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Ausgabe:

1948 Nr. 9

Spalte:

537-539

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Blumenkranz, Bernhard

Titel/Untertitel:

Die Judenpredigt Augustins 1948

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 9

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Theologie genauer zu erfassen; das Deuteronomium erscheint
danach als in den Traditionen der altisraelitischen Lade-
amphiktyonle verwurzelt, während für die priesterschriftliche
Zeltüberlieferung — mit Recht sehr zurückhaltend — an speziell
südisraelitisch - judäische Herkunft gedacht wird. Besonders
anregend ist der vierte Abschnitt über die Rolle des
..heiligen Krieges" im Dtn. Zunächst werden in meisterhafter
Kürze die Elemente der Ideologie des „heiligen Krieges" im
Alten Testament vorgeführt, und dann wird gezeigt, wie diese
Ideologie im Dtn. — im bemerkenswerten Unterschied vom
Heiligkeitsgesetz oder der Priesterschrift — eine wesentliche
Rolle spielt und in den Kriegsgesetzen und in den vor allem
im Rahmenwerk des Gesetzes enthaltenen Kriegsansprachen
(Dtn. 7, 16—26; 9, 1—6; 31, 3—8), aber auch in allerlei über
das ganze Dtn. verstreuten 'Einzelhinweisen in Erscheinung
tritt. Die beiden folgenden Abschnitte, den Lesern der ThLZ
im Wortlaut schon bekannt, formulieren das Ergebnis der angestellten
Untersuchungen dahin, daß die eigenartige und einmalige
Verbindung von priesterlichem und kriegerischem
Geist im Dtn. auf die Kreise der freien bäuerlichen judäischen
Landbevölkerung (im Gegensatz zur Hauptstadt Jerusalem)
hinweise, die im 7. Jahrhundert im Anschluß an die alten
Ordnungen des „heiligen Krieges" wiederum zur Trägerin der
kriegerischen Kraft wurde und zugleich noch etwas von den
alten amphiktyonischen kultischen Überlieferungen wußte,
und daß die Sprecher dieser Bevölkerung, in deren Bereich das
Dtn. ausgearbeitet wurde, die „Landleviten" waren, die allerdings
dem rein kultischen Gebiete schon „entwachsen" waren,
während das Prophetische im Dtn. nur als eine zeitbedingte,
selbstverständliche Ausdrucksform zu betrachten ist. Das AnHegen
des Dtn. aber war, Israel als „Volk Gottes" noch einmal
an einen Anfang zu stellen, so, als ob es noch einmal am
Gottesberg Horeb stände, um die verheißenen göttlichen Segnungen
von neuem entgegenzunehmen.

Angefügt ist noch eine Erörterung der „deuteronomisti-
schen Geschichtstheologie in den Königsbüchern". Hier wird
gezeigt, wie für den deuteronomistischen Geschichtsschreiber
die Geschichte Israels und Judas nichts anderes war „als Geschichte
gewordener Jahwe-Wille und Geschichte gewordenes
Jahwe-Wort", im einzelnen vielfältig durchsetzt mit gott-
üchen Weissagungen und Erfüllungen, im ganzen aber bestimmt
einerseits durch das deutcronomische Gesetz und den
fast allen Königen geineinsamen Ungehorsam gegenüber
diesem Gesetz, andrerseits — und darin weicht Dtr. vom
deuteronomischen Gesetz ab — durch die dem David und
seinem Hause gegebene Nathan-Weissagung 2. Sam. 7, die das
Verdiente Gericht über den Staat Juda lange hintangehalten
*at und dem andeutenden Schluß des Werkes in 2. Kön. 25,
27—30 die Bedeutung eines Hinweises in die Zukunft gibt.

Die Ausführungen des Verf .s, gründlich überlegt, wohl begründet
und stets auf das Wesentliche konzentriert, sind nicht
"ur durchweg diskutabel, sondern in den meisten Punkten
°line weiteres überzeugend. Nur der priesterlich-kultische
Einschlag im Deuteronomium scheint mir überschätzt. Spe-
Bfeües Priesterwissen und Priesterinteresse, an dem man nicht
gflgemdn im israelitischen Stämmeverband hätte teilhaben
können und müssen, wüßte ich im Dtn. kaum zu finden, und
5° scheint mir auch die Herkunft des Dtn. aus dem Kreise der
Landleviten noch nicht gesichert, ganz abgesehen davon, daß
diese Landleviten durch das, was der Verf. S. 47 über sie sagt,
zu einer einigermaßen problematischen Größe zu werden
scheinen. Damit aber bliebe die Frage nach dem Verfasser
^ Dtn. schließlich doch noch unbeantwortet. Vielleicht ist
?>e Frage überhaupt nicht mehr zu beantworten, und vielleicht
lst ihre Beantwortung letztlich auch gar nicht so wesentlich
gegenüber der Ermittlung des „Geistes" des Dtn. und semer
Verwurzelung im Ganzen des alttestamentlichen Glaubens.
*ttt die letztere aber bedeutet die vorliegende Schrift eine ganz
wesentliche Förderung.

Bonn Martin Noth

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

B,u menkran z, Bernhard: Die Judenpredigt Augustins. Ein Beitrag zur

^schichte der jüdisch-christlichen Beziehungen in den ersten Jahrhun-
dcrten. Basel: Helbing <S Lichtenhahn 1946. XVI, 218 S., 1 Taf. gr. 8« =
Basier Beitrüge zur Geschichtswissenschaft Bd. 25.
, . Aus den letzten Lebensiahren Augustins ist uns ein „trae-
g*U« adversus Iudaeos" überliefert (ed. Maur. VIII, 25 ff.;
S»8ne XLII 51 ff.), der trotz bescheidenen Umfangs in der
£ aren, übersichtlichen Anordnung der Argumente als ein
«'eines Kompendium der einschlägigen Anschauungen Augurs
und damit der ganzen altlateinischen Kirche betrachtet

werden kann. Es war ein glücklicher Gedanke, diese Predigt
einmal für sich, wo nicht neuherauszugeben — das ließen die
Kriegsverhältnisse leider nicht zu —, so doch nach allen
Seiten hin zu untersuchen, zu kommentieren und in den Zusammenhang
der christlich-jüdischen Auseinandersetzung hineinzustellen
. Auf Anregung von Harald Fuchs in Basel hat
sich ein aus Deutschland geflüchteter Student und junger Gelehrter
an diese Arbeit gemacht, und der Fleiß, die Gewissenhaftigkeit
und methodische Sorgfalt, mit der er sie durchgeführt
hat, machen ihm und seiner Schule Ehre.

Wir erhalten außer einer wohlerwogenen Darstellung von
Augustins allgemeinem Verhältnis zum Judentum und der
Lage des christlich-jüdischen Religionsgesprächs seiner Zeit
und außer einer guten neuen Ubersetzung des Traktatus auch
eine referierende Ubersicht über die antijüdischen Schriften
der lateinischen „Vorläufer" und eine Besprechung der einzelnen
, von Augustiu entwickelten Argumente, erläutert durch
zahlreiche Parallelen aus seinen sonstigen Schriften und denen
älterer Väter, zum mindesten soweit sie sich ausdrücklich
über das Judentum geäußert haben. Dessen Selbstverteidigung
wird nicht vergessen und bei den einzelnen Anklagen
und angeblichen Beweisstücken nach Möglichkeit mit berücksichtigt
. Zuletzt werden noch die äußeren mit dem Traktatus
zusammenhängenden Fragen beantwortet. Der Verf.
weist nach, daß es sich zweifellos um eine wirkliche, wenn auch
vielleicht für die Veröffentlichung leicht überarbeitete Predigt
handelt, und erschüttert die bisher übliche, durchaus willkürliche
Datierung auf das Jahr 428/29. Freilich ist auch sein
eigener, vorsichtigerer Ansatz auf die Zeit nach 425
nicht völlig gewiß. Er stützt sich nämlich nur darauf, daß
ein auch sonst beim alten Augustin wiederholt begegnender
Gesichtspunkt des Traktatus (— die Juden wurden dazu in alle
Winde zerstreut, daß sie mit ihrer Bibel als Feinde der Christen
doch für das Christentum Zeugnis ablegen sollten —) vor
diesem Jahr noch nirgends nachweisbar ist. Es handelt sich
hierbei im übrigen um den einzigen neuen Gedanken, den
Augustin von sich aus zur antijüdischen Auseinandersetzung
beisteuert. Sonst steht sein Traktatus wie die gesamte apologetisch
-polemische Literatur dieser Art durchaus im Zeichen
des zähen, von Generation zu Generation forterbenden Traditionalismus
in der Auswahl und weithin auch in der Gruppierung
und Verwertung des überlieferten Stoffs.

Wir dürfen für das, was uns der Verf. geboten hat, gerade
heute dankbar sein. Sein Buch wird für jeden, der sich mit
den Fragen des Judentums und der alten Kirche beschäftigt,
ein ebenso bequemes wie zuverlässiges Hilfsmittel bleiben!
Aber wir dürfen doch nicht verhehlen, daß uns die Aufgabe
so, wie er sie angefaßt hat, nur zur Hälfte oder nicht
einmal zur Hälfte gelöst erscheint. Die Untersuchung bleibt
in den Bereichen der niederen Philologie und Kritik stecken
und hat die größere geistesgeschichtliche Aufgabe, die ihr
Augustin und die alte Kirche stellten, kaum gestreift. Der
Verf., der die „Intoleranz" und die „unlauteren" Kampfmittel
Augustins und der Kirchenväter verabscheut und selbst unbedingt
objektiv bleiben möchte, interessiert sich in erster
Linie für die moralisch-kirchenpolitische Seite des Problems.
Er betont, wie feindselig, gefährlich und in unzähligen Einzelheiten
ungerecht die Haltung der Kirche dem Judentum
gegenüber gewesen sei. Fehlte es auch „an Gelegenheit zu
praktisch betätigtem Judenhaß, so gab doch Augustin genügend
Beweise seiner theoretischen Judenfeindschaft". Aber
den Wurzeln dieser „Judenfeindschaft", dem, was die „anti-
jüdische" Polemik vor allen Dingen für die Kirche bedeutete,
ist er nicht nachgegangen. Er betont durchaus mit Recht, daß
sich der Schwerpunkt ihrer Argumentation jeweils verschiebt,
wenn sie sich mit ihren Darlegungen an Gläubige, Ketzer oder
an die Juden wendet; aber die Kirche ringt in diesen Auseinandersetzungen
nicht nur mit einzelnen Gruppen und deren
„Konkurrenz", sondern auch mit sich selber. Es geht bei ihrer
Stellung zum Judentum und zum Alten Testament um die
entscheidende theologische Rechtfertigung ihrer Existenz, um
die letzte Begründung ihres geschichtlichen Ursprungs, ihres
kirchlichen Rechtes und ihres religiösen Sinns. Darum
kämpfen die Väter ihren Kampf um das Judentum, nicht nur
gegen das Judentum nach allen Seiten hin mit solcher Leidenschaft
und menschlich oft ungerechten Vehemenz, wie sie
eben bei entscheidenden dogmatischen Gegensätzen in der
Kirche (und wohl auch in der Synagoge, die der Verf. hier
gerne entlasten würde) leider wohl immer zum Vorschein gekommen
ist. Immerhin zeigt gerade Augustin und der Schluß
seines Traktatus, daß die Pflicht zur Liebe und Geduld darum
nicht einfach vergessen werden mußte und auch nicht vergessen
worden ist. Aber diese moralische Seite der Frage läßt
sich schließlich auch nur im Zusammenhang der theologi-