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Ausgabe:

1948 Nr. 9

Spalte:

523-526

Autor/Hrsg.:

Nygren, Anders

Titel/Untertitel:

Die Grundlage der Ökumenizität nach lutherischem Verständnis 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 9

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und weiß alle Dinge. Er weiß auch — und er allein weiß es,
worauf er mit allem rechten Dienst seiner Kirche in dieser
Welt hinaus will.

Wohl sind wir jetzt müde geworden von der Menge
unserer eigenen Wege; wohl haben wir allen Grund, an unserm
eigenen Vermögen zu zweifeln und zu verzweifeln. Aber gerade
so werden wir aufs neue gerufen, in der getrosten Verzweiflung

des Glaubens die großen Taten Gottes zu verkündigen und
das christliche Zeugnis in der Welt hörbar und sichtbar werden
zu lassen. — Deshalb ringen und beten wir miteinander und
füreinander darum, daß Gott uns durch seinen heiligen Geist
dahin führe, daß wir sein Zeugnis für die Welt, daß wir die
Botschaft vom Kreuze Christi und damit von dem lebendigen
Herrn recht hören und recht ausrichten mögen!

Die Grundlage der ökumenizität nach lutherischem Verständnis

Von Anders Nygren, Lund

heit ist e^was, was schon da ist, trotz aller Verschiedenheiten
und in allen Verschiedenheiten. Die Einheit, die wir suchen,
ist keine äußere Union, sondern diese innere Einheit, und die
ist uns schon gegeben. Wir begegnen einander als Glieder in
einem und demselben Leib, im Corpus Christi. Gott hat uns
allen ein und dasselbe Evangelium gegeben: „Ein Leib und
Ein Geist, Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und
Vater unser aller" (Eph. 4, 4—6). In dieser schon vorhandenen
Einheit liegt die Verheißung aller ökumenischen Arbeit.
Ohne diese Einheit würde sie nur eine äußere menschliche
Organisation sein.

Wenn diese Einheit aber schon vorhanden ist, was sind
dann die Konfessionen? Wenn die Kirche Christi eine ist,
warum ist sie denn in verschiedene Denominationen geteilt?
Antwort: Wir haben alle ein und dasselbe Evangelium, aber
wir haben es nicht alle auf ein und dieselbe Weise verstanden.
Aber es ist nicht gleichgültig, wie wir das Evangelium verstehen
. Nur wenn wir unsere gegenseitigen konfessionellen Angelegenheiten
ernst nehmen, nehmen wir das Evangelium ernst.
Die eine Konfession bedeutet eine Frage an die andere, ob sie
wirklich das Evangelium in seinem tiefsten Sinn und in seinem
vollen Gehalt verstanden hat. Durch die verschiedenen Kirchen
der Gegenwart geht ein neuer Eifer, den Sinn des Evangeliums
zu verstehen, und dies ist vielleicht das Hoffnungsvollste
im Christentum von heute. Aber darum sind auch die
konfessionellen Fragen — wie das Evangelium wirklich verstanden
werden soll — auf eine neue Weise in den Vordergrund
gekommen. Dies ist nichts, worüber wir zu trauern brauchen,
und es bedeutet keine Gefahr für die Einheit der Christenheit,
sondern ist im Gegenteil eine Hilfe, zu einer tieferen Einheit
durchzudringen. Während der kommenden Dezennien dürfe»
wir ein erneutes Gespräch zwischen den verschiedenen Konfessionen
erleben, aber nicht um miteinander zu rechten, sondern
um einander zu helfen, tiefer in das Evangelium einzudringen
.

Hier — in der Sammlung um das Evangelium und dessen
richtiges Verständnis — ist nach lutherischer Auffassung die
rechte Grundlage für das ökumenische Einheitswerk gegeben-
Gerade weil die lutherische Kirche ihr Zentrum im Evangelium
hat, bekennt sie sich zum ökumenischen Gedanken, verlangt
aber gleichzeitig, daß dieser vom Evangelium aus orientiert
werden soll.

Sonst gibt es viele verschiedene Weisen, sich dem ökumenischen
Problem zu nähern.

Durch die lutherische Welt geht gegenwärtig ein starker
Wille zur Einheit. Wohin man auch seine Blicke wendet, erhält
man neue Beweise für diese Tatsache. In Deutschland,
in Indien, in Amerika — überall findet man unter den Lutheranern
denselben Willen, zusammenzustehen. Man fühlt die
Zusammengehörigkeit. Die lutherischen Kirchen in der ganzen
Welt sind sich bewußt geworden, daß sie eine wirkliche Botschaft
haben, für deren Verkündigung sie gemeinsam verantwortlich
sind.

Von ökumenischer Seite hat man bisweilen dieses neu"
erwachte lutherische Bewußtsein und dieses lutherische Einheitswerk
mit Bedenken wahrgenommen: werden nicht dadurch
neue Schwierigkeiten für das noch umfassendere ökumenische
Einheitswerk erstehen ? Solange die lutherischen Kirchen
jede ihren Weg gingen, ohne das Bewußtsein einer besonderen
Aufgabe, scheint es, als ob es leichter wäre, sie in
eine die ganze Christenheit umfassende Weltbewegung mit
hineinzuziehen. Nun aber, wo sie sich erst ihrer Eigenart
bewußt geworden sind und sich zu einer Einheit zusammengeschlossen
haben — besteht dann nicht die Gefahr, daß das
vereinte Luthertum einen Block ausmache, der den Weg zum
ökumenischen Zusammenwirken versperren wird ? Handelt es
sich hier nicht um einen heranwachsenden Konfessionalismus,
der prinzipiell unvereinbar mit dem ökumenischen Gedanken
ist ?

Von vornherein mag hier gesagt werden, daß diese Bedenken
völlig unbegründet sind. Es könnten wirkliche Gefahren
sein — wenn das Luthertum etwas anderes wäre als es
ist, und wenn das Ökumenische etwas anderes wäre als es ist.

In einem früheren Stadium hat man sich bisweilen die
ökumenische Zusammenarbeit so vorgestellt, als ob die verschiedenen
Kirchen sich sozusagen auf halbem Weg begegnen
sollten. Wenn sie in gewisser Hinsicht verschiedene Uberzeugungen
haben, muß jeder das für den anderen Part Unannehmbarste
aufgeben. Jeder muß etwas aufgeben, damit man
zu einem für alle gemeinsamen Ergebnis kommen kann. Es
ist offenbar, daß ein kräftigeres konfessionelles Bewußtsein eine
Gefahr für eine so aufgefaßte Okumenik bedeuten muß. Denn
wo eine Kirche sich ihrer Eigenart bewußt wird und daß sie eine
Botschaft wirklich zu verkündigen hat, ist sie nicht geneigt
zu schachern und zu verhandeln.

Aber nun ist dies ja nur ein Zerrbild vom Ökumenischen.
Durch gegenseitiges Nachgeben werden wir nie und nimmer
zur Einigung der Christenheit kommen. Das einzige, was man
auf diesem Wege gewinnen kann, ist ein synkretistisches Gebilde
ohne Wahrheit und ohne Kraft. Vor einer solchen Oku-
menizität bitten wir als Christen, bewahrt zu werden. Ebenso
wie wir Lutheraner nichts von der uns gegebenen und von uns
erkannten Wahrheit aufgeben können, so hoffen wir dasselbe
von den anderen christlichen Kirchen. Wir verfügen nicht über
die Wahrheit, sondern sind an die Wahrheit gebunden.

Dies bedeutet aber nicht, daß das Konfessionelle gegen
das Christliche ausgespielt werden könnte. Hiermit kommen wir
zu der anderen falschen Voraussetzung, die man oft gemacht
hat, wenn man das Luthertum als eine Gefahr für das Ökumenische
betrachtet hat: man hat das Luthertum anders aufgefaßt
als es ist. Luther wollte nicht eine neue Kirche gründen.
Er wollte der einen, von den Tagen Christi und der Apostel
schon bestehenden Kirche Christi das Evangelium, das getrübt
war in seiner Reinheit wiedergeben. Mit dem dritten Glaubensartikel
bekennen wir: ,,Ich glaube an eine heilige allgemeine
christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen". Die Einheit
der Kirche ist nicht etwas, was wir schaffen sollen. Sie ist
schon da — in Jesus Christus, unserem Herrn. Er ist das
Haupt seiner Kirche, und die Kirche ist sein Leib. Die Kirche
Christi ist nicht in einer einzelnen Kirchengemeinschaft da,
sondern sie ist über die ganze Welt, über die ganze Ökumene
verbreitet. In allen Einzelkirchen sind die Glieder Christi, und
deshalb gehören sie innerlich zusammen. Die christliche Ein-

Etliche meinen: Die Hauptsache ist, daß die Kirchen <m
praktischem Zusammenwirken kommen; wenn sie sich uicW
in Glaube und Lehre einigen können, so können sie sich wenig'
stens in einem sozialen und politischen Handlungsprogramm
vereinigen. Die lutherische Kirche antwortet: dies ist nie»1
der Weg zu christlicher Einheit. Die Erfahrung zeigt aiicli.
daß es gerade der Weg zur Splitterung ist, wenn man die Einheit
an solch einen Punkt verlegen will, wo es Einheitlichken
weder gibt noch geben soll.

Andere meinen: Die Hauptsache ist, daß die verschiedenen
Kirchen auf dieselbe Weise aufgebaut sind und daß in ihnen
gleichartige Ordnungen herrschen. Aber hier zeigt es sie»
wiederum, welches Risiko damit verbunden ist, die Einhei
an einen Punkt verlegen zu wollen, wo sie nicht hingehört,
sondern wo Raum für Verschiedenheiten gelassen werden sol •
Der eine meint, daß die Kirche nach episkopalem Muster am'
gebaut sein müsse, der andere meint, daß die episkopale 0ra
nung in der Kirche gerade vermieden werden müsse und.da
die einzige legitime Kirchenform die kongregationalistiscli
sei; ein dritter befürwortet noch eine andere Kirchenform. y
soll man auf diese Weise zur Einheit gelangen ? Von ht»
rischer Seite antworten wir: „Dieses ist genug zu wahrer EimjJ
keit der christlichen Kirchen, daß da einträchtig nach reine
Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakramente de
göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und ist nie