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Ausgabe:

1948 Nr. 1

Spalte:

682-683

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Rochedieu, Edmond

Titel/Untertitel:

La personnalité divine 1948

Rezensent:

Schrey, Heinz-Horst

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. II

«82

Nach einleitendem Referat zur Philosophie im 16. Jahrhundert
(Renaissance, Humanismus, Auswirkung der neuen
Welterfahrungen) wird gezeigt, daß sich „der ganze Komplex
der Probleme und Lösungsversuche, welcher die Basis darstellt
für die Herausbildung des modernen Wissenschaftsbegriffes
, für die Entwicklung der modernen Methoden der
Wissenschaft, für die modernen erkenntnistheoretischen
Untersuchungen" auch bei portugiesischen Philosophen findet.

Ausführlicher geschildert werden: Sanches und Pereira als Vertreter
empiristisch-kritischer Tendenzen, Osorio als Vertreter des Humanismus und
die Popularphilosophen Pinto und Arrais.

Der Inhalt von Sanches' Quod nihil scitur wird angegeben. Über
Sanches' Schrift Modus sclendi, die Quod nihil scitur positiv ergänzen dürfte,
weiß auch Thomas nichts Neues beizubringen. Sanches hat einerseits mit
dem Grundsatz der Scholastik gebrochen, daß die Wahrheit nur eine und grundsätzlich
den Alten bekannte sei (so daß keine neue Wahrheit gefunden zu
werden braucht). Andererseits stellt er alle Wissenschaft unter die absolute
Forderung, „vollkommene Erkenntnis" zu vermitteln. Durch die Definition
„Scientia est rel perfecta cognitlo" kommt er zu dem skeptischen Ergebnis,
quod nihil scitur. Die Kritik der Möglichkeit der Erkenntnis ist für Sanches'
Kritik der Möglichkeit der „vollkommenen Erkenntnis". Diese Zielsetzung
bedingt die Radikalität seiner Kritik. Nur der Schöpfer, Gott, hat kraft seiner
schöpferischen Tätigkeit die „interna visio" und deshalb die cognitio perfecta.
„Der Mensch scheitert in seinem Wissen am unüberbrückbaren wesenhaften
Abstand von Gott." Für den Menschen bleibt die „docta ignorantia", der
„Zweifel". Der Zweifel wird aber nicht — wie später bei Descartes — „zum
methodischen Prinzip" erhoben, „um dann etwa durch dieses zu der hinter
dem Zweifel stehenden neuen Gewißheit zu kommen, zu dem Cogito ergo sum"
(S. 172). Sanches bleibt „Im Psychologischen stecken". Als Todesjahr für
Sanches wird 1623 statt — wie bisher — 1632 angegeben. Eine nähere Begründung
dieser neuen Angabe fehlt. Thomas Irrt, wenn er — im Zusammenhang
mit Sanches — für Charron 1606 (S. 153) statt 1603 und für Vives
1546 (S. 151) statt 1540 als Todesjahr angibt.

Wie Sanches vertritt auch G. Pereira (gest. um 1569) den „Gedanken
des Zusammenhanges von schöpferischer Fähigkeit und Möglichkeit der
Erkenntnis" und kritisiert von hier aus die Methode der Erkenntnisgewinnung.
Das kartesische Cogito ergo sum bahnt er durch sein ,Nosco me aliquid nosse'
an. Ein Vorläufer Descartes ist er mit seiner These, daß „Tiere Mechanismen
sind" ohne eine „altna sensitiva" (S. 159). — Der „portugiesische Cicero"
J. Osorio (gest. 1580) geht auf das Problem politischer „Ordnung" im Hinblick
auf Macchiavelli ein. Osorio wendet sich leidenschaftlich gegen
„dessen politische Oedanken, die . .. auf eine Ablehnung der Unterordnung
des Staates unter die Kirche und grundsätzlich auf die Idee eines Staates von
totaler Souveränität, auf die totale Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit
des Polltischen hinausgingen". Als Hüter christlichen Denkens und des christlichen
Ordnungsgedankens stellt der portugiesische Philosoph der macchiavel-
llstlschen Auflösung der sittlichen Normen „die absoluten göttlichen Gesetze
der christlichen Ethik und die aus ihr abzuleitenden Prinzipien eines objektiven
Rechtes" Im Sinne der thomistischen Staatslehre gegenüber. Die „geistige
Entwicklung" des sich von Gott lösenden und sich auf sich selbst stellenden
Menschen, d. h. die Entwicklung des Prinzips der Autonomie des Menschlich-
Politischen wird zu einer Katastrophe führen. — Der in Dialogen schreibende
Popularphilosoph H. Pinto (Franziskaner; gest.um 1584) ist ein später Vertreter
des „Illuminatismus": „Ohne göttliche Onade und Erleuchtung gibt es
keine Erkenntnis" (S. 244). Auch Selbsterkenntnis ist nicht ohne Gotteserkenntnis
möglich. Gott ist die „eine, wirkliche Wesenheit". Die portugiesische
Popularphilosophie bewahrt „geistlichen" Charakter. — Die Aufzählung
von Scholastikern vor der „Regeneration" beendet den 1. Band.

Mit seinem dankenswerten, hinsichtlich der portugiesisch
philosophischen Literatur vollständigen „Übersichtsbericht"
hat Thomas eine Lücke in der deutschen philosophischen Literatur
ausgefüllt. Da der groß angelegte „Versuch" allgemeines
Interesse beanspruchen darf, möchte ich noch einige Desiderate
anfügen:

Man vermißt die Benutzung der Quellenschriften selbst
zugunsten von Sammelwerken und Monographien über die
portugiesischen Philosophen. Dann ist der Problemgehalt der
mittelalterlichen Philosophie durch die Ausschaltung der

rate anfügen:

Man vermißt die Benutzung der Quellenschriften selbst
zugunsten von Sammelwerken und Monographien über die
portugiesischen Philosophen. Dann ist der Problemgehalt der
mittelalterlichen Philosophie durch die Ausschaltung der
Mystik als angeblich „nichtscholastischer Philosophie" (S.40)
Von vornherein verkürzt. Ebenso ist die Darstellung der aus
den „Gruppen" hervorgehobenen Philosophen meist dürftig.
Z. B. müßte bei Petrus Hisp. der Unterschied von logica
vetus und logica uova, die Eigenart seiner sermocinalis scientia
zum Zweck einer Würdigung des portugiesischen Denkers

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kühnen Gedankengängen des „Antischolastrkers Nie v
Autrecourt (um i35o)u. a. sollten (zumindest) erwähnt

Bd dem mittelalterlichen „Ordo"-Gedanken beachtet
Thomas nur den Bezug auf das Politische, nicht aber die kos-
mologische Euudierung. Vermöge dieser Fundicrung hangt

das Problem der Ordnung eng mit dem Erkenntnisproblem
zusammen. Die zum Phänomenalismus führende, u. a. bei
Sanches anhebende neuzeitliche Erkenntniskritik setzt die
(nominalistische) Zersetzung des (kosmologischen) Ordo-Ge-
dankens voraus, so daß der Mensch Schöpfer semer Sinnenwelt
wird. — Den D. Duarte überbewertet und isoliert
Thomas. Popularphilosophische Untersuchungen dieser Art
finden sich schon im frühen Mittelalter, z. B. bei Willi, v. Con-
ches (um 1100): Summa moralium philosophorum (im Anschluß
an Cicero und Seneca) und u. a. bei dem Zeitgenossen
des Duarte Raym. v. Sabunde: Viola animae s. de
natura hominis. Und ob ein Leo Hebreus (gest. 1520) mit
seinen Dialoghi d'amore (neuplatonisch; Liebe als Weltprinzip
), die auf G. Bruno und Spinoza von Einfluß waren,
„künftig nur noch in der Anmerkung ... zu erscheinen
braucht", ist doch fraglich. Die weiteren Bände des Werkes,
die auch erst eine abschließende Würdigung ermöglichen
werden, werden hoffentlich die konkreten Beziehungen der
portugiesischen Philosophen etwas mehr ins Licht rücken.
Gerade dadurch kann der Beitrag dieser Philosophen zur
Philosophie überhaupt ermessen werden.

Manubach b. Bacharach/Rhein F. Schneider

Rochedleu, Edmond: La personnalit£ divine. Comment faut-il l'en-
visager? Essai de critique philosophique et de dogmatique chritlenne sur
le spiritualisme franc;ais contemporain et la theologie protestante en France
et Suisse romande. Geneve: Editions Labor [1938], 480 S. gr. 8°. Schw.
Fr. 6.—.

Ziel dieser umfangreichen Monographie ist es, den Gottesbegriff
des neueren französischen Spiritualismus sowie der
protestantischen Theologie in Frankreich und der französischen
Schweiz im Zusammenhang der betreffenden systematischen
Anschauung darzustellen, und die philosophische
und die christliche Wahrheit durch eine gerechte Würdigung
ihrer jeweiligen Aussagen miteinander zu konfrontieren. In
den Umkreis der Darstellung werden einbezogen Lachelier,
Lagneau, Boutroux, Brunschvicg, Bergson, Le Roy von philosophischer
Seite; merkwürdigerweise bleiben Octave Hamelin
und Henri Delacroix sowie die Katholiken Blondel, Laberthonniere
und J. Maritain unberücksichtigt. Die Theologen, die zu
Wort kommen, sind J. Bovon, Bouvoir, Lobstein, Neeser.
W. Monod und Gaston Frommel, also hauptsächlich die Generation
, die noch nicht unter dem Einfluß des Neocalvinismus
oder der dialektischen Theologie steht. Leider beeinträchtigt
diese Beschränkung die Aktualität des Buches.

Lacheliers Religiönsphilosophie steht stark tinter kantischem
Einfluß; ihm drängt sich der Gottesgedanke durch
den Pflichtbegriff auf, ohne daß eine Beziehung auf die Offenbarung
in Christus sichtbar und notwendig wäre. Für
Lagneau „existiert" Gott nicht, weil Existenz eine Realität
darstellt, die zu tief unter der Sphäre dessen liegt, was das
Sein Gottes charakterisiert; das Sein Gottes liegt in der Wertwelt
und ist nur der praktischen Vernunft, dem Glauben, zugänglich
. Boutroux ersetzt die mechanistische Weltaiisicht
durch eine teleologische und ästhetische, den Determinismus
durch den Gedanken der Freiheit und die Kontingenz der
Naturgesetze. Er räumt der Religion einen Platz in seinem
Denken ein und bestimmt Gott im wesentlichen in den Begriffen
des christlichen Glaubens. In der Linie von Boutroux
ist auch Bergson zu verstehen: als Vertreter eines Dynamis-
mus und Intuitionismus, die beide sich in seiner Auffassung
der Religion widerspiegeln. So positiv auch Bergson von der
Eigenart der religiösen Erfahrung spricht im Sinne der Mystik,
so kennt er doch keinen persönlichen Gott, sondern identifiziert
Gott mit seinem Begriff des „eUan vital", der in allem Sein
als Urkraft wirkt, ohne jedoch dem Sein gegenüber transzendent
zu sein. — Eine völlig andere Linie verfolgt Brunschvicg
, der bekannte Herausgeber Pascals: er ist Schüler
Spinozas eher als Pascals, versteht Gott als die Summe der
geistigen Kräfte, deren Dasein wir in uns spüren und die sich
in allen Menschen in Gestalt der Vernunft und der Liebe darstellen
. Aufs ganze gesehen ergibt sich das Dilemma, daß der
französische Spiritualismus entweder einen transzendenten
Gottesbegriff annimmt, dann aber nichts mit dem persönlichen
Gottesgedanken anzufangen weiß, oder einen persönlichen
Gott annimmt, diesen dann aber mit dem Denken des
Menschen gleichsetzt und so die Transzendenz verliert. Im-
personalistischer Pantheismus oder immanentistischer Per-
sonalismus sind die Alternativen dieses Denkens.

Die Überlegungen über den Gottesbegriff in der protestantischen
Theologie Frankreichs und der französischen
Schweiz tragen durchweg stark spekulative Züge, obwohl
immer wieder die scholastische Methode abgelehnt wird.
Bovon unterscheidet mit R. Rothe zwischen transitorischen