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Ausgabe:

1948 Nr. 9

Spalte:

529-534

Autor/Hrsg.:

Eissfeldt, Otto

Titel/Untertitel:

Zur Überlieferungsgeschichte der Prophetenbücher des Alten Testaments 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 9

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einem Grade zu verdienen . . . wenn wir ehrenhaft sind, empfinden wir es als
"ne geistliche Unmöglichkeit, diese teuere Vergebung als eine einfache Gabe
*illig anzunehmen, bis wir bewußt jeden Anspruch aufgeben, uns selbst
hinfort als unser eigen zu betrachten.

Dieselbe Sache wird in feierlicherer Sprache von Richard
Hooker ausgesprochen:

Wir lehren, sagt er, daß der Glaube allein gerecht macht, aber wir haben
m't dieser Rede niemals Hoffnung und Liebe auszuschließen gemeint, daß sie
mit dem Olauben nicht untrennbare Genossen sein sollten in dem gerechtfertigten
Menschen; daß nicht die Werke als notwendige Pflichten hinzukommen
müßten und bei jedem gerechtfertigten Menschen gefunden werden
Wüßten: aber, das meinten wir zu zeigen, daß der Glaube die einzige Hand ist,
mit der wir Christus zu unserer Rechtfertigung berühren können; daß Christus
das einzige Gewand ist, das, auf diese Weise angelegt, bedeckt die Scham
Unserer verderbten Natur, verbirgt die Unvollendethcitcn unserer Werke, bewahrt
uns tadelfrei vor dem Auge Gottes, vor dem sonst die ganze Schwäche
unseres Glaubens Grund genug wäre, uns schuldig zu machen, ja uns ausschließen
von dem Himmelreich, wo nichts eintreten kann, das nicht unbedingt
rein Ist.

III.

Zum zweiten muß festgestellt werden, daß, wenn auch
»Glaube" einen gewiß intellektuellen Inhalt hat, insofern es
sich um den Glauben an das erlösende Werk Christi auf Golgatha
handelt, das Wort doch wesentlich ein persönliches Vertrauen
zu einem persönlichen Heiland bezeichnet und nicht
«■ine bloße Annahme eines Glaubensbekenntnisses oder einer
Hoffnung ist. Die formale protestantische Theologie vollzog
sich noch in relativ unpersönlichen Begriffen wie Schuld und
Verdienst und Opfer, aber im Herzen war es eine neue persönliche
Beziehung zu Gott durch Christus. Dieser protestantische
Gebrauch des Begriffes Glauben, um persönliches Vertrauen
auf eine Person auszudrücken, hat volle neutestament-
Jjche Begründung, ist aber eine der vielen Quellen des Miß-
Verständnisses zwischen Protestanten und Romanisten; denn
'etztere meinen gewöhnlich mit Glauben eine Kraft des Verstandes
, durch die wir die Wahrheiten unserer Religion
glauben. Diese Kraft an sich und ohne Liebe, sagen sie, ist
Von wenig Wert; in ihrer Theologie sprechen sie deshalb viel
Von der Liebe zu Gott. In der Terminologie der Protestanten
•«f der anderen Seite ist Liebe im Glauben eingeschlossen, den
Luther einst den „Trauring" nannte, der die Seele mit Christus
Vereint. Die Tatsache, daß Romanisten und Protestanten verschiedene
Begriffe gebrauchen, bedeutet nicht notwendig, daß
'hre Auffassung unseres Herrn verschieden ist. Aber dieses
Ernstnehmen persönlicher Vergebung und der Rechtfertigung
jnirch persönliches Vertrauen allein ohne Werke ist typisch
*ür den Protestantismus, weil es, sei es mit Recht oder mit
Unrecht, zum Ausgangspunkt der kirchlichen Theologie gedacht
wurde.

IV.

Drittens kommen wir in den oben zitierten Sätzen auf die
Verwirrende Redewendung von der „angerechneten Gerechtigkeit
" Christi; das heißt, Christi Gerechtigkeit wird als uns
gegeben erklärt, da Christus, wie Richard Hooker es gemäß
8t Paulus ausdrückt, für uns zur Sünde gemacht wurde, da-
""t wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
**«8 ist eine Lehre, die leicht falsch dargestellt und falsch verstanden
werden kann. Wir können vor Gott erscheinen, weil
Wlr „in Christus" sind; er ist unser Repräsentant, das Haupt der
«tuen Menschheit, die er erlöst hat; er, darüberhinaus, ist das
*ahre Leben der Kirche; wir sind gerettet, weil Christus für uns
"11(l in uns ist. In älteren Formen wurde die Idee, während wir
a"«chmen können, daß die Bedeutung dieselbe war, in irgendwie
""persönlichen Begriffen ausgedrückt, als ob Christus uns
fettete durch Annahme unserer menschlichen Natur oder
^"reh Darbringung seiner selbst als Opfer für uns oder durch
Wirken auf unsere Natur durch die Sakramente. In der neuen
form könnte es so scheinen, als sei die Meinung die, daß
^ott behauptet, wir seien nicht, was wir sind. Es gibt also
^denken gegen alle diese Ausdrucks weisen, aber alle sagen
u'e Tatsache aus, daß wir errettet sind, weil wir vereint sind

mit Christus und so Christus unser wirkliches Leben wird.
Das wurde klassisch durch einen schottischen Episkopalisten
des 17. Jahrhunderts, Henry Scougal, ausgedrückt: „Wahre
Religion ist eine Vereinigung der Seele mit Gott, ein wirkliches
Teilnehmen an der göttlichen Natur, die Aufprägung
der Gottebenbildlichkeit auf die Seele; oder in des Apostels
Worten, es ist Christus, der Gestalt gewinnt in uns. Kurz, ich
weiß nicht, wie das Wesen der Religion umfassender ausgedrückt
werden kann, als indem man sie ein göttliches Leben
nennt".

In diesem Aufsatz wurde die Erlösung mehr als ein gegenwärtiger
Besitz, denn als eine zukünftige Seligkeit beschrieben;
und das entspricht der leidenschaftlichen Erfahrung, daß wir
schon Vergebung erlangt haben, schon vom Tod zum Leben
übergegangen sind; das Reich Gottes ist hier. Aber das führte
nicht dazu, die Hoffnung auf ewiges Leben zu vergessen. Der
oben von John Bunyan zitierte Satz heißt weiter:

Und als ich so in tiefem Sinnen war, kam auch jenes Schriftwort mit großer
Kraft in meinen Geist; nicht durch die Werke der Gerechtigkeit, die wir getan
haben, sondern nach seiner Gnade hat er uns errettet, usw. Nun war ich
hoch erhoben, ich sah mich selbst in den Armen von Gnade und Barmherzigkeit
; und, obwohl ich vorher vor dem Gedanken an die Sterbestunde erschrocken
war, so schrie ich jetzt: „Laß mich sterben"; nun schien mir der
Tod lieblich und schön zu sein, denn Ich sah, wir werden nie wirklich leben,
bis wir in die andere Welt eingegangen sind. O, mir ist dies Leben nur ein
Schlummer im Vergleich zu dem oben. Nun sah ich auch mehr in diesen Worten
„Erben Gottes", als ich jemals Imstande sein werde auszudrücken, solange
ich in dieser Welt lebe: Erben Gottes! Gott selbst ist der Anteil der Heiligen.
Dies sah und bewunderte ich, aber ich kann euch nicht sagen, was ich sah.

Also die gegenwärtige Erfahrung einer freudvollen Errettung
und volle Glaubensgewißheit sind die Unterscheidungsmerkmale
dieser Art Frömmigkeit. Immerhin dürfen wir nicht
annehmen, daß diese Glückseligkeit und Freude selbst bei den
größten Heiligen unverdunkelt wären. Ich schließe mit einem
letzten Zitat von John Bunyan; er war in niedergedrückter
Stimmung und krank gewesen und konnte seine Seele sich
nicht zur Gnade und dem Leben durch Christus bewegen oder
regen fühlen:

Nachdem ich drei oder vier Tage in dieser Verfassung gewesen war, als ich
beim Feuer saß, hörte ich plötzlich in meinem Herzen dieses Wort klingen: „Ich
muß zu Jesus gehen". Daraufhin floh meine vorherige Dunkelheit und Gottferne
hinweg und die gesegneten Dinge des Himmels kamen mir zu Gesicht.
Als ich so plötzlich mit Überraschung übereilt wurde, sagte ich: Weib, gibt es
ein Wort in der Schrift: „Ich muß zu Jesus gehen"? Sie antwortete, sie könnte
es nicht sagen; deswegen blieb ich grübelnd still und überlegte, ob ich mich
solch einer Stelle erinnerte. Ich hatte nicht mehr als zwei oder drei Minuten
gesessen, da schoß es mir durch den Kopf: „Und zu einer unzählbaren Menge
von Engeln"; und mit einem Mal stand mir das 12. Kapitel des Hebräerbriefes
vom Berge Zion vor Augen. Da sagte ich voll Freude zu meinem Weibe: „O
jetzt weiß ich's, jetzt weiß ich'sl" Und diese Nacht war eine so gute Nacht
für mich, wie ich sie niemals irgendwie besser hatte; ich sehnte mich nach der
Gesellschaft einiger Gotteskinder, daß ich ihnen hätte mitteilen können, was
Gott mir gezeigt hatte. Christus war für meine Seele In jener Nacht ein kost-
barerChristus; ich konnte kaum im Bett liegen bleiben vor Freude und Friede und
Triumph durch Christus. Diese große Herrlichkeit blieb nicht auf mir bis zum
Morgen, jedoch das 12. Kapitel des Hebräerbriefes, Hebr. 12, 22 f, war
manche Tage später für mich seitdem eine gesegnete Schriftstelle.

Was ist nun das Ergebnis der Untersuchung ? Es ist,
denke ich, ein zweifaches. Zum ersten, wenn wir glauben, daß
wir durch Christus erlöst sind, müssen wir uns klar machen,
daß wir nur begonnen haben, in das Verständnis und in die
Erfahrung jener Erlösung einzudringen, welche eben in dieser
Welt für die zugänglich ist, die Gott lieben von ganzem
Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen
ihren Kräften. Zum zweiten wird es hoffentlich deutlich geworden
sein, daß keine einzelne menschliche Theorie zureicht,
zu erklären oder gar zu enthüllen das Wunder der Gnade
Gottes für uns in unserem Herrn Jesus Christus. Wir können
nur „mit allen Heiligen" und mit allen Theologien erfassen
„die Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe und
erkennen die Liebe Christi, die doch alle Erkenntnis übersteigt
".

Zur Uberlieferungsgeschiehte der Prophetenbücher des Alien Testaments

Von Otto Eißf eldt, Halle/Saale

r In der Erkenntnis, daß die gegenwärtig in den nordischen
^ändern besonders lebhaft geführte Erörterung über die Tra-
uitio.w.r,,....!,,i„c Aitf-n Testaments mehr und mehr Oesetzen
, hält Sigmund Mowinckel, der weltweit bekannte
norwegische Alttestamentier und Orientalist, es für dringend
geboten, daß die traditionsgeschichtliche Arbeit am Alten
Testament sich in methodischer Überlegung einmal auf ihr
Wesen, ihr Ziel und ihre Grenze besinnt, und gibt mit seinem
Buche „Prophetie und Tradition. Die Prophetischen Bücher