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Ausgabe:

1948 Nr. 7

Spalte:

425-430

Autor/Hrsg.:

Gabriel, Paul

Titel/Untertitel:

Der kultische Raum nach reformiertem Verständnis 1948

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425

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 7

428

Der kultische Raum nach reformiertem Verständnis

Von Paul Gabriel, Halle/Saale

Die Aufgabe, deren Lösung mir anvertraut worden ist, hat
für die reformierten Gemeinden der Ostzone ein besonderes
Gewicht: wohl die Hälfte unserer Kirchen ist völlig zerstört
oder für eine lange Reihe von Jahren dem Gebrauch entzogen
. Aber ein Blick auf den Plan unserer Tagung zeigt, daß
die Frage nicht nur unsere Frage ist, daß sie mit der Frage
nach dem lutherischen Verständnis und nach der Lehre der
römisch-katholischen Kirche unter einem Nenner steht, daß
die drei, die hier gefragt sind, zusammen gefragt und zusammen
gehört werden müssen, wenn wir uns gegenseitig den
Dienst leisten wollen, den wir uns schuldig sind.

Auf dem ersten Kirchenbautag im November 1946 in Hannover
hat der Hamburger Kirchenbaumeister Gerhard Lang-
maack gesagt:

„Eines der Grundübel, weswegen wir so viele schlechte Kirchen haben
und so wenig kirchliche Baumeister, liegt darin, daß die Kirche Jesu Christi
nicht verstanden hat, was Kirche als Bau war und ist und sein soll! — Von
den Wiesbadener Beschlüssen bis heute ist ein langer Weg des Ringens und
des Suchens nach dem, was die Kirche verloren hat. — Sagt uns, was das Haus
Gottes ist und sein soll, und sagt es glaubhaft und gegründet in geschichtlicher
Bindung und in theologischer Eindeutigkeit und in Freiheit zukünftiger Neuformung
, sagt es mit allen Attributen der Sakralität oder den nüchternen
Gegebenheiten der Profanität, mit der Betonung des Sakramentalen, des Heiligen
oder der reiner Wortverkündigung im Sinne Luthers, sagt es im Abgrenzen
gegen Katholizismus und Sekten oder in Anlehnung an die Urkirche
oder den jüdischen Tempel, oder an germanische Heiligtümer, sagt es unter
Betonung bestimmter Ausdrucksformen oder unbestimmter Experimental-
formen, sagt es unter Bezug auf das allgemeine Priestertum aller Gläubigen
oder in bezug auf die Tridentiner Beschlüsse. — Nur sagt es!"

Wenn ich es nun heute sagen soll, dann weiß ich, daß ich
nichts zu sagen habe, was nicht schon längst von anderen gesagt
worden ist. In den Lehrbüchern der Praktischen Theologie
, in Vorlesungen, Monographien, Agenden, in Paul Graffs
Buch „Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen
Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands", in den
Protokollen der Kirchenbautagungen, in Kirchweihpredigten,
in Leitsätzen, Ratschlägen, Gutachten unserer Kirclien-
leitungen, unserer Fakultäten, von Theologen, Archäologen,
Architekten findet sich so beinahe alles, was hierher gehört.
Ich kann nur versuchen, das Wesentliche herauszuheben, es
im Lichte unserer Zeit zu zeigen, vor folgenreichen Verwechslungen
der eigentlichen letzten Anliegen mit den oft vorgeschobenen
Gründen zweiten, dritten, vierten Ranges, vor Mißverständnissen
, vor Mißbrauch zu warnen und am Beispiel von
Grenzfällen deutlich zu machen, worauf es ankommt.

Im Lichte unserer Zeit sieht das alles, was Langmaack im
Auge hat, ja anders aus, als es früher ausgesehen hat. Und es
sieht nicht nur anders aus. Unter diesem Vorzeichen muß es
auch anders werden. Es ist kein Widerspruch, wenn man sagt,
daß sich die Konfessionen näher gerückt sind in dem Augenblick
und in dem Maße, in dem sie sich schärfer voneinander
abzeichnen, daß sie anders als bisher miteinander sprechen
und aufeinander hören, sich im Gespräch klären, daß sie sich
öfter als bisher in den Raum teilen, auch in den Raum, von
dem wir hier reden, die evangelische und die katholische
Kirche; und in der evangelischen die lutherische und die
reformierte Kirche. Wenn man, um nur ein Beispiel zu
nennen, in den „Zeichen der Zeit" blättert, dann sieht mau,
wie die theologischen und besonders die liturgischen Bewegungen
der letzten Jahre unserer Frage einen neuen Klaut,'
gegeben haben. In dem knappen Aufriß christlicher Gottesdienstlehre
von Martin Doerne, der sich unter dem Titel
,,Grundlagen und Gegenwartsfragen evangelischen Gottesdienstes
" in der Zeitschrift „Musik und Kirche" vom Jahre
1942 findet, heißt es, daß alles menschliche Gott-Dienen von
Gottes eigenem Dienen getragen und unigriffen ist, daß von
den ältesten Tagen der Christenheit her Gottesdienst nicht
nur in dem geistlichen und totalen Sinne des „Lebensgottes-
dienstes" (Rom. 12, 1; Jak. 1, 27), sondern auch in dem speziellen
Sinne eines christlichen Kultus gehalten wird. Gott
dient uns mit seinem Wort, damit wir ihm dienen können,
wie es ihm gefällt. Man muß das Wort „Gottes Dienst" in
zwei Worten schreiben, damit man es in einem Wort schreiben
kann, ohne mißverstanden zu werden. Daß der Kultus dem
Evangelium gemäß sei oder wieder werde, das war diesseits
der „schwärmerischen" Nebenlinie der Reformationsge-
schichte das gemeinsame Anliegen der Reformatoren. „Die
erheblichen Unterschiede, die hier etwa zwischen Wittenberg,
Zürich, Genf, Straßburg bestehen, sind am Knde doch nur

relative Unterschiede." Kein Wunder, daß das Wesen des
Gottesdienstes auch auf reformierter Seite immer wieder mit
Luthers Worten aus der Predigt vom 5. Oktober 1544 bei der
Einweihung der neu erbauten Schloßkirche in Torgau beschrieben
wird:

„Es soll in Gottes Haus nichts anderes (!) geschehen, denn daß unser
lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit
ihm reden durch Gebet und Lobgesang." Deshalb kann dasWort Gottes auch
„unter einer grünen Linde oder Weiden" gepredigt werden. „Wo Gottes Wort
klingt, sei es im Walde oder Wasser oder wo es ist, da ist Bethel." „Ich habe
Macht, den Taufstein zu setzen, im Chor oder an die Elbe." „Christi Gegenwart
im Abendmahle ist die Aufhebung des Raumes." Aus pädagogischen, praktischen
Gründen ist es gut, daß man „ein Haus baue, in dem man das Wort
lehren und die Sakramente handeln könne". Deshalb solle „ein Maß da sein
und mehr geachtet, daß es reiniglich, dann daß es köstlich wäre, was zu
Gottes Dienst verordnet wird". „Wie, wo und durch wen das Wort Gottes,
das die Gewißheit seiner Huld begründet, an den einzelnen herangebracht
wird, ist an sich gleichgültig. Nur daß es ihn erreicht, darauf kommt alles an."

Sie haben eben Luther und lutherische Theologen (Heinrich
Boehmer, Werner Eiert) gehört. Ich kann nur bitten,
wie ich es eben tat, Ernst Strasser einmal zu folgen, der sich
auf der Kirchenbautagung in Hannover über „Predigt und
Sakrament als raumfordernde und raumbestimmende Elemente
des evangelischen Kirchenbaus" hat vernehmen lassen.
Dann sieht man, wie richtig Doerne urteilt, wenn er sagt —
wir hörten es schon —, daß man hier nur von relativen Unterschieden
reden kann.

Die Reformierten sind, das zeigen die letzten Mitteilungen
des Reformierten Bundes für Deutschland, an liturgischen
Fragen wirklich nicht desinteressiert, sie sind auch an diesen
Fragen nicht nur kritisch beteiligt. Das zeigt ihr liturgischer
Ausschuß. Das zeigen die Kirchenbücher von Albertz und
Wolf, das zeigt der Entwurf des Kirchenbuches für die evan-
gelisch-reformierte Landeskirche der Provinz Hannover vom
Jahre 1947, das zeigt die Hand-Agende, die im Herbst dieses
Jahres von reformierter Seite vorgelegt werden soll. Wie unentbehrlich
die Kritik heute noch ist, das lehren die Vorgänge,
für die man Luthers Namen nicht in Anspruch nehmen sollte,
obwohl das immer wieder geschieht. Dafür nur eine lutherische
Stimme statt vieler:

„Niemand hindert uns, die kostbaren Gebete und Wechselgesänge der
alten Kirche auch in unserer Kirche lebendig zu machen. Aber man hüte sich,
um der liturgischen Eindruckskraft und Feierlichkeit willen mit dem Sakraments
- und Opfergedanken der Messe, überhaupt mit ihrer „Objektivität" zu
spielen! Wir bedürfen in unserer weichlichen Zeit der erneuten Erziehung
durch Luthers Zorn und Calvins Strenge, wo es um die Wahrheit des Evangeliums
geht. Das Wort des Heidelberger Katechismus von der .vermaledeiten
Abgötterei' der Messe hat noch heute seine Sendung unter uns. Es geht nicht
an, die Verdinglichung der heiligen Gegenwart Gottes in alles umfassender und
verstehender religionsgeschichtlicher und religionspsychologischer Duldsamkeit
als eine zwar niedere, aber immerhin individuell berechtigte Ausdrucks-
form christlichen Glaubens harmlos zu nehmen. Wir wissen wohl, daß Gottes
wunderbare Gnade auch sündhaft entstellten Kultus benutzen kann, um mit
den Menschen zu reden, daß unzählige Katholiken in der Messe trotz ihres
Heidentums den wirklichen Christus und Herrn im Glauben finden mögen.
Aber das hebt die Verantwortung der Kirche für die Reinheit ihres Kultus und
das Urteil über das Menschenwerk nicht auf. Die Messe in ihrer Ganzheit
bleibt uns Sünde wider das erste Gebot. Wenn es echte und große Liturgie
für uns Evangelische nicht gäbe außer um den Preis einer wie immer verhüllten
Rückkehr zur Thcurgie der Messe, dann träte ein Wort Wilhelm Löhes in Kraft,
dessen Herz wahrhaftig hing an der Liturgie: ,Die Kirche bleibt, was sie ist,
auch ohne Liturgie. Sie bleibt Königin auch im Bettlergewande. Es ist besser,
daß alles dahinfalle und nur die reine Lehre ungefährdet bleibe, als daß man
im Schmuck und der Zier herrlicher Gottesdienste wandele, denen Licht und
Leben mangelt, weil die Lehre unrein geworden ist'." Dazu eine Anmerkung:
„Man wird mir entgegenhalten, daß die evangelischen Freunde der Messe allermeist
nicht daran denken, die evangelische Lehre zu verraten. Ich antworte:
desto schlimmer! Man begeistert sich .liturgisch' für Stücke und Akte der
Messe, ohne sie dogmatisch ernst zu nehmen. Das Gefühl für strenge Wahrhaftigkeit
und Sauberkeit im Gottesdienst ist gewissen liturgischen Kreisen
erschreckend verloren gegangen." (Althaus, Das Wesen tles evangelischen
Gottesdienstes, S. 9. 10.)

In dein Gutachten der Kirchlichen Hochschule zur Überlassung
evangelischer Kirchen zu römisch-katholischen Messen
heißt es:

„Es entspricht im übrigen dem biblischen und reformatorischen Denken,
dem Kirchengebäude keinen Heiligkeitswert außerhalb des Gottesdienstes
zuzuerkennen."