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Ausgabe:

1948 Nr. 9

Spalte:

543-545

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Fraenger, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Hieronymus Bosch "Das Tausendjährige Reich" 1948

Rezensent:

Wessel, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 9

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Kirchenjahres bereits wieder verlassen; er trug also nicht e in-
mal die Merkmale der endgültigen Vorläufigkeit an s ich.
Darum darf man zum Unternehmen selbst vielleicht sagen,
daß ein Bedürfnis nach derartigen Handreichungen nicht zu
leugnen ist, doch möchte man nun endlich gern aus dem Stadium
der unverbindlichen Privatarbeiten herauskommen.

Hannover-Bothfeld Gerhard Kunze

Graf, Franz: Psalmen zum Anbeten, Danken, Bitten. Eine Auswahl für

Menschen unserer Zeit. Mit einem Geleitwort von Prof. D. Dr. Karl Heim.

Stuttgart: Oncken 1947. 96 S. kl. 8». RM 2.40, Hlw. RM 3.20.

Etwa 60 Psalmen oder Psalmteile in angenehmem Druck
und guter Satzgliederung mit etwas kindlichen Initialen
(Scherenschnitte von Hedwig Goller-Bausch). Die Texte
meist nicht in der lutherischen Ubersetzung, weil „im Psalter,
diesem alten Gebetbuch der Gemeinde, manche altertümlichen
Worte und Wendungen nicht jedem ohne weiteres verständlich
sind"; wenn nun behauptet wird, daß in den dargebotenen
Fassungen „noch deutlicher als in der Lutherüber-
setzung der Rhythmus und die ursprüngliche dichterische Gewalt
dieser unvergleichlichen Herzensgebete spürbar wird",
so vermag ich dem nicht in allen Stücken zuzustimmen.
Gleich der Eingang von Psalm 1 steht in der Lutherübersetzung
so geradezu kanonisch fest, daß man ihn für erbauliche
Betrachtung nicht auswechseln sollte; was an ihm unverständlich
sein könnte, vermag ich nicht einzusehen. Ähnliches
gilt etwa für den 91. Psalm oder den 130. Wenn ein
Rhythmus nach modernen Begriffen angestrebt wird, so ist
zu fragen, ob in Luthers Übersetzung nicht doch ein zwar verborgenerer
, aber viel kräftigerer Rhythmus waltet. Trotz
dieser Bedenken wird man aber das Bändchen gern zu Geschenken
verwenden können.

Hannover-Bothfeld Gerhard Kunze

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Fraenger, Wilhelm: Hieronymus Bosch, Das Tausendjährige Reich.

Grundzüge einer Auslegung. Coburg: Winkler-Verlag [1947J. 142S.,10Taf.
u. 5 Taf. im Anh. 4». RM 22.—.

Die Interpretation mittelalterlicher Bildwerke bereitet
dem Forscher oft nahezu unüberwindliche Hindernisse. Mit
der religiös bedingten Gefühlsunmittelbarkeit des Schauens
ging dem neuzeitlichen Menschen auch das Organ für die Erfassung
des tieferen Inhaltes der nur aus dem Glaubensgehalt
zu verstehenden mittelalterlichen Kunstwerke verloren. So
verlor sich die Ikonographie entweder in reinen Formalismus
oder, was noch gefährlicher, weil verfälschend ist, in die
weiten Gefilde unbegrenzter Spekulation und weitgreifender
Phantasie. Aus diesem Dilemma eines so wichtigen Zweiges
der Kunstwissenschaft gilt es einen Ausweg zu finden. Einen
ersten und in seiner Bedeutung kaum recht einzuschätzenden
Schritt hierzu tut das neueste Werk von Wilhelm Fraenger
über Hieronymus Bosch. Trotz einiger nicht zu übersehender
Mängel verdient dieses Buch eine eingehende Würdigung und
weitgehende Beachtung sowohl der Theologen als auch der
Kunstwi.sseiischafter.

Fraenger geht davon aus, die Schöpfungen des Hieronymus van Aken,
genannt Bosch, die uns so viele bislang ungelöste Rätsel aufgeben, seien nicht
als Illustrationen, sondern als „selbstherrliche Imagination, d. h. bildhafte
Innewerdung eines Sinnes" zu werten (S. 9). So will er vordringen „zum
eigentlichen Kernproblem: der anschaulichen Denkform" (S. 9). Nach ganz
kurzen biographischen Notizen, die das traurig wenige an Tatsachen zusammenfassen
, die uns über Bosch greifbar werden, stellt nun Fraenger fest,
daß nur ein Teil der Gemälde Boschs heute unverstanden ist, diese aber ebenfalls
, wie die verständlichen auch, Altargemälde oder Andachtsbilder darstellen
, also, wie er es sehr ansprechend ausdrückt, „Symbole", was er nach dem
Doppelsinn des Wortes als „Sinnbilder" und „Bekenntnisse" aufgefaßt wissen
will (S. 10). „Als solche mußten sie zunächst einmal verständlich sein, wenn
anders sie den vorgeschriebenen Erbauungszweck erfüllen sollten". Als Gruppe
dieser heute Unverstandenen bezeichnet Fraenger die drei großen Triptychen
„Das tausendjährige Reich", die Lissaboner „Versuchungen des hl. Antonius"
und den Madrider „Heuwagen". Daneben steht eine „Gruppe schlicht verständlicher
und überlieferungsgebundener Werke". Die erste Gruppe „entschlägt
sich jedweder Tradition und Konvention" und verblüfft durch ihre
„unentzifferbaren Sinnbilder" (S. 10). In dieser Gruppe findet er eine „gehässige
Satire auf die Kirche". „In ihren antiklerikalen Bildmotiven gewittert
die herannahende Reformation". Neben dieser Polemik wird noch eine andere,
nicht weniger leidenschaftliche festgestellt, „die dem schwarmgeistigen Unwesen
mysteriöser Kultgenossenschaften gilt" (S. 11). Die Auftraggeber dieser
Gruppe sucht Fraenger „im Kreis der vorreformatorischen Parteiungen".
Boschs Schaffell erweist sich ihm als „Widerspiel konservativer und reformerischer
Strebungen", erklärbar aus dem Charakter der Zeit, der „in den unausgeglichenen
Spannungen und Lockerungen" bestand (S. II). Fraenger hat sich

nun als Aufgabe gesetzt, den revolutionären Strang auf seine Ursprünge zurückzuführen
. Darum bietet er zunächst ganz knapp „je eine Stichprobe von antiklerikalen
und anti-okkultistischen Motiven". Für erstere wählt er einen Ausschnitt
aus dem „Heuwagen", den er aus Jes. 8 auf die Prophezeiung von
Raubebald, Eilebeute deutet. Kurz und überzeugend weist er nach, wie hier
das Klostervolk als habgierige Raffer dargestellt und karikiert wird. Als antiokkultistisches
Motiv weist er auf die Darstellung der schwarzen Messe aus
den „Versuchungen des hl. Antonius" hin und betont, daß diese Bildmotive
keineswegs erfunden wurden, „sondern bis in die rituellen Einzelheiten genau
verbriefte Wirklichkeiten sind, von einem Todfeind solcher Winkellogen
kennerhaft ans Licht gezerrt und als satirische Trophäen festgehalten" (S. 11 f)-
Diese Gruppe von Triptychen sei nicht als kirchliche Altarbilder denkbar
, auch nicht als Schmuck von Refektorien, wie man neuerdings wollte. Die
Auftraggeber seien also in einer außerkirchlichen Gemeinschaft zu suchen
(S. 13). Diese Werke seien hieroglyphisch, eine „geheime Offenbarung", den
Kirchenchristen unverständlich, „Geheimzeichen" für die Eingeweihten
(S. 14).

Soweit die einleitenden Ausführungen Fraengers, die hier
so ausführlich behandelt werden mußten, um die neue Richtung
, die in diesem Werke eingeschlagen wird, zu kennzeich*
nen. Was Fraenger bis hierher ausgeführt hat, ist einleuchtend
, und mau wird sich der Logik seiner Schlußfolgerungen
ebensowenig entziehen können und dürfen, wie dem bestechenden
Glanz der Formulierungen.

Dann beginnt die eigentliche Besprechung des „Tausendjährigen Reiches
", wie Fraenger, das Ergebnis der Untersuchung vorwegnehmend, die bislang
unter dem Namen „Das Paradies der Lüste" in der Kunstwissenschaft
rangierenden Tafeln umbenennt; und sie beginnt sogleich mit einer verblüffenden
, bisher unbeachteten Erkenntnis, daß nämlich eine durchlaufende Landschaft
die linke Seitentafel, den „Garten Eden", und die Mitteltafel, ein „zweites
Paradies" mit jugendlich nackten Paaren, die sich „ohne Scheu in rätselhaft
vegetativen Liebeskulten" ergehen, eint. Demgegenüber steht, scharf
abgesetzt gegen die Einheit der beiden anderen Tafeln, auf der rechten Seitentafel
die Hölle (S. 16). Diese Tatsache macht es schwer, ja unmöglich, weiterhin
einen Gegensatz zwischen dem Garten Eden und dem zweiten Paradies
der Mitteltafel, so fremdartig es auch anmutet, zu konstruieren, und es will
scheinen, als habe Fraenger hier in glücklichem Ansatz den entscheidenden
Beweis für die Möglichkeit seiner Gesamtinterpretation gefunden.

Die alte Deutung des Triptychon auf die Verwerfung der Sinnlichkeit
wird sehr logisch und einleuchtend verworfen (S. 16 ff.). Von den Außentafeln
her wird dann das ganze Werk glaubhaft unter den „Gedanken des erfüllten
Schöpfungswortes" gestellt (S. 19 f.). Fraenger hält es einem Kult des Adam
gewidmet und führt Pico della Mirandola als Zeugen für die neue Schau des
Urmenschen an.

Im 2. Kapitel werden die Quellen über die „Brüder und Schwestern des
Freien Geistes" zusammengetragen und besonders der Prozeß gegen die Brüsseler
homines intelligentiae Willem van Hildernissen und Aegidius Cantor ausgewertet
. Fraenger holt sehr weit aus: Vom Mazdaismus und der Gnosis, von
Philo und dem Poimandres führt ihn sein Weg über Johannes Scotus Eriugcna
bis zu David Joris. So versucht er eine Ehrenrettung der Sekte des freien
Geistes. Als Wurzeln ihrer Lehre glaubt er feststellen zu dürfen: 1. die Endzeit-
prophetie des Joachim von Fiore, 2. die Apokatastasislehre des Origenes, als
deren Filiationen Eriugenas und Picos Systeme gewertet werden, und 3. die
Eigenschöpfung der Sekte in der Durchführung der Liebe. Diese Linien sind
nur sehr obenhin angedeutet und bedürften der Vertiefung und kritischen
Durchleuchtung. Fraengers Hauptquelle dagegen, das Kamerykcr Protokoll
des erwähnten Prozesses wird ausführlich und sehr geschickt ausgedeutet, wenn
auch gelegentlich etwas voreingenommen, wenn z. B. Sätze, die die sittliche
Höhe der Sekte in zweifelhaftem Lichte erscheinen lassen, als schablonen-
mäßige Übertragungen aus älteren Ketzerprozessen abgetan werden. Die Ausdeutung
einzelner Anklagcpunkte des Protokolls im Sinne sektiererischer K""'
gebrauche ist nicht immer überzeugend, besonders im Fall der Seraphine (S.33)
und des nackt durch die Straßen laufenden Cantor (S. 33 f.).

Im 3. Kapitel (Der dritte Schöpfungstag) wird die unzeitgemäße Eigenart
der Außentafeln sehr gut unter Hinweis auf alehetnistische Spekulationen
und auf Joachim von Fiores Lehre von den drei Weltzcitaltern
herausgearbeitet, die auch als Lehre der Brüder vom Freien Geist aus den'
Kameryker Protokoll nachgewiesen wird. Hinweise auf David Joris und Heinrich
Niclaes schließen ab. Ihre Verkündigung kann aber wohl kaum zur Verdeutlichung
des Bildinhaltes herangezogen werden, da Bosch ja bereits 15>6
starb, als beide noch Knaben waren.

Das 4. Kapitel (Der Garten Eden) bietet Anlaß zu manchem Fragezeichen-
So ist der Satz, daß Christus als Weltschöpfer „von der offiziellen Kirchenkunst
nicht aufgenommen wurde" (S. 48) in dieser Verallgemeinerung objektiv
falsch, denn in der südlichen Kuppel der Vorhalle von San Marco in Venedig
z. B. ist der Schöpfungszyklus dargestellt: In allen Phasen ist Christus als de'
Weltenschöpfer gegeben, wie auf dem von Fraenger angeführten Kupferstich
des Meisters ES trägt er den Kreuznimbus. So sind die Schlüsse, die Fraengcf
aus der Tatsache der Schaffung der Protoplasten durch Christus zieht, zu weit'
gehend. Auch die Heranziehung jeder kleinsten Einzelheit der Komposition*
wie etwa der Richtung der Hügellandschaft im Hintergrund, wirkt gekünstd"
und nicht überzeugend, zumal sie oft stärker zugespitzt werden, als das B"
selbst es an sich hergibt. Die Vision der Mechthild von Magdeburg vollen1"
erscheint hier fehl am Platze, zumal sie klar aussagt, daß die Trinität, und