Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1948

Spalte:

680-682

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Thomas, Lothar

Titel/Untertitel:

Geschichte der Philosophie in Portugal 1948

Rezensent:

Schneider, F.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

679

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. ir

680

wenn ja: auf welche Ausgabe dieses Homiliars —, wenn das
entschieden wäre: woher Luther dann die Epistelreihe hat
(denn im Homiliar Warnefrieds stehen nur Evangelienpredigten
). „Wir sollten uns allmählich genieren, Luther als
direkten Nachfahren des Homiliars Warnefrieds zu sehen und
uns dabei zu beruhigen" (127). Es herrscht Streit darüber, ob
das Gelasianum saec. VIII. pippinisch sei; andererseits darüber
, welchen Einfluß die Franziskaner (und Dominikaner)
auf die Ausbildung des Missale Romanum (Pius V.) hatten.
Ferner: „Bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts haben wir kein
eigentliches Recht, von den Perikopen schlechthin etwas auszusagen
, sondern müssen stets Evangelien und Episteln trennen
und unterscheiden. . . . Rom hat sofort die Führung in den
Evangelienjahresreihen mit seinen ältesten uns bekannten Urkunden
Wev (= Würzburg 62) und Pal. 46 (= Vat. Pal. lat.
46), die als W und P führend sind für Klausers Typus CT, rein
römisch, ,um 645'. In der Epistel]ahresreihe dagegen hat
Stadtrom diese Führung überhaupt nicht gewonnen; grundlegend
ist (hier) ein Mischprodukt aus römischem und fränkischem
Herkommen geworden" (113). Ebners Behauptung,
„kein Vollmissale vor dem 10. Jahrhundert" ist dahin zu
korrigieren, daß im Cod. Casinensis 271 beinahe ein Vollmissale
(es fehlen bloß noch die Gesangsstücke) entdeckt wurde. Die
Untersuchungen von Plooij über das Diatessaron haben gezeigt
, wie stark gerade im germanischen Gebiet mit harmo-
nistischeu und möglicherweise direkt tatianischen Uberlieferungen
zu rechnen ist. — Den Evangelienreihen geht es (abgesehen
von Konstantinopel) um das möglichst geschlossene
Gesamtbild von Werk und Leben des Heilands, also um einen
eindeutigen Harmoniecharakter —, bei den Epistelreihen
findet man keine solche Leitlinie. Das sei eine kleine Blütenlese
, die auch Nichtperikopenforschern die Lust zum Buche
Kunzes anregen möge.

Kunzes Buch ist eine richtige lanx satura (und auch das speziell satirische
Kräutlein fehlt nicht darin) für alle, die in die Perikopenforschung eintreten
oder damit zu tun haben. Trotzdem muß der von Kunze gutgeheißene Grundsatz
Klausers auch Kunze gegenüber angewandt werden: „Es gibt Forschungsgebiete
, die so schwierig sind und so viele Irrtumsmöglichkeiten umschließen,
daß es durchaus erwünscht sein kann, wenn hier mehrere Forscher unabhängig
voneinander die gleiche Arbeit tun, damit am Ende die Ergebnisse des einen
an denen des anderen nachgeprüft werden können. Zu diesen schwierigen Gebieten
darf aber die Perikopengeschichtc und ganz besonders die Geschichte
der römischen Meßevangelien gerechnet werden." In der Tat: die von Kunze
aufgestellte Gliederung und Hierarchie der Quellen, seine Bewertung der daran
geleisteten Arbeiten, seine Hinweise zur Methodik, dann auch seine Vorwürfe
gegen das profanum volgus der aperikopischen Proletarier schreien darnach,
von einem oder dem anderen, von einem und dem anderen verdienten Peri-
kopenforscher untersucht zu werden. In der ganzen Liturgiewissenschaft kann
morgen schon etwas überholt sein, was gestern letzte Weisheit war; diese
Wissenschaft, und erst recht die Perikopenforschung, befindet sich zur Zeit
noch in einer der Evangelienforschung von Reimarus bis Wrede ähnlichen Lage
— es kommt noch allzu viel auf das „Fingerspitzengefühl" des betreffenden
Forschers an, und der „Vermutungen" und „Gegenvermtitungen" ist kein
Ende; gewiß auf Grund der Quellen, aber schon den Quellen gegenüber. Auch
Kunze steht mitten in solchen „Vermutungen" und „Gegenvermtitungen".
Nun gibt es ohne Hypothesen keine Forschung, sicherlich, aber so wird das
Resultat immer wieder dermaßen relativ, daß man Nichtteilnehmern, die
anderen Hypothesen anhangen, nicht an die Kehle springen darf. Die Gesamt-
liturgjewissenschaft (Kunze: die „allgemeine Liturgik") und ihre Mittel werden
von Kunze doch etwas bagatellisiert (vgl. den „griechisch-palästinensisch-römischen
, in Ephesus Christ gewordenen Justin"), die „Perikopenforschung" etwas
monopolisiert. Natürlich hat Ernst Christian Achelis darin gefehlt, daß er die
neueren Perikopenforscher ignorierte; natürlich hätte Beißel weniger zu
„stottern" brauchen; natürlich hätten die „Kontrapunktiker" der Perikopen
ihre „Kontrapunktik" nicht der Vergangenheit aufhalsen dürfen; natürlich
hätten die Professoren der Praktischen Theologie, trotz ihrer Wendung vom
„Historismus" zur „Systematik", zur Pcrikopensache nur Bewiesenes vorbringen
dürfen; natürlich hätte die Evangelische Kirche nicht Psalmen unter
die Lesungen aufnehmen dürfen; natürlich bleibt vieles zu bereinigen — aber
das alles verdient keineswegs einen solchen Zorn, wie ihn Kunzes Köcher,
gravida sagittis, enthält. Denn das wird der Perikopenforscher selbst zugeben:
seine Wissenschaft war (und istl) so schwierig, so gestrüppreich, so unübersichtlich
, so viellautend, daß vor dem Erscheinen des Kunzeschen Lehrbuchs
nur die paar „Eingeweihten" mitkamen. Wo hat die Perikopenforschung „den
Professoren als Lehrern unserer zukünftigen Pfarrer sauber gearbeiteten Stoff"
gereicht? (So wie Tri. Klauser es für die „Gesamf-Liturgik In der Gefangenen-
Zeitschrift „Eleutheria" Dezember 1943 S. 3 ff. tat?) Haben dann Professoren
und Pfarrer allein die Schuld daran, daß sie traditionelle Behauptungen nachsprachen
und sich, faute de mieux, auch einiges aus den Fingern sogen? Im
übrigen ist es doch recht fraglich, ob die historische Forschung der Liturgiewissenschaft
in die Praktische Theologie gehört I Natürlich braucht die Praktische
Theologie für Ihre systematische und ihre praktische Liturgik auch die
historische Liturgik — aber die Forschung auf dem Gebiete der historischen
Liturgik kann die Praktische Theologie nicht einfach auf sich nehmen. Hierfür
muß ein eigenes Institut, ein eigener Lehrstuhl in der Theologischen Fakultät
geschaffen werden, wie es m. W. in der Bonner katholisch-theologischen
Fakultät ist. Daß dann der Forscher auf dem Gebiete der historischen Liturgik,
auch der Perikopenforscher (so gut wie der Forscher auf den anderen Gebieten
der Theologie!), den Zugang zur Professur für Praktische Theologie haben soll,
ist einleuchtend. Und wenn der Professor der Praktischen Theologie sich der
Liturgiewissenschaft, auch der Perikopenforschung, ergibt, so steht ihm das gut
an, falls darunter nicht die Forschung auf dem eigentlichen Gebiete der Praktischen
Theologie leidet. Welchen „Nutzen" aber die Praxis der Kirche (das
ist etwas anderes als die Praktische Theologie!) von der Perikopenforschung
haben wird, darnach frage man nicht allzu energisch — in der Kirche stehen
wir auf dem königlichen Boden der Devise: Fides quaerens intellectum, hier
in dem Sinne: Die Kirche muß sich über ihr Perikopenwesen wissenschaftlich
Rechenschaft geben. Aber natürlich, „Nutzen" wird auch aus der Perikopenforschung
für die kirchliche Praxis erfließen, vielleicht der, den Kunze erwartet,
vielleicht ein anderer. Zunächst aber soll Kunzes Lehrbuch der Wissenschaft
nützen und einigen Männern und Frauen den Zugang zur Perikopenforschung
eröffnen, und die Kirche soll ihnen Raum und Zeit zubilligen, aber in der ganzen
Kirche soll aus der Arbeit der Perikopenforschung Klarheit über die Perikopen-
sache werden — auch wenn man nicht schon die Abrechnung über den „Nutzen'
in der Tasche hat.

Wertingen Leonhard Fendt

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Thomas, Lothar: Geschichte der Philosophie in Portugal. Ein Versuch.

I.Band. Lissabon: Imprensa Barreiro 1944. 305 S. gr. 8°.

Thomas will einen ersten „Uberblick über den Stoff im
gröbsten Umriß" (S. 12) geben, und zwar bis zur „Regeneration
der Scholastik" in Portugal durch Fonseca, Suarez
u. a. Die Schwierigkeiten liegen im Quellenmaterial, das zur
Zeit weder vollständig und zeitlich geordnet vorliegt, noch
inhaltlich genügend bearbeitet ist. Deshalb können — statt
einer „problemgeschichtlichen Gliederung des Stoffes" (S.29)
— nur einige hervorragende Philosophen „innerhalb der
einzelnen Gruppen" vorgeführt werden. Im übrigen wird
„eine Art Literaturgeschichte der philosophischen Literatur
aus portugiesischer Feder" (S. 285) gegeben. Hierbei in „koni-
pilatorischem Verfahren" (S. 12) benutzte Quellen sind: Lopes
Praca (Historia da Philosophia em Portugal, 1868) und die
Arbeiten zur portugiesichen Literatur von B. Machado,
F. Figueiredo, Carvalho u. a. Die Bedeutung einer Erforschung
der Philosophie in Portugal ergibt sich daraus, daß
Portugal kulturelles Grenzland ist. Seine Heere haben die
Mauren zurückgetrieben. Ebenso stellt es gegenüber den
Fremden und ihren Lehren „eine geistige Front" dar. Der
„Einbruch arabischen und jüdischen Geistes in den europäischen
Raum" veranlaßt gerade in Portugal philosophisch-
theologische Besinnung und Auseinandersetzung. Die portugiesischen
Denker wissen sich dabei gebunden an die Normen
des christlichen Glaubens und die „Tradition des christlichen
Denkens", die „geschichtliche Kontinuität" wird in Portugal
auch noch gewahrt, als sie in anderen Ländern durch Renaissance
und Humanismus bereits durchbrochen wird.

Nach einleitendem Referat über die Philosophie der
Scholastik beginnt Thomas seine Darstellung mit der
„Autonomie des Landes" (um 1140). Kirchliche Schulen und
Orden sind die Träger der Philosophie, zu denen seit 129°
die Universität Lissabon/Coimbra hinzukommt.

Für diesen ersten Zeitraum der Philosophie in Portugal (bis zum End6
des 15. Jahrhunderts) werden ausführlicher Petrus HIspanus (gest. 1277)
und D. Duarte (Regent von 1433—1438) geschildert. Dazu wird das „mittelalterliche
Ordnungsdenken" (S. 102 ff.; Probleme: Staat — Kirche; Be"
rechter — ungerechter Krieg; Fürst —■ Tyrann [die Lösung erfolgt im Sin"6
des Thom. v. Aqu.]) umrissen. — Bei Petrus Hispanus gibt Thomas den InM
von de Anima (entdeckt von M. Grabmann; hisg. 1941 von M. Alonso;
an. Die Summulae logicales werden kurz nach ihrer Wirkung gewüruit
(Thomas erwähnt eine Ausgabe von 1503; sollte hiermit die Antwerpener vo"
1505 gemeint sein?). ■— Die im Leal conselheiro des D. Duarte Se
sammelten psychologischen, charakterologischen und moralischen Analyse
(über Gefühle, Leidenschaften, Willensformen, Tugenden, Sünden) betrachte
Thomas als Hinweis auf eine „künftige Weise und Betrachtung des hier
Darstellung kommenden Fragenkreises". „Die Praxis des Lebens steht übe
der reinen Spekulation."

Die Apologeten (z. B. A. Pais um 1350) setzen sich mit den „in de
Raum der christlich-mittelalterlichen Scholastik vorstoßenden — namentlic
jüdischen und arabischen — antichristlichen Gedankengängen" auseinandc^
Ihre Reaktion ist in dem Orenzland Portugal besonders lebhaft. Es hande ^
sich dabei um die „sich gegen die scholastische Philosophie richtenden
der Averroisten (Einfluß SIgerts v. Brabant von Paris her) über Ewlj?
kelt der Welt (Leugnung der Schöpfung ex nihllo), Leugnung der Unster■
lichkeit der Seele. Leider gibt Thomas keine „Untersuchung dieses Sehr
tums".