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Ausgabe:

1948

Spalte:

359-360

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hóman, Bálint

Titel/Untertitel:

Geschichte des ungarischen Mittelalters; Bd. 2: Vom Ende des 12. Jahrhunderts bis zu den Anfängen des Hauses Anjou 1948

Rezensent:

Stupperich, Robert

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359

Theologische Literaturzeitung 194S Nr. 6

Den Untergang des Rom er reiches glaubt Kaphan in erster
Linie als Auswirkung von verheerenden, insbesondere auch
seelischen Krankheiten ansehen zu müssen, die seit dein Beginn
des 3. Jahrhunderts das Rönierreich heimgesucht haben.
Kr weist damit sieher auf einen Umstand hin, der Beachtung
verdient. Wenn Kaphan ihn fast allein für den Untergang
des Biesenreiches haftbar macht, so kann der Rezensent ihm
darin freilieh nicht folgen; mau wird schon ein Zusammenwirken
verschiedener Kräfte anzunehmen haben. Den Zug
der Germanen nach dem Süden glaubt er nur verstehen zu
können, wenn sie, ihnen wesenhaft eigenen Impulsen folgend,
zur Auseinandersetzung mit der fremden Kultur sich berufen
wußten und in dieser Auseinandersetzung zu neuer Höchstleistung
zu kommen hofften. Die Andeutung mag zeigen, daß
Kaphan nicht bei äußeren Dingen stehen bleibt, sondern wirklich
den Sinn der Völkerwanderung in der Tiefe zu erfassen
sucht. So wird das Buch jedem, der den Übergang zwischen
Antike und Mittelalter studiert, viel Anregung geben. Dem
Kirchcngeschichtler bietet es darüber hinaus eine anregende
Geschichte des frühen Christentums in Norikum, für die insbesondere
die österreichische Kirchengeschichtsschreibung
dem Verf. dankbar sein wird. Das eigentliche Anliegen des
Verf., die Bedeutung einer innerlich gefestigten Persönlich'
keit auch in turbulenten Zeiten des Zusammenbruches zu
zeigen, ist voll gelungen.

Herntaiffisburg/Hann, K. D. Schmidt

Human, Baiin t: Geschichte des ungarischen Mittelalters. Bd.2: Vom

Ende des 12. Jahrhundert! bis zu den Anfängen des Hauses Anjou. Übersetzt
im Auftrage des Ungarischen Instituts an der Universität Berlin von
U. v. Roosz und M. Pfotenhaucr, überprüft von Prof. Dr. J. v. Parkas.
Berlin: de Oruyter 1943. 399 S., 11 TW. 4". RM 11.80.

Da mir der 1. Band dieser Darstellung unzugänglich geblieben
ist, vermag ich über die Anlage des ganzen Werkes
nicht genauer zu berichten, sondern muß mich auf die Anzeige;
dieses zweiten Bandes beschränken. Das ganze Werk ist in
drei Bücher eingeteilt, von denen die beiden ersten auf den
ersten Band entfielen. Das dritte Buch stellt nun die Anfänge
der ungarischen Machtentfaltuug bis zur Zeil Ludwigs d. Gr.
dar, wobei Aufstieg und Niedergang sieh immer wieder ablösen
. Hinsichtlich der Periodisicrung der ungarischen Geschichte
hat der Verf. seine eigene Auffassung. Als ungarisches
Mittelalter bezeichnet er die Zeit von der Bekehrung
der Germanen zum Christentum bis zum 13. und 14. Jahrhundert
. Das Recht dazu muß ihm zugebilligt werden. Bei
den Völkern, die den Einflüssen von Ost und West gleichzeitig
ausgesetzt sind, läßt sich das bei uns übliche Schema
geschichtlicher Einteilung nicht anwenden. Freilich wird für
Ungarn wie für andere Völker Osteuropas zu fragen sein, ob
trotz der in ihrer Geschichte des 14.—15. Jahrhunderts sich
zeigenden Ansätze, die bereits zur Neuzeit hinüberleiten, diese
Epoche nicht doch besser zum Mittelalter als zur Neuzeit gerechnet
werden sollte.

Die Geschichte Ungarns stellt der Verf. in den großen
Zusammenhang der mittelalterlichen Welt. Es wird dabei
auf die zahlreichen Beziehungen des ungarischen Staates und
hauptsächlich seiner Dynastie zum byzantinischen und zum
Deutschen Reich, vor allem aber auf die ständigen Verbindungen
mit den slawischen Nachbarn hingewiesen. Wie für
alle diese Völker, so ist auch für Ungarn der Mongolensturm
mit seinen Folgen das für mehr als ein Jahrhundert entscheidende
Ereignis. In diesem Zusammenhang wird die
Kumanenfrage und die für Ungarn schicksalhaft gewordene
Berührung mit den Rumänen und Tataren näher behandelt.
Bei diesen Erörterungen hätte die beachtliche Arbeit von
B. Spul er über die Goldene Horde zur weiteren Klärung
dienen können. Aber auch die Arbeiten von G. Vernadskij
hätten für diese Betrachtungen manches hergeben können.

Abgesehen von den dynastischen Kämpfen und feudalen
Bestrebungen dieser Zeit führt uns der Verf. die wirtschafts-
geschichtliche Entwicklung und auch die kirchlichen Verhältnisse
vor Augen. Aus dem zuletzt genannten Gebiet sind
wesentlich die Erörterungen über das Bogomilentum, die freilich
noch nicht befriedigen, weiter über die Ausgänge des
Kreuzzugsgedankeus, über die Unionsversuche der Kurie mit
dem Fürstentum Halic und Serbien, die übrigens überschätzt
werden, und schließlich die zahlreichen Ausblicke auf die
Missionsgeschichte des Südostens.

Das Buch stellt eine gute historische Leistung dar. Soweit
ich die zugrundeliegenden osteuropäischen Quellen kenne,
kann ich die Arbeit als gründlich bezeichnen. Die gemachten
Abstriche ändern nichts an diesem Urteil. Die deutsche Ubersetzung
, die im allgemeinen gut gelungen ist, war für einen
weiteren Leserkreis berechnet. Aus diesem Grunde fehlen wohl

die wissenschaftlichen Anmerkungen. Diesen Mangel werden
viele Benutzer bedauern. Sollte das nützliche Werk einmal zu
einem endgültigen Abschluß gebracht werden können, so
wäre ein Nachtrag mit Quellenbelegen, Literaturangaben
und einer historischen Karte dringend erwünscht.

Hatshausen Robert Stupperlch

Hahn, Georg: Die abendländische Kirche im Mittelalter. Mir anderer

Aufbau. In Werkstunden zusammengestellt. Freihurg/Br.: Herder 1942.
.XIV. 454 S., 67 Abb. nebst Erläut. als Beilagen, gr. 8« = Wcrkbuch d.
Kirchengesch. II. Teil, 1. Hälfte. RM 7.60; Hlw. RM 9.60.

Vom „Werkbuch der Kirchengeschichte'', dessen I. Teil
unter dem Titel ,,Die Kirche der Märtyrer und der Katakomben
" 1939 (2. Aufl. 1941) erschien, liegt nunmehr die 1. Hälfte
des II. Teiles vor. Sie umspannt den ungeheuren Zeitraum
vom Mailänder Toleranzdelikt (313) bis zum ausgehenden
15. Jahrhundert und behandelt — vom katholischen Standort
aus — „nur" das äußere Wachstum, die äußere Organisation
und die Selbstbehauptung der Kirche nach außen. „Der
innere Ausbau und die reiche Entfaltung des Innenlebens der
mittelalterlichen Kirche mußte für einen eigenen Band (11,2)
zurückgestellt werden" (V). Der riesige Stoff wird unter folgenden
vier Sachgesichtspunkten gegliedert: 1. Die wachsende
Kirche (Ausbreitung in di r antiken Welt, Mission unter
Germanen und Slawen); 2. Die sich organisierende Kirche
(hierarchische Festigung besonders im abendländischen
Räume, Auseinandersetzung zwischen Kaisertum und Papsttum
, Abstieg der päpstlichen Macht); 3. Die leidende Kirche
(Bedrückungen in Persien, unter Julian Apostata, durch die
Vandalen und den Islam); 4. Die Kirche in Abwehr und Gegenangriff
(gegenüber Heiden, Häretikern und Juden, die Kreuzzüge
). — Wie der Titel des Gesamtwerkes besagt, handelt es
sich auch bei diesem Bande nicht um ein Lehr- oder Lernbuch,
sondern um ein Arbeits- und Werkbuch, das den neuen Aufgaben
der religiösen Unterweisung Rechnung tragen will.
Unter bewußtem Verzicht auf gelehrten Apparat hat der Verf.
ein Werk geschaffen, das historisch gut fundiert ist. Seine
wissenschaftliche Zuverlässigkeit empfiehlt es, über den Kreis
von Religionspädagogeu hinaus, auch dem Laien zum Selbststudium
. Die Ergebnisse der neueren katholischen Kirchen-
gcschichtsschrcibung (Kirsch, Bihlmeyer, Seppelt usw.) werden
überall vorausgesetzt und verarbeitet, die einschlägigen
Quellen nach der „Bibliothek der Kirchenväter", der neuen
Ausgabe der „Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit" und
den „Monumenta Germaniae historica" vor dem Leser ausgebreitet
. Durch geschickte Textverbindung entstand so zugleich
ein treffliches Lesebuch mit fesselndem Inhalt. Das
Wagnis, einen so reichen Stoff mittels Längsschnitten in Form
von „Werkstunden" zu bewältigen, muß als geglückt bezeichnet
werden. Die Darbietung erscheint mir noch gelungener
als beim I. Teil. Während dort gewisse Breiten obwalteten
(ein Drittel des I. Bandes war allein dem Neuen Testament
gewidmet) und teilweise noch der moderne Roman (Sienkie-
wiez, Hugh Benson) zur Illustration diente, empfängt hier
alles lebendige Unmittelbarkeit aus den originalen Urkunden.
Ein vorläufiges Literaturverzeichnus verweist u. a. auch auf
einschlägige Werke moderner Profanhistoriker (Brackmann,
Hampe, Haller, Holtzmann). Auch diesem Teilbande ist ein
kleiner Bilderatlas (mit Erläuterungs-Beiheft) beigegeben, der
67 sorgfältig ausgewählte Kunstwerke des behandelten Zeitraumes
in vorzüglicher Druckteehnik wiedergibt.

Zu fragen bliebe, ob der Begriff „Kirche", auf die mittelalterliche
Christenheit angewendet, der Vielgestaltigkeit und
Weitschichtigkeit dieser Erscheinung gerecht zu werden vermag
. Hier macht sich das Fehlen der dogmen- und frömmigkeitsgeschichtlichen
Voraussetzungen, die für den 2. Halbband
aufgespart sind, bemerkbar. Die spannungsvolle Lebendigkeit
des mittelalterlichen Universums im großen und seiner
Einzelerscheinungen im besonderen ist ohne die — hier gewiß
mit veranschlagte, aber dem Leser bislang noch vorenthaltene
— Geisteswelt August ins schwer verständlich zu
machen. So hängen einige Partien, etwa der gewissenhaft geschilderte
Investiturstreit, sozusagen in der Luft. Hier wird
eine der „Lücken" fühlbar, die durch den Aufriß des Werkes
gegeben sind und hinsichtlich deren uns der Verf. um Zurückstellung
des Urteils bis zum Erscheinen von Band II, 2 bittet
(VI). Diese Bemerkungen, die die kompositorischen Schwierigkeiten
beleuchtet, denen sich der Verf. zu unterziehen hat,
mindern nichts an dem Dank ihm und dem Verlag gegenüber,
der sich der Ausstattung des Werkes auch diesmal — man darf
wohl sagen: nach bewährter Gepflogenheit — so liebevoll annahm
.

Jena Gerhard Oloege