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Ausgabe:

1948 Nr. 6

Spalte:

355-356

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jünger, Friedrich Georg

Titel/Untertitel:

Die Titanen 1948

Rezensent:

Herter, Hans

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 6

356

und Rauch. Im ,,Bani", einer Sammlung seiner Lieder und
Gedichte, heißt es darum deutlich genug: ,,Call Hin Allah,
call Hut) Kama. Leave the branches and grasp the root".
Den Hindus erschien er darum als ein Zerstörer ihres Glaubens
und Mohammedanern mußte .er als Lästerer erscheinen.

Das Buch enthält keine Gesamtwiedergabe der Lieder
Dadus, sondern der Verf. hat nur eine größere Zahl von Gesängen
ausgewählt und zumeist in eigener Übersetzung aus dem
Hindi dargeboten. Dabei ist vermieden worden, in die hin-
duistischen Texte irgendeine christliche Meinung hineinzu-
lesen und ans ihnen eine Art christliches Gesangbuch zu
machen, was leider von anderen Übersetzern nicht immer gesagt
werden kann. Ferner hat der Verf. nicht versucht, die
indischen Lieder in eine europäische Versform zu pressen. Er
ist mit Recht der Meinung, daß eine einfache Prosaform „mit
der ruhigen Würde des Originals" in größerer Harmonie sein
kann als eine krampfhaft versuchte poetische Wiedergabe.
Dem Verf. kann bezeugt werden, daß seine Übersetzung
außerordentlich gut lesbar ist. Das längste Kapitel ist der mit
vielen Textproben durchsetzten Darstellung der Lehre des
Dadu gewidmet. Der Sänger, der wie sein Herrscher Akbar
des Lesens und Schreibens unkundig war, war kein Systematiker
, .sondern ein frommer Sänger, dessen Gedanken um
die Frage der Erlösung kreisten. Großer sittlicher Ernst zeichnete
ihn aus. Inhaltlich bieten die Lieder kaum etwas Neues
über das hinaus, was uns aus den Hymnen etwa der südindischen
Mystiker Manikka-Vasaga oder Tayumanavar oder
aus dem 1000 Jahre älteren Devaram als das Typische der
indischen Gottes- und ,,Heilslehre" bekannt ist. Der besondere
Wert dieser Quellenerschließung aus einem uns sonst sehr
schwer zugänglichen Sprachbereich muß darin gesehen werden
, daß 1. damit eine neue wertvolle Bereicherung unserer
indischen Quellenkenntnis gegeben ist und 2., daß ersichtlich
wird, daß trotz zeitlicher, räumlicher und sprachlicher Trennung
die Ilymnenliteratur des nördlichen und südlichen Indien
als Zeichen der gelebten Frömmigkeit eine auffallende
Ähnlichkeit aufweist.

Die Zahl der heutigen Dadu-Nachfolger ist schwer feststellbar
; der Verf. schätzt sie auf 12000—15000. Mehr und
mehr hat man alle mohammedanischen Elemente ausgeschieden
und sich in Lehre und Praxis dem Standpunkt eines
orthodoxen Hinduismus genähert, was bei dem Übergewicht
der Hindu-Anhänger nicht anders zu erwarten war. Denn mit
Dadus Tode hörte der Zustrom mohammedanischer Anhänger
auf. Von den Zielen und vom Geist der Ursprungszeit soll
kaum noch eine Spur zurückgeblieben sein. Zum Glück sind
die Hymnen unverfälscht erhalten; sie sind bekannter und
weiterwirkender als die zahlenmäßig geringe „Geniemde", die
sich im Lauf ihrer Geschichte dazu hergegeben hatte, als eine
staatliche und waffentragende Hilfstruppe für Steuereinziehung
und militärische Aufgaben, so auch beim Mutiny-
Aufstand 1857, zu dienen.

Es gilt als sicher, daß Dadu keinerlei direkte Kenntnis
der christlichen Glaubenswelt hatte. Zweifellos aber ist Dadus
Gottesbild, sein Gott als Schöpfergott, auf dem Umweg über
den Islam von der biblischen Gottesauffassung mitgeprägt.

Das Buch ist, im Blick auf die geleistete Forschungs- und
übersetzungsarbeit wie im Blick auf seine Bedeutung als
Quellenwerk, eine der bedeutendsten indologischeu Erscheinungen
der letzten Zeit, die Indologen wie Theologen
gleicherweise dankbar zu begrüßen haben.

Dresden Arno Lehmann

Jünger, Friedrich Georg: Die Titanen. Frankfurt a. M.: Klostermann 1944.
127 S. kl. 8».

Jünger sieht im Mythos der Griechen (in der Mythe, wie er sagt) ,,das
unzerstörbare Urgestein unseres Denkens" ; er ist davon überzeugt, daß wir
beständig mythische Situationen wiederholen, und schreibt für den aufmerksamen
Leser, der das Vergangene auf die Gegenwart und die Gegenwart
auf das Vergangene anzuwenden versteht. Wie schon in seinem
Buche „Griechische Götter", das sich Apollon, Pan und Dionysos widmete
(ThLZ 1943, 279ff.), findet er auch in dem kurz darauf gefolgten Werke
„immerdar gültige und wirksame Gestalten" und stellt damit Otto und
Kerenyi nicht gar so fern. Diesmal konzentriert er sich auf die Titanen,
die er zusammen mit den andern Mächten des kosmogonischen Teils
des Mythos behandelt, alles Wesen, die sich nach seinem in vielen Fällen zutreffenden
Empfinden aus ihrem elementaren Urgrund noch nicht so abgelöst
haben wie die Olympier. Den Kreis der Titanen beschränkt er nicht ängstlich,
wenn er manchen Erscheinungen wie den Hekatoncheiren und Kyklopen eine
verwandte Natur zuspricht und Hekate sogar direkt zu ihnen rechnet. Er
sieht diese Göttin mit den Augen Hesiods, der in seinem Hymnos in der Theo-
gonie freilich ein Dokument ganz individuellen Glaubens bietet, und derselbe
Dichter ist es, der überhaupt das Fundament der gesamten Darstellung zu

liefern hat und schlechthin als Repräsentant des Mythos gewertet wird; die

Berechtigung dazu wird S. 73f. von dem Grundsatz abgeleitet, daß der Mythos
eine dichterische Schöpfung sei (ursprünglich nach S. 93 allerdings anonym).
Aber da sind doch Unterschiede. Es ist zwar richtig, daß Elementarmächte
wie Okeanos und Helios Persönlichkeiten, keine Personifikationen sind, aber
wenn z.B. S. 31 auch Pontos unter den „herrlichen, kraftvollen Gestalten"
hervorragen soll, so wird man hier doch vielmehr eine Figur finden müssen,
die erst Hesiod personifiziert, aber nicht mehr zur Persönlichkeit entwickelt
hat, Hesiod, der eben den Übergang vi'iu mythischen zum philosophischen
Denken macht und daher auch den Anfang des „Absterbens der Imagination"
erkennen läßt. Andererseils enthält die Theogonie aber auch wirklich manche
Namen, die nur kurz erwähnt werden und doch alt sein können und einstmals
vermutlich viel bedeutet haben wie z. B. Koios. Von Eros hingegen, dem
der Dichter aus eigener Spekulation heraus einen Platz unter den ältesten
Gestalten einräumt, hat auch Jünger abgesehen, und einmal denkt er für
Erga III sogar an eine Interpolation.

Ich glaube an dieser Stelle nicht auf die religionswissenschaftlichen Probleme
,' die mit den Titanen und ihrem vielseitigen Verhältnis zu den olympischen
Göttern verknüpft sind, eingehen zu brauchen, und erst recht scheinen
mir Einzelausstellungen fehl am Platze zu sein. Zwar meine ich, daß falsche
Schreibungen griechischer Namen sich unter allen Umständen vermeiden lassen
sollten (es muß Aphrogeneia, Protogeneia, Phaethon, Eurytos, Ortygia,
Hyperboreer heißen) und daß Chaos Neutrum bleiben muß, auch wenn man
ihm gerne etwas mehr Persönlichkeit leihen möchte, aber an die Konzeptionen
des Verf s die kritische Sonde anzulegen, hieße das eigentümliche Leben verkennen
, das der griechische Mythos unter seinen feinfühligen Händen gewinnt.
Es handelt sich in diesem Buche eben gar nicht um eine wissenschaftliche Bearbeitung
des Stoffes, sondern um die neue und originale Sicht eines Dichters;
es geht nicht darum, was die Titanen den Griechen waren, sondern was sie
einem modernen Menschen sein können.

Das Bild, das Jünger uns von ihnen entwirft, ausgehend von Gestalten
wie Okeanos, Helios, Eos, Selene und den Hören, sei hier mit wenigen, meist
seinen eigenen Worten zusammenfassend wiedergegeben. Nicht vermessene
Frevler und rohe Gesetzesverächter sind sie, auch keine ungeordneten Massen
von tellurischer Ungcschlachtheit wie die Giganten, sondern Beherrscher der
notwendigen, geradezu mechanischen Gesetzlichkeit des ewigen Kreislaufes
des Bestehenden. Sie verkörpern das dauernde Werden, das immer in sich
selber zurückkehrt; wie sie das schweigende und veränderungslose, mehr räumliche
als zeitliche Reich des Uranos abgelöst haben, so werden sie ihrerseits von
den Göttern abgelöst, denen es vorbehalten ist, die Bewegung in der Vollendung
zur Ruhe kommen zu lassen. Aus der zyklischen Notwendigkeit strebt
aber einer der Titanen, Prometheus, in schöpferischer Intelligenz und erfinderischer
Arbeit zu unbegrenzten Neuentwicklungen: aber auch dieser
geistige Titanismus erliegt wie der elementare des Kronos und der Seinen dem
Zeus, und doch wirken beide fort, um der Herrschaft der Götter Bestand und
Widerstand zu sichern, gegen den sie sich absetzen und zu seligem Selbstgenügen
und ruhiger Fülle des Seins Gestalt gewinnen kann. Der Mensch
aber lebt unter dem Regiment der Titanen in der Geschichtslosigkeit ewiger
Wiederkehr ein leichteres Leben als im Zeichen der Götter, unter denen er
in Reife und Geistigkeit größeres Glück, aber auch größeres Leid erfährt.
Will er nun aber selber Titanisches erstreben und prometheisch schaffen, so
geht er gerade an den Mächten zugrunde, zu denen er tendiert: im Freiheitsdrang
seines Willens stößt er gegen die unerbittliche Härte des Elementaren
und verliert sich im Sisyphismus der Arbeit um der Arbeit willen; wie er die
Natur mit dem Verstände zu beherrschen sucht, wird er in den von ihm selbst
hervorgerufenen technischen Mechanismus hineingezogen und schließlich von
der Explosion der Kräfte, die er stärkte, fortgesprengt. Vor die Maßlosigkeit
der titanischen Leidenschaft hat Apollon wie Riegel sein „Nichts zu sehr!"
und „Erkenne dich selbst!" gelegt, denn die Götter lieben es nicht, wenn der
Mensch sich übernimmt. Darin gipfelt für Jünger die Lehre des Mythos, und
hiermit ist er dem historischen Griechentum auch ganz nahe geblieben.

Bonn Hans Herter

NEUES TESTAMENT

Hauch , Friedrich: Die Briefe des Jakobus, Petrus, Judas und Johannes

(Kirchenbriefe) übers, und erklärt. 4. durchges. u. ergänzte Aufl. Göttingen
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von sehr unterschiedlichem Wert. Es muß offen ausgesprochen
werden, daß es ihnen nur teilweise gelungen ist, sich so
in den Text und seine Problemstellung einzuarbeiten, daß
diese verstanden wurden. Andere Ausleger sind der Gefahr
erlegen, mehr oder weniger praktische Einzelerklärungen den
Übersetzungen anzufügen, ohne den Text selber zu erreichen.