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Ausgabe:

1948 Nr. 10

Spalte:

591-598

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Heinrich

Titel/Untertitel:

Zur Frage der Universitäts-Reform 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 10

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macht den Menschen substanzmäßig zum Gott und verleiht
ihm außerdem noch eine magische ävvafiis, eine zauberhafte
i^ovala, mit deren Hilfe er über die Geister einen Zwang ausüben
kann1. Das „Orientalische" der Gnosis besteht also
nicht — wie es oft dargestellt wird — darin, daß sie supranaturale
, pneumatische, charismatische, unphilosophische Erkenntnis
ist2, sondern daß diese Erkenntnis zugleich einen
machthaltigen Zauber enthält, auf Grund dessen der Mensch
durch Worte und Handlungen auf die jenseitigen Mächte einwirken3
und dem von den Archonten ausgehenden Weltenzwang
einen vom Menschen ausgehenden Geisterzwang entgegenstellen
kann. Die Verleihung göttlicher Substanz allein
schließt den Besitz solcher magischer Kräfte nicht ohne
weiteres in sich 4. Wo von magischen Kräften die Rede ist,
liegt überhaupt nicht das statische, sondern das dynamische
Weltbild vor, denn nur in ihm ist die Vorstellung einer zwischen
Welt und Mensch, zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos

') „Brachte den Griechen sein yivcooxuv als das Erforschen der Wahrheit
in die Nähe der Gottheit, weil er im denkenden Betrachten beim eigentlich
Seienden ist und so selbst eigentlich ist, so verleiht dem Gnostiker die yvcöois
göttliche Natur, d. h. primär Unsterblichkeit. Er wird durch die Schau verwandelt
, aus einem Menschen zum Gott. Ja, die yvcöois selbst, die dazu führt,
wird als eine göttliche Svva/iis verstanden, die in den Menschen einzieht und
mit andern Svvdfieie zusammen den Tod aus ihm vertreibt. Wohl war auch für
Plato die yvcöois bzw. imotrifir} eine Svvctfiis; aber Svvapiis hatte dabei den
Sinn einer Möglichkeit, die dem Menschen eigen ist, einer Fähigkeit; in der Gnosis
bedeutet sie Kraft, Zaubermacht. Sie ist wie das nvevfia das geheimnisvolle
göttliche Fluidum (das „Mana") und kann mit t,wr] und cpcös verbunden und
synonym gebraucht werden. So gibt dieyvcöois dem Gnostiker t^ovo'ia und
verleiht ihm Freiheit von der ei/iaofiivr). In diesem Sinne ist die yvcöois dann
doch ein, freilich stets gefährdeter und etwa durch Askese zu sichernder Besitz
, nämlich als eine mysteriöse Qualität der substanzhaft gedachten Seele,
aber nicht als das Wissen, das im Begreifen über den Gehalt des Begriffenen
verfügt." R. Bultmann, yivcöoxco, ThWb. I 695, 10 ff.

') Diese findet sich genau so auch in der griechischen Orphik; vgl.
E. Rhode, Psyche(1907) II, 113 und R. Eisler, Orphisch-dionysischeMysteriengedanken
in der christlichen Antike (1925) pass; G. Wobbermin, Religionsgeschichtliche
Studien (1896), S. 73.

•) Vgl. R. Reitzenstein, Poimandres (1904), S. 15 ff., 17: av yctQ el
kyco xai sycö ov. o &v e'lnco, del yevso&aty tb yä(? ovou-d aov e%co cos
y>vA.axtrfpiov iv tfj xapSicc Tfj l/ifj. Mystisches und Magisches geht hier
vollkommen ineinander über; der Gedanke einer seinsmäßigen Einigung mit
der Gottheit steht neben dem Pochen auf den Zauber, der in der Kenntnis
des Gottesnamens liegt. Zum Zauberglauben in der Gnosis vgl. Leisegang,
Gnosis RGG II 1274; Bornkamm, (ivorrjoiov, ThWb. IV, 819, 20 ff., sowie
die dortigen Hinweise; zum Zauberglauben in den Mysterienreligionen F.
Cumont, Die or. Rel. im röm. Heidentum (1914), S. 109 f.

') Gegen R. Reitzenstein, Heil. Myst. Rel. (1910), S. 12 f.

und daher auch zwischen Kosmogonie und Soteriologie bestehenden
Wechselwirkung möglich. Magie ist nichts anderes
als die in die Praxis umgesetzte dynamische Weltanschauung1-
So zeigt sich in allen Grundanschauungen der Gnosis
immer wieder dasselbe unausgeglichene Nebeneinander von
griechischem Denken in Seinsweisen und orientalischem Denken
in Verhältnis- und Funktionsweisen. Der Gnostizismus
vermochte diese ungleichartigen Elemente wohl miteinander
zu amalgamieren, sie aber zu einer elementaren Einheit zu verschmelzen
, dazu fehlte ihm die Kraft. Demnach bedeutet die
Gnosis auf religiösem Gebiet dasselbe wie der Hellenismus auf
geistig-kulturellem: beide sind hervorgewachsen aus der seit
der Diadochenzeit einsetzenden Begegnung des Hellenentuins
mit dem Orient2. In dem wechselseitigen Erlebnis ihrer
völligen Andersartigkeit zogen sich die beiden Welten mit so
magischer Gewalt an, daß die beiden Grundhaltungen zu einer
scheinbaren Einheit verschmolzen. Neben der Theokrasie und
dem Synkretismus ging eine Mischung der Lebensauffassungen,
Weltanschauungen und Daseinshaltungen einher, nicht nur in
irgendwelchen irrelevanten äußeren Akzidentien, sondern konstitutiv
für ihre gesamte Grundanschauung. Trotz der schwierigen
Erklärbarkeit der Werde-Bedingungen muß also ernstlich
die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, daß sich iß
der Gnosis die Späterscheinungen zweier völlig verschiedener
Kulturen miteinander verbunden haben; und zwar nicht nur
zu einer Pseudomorphose, zu welcher die eine Kultur lediglich
die Hohlformen und Begriffe, die andere aber den Inhalt ge"
liefert hätte, sondern es scheint hier wirklich eine Alchirnie
der Weltanschauungen vorzuliegen, durch die aus zwei ge'
gebenen Stoffen ein neues Drittes zur Darstellung gebracht
wurde3.

l) Orientalische Magie ist daher auch etwas ganz anderes als griechische'
Zauberglaube; vgl. E. Rhode, Psyche (1907) II, S.24ff.; 87 f.; 364 f.

!) „Lange ehe die Wellen der orientalischen Propaganda nach Ro^
schlugen, hat der orientalische Synkretismus in seiner Verbindung mit hellenistischer
Spekulation auf den Osten, besonders auf Syrien, Ägypten, Kleinasien
stetig eingewirkt. Von den treibenden religiösen Kräften dieser Be'
wegung können wir uns eine klare Vorstellung nur aus den späteren synkre"
tistischen Religionsbüchern bilden, die ja aber auch nieist auf frühere Stadie"
einer ihnen vorausliegenden Entwicklung deutlich hinweisen." P. Wendlandi
Hell.-röm. Kultur (1907), S. 177.

») Die Alternative von Jonas, Gnosis I (1934), S. 48, „ob der Gnostizismus
abgesunkenes und vermischtes antikes Ideengut oder ob umgekehrt das
spätantike philosophische Ideengut sublimierte gnostische ElementarströmunS
sei", ist so nicht aufrecht zu erhalten. Die dritte Möglichkeit, daß jede der
beiden Kulturen in gleicher Weise gebender und nehmender Teil war, daß
also von einer „umschmelzenden Einverleibung" nicht die Rede sein kann»
darf nicht außer Acht gelassen werden.

Zur Frage der Universiläls-Reform

Von Heinrich Rendtorff, Kiel

RIenäcker, Günther, Prof. Dr.: Die demokratische Sendung der Universität
. Schwerin: Verlag demokratischer Erneuerung o. J. 16 S. 8° =
Kl. Schriftenreihe d. Kulturbundes Mecklenburg-Vorpommern H. 1.

Schmid, Josef, Prof. Dr.: Wollen und Ziele der neuen Hochschule.

Mainz: Kupferberg 1946. 18 S. 8° = Mainzer Universitäts-Reden H. I.
RM 1.50.

Voßler, Karl, Prof. Dr.: Forschung und Bildung an der Universität.

München: Drei-Fichten-Verlag [1946]. 26 S. 8» = Geistiges München. Kulturelle
u. akad. Schriften, hrsg. v. Karl Ude 1. H.

Steinbüchel, Theodor, Prof. D. Dr.: Europa als Verbundenheit im

Geist. Rede bei der Übernahme des Rektorats der Universität Tübingen.
Tübingen: J. C.B.Mohr 1946. 26 S. gr. 8° = Universität Tübingen 36.
RM 1.20.

Jaspers, Karl: Die Idee der Universität. Berlin 1946. 132 s. 8°.

Der Weg der Universität ist begleitet von der nicht verstummenden
Frage nach ihrer Reform. Die U. liebt die stille
Zurückgezogenheit, aber sie erfährt zu allen Zeiten starke
Beachtung durch die Öffentlichkeit. Schon der Eindruck ihrer
Fremdheit und Unverstandenheit macht sie unheimlich, fordert
zur Kritik heraus und verdichtet sich zum Ruf nach der
Reform. Die Begründungen wechseln. Politisch gemeint ist
das Verlangen nach Abwehr angeblich politischer, jeweilig als
reaktionär angesehener Haltung der U., wobei die Vorzeichen
mit den wechselnden Zeiten wechseln; politisch auch der
offene oder heimliche Wunsch, die U. in den Dienst bestimmter
Ziele zu stellen, sei es von innen der Herrschaft einer Partei,
sei es von außen der Umerziehung. Sozial gemeint ist das Verlangen
, der U. den ihr vermeintlich anhaftenden Charakter

einer Standesinstitution zu nehmen, sie statt dessen zu einer
Stätte der allen zugänglichen Bildung und dadurch der kultU'
rellen Vereinigung und Versöhnung zu machen. Pädagogisch
begründet ist die von jeder alten oder neuen Bewegung w*j
Erziehungsleben herkommende Kritik an den vermeintlich
überständigen und veralteten Methoden der U. und die Forderung
ihrer Anpassung an das jeweils jüngste Erziehungspr0'
gramm. Praktisch begründet ist die von jedem seiner Be'
deutung bewußten Lebensgebiete aus geübte Kritik an 0*1
vermeintlich rein theoretischen und damit lebensfremden Ha''
tung der U. und die Forderung, daß sie mit Forschung uf"*
Lehre in unmittelbarer Verbundenheit der Wirtschaft, deI
Industrie, dem Handel, der Technik usw. zu dienen habe-
Allgemein menschlich endlich ist Kritik und Forderung he'
gründet, die aus dem Bewußtsein einer Zeit stammen, die sic^
durch die Krisis des Menschentums bis in ihre Tiefen eI'
schüttert weiß und nun ihre Enttäuschung und ihre Erwartung
anklagend und fordernd an die U. heranträgt. In all diese»1
Stimmen tut sich im Grunde eine hohe Meinung von der Be'
deutung dessen kund, was an der U. geschieht. Es ist ein
selbstverständliche Pflicht, zu hören und ernstzunehincn,
hier in vielstimmigem Chor zur Verantwortung vor dem Vo'K'
der Zeit, der Wirklichkeit des Lebens ruft. f
Keineswegs aber kon.mu der Ruf zur Reform der U. öu
von außen. Es liegt vielmehr in ihrem Wesen, daß sie seloe
als ständig in Bewegung, im niemals abgeschlossenen Werde
begriffen, ihr Sein und Tun kritisch überprüfen und zurJS.
form stets bereit_sein muß. Mag jedes Geschlecht diese No

wendigkeit und Bereitschaft für sich neu erfassen, sicher