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Ausgabe:

1948 Nr. 8

Spalte:

491-492

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Nohl, Herman

Titel/Untertitel:

Die sittlichen Grunderfahrungen 1948

Rezensent:

Heinzelmann, Gerhard

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Seite 1

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491

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 8

492

Meier, Adolf: Die Umwelt Jesu und seiner Apostel. Eine Handreichung

für Bibelleser und für den Unterricht in Kirche, Schule und Sonntagsschule.

2. Aufl. Mit 8 Bildern u. 3 Karten. Basel: Reinhardt [1944]. 164 S. 8°.

Geb. Schw. Fr. 7.—.
— Tut Buße und glaubet. Eine Einführung ins Urchristentum. Basel:

Reinhardt [1946]. 140 S. kl. 8°. Kart. Schw. Fr. 4.—, geb. 6.50.

Der ersten der beiden Schriften schickt Prof. D. Schrenk-
Zürich ein Vorwort voraus; und die Schrift, die für Bibelleser
und für den Unterricht in Kirche, Schule und Sonntagsschule
geschrieben ist, verdient eine so warme Empfehlung. Verf.
hat ein besonderes Geschick, die hellenistisch-römische Umwelt
recht lebendig werden zu lassen. Ob er das Landvolk
Galiläas schildert oder uns durch Jerusalem und seinen Tempel
führt, ob er jüdische Schriftgelehrte, Herodianer oder Römer
charakterisiert — alles bekommt Farbe und Leben; gelegentliche
Zitate aus Josephus u. a. Schriftstellern lassen auch hier
und da die wichtigsten Quellenschriften mitsprechen. Das
Buch will und kann keine Förderung der Wissenschaft bedeuten
, aber für den dem Autor vorschwebenden Leserkreis
ist es eine aus guter Sachkenntnis geschriebene Einführung
in die Kultur der Zeit des NTs. Etwas sehr kurz kommen die
Abschnitte über die religiösen und theologischen Strömungen
weg, und zu dem Kapitel über „Die Religion der Heiden"
wären manche Fragezeichen zu setzen. So ist z. B. Dionysos
doch zu knapp und einseitig gezeichnet, und die Charakterisierung
der Stoa wird dieser so wichtigen philosophischen
Strömung und ihrer Bedeutung für die ethische Erziehung der
Zeit gewiß nicht gerecht. Aber solche Grenzen der Darstellung
werden dem gewünschten Leserkreis die Freude an der Lektüre
des Buches nicht nehmen.

Die zweite Schrift ist eine Darstellung des Urchristentums
vom Wesen der fietdvoia, der Umkehr, aus. Ohne Zweifel
bedeutet es immer eine Vereinseitigung, eine so vielgestaltige
geschichtliche Größe wie das Urchristentum von einem Begriff
her verständlich zu machen. Aber da die „Buße" zur
zentralen Glaubenshaltung des Urchristentums gehört, ist
auch dieser Weg, der ja nicht ganz neu ist, durchaus möglich
und läßt die Abgrenzung des Evangeliums gegenüber den
anderen Religionen leicht durchführen. So ist auch diese
Schrift für weiter denkende Gemeindekreise sehr gut geeignet
.

Gewiß bleiben auch Wünsche: daß bei einer Neuauflage
doch Synoptiker und Johannes nicht so vermischt werden,
wie es zu oft geschieht; daß die eschatologisclie Dynamik des
Reiches Gottes stärker herausgearbeitet werde; daß das Bild
der palästinensischen Urgemeinde anschaulicher werde; daß
Paulus nicht so sehr als Theologe, sondern mehr als Pneumatiker
, d. h. als Prediger, als Wundermann, Beter, Missionar
gerade von seiner fietdvoia dargestellt werde: Wünsche, die
der Verf. gewiß gern erfüllt, damit seine wertvolle Gabe seiner
Lesergemeinde noch reicher und auch richtiger werde.

Jena Herbert Preisker

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Nohl, Herman: Die sittlichen Grunderfahrungen. Eine Einführung in
die Ethik. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: O. Schulte-Bulmke 1947. 151 S. gr. 8°.
RM 7.—.

Der Wiederabdruck dieser 1939 in 1. Aufl. erschienenen
Schrift ist sehr zu begrüßen. Herrn. Nohl, durch die Herausgabe
von Hegels theologischen Jugendschriften und Herders
Werken, vor allem aber durch zahlreiche pädagogische
Schriften und jetzt als Herausgeber der Zeitschrift „Die
Sammlung" bekannt, versteht es in ausgezeichneter Weise,
ohne gelehrten Apparat und ohne Belastung mit methodischen
Untersuchungen und historischem Stoff, durch klaren
Aufbau der Gedankenführung in gemeinverständlicher
Sprache auch einen Anfänger in das Hauptproblem der Ethik
einzuführen. Die reiche Auswahl wertvoller, von sittlicher
Lebenserfahrung zeugender Zitate aus der klassischen Literatur
erhöht den Genuß der Lektüre des durchaus fesselnden
Buches.

Zur Charakteristik des Standpunktes des Verfs. das Folgende
: N. lehnt den Formalismus der Kantischen Ethik ab.
„Auch die Kantische Ethik setzt die Werte des Lebens
immer voraus, ohne sie zu begründen" (104). Sie übersieht
im Suchen nach der systematischen Einheit (Gesetzmäßigkeit
) die in der Sache selbst gelegene Struktur. Es gibt sittliche
Grunderfahrungen keineswegs nur in der Gestalt eines
überall gleichförmigen „Du sollst", sondern in der Gestalt
eines „als was" erlebten sittlichen Wertes. Ebenso freilich,
wie der Formalismus, ist der Rationalismus zu vermeiden,

auch in der Gestalt einer allgemeingültigen Stufeuleiter der
Werte. Auszugehen ist von der Mehrheit sittlicher Prinzipien
. „Jeder einseitige Ausgang der Ethik führt . . . zur
Vergewaltigung des sittlichen Daseins" (65). Die Entwicklung
der Vielheit der ethischen Prinzipien an Hand einer im platonischen
Sinne vollzogenen Analyse des Aufbaues der
menschlichen Seele ist der Kern der Darstellung. N. führt
uns „von dem primitivsten Gehalt des Lebens, der Lust und
ihrem Genuß", über die Freude an dem Tun und dem Ideal
der Kraft, zu einer dritten Schicht ethischer Prinzipien,
„dem Wirken im Dienst objektiver Zwecke einerseits, dem
Liebesbezug andererseits" (der Abschnitt über die Liebe,
S. 62—71, ist besonders ansprechend). Darüber bauen sich
dann noch die Prinzipien der geistigen Schicht: Wahrheit,
Treue, Gerechtigkeit, die keinen besonderen Inhalt haben,
dafür aber das Sollen in seiner strengsten Form verkörpern
und keiner Steigerung der Wertschätzung mehr fähig sind.
Zusammengefaßt wird schließlich die Vielgestalt des sittlichen
Lebens in der Person, in der sich als in der letzten
Einheit derJKampf des sittlichen Lebens abspielt. Im Bewußtsein
der Freiheit spricht sich die Person schuldig an der
falschen Entscheidung und ringt um die Verwirklichung
des sittlichen Ideals in einer individuellen sittlichen Gestalt.
Dabei wird sie der Grenze aller Sittlichkeit und der Erlösungsbedürftigkeit
inne. So taucht an der Grenze der
„Humanität" die „Realität" des höheren Lebens (Gottes)
auf, ohne daß dadurch freilich die Ethik eine theonome Begründung
erfahren darf (150).

Der letzte Satz läßt ein mir angedeutetes Problem vorschnell
fallen. Denn, mag immerhin „der Weg nach oben'
nur durch Besinnung auf unsere ethische Aufgabe bewußt
werden, so fragt sich doch, ob es überhaupt eine Entscheidung
des Menschen für das "Oben" gibt, wenn nicht der „Zug zur
Höhe" Ausdruck der Begründung menschlicher Existenz irn
„Oben" ist. Die Aufteilung des Menschen in „Schichten'
hat immer die Gefahr bei sich, die Ganzheit der Person nur
als ein Werdendes oder Aufgegebenes zu verstehen, währen»
sie doch, ontologisch betrachtet, die Voraussetzung für alles
zu Differenzierende im Menschen ist. Vor und über allen
„Schichten" im Menschen steht der Mensch als Selbst 7"
worauf aber ist sein Selbst zu beziehen ? Das führt auf the
Gottesfrage.

Halle a. S. Gerh. Heinzelmann

Bavink, Bernhard [Prof.]: Was ist Wahrheit in den Naturwissenschaften
? Wiesbaden: Brockhaus 1947. 87 S. 8". RM 2.20.

Hinter uns liegt eine Zeit, in welcher in Deutschland <he
Wissenschaft durch die Herrschaftsausprüche des Staates
schwer bedroht war. Die Wahrheit wurde definiert als das,
„was zu glauben für das Volk nützlich ist". Die Wissenschat
sollte zur bloßen Dienerin der Politik gemacht werden. Diese
Gefahr ist nun vorübergegangen, aber es drohen doch auC£
Gefahren von anderen Seiten. Vor allem macht die Wirtscl«"
immer wieder Versuche, die Naturwissenschaft als i'ir.,
Dienerin zu gewinnen. Aber, wenn die Naturwissenscha'
auch oft durch Forderungen, die von außen an sie herantraten,
zu sehr wichtigen Fortschritten angeregt worden ist, so war
doch eine nur zweckgebundene Forschung ihr sicheres Ende-
Es erhebt sich immer wieder die brennende Frage: „Was Ig
Wahrheit ?" Genau genommen sind es zwei Fragen. Die ers
lautet: „Was ist damit gemeint, wenn man einem wissen
schaftlichen Satz den Charakter der Wahrheit oder der Ö*J
tung zuspricht?" Und die zweite: „Woran kann man sie»
erkennen, ob ein Satz gilt oder nicht gilt?"

Die Antwort auf die erste Frage kann verschieden laute■ •
je nach dem philosophischen Standpunkt, auf den man si
stellt. Der Realismus sagt: Es gibt eine Wirklichkeit, una"
hängig von unseren Aussagen. Diese Aussagen sind richt ig
wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Der P.osvTLi-
mus dagegen sagt: Die sog. „Wirklichkeit" ist nur ein 111 js
gespinst. Was wir tatsächlich wissen, ist nur das Ef8eD j,",
unserer Beobachtungen, „Wirklichkeit" ist nichts als nur
kurzer Name dafür. Einen „realen Sachverhalt" darii
heraus postulieren, heißt überflüssigerweise das Objekt ^
doppeln. Die „objektive Tatsächlichkeit" besteht ledig
in der „Feststellbarkeit". Eine dritte Auffassung ist die:
Kantischen Idealismus. Kant sagt, daß die im Mell^lCui
liegenden Anschauungsformen und Kategorien aus J g
chaotischen Material von Sinneswahrnehmungen lirfah ^
allererst möglich machen. Der ursprünglichen ganz unre ^
tierten Vorstellung des Menschen kommt der Realisniu
nächsten. Die Forscher tun stets so, als ob das Ziel in^eriei,
mühungen ein Sachverhalt sei, den es wirklich gibt, em ^
ob sie sich um seine Ergründung bemühen oder nich