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Ausgabe:

1948 Nr. 1

Spalte:

38-39

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Heidler, Fritz

Titel/Untertitel:

Christi Gegenwart beim Abendmahl 1948

Rezensent:

Weber, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 1

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Testament ist eine der besten zeitgenössischen Untersuchungen.
Das wird auch der dankbar einräumen, der in wesentlichen
Einzelheiten abweichend urteilt und die inzwischen erschienenen
Arbeiten von E. Gaugier oder E. Schweizer für in
manchen Punkten zutreffender hält. Beachtlich ist die Weise,
wie Sasse auch die heute so stark betonte eschatologische Bedeutung
des Mahles in sein Gesamtbild einordnet. Der temperamentvollen
Abwehr der auch heute noch vertretenen symbolischen
Deutung des Mahles wird auch der Schüler Calvins
nicht widersprechen. Dagegen wird die Kontroverse über den
Realismus des Abendmahlsverständnisses und über die Interpretation
der praedicatio identica auch durch Sasses Ausführungen
nicht beendet, m. E. selbst dann nicht, wenn alle
seine exegetischen Ausführungen richtig sind.

Es ist — um sogleich einen weiteren Beitrag Sasses zu erwähnen
— angesichts der Gesprächslage sicher richtig, wenn
Sasse sich nicht bei einer Wiederholung der Marburger
Situation aufhält, sondern sich weit mehr mit Calvin als mit
Zwingli beschäftigt. In dem Aufsatz ,,Die Lehrentscheidung
der Konkordienformel" erscheint Calvin als derjenige, der mit
seiner Lehre das Einheitsband unter den streitenden Gruppen
herstellen wollte, aber doch in der Sache bei dem späteren
Zwinglianismus und nicht bei Luther stand. Die Lehre Calvins
wird nicht ohne Wärme und mit offenkundigem Willen
zur Sachlichkeit dargestellt; die Darstellung leidet jedoch vor
allem daran, daß die Bedeutung des Heiligen Geistes bei Calvin
zu einer „Hilfshypothese vom Heiligen Geist" herabgedrückt
wird (S. 164) : das ist, wenn man die Abendmahls-
lehre Calvins im Rahmen seiner Gesamtanschauung betrachtet,
ein schweres Mißverständnis. Es kann durchaus sein, daß
die Pneumatologie sich eines Tages als der eigentliche Kontroverspunkt
zwischen lutherischer und reformierter Lehre herausstellt
. Sehr beachtenswert erscheint es aber, daß in diesem
ganzen Sammelwerk die Verklammerung von Abendmahlslehre
und Christologie nur wenig zur Sprache kommt und die
Ubiquitätslehre nur gelegentlich berührt wird. Das entspricht
der Auffassung Luthers, die E. Sommerlath mit großer Wärme
darlegt, und ist m. E. eine Stärke des Buches. Trotzdem erscheint
die Abendmahlslehre natürlich als Teil eines Ganzen.
Das Gesamturteil bleibt, wenig abgewandelt, das von Marburg:
„Hier steht wirklich Glaube gegen Glaube" (S. 188). Aber ist
es wirklich richtig, dem abgelehnten „Glauben" nun (S. 190)
den ganzen Neuprotestantismus zur Last zu legen und ihn mit
dem wirklich nicht annehmbaren Satze zu kennzeichnen:
„Dieser Charakter des Gnadennlittels fehlt dem Sakrament
der reformierten Kirche" (S. 191) ? Sollte hier nicht eine Vereinfachung
zugrunde liegen, die das Gespräch der Kirchen unnötig
erschweren muß ?

Das Gespräch! Die bewegte Frage, mit der man an dieses
gewichtige Werk herantritt, ist die, ob das Gespräch überhaupt
möglich sei. Leider erfährt man in dieser Hinsicht wenig
Ermutigung. Bizers Frage, ob nicht die Wittenberger Kon-
kordie den Ansatzpunkt bieten könne, wird (S. 157, Anm. 2)
dahin beantwortet, „daß für die Abendmahlsgemeinschaft
heute genau dieselben Bedingungen gelten wie 1536, daß aber
die Formulierungen der Konkordie nur dann ausreichen,
wenn sie gegen Mißbrauch und Mißdeutungen geschützt
werden". Die Konkordie reicht, heißt es weiter, „nicht aus",
weil sie naturgemäß auf Calvin nicht Bezug nimmt. Ahnlich
Hopf, nach einer dankenswerten Übersicht über die Geschichte
des Problems der Abendmalilsgemeinschaft in der
lutherischen Theologie: es sei „allein die Frage, ob heute etwa
reformierte Theologen bereit sind, im Namen ihrer Kirche
die alten Irrlehren zu verwerfen und einzustimmen in das Bekenntnis
zur Gegenwart des Leibes und Blutes Christi unter
dem Brot und Wein" (S. 252!.). Nun wird man, namentlich
im Blick auf neuere Schweizer Arbeiten, wohl sagen dürfen,
daß innerhalb der reformierten Kirche eine kräftige Selbstkritik
auch hinsichtlich der Abendmahlslehre im Gange ist.
Unser Buch enthält zwar beachtenswerte kritische Bemerkungen
zur Abendmahlspraxis (darunter die erstaunliche Forde-
ri«ig E. Strassers, das Abendmahl „nicht zu häufig" zu
halten, S. 202!), aber nicht ein Wort der dogmatischen Selbstkritik
. Sollte dazu gar kein Anlaß sein ?

Die sehr ausgiebigen und fruchtbaren Erörterungen zur
Abendmahlspraxis — in der Geschichte, darüber E. Strasser,
und in der Gegenwart, darüber Th. Knolle, dazu auch der Aufsatz
über den'Altar von H. Preuß — bieten wertvolles historisches
Material, zeigen aber in der Sache, wie weit man bei
gleicher dogmatischer Grundhaltung praktisch auseinandergehen
kann. Knolle scheint mir das, worauf es Luther ankam,
am sichersten zu treffen, auch in seiner Ablehnung jedes Zu-
rückgeliens hinter die Deutsche Messe (S. 283) oder des Rückgriffs
auf „urchristliche, römische und östliche Liturgien"

(S. 291). Ob dagegen Luther mit dem Satz von H. Preuß einverstanden
gewesen wäre, der Altar sei „ein Gnadenthron des
Neuen Testaments" (S. 227), läßt sich fragen.

Der Herausgeber bedauert es mit Recht, daß ein dogmatischer
Beitrag wegen der Zeitverhältnisse nicht beigesteuert
werden konnte. Er hat selbst auch systematisch sehr Wichtiges
beigetragen. Doch ist es schon so, daß letztlich die Entscheidung
auch zwischen den Kirchen nicht unmittelbar
zwischen „Luther" oder den Vätern der Konkordienformel und
„Calvin" oder den in sich so differenzierten reformierten Be-
kenntnisschriften fällt, sondern daran, wie die Kirchen heute
das biblische Zeugnis verstehen.

Göttingen Otto Weber

Heidler, Fritz: Christi Gegenwart beim Abendmahl. Eine Frage an die
evangelisch-lutherische Kirche. Dresden: Ungelenk 1940. 04 S. 8'. RM 1.50.

Luther hat bekanntlich die Ubiquitätslehre als Hilfslehre
zur Abendmahlslehre aufgefaßt wissen wollen und ihr damit
einen geringeren Grad von Verbindlichkeit zugestanden als
dieser. Die Abendmahlslehre als solche hat er lediglich aus der
Exegese der biblischen Zeugnisse ableiten wollen. Die vorliegende
Arbeit geht umgekehrt vor. Sie soll zunächst dartun,
daß Luthers Christologie die Voraussetzung seiner Abendmahlslehre
gewesen sei, ebenso wie entsprechend bei Calvin.
Sie überprüft dogmatisch die beiderseitigen christologischen
Voraussetzungen und bekennt sich dabei zu Luthers Christologie
gegen diejenige Calvins. Nun aber geschieht das auf den
ersten Blick überraschende: es werden alle charakteristischen
Elemente der eigentlichen Abendmahlslehre Luthers abgelehnt
: unbiblisch ist die Lehre von der manducatio oralis,
uubiblisch die manducatio impiorum oder indignorum, unbiblisch
die Behauptung der unio sacramentalis, und die Einsetzungsworte
selbst sind symbolisch zu erklären! Luthers allgemeinere
dogmatische Voraussetzungen stimmen, seine
spezielle Abendmahlslehre aber stimmt nicht!

Wie kann das zugehen ? Der Angelpunkt der Kritik au
Luther liegt darin, daß Gott zwar post incarnationem „geistleiblich
ist", aber deshalb doch „Geist und nicht Materie"
(39), daß die Gegenwart Christi im Abendmahl grundsätzlich
keine andere ist als die in Matth. 18, 20 verheißene (51) und
also „personhaft" (44 ff.) und an den Glauben gebunden (40)
ist. Es gibt keine Gegenwart Christi IN den Elementen oder
auch IN den Abendmahlsgästen, 'sondern Christus ist als
Person DEN Elementen wie den Gästen gegenwärtig (48f.).
Die Beweisführung für diese kritischen Thesen folgt teilweise
der in der Christologie eindrücklich abgelehnten reformierten
Überlieferung, ist aber zum erheblichen Teil auch neuartig:
die „panentheistische" Färbung der Ubiquitätslehre Luthers
wird von der Lehre von der Schöpfung aus abgewiesen, die
Versachlichung der Gegenwart Christi von der Christologie
her bekämpft

Das Ergebnis wäre, wenn sich seine Richtigkeit an allen
Punkten erweisen ließe, für das gegenwärtige Gespräch der
Kirchen von größter Bedeutung, und das Aufwerfen der hier
gestellten Fragen hat sicher großen Belang. Es würde die
reformierte Kirche gefragt werden — und sie wird sich fragen
lassen —, ob ihre Christologie wirklich biblisch ist, und die
lutherische Kirche mußte sich ebenso fragen lassen, ob nicht
ihre eigene Christologie eine Revision der Abendmahlslehre
erfordert. Das letztere ist am Schluß ausdrücklich als Frage
an die Kirche formuliert.

Was beide Kirchen von ihrer Überlieferung aus an Argumenten
— auch exegetischen — beibringen werden, bedarf
nicht langer Ausführung. Vielleicht würden beide darüber
hinaus von ihren verschiedenen Ausgangspunkten her gerade
die Christologie dieser mutigen Arbeit kritisch behandeln, und
hier wird jedenfalls noch viel weitere Arbeit zu tun sein. Die
lutherische Lehre wird fragen, ob die ihr schließlich sicher
spiritualistisch vorkommenden Sätze der Abendmahlslehre
nicht darauf zurückwiesen, daß Heidler die Lehre von der unio
personalis überspitze. Ist es nicht doch äußerst gewagt, Gott
„geistleiblich" zu nennen ? Ist das nicht am Ende trotz allem
modalistisch ? Fraglich muß auch der folgende (wenn auch
nur in einem Anhang stehende) Satz erscheinen: „Geschah also
von Anfang an die Rechtfertigung immer in Christus, dann
bedeutet ... der nach der Himmelfahrt zur Geistleiblichkeit
erhöhte Leib Christi einen Wechsel der Seinsweise Gottes
im Hinblick auf sein Sein vor der Inkarnation und
also die ontische Folge der Rechtfertigung, die ja Gott
selbst, Seine Gnade in Jesus Christus ist" (35). Führt hier
nicht die unio personalis zur Identifikation von Vater und
Sohn ? Zur gleichen Frage führt aber eine andere Beobachtung.
Es wird S. 53 gegen Calvins Anschauung von Christi Gegenwart
im Geist polemisiert. Die Begründung: „Der erhöhte