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Ausgabe:

1948 Nr. 11

Spalte:

674-675

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Förster, Max

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte des Reliquienkultus in Altengland 1948

Rezensent:

Schmidt, Kurt Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 11

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werden zu den Paulusbriefen ein paar sehr wichtige Profan-
parallelen vorgeführt, die den Kommentatoren bisher entgangen
waren, selbst Windisch, den der nun auch heim-
gegangene Dibelius 1935 als den gelehrtesten der jüngeren
Neutestamentier hatte bezeichnen dürfen. Höistad bringt
zu 2. Kor. 6, 3 ff. aus Dio Chrysostomus eine nächstverwandte
kyllische, und Fridrichsen zu 2. Kor. 4, 8 ff. eine gleichwertige
stoische Parallele. Motive und Formgebung entsprechen
den paulinischen Stellen aufs beste, wenn auch der
Christ als der weit tufere Geist erscheint. — Weiter bringt
Fridrichsen zu dem schwierigen tu Si Phil. 3, 13 eine
treffende Parallele aus dem Romanschriftsteller Xenophon,
die dafür spricht, daß man nicht mit einer Ellipse zu tun hat
(so daß etwas zu ergänzen wäre), sondern mit einem „interjektioneilen
Kurzsatz". — Eine längere Untersuchung widmet
Riesenfeld dein Jr«(«i rov SiS6vtoi frtov jtäoiv än).ü>s Jac. 1, 5.
Er erwägt zunächst den hier fast nie herangezogenen, jedoch
ganz geläufigen Sprachgebrauch, nach dem die Verbindung
ndvxti änlüs „alle ohne Ausnahme" bedeutet (warum nicht
völlig entsprechend: „einfach alle"?). Die gleiche Auffassung
ist an der auffallend ähnlichen Stelle des Hermas Mand. 2, 4
zwar auf den ersten Blick naheliegend, würde jedoch nach der
Fortsetzung 2, 6 zweifellos unrichtig sein: bei Hermas muß
vielmehr a.7i).ä>i mit dem Verbum Sifidvat verbunden, also verlangt
sein, daß man „vorbehaltlos" geben soll. Dementsprechend
ist also auch Jac. 1, 5 zu verbinden. — Weiter
hanelelt Rudberg vom Gebrauch des temporalen cid-fa im
Erzählungsstil des Markus. Wie immer es um dessen aramäische
Grundlage bestellt sein mag, ein solches efd-vg ist auch
im Griechischen, besonders in der Alltagssprache, ganz gebräuchlich
gewesen, freilich durchweg im Zusammenhang mit
Nebensätzen oder Partizipien, nicht in parataktischer Konstruktion
wie z. T. bei Markus, und oft in der abgeschwächten
Bedeutung „dann, darauf". — Das Heft beschließt Fridrichsen
mit einem Beitrag zu v. 31 des Lasterkatalogs von
Rom. 1, wo er die auf yovevatv änetd-ett folgenden drei weiteren
Bezeichnungen ebenfalls auf Familienverhältnisse bezieht und
dementsprechend dowxNrove nicht im Sinne von „treulos"
faßt, sonelern nach einem Papyrus aus Herkulanum und der
durch den unvergeßlichen Ed. Schwartz gegebenen Deutung
folgend als .eigenwillig" erklärt.

Halle a. S. E. Klostermann

Althaus, Paul: Der Brief an die Römer übers, u. erki. 5., verb. u. erweit-

Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1946. IV, 131 S. gr. 8*= Das
NT. Deutsch, Neues Oöttlnger Bibelwerk, hrsg. v. P. Althaus u. J. Behm,
6. Teilbändchcn.

Seit Luthers Vorlesung 1515/16 hat die evangelische Theologie
zur Auslegung des Römerbriefs stets ihre stärksten
Kräfte aufgeboten. Wir brauchen aus unserem Jahrhundert nur
die glänzenden Kommentare von Lietzmann, Jülicher, Zahn,
Barth, Schlatter zu nennen. Die Althaussche Erklärung ist
die beste, die ich kenne: Denn sie ist das Buch eines Systematiken
, der mit theologischen Fragen an die Arbeit geht
und darum wirklich theologische Exegese treibt — zugleich
aber eines Exegeten, dem es wirklich um Paulus geht und nicht
Um die eigenen Lieblingsgedanken. Das liegt nicht zuletzt
daran, daß A. in einem besonderen Sinne von Luther herkommt
und auf Luthers Wiederentdeckung des Römerbriefs
fußt, auch da, wo er das Lutherkolleg nicht ausdrücklich
zitiert. Man kann das z. B. an der Exegese von R. 8, 18 ff.
studieren. Wie weit läßt A. hier nicht nur Jülicher, sondern
auch Schlatter hinter sich zurück! Gleichzeitig aber nimmt
A. mit aller Aufgeschlossenheit Anteil an den großen Bewegungen
der modernen exegetischen Arbeit. Dafür zeugen
etwa die zehn Seiten über R. 7, 9 ff., in denen A. bedachtsam
Und bewußt über Luther hinausführt — gewiß gut lutherisch.
Denn lutherische Exegese treiben heißt nicht Luthers exegetische
Arbeit konservieren, sondern Luthers exegetische
Arbeitsweise erneuern, heißt mit Luther immer neu hin-
Porchen auf das Sehriftwort und das Schriftwort ganz allein.
In diesem Sinne bietet der kleine Kommentar den Ertrag
3ojähriger exegetischer und theologischer Arbeit, in deren
Verlauf A. immer wieder gerade den Römerbrief vor überfüllten
Auditorien gelesen hat. Wie spürt man das in der
J'errlieh tiefen und umfassenden Interpretation von R. 9—11!
^«111 Fürbittegebet von R. 9, 3 eine hochnotwendige Absage
atl Jülicher, eine Anamnesis an Luther. S. 86 noch zweimal
c°ntra Jülicher — und dann drei ganz entscheidende Seiten
ü'« r die Zornoffenbarung Gottes, die den Menschen zum Nein
erweckt, ihn darin festhält und verhärtet, ihm Raum gibt
*ur Bosheit . . . Werelen nun die semipelagianischen und kryp-
j-pseinipclagianischen Stimmchen in unserer „modernen"
^oiuerbrieFexegcse endlich verstummen ? Aber R. 9 ist nicht

das letzte Wort des Paulus: „Es ist nicht zufällig und unwesentlich
, sondern notwendig und entscheidend, daß Kap. 11
erst hinter Kap. 9 und 10 steht. Erst wer mit innerlichem Ja
durch diese beiden Kapitel hindurchgegangen ist und von
ihnen herkommt, darf so reden, wie hier geschieht . . . Kein
Gedanke seit Kap. 9 ist letztes Wort. Keiner ist Endpunkt.
Aber jeder an seiner Stelle bezeichnet den Weg, der zu durchlaufen
ist" (S. 95).

Die 5. Auflage, die wir hier anzeigen, weist eine ganze
Reihe von Änderungen oder Erweiterungen auf, die den Geist
unermüdlicher Selbstprüfung und lebendiger Auseinandersetzung
mit anderen Positionen erkennen lassen, in dem hier
Exegese getrieben wird (3, 9; 7, 24 u. a. m.). In R. 2, 15 hält
A. gegen Barth u. a. mit verstärktem Nachdruck die Deutung
auf die natürliche Ethik fest. In R. 5, 7 macht A. jetzt auf
die Klimax Dikaios-Agathos aufmerksam und schreibt dazu
den sehr wahren Satz: „Paulus mißt die Möglichkeiten unseres
Menschseins ehrlich aus. Er denkt nicht daran, das Menschliche
zur höheren Ehre Christi zu verkürzen und verkleinern."
Stets liegen die Althausschen Verbesserungen auf der Linie
einer konsequenten Weiterentfaltung des bisherigen Ansatzes.
Das glänzende Musterbeispiel dafür ist die erweiterte Fassung
der Exegese von R. 13. Keinerlei Konzession an „dialektisches
Drehen und Deuteln", sorgsam begründete Absage an
die gestern noch so moderne Deutung der Exousiai auf Engel-
mäclite, klare Absetzung aber auch von jeder naiven Staatsfrömmigkeit
, wie man sie dem sog. Neuluthertum immer so
gern zum Vorwurf macht. Mit Nachdruck legt A. in der Neuauflage
den Finger darauf, daß Paulus schon in R. 8, 35 vom
Richtschwert und staatlichen Verfolgungen, in R. 12, 14 ff.
von Gottes künftiger „Rache" an den Verfolgern spricht.
„Zur Obrigkeit gehört hinzu, daß die Verwaltung der Macht
im Dienste sittlich bestimmter Rechtsordnung stehe."
So konnte man schon in der bisherigen Fassung lesen. Die Neuauflage
fügt verdeutlichend hinzu: „Daß man um Gottes
willen unter Umständen ein Nein zu den Ansprüchen der
politischen Macht sprechen muß, wußte Paulus nicht erst als
Christ, sondern schon als frommer Jude . . . Man darf sich also
nicht auf R. 13 berufen, um jene frag- und kritiklose Untertanengesinnung
, jene unbedingte Loyalität gegen den Staat
zu rechtfertigen, die vergessen hat, daß die Autorität Gottes
und seiner Gebote die Autorität des Staates und die Gehorsamspflicht
seiner Bürger nicht nur begriüidet, sondern ihr
auch die Grenze zieht" (S. 112 f.).

Eine Frage darf man vielleicht am Schlüsse auf werfen, die
sich nicht nur an den Exegeten, sondern auch an den Dogma-
tiker Althaus richtet: S. 77 steht der Satz: „Noch ist die Erlösung
allein in der Innerlichkeit geschehen". Ist sie denn
wirklich in der Innerlichkeit geschehen? Ich weiß wohl,
der Kontext von R. 8 und die paulinische Terminologie vom
inwendigen Menschen legt de>n Begriff eler Innerlichkeit nahe
genug. Dennoch möchte ich für meine Person lieber mit Luther
sagen: Unsere Erlösung ist bis jetzt allein im Extra nos geschehen
. Vielleicht dürfte man, müßte man noch weiter gehen
und frei nach Luther hinzufügen: Sie ist extra omnem creatu-
ram geschehen, allein coram ueo. Wobei natürlich nicht an elie
Inkarnation, vielleicht aber an Kirche und Sakrament gedacht
werden könnte. Geht das zu weit ? Oder führt nicht das, was
A. selber S. 78 im Anschluß an R. 8, 26 f. vom Pneuma sagt,
letzten Endes zur gleichen Konsequenz ?

Die 5. Auflage ist längst vergriffen. Die sechste soll
Anfang 1949 erscheinen. Möchte bald das 30. und 50. Tausend
voll werden!

Bonn Ethelbert Stauffer

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Förster, Max: Zur Geschichte des Reliquienkultus in Altengland.

München: Bayerische Akademie d. Wissenschaften; In Komm, bei C. H.

Beck 1943. 148 S. gr. 8° - Sitzungsberichte der Bayer. Akademie d.

Wissenschaften, Philos.-hist. Abt. Jg. 1943, H.8. DM9.20.

Im Mittelpunkt dieser Schrift des bekannten Münchener
Anglisten steht das Reliquienverzeichnis von Exeter aus dem
Evangelienkodex Bodl. Auct. D 2. 16 aus dem 10. Jahrhunelert,
eine Homilie über den Schatz, der darin enthalten ist; es wird
mit bewunderungswürdiger Akribie ediert und mit einer erstaunlichen
Gelehrsamkeit kommentiert. Durch die Einleitung
weitet sich die Edition fast zu einer Gesamtgeschichte des altenglischen
Reliquienwesens aus.

Der kirchengeschichtliche Ertrag der Arbeit ist trotzdem
nicht sehr groß. Die weite Verbreitung des Reliquienkultes
und seine Hochwertung auf frühchristlich-gernia-