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Ausgabe:

1948 Nr. 7

Spalte:

433-435

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Winter, Eduard

Titel/Untertitel:

Byzanz und Rom im Kampf um die Ukraine 1948

Rezensent:

Delius, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 7

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heit wiederherzustellen sei. Die Kirche nimmt die verliehene
Ausübungsbefugnis der Kirchengewalt wieder zurück, sie geht
einstweilen auf die Superintendenten über; diese sollten
Synoden berufen zwecks definitiver Ordnung des KRs; die
landesherrlichen Konsistorien seien aufzulösen. — Die Bedeutung
des Dokumentes: negativ wird das staatliche KR
nicht nur als unzeitgemäß, sondern als bekenntniswidrig erkannt
; positiv wird die Notwendigkeit eines geistlichen KRs
erklärt: Bischöfe (oder Superintendenten!) üben es zusammen
mit der Synode aus. Damit wird in Aufnahme der
Ziegenhainer Kirchenordnung von 1539 das apostolische
Ältestenamt „als geistliches Amt im strengen Sinne des
Wortes" (135) wieder aufgerichtet. Auch die Synode muß
„rite vocata" sein: sie kann nur durch die Kirche selbst berufen
werden. Denn sie ist „die entscheidende Instanz des geforderten
geistlichen KRs" (137). Es ist mit dem Verf. zu bedauern
, daß die im Memorandum fixierten Erkenntnisse Vilmars
, der das Zerrbild der Synode — „die vom staatlichen
KR nach weltlichen Gesichtspunkten berufene Synode" —,
nicht aber die kirchliche Synode verwarf, abgesehen von
der kleinen, tapferen hessischen „Renitenz" sehr wenig nachgewirkt
haben (144). Wibbelings Studie ist auch heute — ja
gerade heute: 1948 — von unüberholter Aktualität. Im
Rückblick auf den Kirchenkampf im „Dritten Reich" erscheint
manche praktische Entscheidung — die Ablehnung
der staatlichen „Kirchenausschüsse" durch den „Lutherischen
Rat" (Gutachten vom 9. 4. 1935) oder die 1. Schle-
sische Bekenntnissynode (Naumburg am Queis vom 2. 7. 1936)
— als Verwirklichung der Jesberger Ideen. Im Vorblick aber
auf die heutigen Fragen der gesamtdeutschen Neuordnung
der Kirche kann man sich nicht genug vor den Gefahren
warnen lassen, die „die Isolierung des geistlichen Amtes und
die Uberspannung des Bischofsamtes" (144) mit sich bringen.
Daß freilich die Üb er-Ordnung der Kirche — und also auch
der Gemeinde — über das Amt „im NT wie in den Bekenntnisschriften
" gelehrt werde (147), läßt sich schwerlich erweisen.
Man sollte sich mit der sachgemäßeren Formulierung (146)
von der „gegenseitigen Zu-Ordnung von Amt und Gemeinde"
(bei alleiniger Uberordnung ihres gemeinsamen Herrn) begnügen
. Hier liegt ein unaufgebbares Anliegen kirchlichen
Gestaltungswillens.

Der erste Beitrag von Adolf Heermann über „Evangelischer
Glaube und allgemeine Offenbarung"
(9—19) reicht weder inhaltlich noch methodisch an die Leistung
seiner Mitarbeiter heran. Der Verf. versucht unter
Berufung auf Schlatter, Lütgert und Althaus den Begriff der
„allgemeinen" oder „Uroffenbarung" zu entfalten als eine
Bezeugung Gottes, „die als eine dauernde Gegebenheit in den
Verhältnissen und Ordnungen der Wirklichkeit, der Naturordnungen
, sozialen Ordnungen, allen Grundlagen und Bindungen
des Lebens, allem, was sich dem Menschen in seiner
Lebenswirklichkeit als eine ihn von der Wiege bis zum Grabe
begleitende Erfahrung aufdrängt, die Menschheit, soweit sie
in flieser Wirklichkeit steht, d. h. tatsächlich die ganze Menschheit
, anspricht" (n). So dringlich an sich das u. a. durch
Rm. 1, 18 ff.; 2, 14 f.; Act. 14, 17; 17, 24 ff. aufgegebene Problem
immer wieder des Durchdenkens bedarf, so unergiebig
sind die mehr behaupteten als begründeten, mehr umschreibenden
als entfaltenden Aussagen des Verf.s. Die Begriffe
„Offenbarung" und „Handeln Gottes" werden unkritisch
durcheinandergeworfen (Gottes Hilfe und Gottes Selbst-
erschließuug sind doch wohl zweierlei!), die Unterschiede
zwischen der Seins- und der Erkenntuisfrage (hier wieder die
Differenz zwischen dem „Daß" und dem „Was" der Erkenntnis
) durchgängig übersehen, das Verhältnis von „allgemeiner"
und „spezieller" Offenbarung in gar keinem Sinne geklärt.
Daß schließlich noch die Frage nach der Lebensgestaltung mit
hereingezogen wird, die der Verf. in unmittelbarem Bezug zur
„Uroffenbarung" zu sehen scheint, steigert nur die Verwirrung,
auch wenn „zum Schluß noch ein kurzer Blick in das Gesangbuch
" (Geliert!) zur „Bekräftigung" (18 f.) des Behaupteten
dienen muß. Man vermißt zudem jegliche Auseinandersetzung
mit der einschlägigen theologischen Arbeit (z.B. Edm. Schlink).

Ein „Glaubenslied", gedichtet von Kurt Müller-Osten,
eröffnet die Festgabe, der aus zeitbedingten Gründen zwei
weitere Arbeiten nicht beigefügt werden konnten.

Jena Gerhard Gloege

Winter, Eduard: Byzanz und Rom im Kampf um die Ukraine. 955—

1939. Leipzig: Otto Harrassowitz 1942. VII, 227 S. gr.8". RM 6.—.

Wenn der Verf. in seinem Vorwort Herbst 1940 es für
notwendig erachtet, „so tief als möglich Osteuropa auch geistig
zu durchdringen", so gilt das in der Gegenwart in ganz besonderem
Maß. Das Buch schildert die Auseinandersetzung

Byzanz und Rom im ukrainischen Raum und der Union.
Heute besteht, soweit wir darüber Nachrichten haben, die
Union nicht mehr. Entscheidend für das Verständnis dieser
Tatsache ist die in dem Buch geschilderte Entwicklung der
Kirche der Ukraine 'als Kampfobjekt zwischen Byzanz und
Rom. Das Buch ist daher nicht nur ein Beitrag zur 500-Jahrfeier
der Union, die 1439 in Florenz zustande kam, sondern
eine notwendige Darstellung zum Verständnis der gegenwärtigen
Situation in der ukrainischen Kirche.

Der Verf. hat zum ersten Male die durchaus gelungene
Aufgabe erfüllt, Byzanz und Rom im Kampf um die Ukraine
in den Jahren 1935—1939 zu schildern. Die Quellen und viele
Einzeluntersuchungen, darunter auch eigene Untersuchungen
des Verf.s, zu denen noch sein Aufsatz „Der Kampf der
ecclesia ruthenica gegen den Rituswechsel" in der Festschrift
für Eichmann 1940 hinzukommt, werden zu einer geschlossenen
Darstellung zusammengefaßt. Eine Auswahl von Quellen und
Literatur, wobei besonders Arbeiten in deutscher Sprache berücksichtigt
werden, findet sich am Schluß des Werkes. Das
Buch, das auf Grund dieser Methode nicht durch Anmerkungen
belastet ist, wird so in seinem flüssigen Stil zu einer
erfreulichen Lektüre.

Der Aufriß des Buches ist chronologisch. Die mittelalterliche
Entwicklung wird in zwei Kapiteln „Die alte Rus" und
„Das Mittelalter" geschildert. Es folgt die Periode „der
Renaissance und Reformation". Die neue Zeit ist in drei
Kapiteln „Das kosakische Barock, Aufklärung, Restauration
und Reaktion", das 19. Jahrhundert unter dem Zeichen „Liberalismus
und Sozialismus" und die neueste Zeit unter dem
Gegensatz von „Nationalismus und Bolschewismus" zur Darstellung
gekommen.

Es kann nicht Sinn dieses Hinweises sein, die Fülle der
Einzelheiten hier zu schildern. Auf die entscheidenden Tatsachen
sei hier hingewiesen.

In der alten Rus, im Stromgebiet des Dnjepr, begegnen
sich im 9. Jahrhundert zwei Rassen in einem Staat, slawische
Stämme und die nordgermanischen Waräger aus Skandinavien,
die zu einem Staat ostslawischer, nicht germanischer Kultur
sich zusammenfanden. Bereits in der skandinavischen Heimat
, dann durch die Gotenmission, am stärksten von Byzanz
her kamen die Waräger mit dem Christentum in Berührung.
Hier ergaben sich bereits die ersten Spannungen zwischen dem
Deutschen Reich der Ottonen und Byzanz, mit denen es 945
in Kiew zum Vertrag kommt. Wladimir macht dann 988
(998 S. 9 ist wohl ein Druckfehlö») das Christentum in byzantinischer
Form zur Staatsreligion. Um dieses Verdienstes
willen ist Wladimir zum Heiligen durch die Ostkirche erklärt
worden. Au der Trennung der West- und Ostkirche in der
Mitte des u. Jahrhunderts war die Rus zunächst wenig interessiert
. Immerhin nahm die Abneigung gegen Rom zu. Die Darstellung
weist dann auf den bedeutenden Einfluß der Klöster
bei der Christianisierung der Rus hin. Trotz starkem ostkirch-
liclieu Einfluß zeigten sich auf dem Gebiet der Kunst und des
Rechtes westliche Einflüsse. Dabei blieb das Bestreben der
Kirche der Rus eine selbständige Stellung zwischen Rom und
Byzanz einzunehmen, Sie ging mit dem Reich der alten Rus
im Mongolensturm Anfang des 13. Jahrhunderts unter. Das
Teilfürstentum Susdal, später mit Moskau als Mittelpunkt,
wird der Ausgangspunkt Großrußlands. Westliche Einwirkungen
besonders im Teilfürstentum Halicz blieben auf
Ukrainer und Ruthenen nicht ohne Einwirkung. Versuche,
Halicz für die römische Kirche zu gewinnen, wurden unternommen
. Eine Union der lateinischen Kirche mit den orthodoxen
Ruthenen, die um 1250 Aussicht auf Verwirklichung
hatte, kam nicht zustande. Die polnischen Eroberungen in der
Mitte des 14. Jahrhunderts brachten in Halicz und West-
wolhynien die lateinische Kirche zur Herrschaft. Die Mission
der Bettelmönche setzte in verstärktem Maße unter den
Ruthenen ein. Aus staatspolitischen Gründen kam die Durchführung
der Union in ganz Halicz nicht zustande, dagegen
wurde für Halicz eine von Moskau unabhängige Metropole
unter dem Patriarchen von Konstantinopel errichtet. Indessen
mußte sich die orthodoxe Kirche unter polnischer Herrschaft
neben der römischen Kirche mit dem zweiten Platz begnügen.
Unter der Herrschaft des Litauers Witold wurde Kiew Metropole
. Ein Unionsversuch, um die Eigenkirchlichkeit der
Ukraine zu sichern, scheiterte. Die Union von 1439 blieb auch
für die Ukraine Episode. Rom sah die Ukraine auch weiterhin
als Missionsgebiet an, wobei sie mit der unionsfeindlichen
Haltung der polnischen Kirche und der tschechischen Utra-
quisten, die enge Verbindungen mit den ukrainischen Orthodoxen
unterhielten, rechnen mußten.

Die Entstehung Großrußlands in der Mitte des 15. Jahrhunderts
ließ Rom den Versuch machen, Moskau zu gewinnen.