klassischen Spiritualismus — gehört nicht zur Welt und
kann nicht auf dem Weg der natürlichen Theologie erkannt
werden. In der Theologie G. Frommeis befreit sich das Denken
über Gott am stärksten von seinen metaphysischen Grundlagen
und gründet in der Offenbarung in Jesus Christus.

Der Schlußteil bringt den systematischen Ertrag der im
wesentlichen referierenden Darstellung. Rochedieu will Theologie
und Philosophie nicht dem Gegenstand, sondern ihrer
Methode nach trennen; während die Philosophie es mit der
Vernunft zu tun hat, geht die Theologie von der Offenbarung
aus, wobei Rochedieu beide Größen nicht als einander entgegengesetzte
, sondern als sich ergänzende betrachtet. Er
glaubt, daß der Gottesgedanke darum viel mißdeutet und abgelehnt
worden ist, weil von der Existenz Gottes im Sinne
sinnlich wahrnehmbarer kpntmgenter Wirklichkeit oder
logischen Seins die Rede war, während Gottesglaube heißt: die
Realität Gottes ernst nehmen. „Der Gott der Philosophen ist
eines der bruchstückhaften Lehrstücke, die eine Etappe zur
vollen Wahrheit hin darstellen. Die vollkommene, ganze Offenbarung
, die uns Gott in seinem wahren und tiefsten Wesen
zeigt, wo nichts Wesentliches fehlt oder im Dunkel bleibt, ist
uns in Christus geschenkt (424)". „Die menschliche Intelligenz
kann Gott in seinen Beziehungen zum All und den Gesetzen
der geistigen Welt begreifen, doch bleibt diese Erkenntnis unvollständig
" (427). Rochedieu vertritt hier einen Transrationalismus
und weiß sich auf den Spuren Pascals. Die Antwort
auf die Titelfrage, wie ein persönlicher Gott vorzustellen sei,
ergibt sich für den christlichen Denker nicht aus einem irgendwie
gearteten Gottesbild, sondern aus der Begegnung mit
Jesus Christus, in dem die vollendete Persönlichkeit entdeckt
werden kann, und das einzige Bild, das wir uns von Gott
machen können.

Am Schluß bleibt der Leser mit der Frage zurück, was
nun eigentlich der systematische Ertrag der sehr ausführlichen
Darstellung des französischen Spiritualismus für die Theologie
sei und wird den Eindruck nicht los, daß diese Darstellung
wenig oder nichts ergibt für die persönliche Gottesgewißheit.
Es bleibt die Frage, ob der Gott der Philosophen wirklich derselbe
ist wie der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, und ob
die Begründung der Gottesgewißheit in Christus, zu der sich
Verf. bekennt, nicht ganz anders zentral die Auseinandersetzung
mit der Philosophie beherrschen müßte, als es tatsächlich
geschehen ist.

Tübingen H. H. Schrey

Meyer-Benfey, Heinrich: Tolstois Weltanschauung. Hamburg: Deutscher
Literatur-VIg. [1946]. 32 S. 16". DM—.90.

Der Verf. dieser kleinen Abhandlung geht von der Voraussetzung
aus, daß der Künstler und Denker T. eine einheitliche
Persönlichkeit sei. Im jungen T., meint er, lasse sich die
Problematik des Alters bereits erkennen. Den Nachweis für
seine These konnte er freilich nicht erbringen. Mag das Leben
T.s noch so einheitlich aussehen, so ist doch nicht zu verkennen
, daß er durch mindestens einen schweren Bruch hindurchgegangen
ist. Seitdem zerreißen innere Konflikte sein
Leben. Mit vollem Recht hat daher Karl Holl geurteilt: „Der
Dichter und der religiöse Mensch wollen sich in ihm nicht zur
Einheit zusammenschließen" (Ges. Aufs. II, 448).

Die Gedanken T.s nach den theoretischen Schriften seiner
Spätzeit zu schildern, das ist die Aufgabe, die sich der Verf.
gesetzt hat. Selbst ist er sich bewußt, „daß das Wort Weltanschauung
für seine Gedankenwelt nicht recht paßt" (S. 7).
Was T. der breiten Öffentlichkeit als seinen „Glauben" und
seine „Bekenntnisse" vorlegt, enthält freilich auch nach dieser
Seite hin mehr, als der Verf. hier herausgearbeitet hat. Erst
recht würde Wesentliches nachzutragen sein, wenn man als
Quellen außer den genannten Schriften noch die Briefe und
Tagebücher hinzunähme.

Mit Recht hebt der Verf. die Frage nach dem Sinn des
Lebens als die für T. zeitlebens entscheidende Frage mit allem
Nachdruck heraus. Ist es aber T. gelungen, auf diese Frage
seines Lebens eine Antwort zu finden ? Hier gehen die Ansichten
weit auseinander. Der Verf. zeichnet auf dem Hintergrunde
des mystisch unpersönlichen Gottesbegriffes, den T.
vertreten hat, seinen Moralismus der Weltüberwindurig und
Weltverbesserung, mit dem er selbst in ständige schwere Konflikte
gerät. Behält hier nicht doch die Auffassung recht, die
sagt, daß T.s neue Religion in der Verzweiflung zusammenbricht
? Wie ist sonst das Ereignis seiner Flucht und seines
einsamen Todes in Astapowo zu deuten ? Aber auf diese Frage
kommt der Verf. nicht und konnte er nicht zu sprechen
kommen. Der Leser erfährt nämlich zu seinem nicht geringen
Erstaunen, daß der vorliegende Aufsatz noch zu T.s Lebzeiten
(im Jahre 1904!) geschrieben sei. Inzwischen ist nicht
unwichtiges Quellenmaterial veröffentlicht und über eine Generation
T.-Forschung getrieben worden (sogar in Deutschland
!). Diese Tatsachen lassen sich nicht übergehen.

Mögen T.s Gedanken in mancher Hinsicht anregend und
in ihrem Radikalismus interessant sein, ihre Wiederbelebung
in der Gegenwart wird kaum jemand erwägen wollen- Die
Auffassung des Verlags, dem heutigen Menschen mit diesem
Beitrag zur „Weltanschauung" eine Hilfe zu bieten, wird wohl
auf einem Mißverständnis beruhen.

Münster (Westf.) Robert Stupperich

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Dehn, Günther: Unsere Predigt heute. Vortrag, gehalten an der Konferenz
der Rheinischen Hilfsprediger und Vikare in Godesberg 30. Juli 1946.
Zoiiikon-Zürich: Evang. Vlg. 1946. 30 S. 8° = Theologische Studien hrsg. V.
Karl Barth. H. 19. Schw. Fr. 2.20.
— Dasselbe, erweiterte Fassung. Stuttgart: Kohlhammer 1946. 83 S. 8' =
Kirche für die Welt H.8. DM 1.80.

G. Dehns Wort zu den Fragen heutiger Verkündigung,
in der Stuttgarter Ausgabe um einen Vortrag „Kirche und
Staat im Lichte der Heiligen Schrift" und eine Predigt über
Matth. 9, 35—38 erweitert, ist von vornherein eines hör- und
lernbereiten Leserkreises sicher. Wachsam und entschlossen
wie wenige hat Dehn schon vor 1933 gegen die nationalistische
und „bürgerliche" Überfremdung der kirchlichen Predigt gekämpft
und hat von dem unverkürzten Evangelium des NT
her Wege zur Wirklichkeit unserer Welt gesucht. In dem Vortrag
von 1946, der das Hauptstück der vorliegenden Schrift
ausmacht, ist er bemüht, das „Heute" so universal und konkret
zu verstehen, wie es der Kirche des auferstandenen und erhöhten
Christus gebührt, im Gegensatz gegen eine privatisierte
„Innerlichkeit". Die aktuell-propagandistische Mißdeutung
dieses universalen Auftrags kann nicht schärfer abgewehrt
werden, als D. es mit seinem Verständnis der Predigt als
„Schriftauslegung" (und „darum noch mehr als bisher Textpredigt
und nicht Themapredigt", S. 29) tut. Mit Vollmacht
deutet er das Trostamt der Kirche gegenüber dem „Heer der
Zerschlagenen, Mühseligen und Beladenen, der Trauerndeiii
Apathischen und stumpf Gewordenen": „ihnen sollte das
Evangelium in seiner ganzen Sieghaftigkeit verkündigt werden
, die in der Auferstehung unseres Herrn Jesu Christi
wurzelt" (31). „Predigten, die erfüllt sind von Freude, sollten
in dieser Zeit gehalten werden" (32).

Dehns Hauptaugenmerk ist dann aber auf die recht verstandene
politische Verantwortung der Predigt gerichtet-
„Evangeliumsverkündigung kann nicht so tun, als ob das gemeinsame
Leben des Volkes in Staat und Kommune^ Sie
nichts anginge" (35). Tatsächlich sei die Predigt zu aller Zelt
auch „politisch" gewesen. Gegenüber den Irrungen der Vergangenheit
, führt D. aus, komme es vor allem auf dreierlei an-
1. auf die Überwindung der „alten christlich-nationalen I>re'
digt", 2. auf ein „neues Verständnis des eigentlichen Anliegens
der Arbeiterbewegung", 3. auf ein „neues Verhältnis
zum demokratischen Gedanken". Jenseits des Gegensatzes
von Staatshörigkeit und reiner Diastase soll die Kirche fttt*r
in der Predigt sich als die „Kirche des dritten Ortes" et~
weisen (40). .

Den Grundanliegen, die Dehns Vortrag im Blick ftUl u'_
speziellsten Gegenwartspflichten der öffentlichen Verkündigung
vertritt, wird man dankbar zustimmen, gesetzt aiWD.
daß einem im Gesamtbild das Politische reichlich stark betont
scheinen mag. Zu ernsten Einwänden nötigt aber dL
Vortrag über Kirche und Staat (zweites Stück der Stuttgarte
Ausgabe). Schon in seiner Abhandlung „Engel und Obrik
keit" (Theolog. Aufsätze, K. Barth zum 60. Geburtstag <n»
gebracht, S. 90 ff.) verstand D. die i$orotai von Rom. 13 nP e
Analogie von 1. Kor. 15 und Eph Kol. als Engelmächte. Die
diskutable These führt ihn jetzt zu einer Einordnung u.
Staates in den Bereich der Herrschaft Christi, die in dies
Direktheit höchst problematisch ist. Ans Verwunderlich*
streift die Berufung auf Kol. 2, 15 (nicht, wie S. 51

steht, 2, W

in diesem Zusammenhang: hier ist von einer positiven 1
dienstualnue der Mächte wirklich nicht die Rede. Christus