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Ausgabe: | 1948 |
Spalte: | 659-666 |
Autor/Hrsg.: | Bultmann, Rudolf |
Titel/Untertitel: | Heilsgeschichte und Geschichte 1948 |
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Ü.-5Ö
Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 11
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vorangeht. Es kann eine zeitliche Trennung in dem einen
oder in dem anderen Sinne eintreten. Es ist das ein Zeichen
von der Freiheit des lebendigen Christus und seines heiligen
Geistes, den wir achten müssen. Die gleichzeitige Übung
ziemlich zahlreicher Taufen von Erwachsenen und von Kindern
würde diese Freiheit des lebendigen Christus in seiner
Kirche darstellen und würde zugleich den verschiedenen soziologischen
Gegebenheiten unserer modernen Welt entsprechen.
Es wird die Aufgabe der Kirchenzucht und der Seelsorge
sein, für den jeweiligen Fall die beste Lösung zu finden. Es
gibt Eltern, die unbilligerweise zögern, ihre Kleinen taufen zu
lassen und die in der Taufe einen mächtigen geistlichen Beistand
finden würden, um sie besser zu erziehen1. Andere
werden gewarnt werden müssen vor der Verantwortung, die
sie auf sich nehmen, wenn sie ihre Kinder zur Taufe bringen.
Es wird gut sein, daß eine gewisse Zahl wahrhaft christlicher
Familien das Beispiel von Taufen an Erwachsenen gibt.
Alles aber in der geistlichen Freiheit ohne Gesetzlichkeit, wovon
der Apostel uns ein so herrliches Beispiel in seinen praktischen
Ermahnungen hinsichtlich der Götzenopfer (1. Kor. 8,10) gibt.
Heilsgeschichte und Geschichte
Zu Oscar Cullmann, Christus und die Zeil1
Von Rudolf Bultmann, Marburg
Das sachliche Thema dieses Buches, „die urchristliche
Zeit- und Geschichtsauffassung", ist unter den Titel „Christus
und die Zeit" gestellt, weU der Verf. zeigen will, daß das Urchristentum
Christus als die Mitte der Zeit verstanden habe,
von der aus die ganze Geschichte nach rückwärts und nach
vorwärts zu verstehen und zu beurteilen ist. Zunächst freilich
sei Christus die Mitte der Heilsgeschichte, die sich im Rahmen
der Weltgeschichte abspielt; aber diese Heilsgeschichte, die
„Christus-Linie", gebe auch, obwohl selbst Geschichte, die
Norm ab für die Beurteilung der Geschichte überhaupt, und
zwar deshalb, weil die „Heilsgeschichte", die „biblische Geschichte
", Offenbarungsgeschehen bzw. Offenbarungshandeln
Gottes sei. Daher sei auch alle Theologie als Rede von Gottes
Offenbarung „biblische Geschichte". In solchen Sätzen
stecken schwierige Probleme, die ich zunächst beiseite lasse,
um das Bild nachzuzeichnen, das der Verf. von der urchristlichen
Zeit- und Geschichtsauffassung entwirft, der ja sein
eigentliches Interesse gilt.
I.
„Die fortlaufende Heilslinie" heißt der erste Teil.
Er will zeigen: das Heil ist an ein fortlaufendes, Vergangenheit
, Gegenwart und Zukunft umfassendes Zeitgeschehen gebunden
, das von seinem Mittelpunkt her, der geschichtlichen
Tatsache des Todes und der Auferstehung Jesu, seine Gliederung
empfängt. „Urchristlicher Glaube und urchristliches
Denken gehen nicht von dem räumlichen Gegensatz Diesseits-
Jenseits aus, sondern von der zeitlichen Unterscheidung Ehemals
- Jetzt-Dann" (31). Das wird zunächst durch eine Musterung
der „zeitlichen Terminologie" des NT (xtupöe, aieöv u. a.)
begründet und durch den Gegensatz der linearen Zeitauffassung
der Bibel zu der zyklischen der Griechen verdeutlicht.
Demgemäß stelle sich das NT auch den künftigen Aon als
zeitliche Zukunft vor und denke sich das Endgeschehen als
in zeitlicher Progression sich abspielend. Da Gottes Herrschaft
über die Zeit seine Verfügung über Vergangenheit und
Zukunft bedeutet, schließt sie die Bestimmungen der Präexistenz
wie der Prädestination wie auch die Vorwegnahme der
Zukunft in der Gegenwart ein. Daher ist denn auch Christus als
der Mittelpunkt der Geschichte zu verstehen und das Christusgeschehen
als Offenbarung der Gottesherrschaft über die Zeit als
Ganzes. So ist auch der Hl. Geist und die Heiligung der Glaubenden
als Vorwegnahme des Endes in der Gegenwart zu verstehen
und die Kirche als der Ort der göttlichen Herrschaft über die
Zeit; von der Kirche umfangen erhalten die Christen teil an
den Gaben der ganzen Heilslinie und vermögen „das Geschehen
der Zukunft in seiner göttlichen Vorwegnahme schon
jetzt als Wirkung an sich zu erfahren, anderseits das Heilsgeschehen
in seinen großen Etappen und der ganzen Zielrichtung
zu begreifen" (69).
Die Mitte der Heilsgeschichte, für die Erwartung des
Judentums Zukunft, ist für die Christen Vergangenheit geworden
; während für jenes die „Mitte" zwischen Schöpfung
und Parusie lag, fällt sie für die Christen mitten in
die Zeit vor der Parusie (71). Vom Zentrum aus wird nun
nicht nur die Geschichte Israels, sondern auch die Zeit vor
der Schöpfung und die Schöpfung selbst als Vorbereitung der Erlösung
verstanden (78 f.). In der Zeit nach Christus „steht die
Heilszeit nicht still" (80); die Geschichte muß nämlich weitergehen
, weil die Sünde vor der Parusie noch nicht beseitigt ist (80).
Als Ganzes ist die Heilsgeschichte „Prophetie" (84); und zwar
schließt das Bild der Heüsgeschichte in den Erzählungen über
den Ursprung und das Ende Vorgänge ein, die nicht historisch
>) Cullmann, Oscar: Christus Und die Zeit. Die urchristliche Zeit-
und Geschichtsauffassung. Zollikon-Zürich: Evangel. Verlag A.O. 1946. 224 S.
festgestellt werden können, sondern „objektiv nur Gegenstand
der Offenbarung, subjektiv nur Gegenstand des Glaubens
sind" (85). Das historische Mittelstück schließt zwar
historisch feststellbare Tatsachen ein, erhebt sie aber zum
Glaubensgegenstand, indem von ihnen behauptet wird, was
kein Historiker kontrollieren kann, z. B. daß Jesus der Gottessohn
ist, daß sein Tod Sühnetod ist.
Gegenüber diesem Bild von der Heilsgeschichte ist die
Unterscheidung von Geschichte und Mythos sinnlos, ebenso
die zwischen Geschichts- und Naturgeschehen, wie denn ja
auch die Schöpfung in die Heilsgeschichte einbezogen ist. Das
so prophetisch entworfene, oder besser offenbarte Geschichtsbild
ist eine christologische Prophetie, da es von Christus als
der Mitte aus entworfen ist und das Geschehen deshalb als
„Christus-Linie" erscheint: „Christus der Mittler der Schöpfung
— Christus der leidende Gottesknecht als Erfüllet' der
Erwählung Israels — Christus der gegenwärtig herrschende
Kyrios — Christus der wiederkehrende Menschensohn als
Vollender allen Geschehens und Mittler der Neuschöpfung. Der
Präexistente, der gestern Gekreuzigte, der heute im Verborgenen
Herrschende, der bei der Äonenwende Wiederkehrende
: sie sind alle eins, es ist der gleiche Christus, aber
in Ausübung der zeitlich sukzessiven hcilsgeschicht-
lichen Funktionen" (94 f.). Diese Grundanschauung entspricht
auch dem Bewußtsein Jesu von sich selbst. Die Bewegung
der Heilsgeschichte, deren Prinzipien Erwählung und
Stellvertretung sind (100), verläuft zuerst als „progressiv^
Reduzierung", da mit dem Ziele des Heiles aller Menschen stellvertretend
zunächst ein einzelnes Volk erwählt ist, dann eui
„Rest" und schließlich Einer (Christus); von ihm aus geht es
dann wieder progressiv zur Vielheit.
„DieEinmaligkeitderHeilsepochen" ist das Thenia
des zweiten Teiles. Die Kairoi, die „die Heilslinie ausmachen >
sind Geschehnisse, die in ihrer Einmaligkeit für immer entscheidend
sind" (107). So denn vor allem das Christusereignis-
dessen Einmaligkeit schon im Urchristentum zum Anstoß g?'
worden sei, dem der schon im Judenchristentum auftretende
Doketismus entgehen möchte. Der Charakter der Einmalig'
keit eignet aber auch der auf die Mitte bezogenen Heilsgeschichte
vor Christus, und er darf nicht durch falsch
Allegorese wie die des Barnabasbriefes und Willi. Vischels
zunichte gemacht werden. Richtig verstanden ist die alttest?'
mentliche Geschichte Vorbereitung des Christusereignisses, d
sie „auf einen inkarnierten und gekreuzigten Christus abzielt
", „sich auf die Inkarnation und auf die Kreuzigung
zeitlich hinentwickelt" (120). Auch die Zukunft ist ai
heilsgeschichtliche Entwicklung von Christus aus zu ve -
stehen. Die Eschatologie ist „nicht beseitigt, wohl aber en
thront" (122), insofern die Frage nach dem Wann des »"ST
tigen relot dadurch erledigt ist, daß Jesus Christus, der b
schienene, schon das riloe ist (123). Die Eschatologie t^n*
jedoch ihre „heilgeschichtliche Eigenbedeutung". Das Neu ^
das die eschatologische Zukunft bringen wird, ist „die b
fassung der ganzen Welt der aäiii, der Materie, durch ü
hl. Geist, das nrevfia" (124). „Solange diese Endvollendu«b
') Hinsichtlich der Darstellung, über die man Genaueres wissen m*^
(eine theologische und liturgische Definition), sehe ich nicht, wie sie auf the°Der
gischer wie praktischer Ebene der Gefahr des Hochmuts entgehen kann.
Begriff klingt schon pelagianisch genug, als ob Gott das Kind nicht k*° „
oder liebte vor uns und besser als wir. Oder diese Zeremonie verlänger
jüdischen Ritus, als ob Jesus Christus nicht gekommen wäre, oder sie
ihren Mittelpunkt In der Verkündigung, daß dieses Kind durch das w t
unter der Verheißung des Lebens in Christus steht . . . und dann ist das
Taufe ohne Taufe.