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Ausgabe:

1948 Nr. 6

Spalte:

329-342

Autor/Hrsg.:

Urner, Hans

Titel/Untertitel:

Die Taufe bei Caspar Schwenckfeld 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 6

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Die Taufe bei Caspar Schwenddeld

Von Haus Urner, Berlin

über die Taufe hat Schwenckfeld sich zusammenhängend
und ausführlicher erst geäußert, als sein Bruch mit Lutlier
vollzogen und die Richtimg seines abweichenden Weges bereits
festgelegt war, und zwar in den Schriften „Von dem Kinder-
tauf" und ,, Quaestiones de baptismi sacramento" (1530)l. Der
Anstoß zu einer eingehenden Beschäftigung mit der Tauffragc
ging vermutlich 1528 von Bucer aus. 1531 schreibt Schwenckfeld
an Johann Bader: „Butzer hat selbs angefangen mit mir
dauon zureden / vnd mich gebetten mit jhm zuconferiren"
(IV, 243; vgl. III, 74—82, Brief an Bucer). Später, als er schon
unzählige Male seine Auffassung von der Taufe dargelegt
hatte2, versäumt er doch nicht immer wieder zu betonen, wie
wenig ihm im Grunde an diesemLehrstück gelegen sei. So schreibt
er etwa au Sibilla Eisler 1554bekömmern vnns / vmb den
Tauff Jhesu Christi / der im H: Geiste vnnd fewr geschieht /
Inn welchem die hertzen gereiniget / vnd vonn sünden abgewesenen
werden. Streiften mit niemande / vmb Ceremonien . . .
Wir haben nichts mitt dem kiudertauff zuschaffen" (XIV, 147).

Schwenckfelds theologische Gedankenbildung hat einen
durchaus praktischen Ansatz. Er sieht mit Schmerz den
Mangel an Heiligung bei denen, die unter der Predigt der
Rechtfertigung leben.

In seiner „Ermanung Des mißzbrauchs Etzlicher furnemster Artikel!
des Etiangclij / auß welcher vnverstant der gemein man in fleischliche freyheit
vnd irrung gefuret wirt" heißt es 1524: „An ( = ohne) den glauben aber mag
ich / noch ( = weder) gotis gnadenn noch des tauffs / ya auch gottis Wortes nicht
gebrauchen ... Es sein aber etzliche menschen so balde sie den selben hören /
hangen vnd hafften sie nur euserlicher weyse doran . . . Solche menschen . . .
ertichten ihn selbst bey irem bösen leben einen glawben vnd Sicherheit". Darauf
bezieht sich die bewegliche Klage in dem Briefe, den Schwenckfeld im selben
Jahre gemeinsam mit Hans Magnus von Langenwalde an den Breslauer Bischof
Jakob von Salza richtet: „Es beweget vns auch nicht wenig / Ja es geet vns
durch vnser hertz so wirs erfaren" (1, 269).

Aber seine theologische Bemühung richtet sich nicht zuerst
auf die Problematik des Verhältnisses von Rechtfertigung
und Heiligung, sondern von vornherein auf Wort und Sakrament
als die konstruktiven Elemente des Gemeindelebens.
In der mißbräuchlichen Verwaltung der Gnadenmittel erkennt
er die Ursache des unheiligen Lebens. Der Mißbrauch
entsteht letzlich aus der Mißachtung der innerlichen Erneuerung
der Geistlichen und Laien, dem bloß äußeren Gebrauch
, der dem opus operatum der Papisten ganz nahe kommt.

So sagt er in dem Wittenberge? Gespräch 1525 zu Bugenhagen: „Mein
lieber Herr / Ja wir sehen auff den mißbrauch / vnd haben dabey viel erkandt
von den Gnaden Gottes , Nu wäre an demselbigen nicht so viel gelegen / es war
auch solcher Mißbra ich villeicht nie so weit eingerißen / als nemlich/daß man
auss dem brauch des Sacraments ein wercke gemacht hat / So jhrs nicht dermaßen
het geleeret / vnd das jammert vns / Denn wir laßen vns beduncken / es
scy solche Leer dem Glauben entgegen / darauff ist nu der gemeine Mann gefallen
" (II, 256)».

Diesen praktischen Ansatz hat Karl Ecke in seinem Schwenckfeldbuche
sehr übersichtlich dargestellt1, aber er hat es versäumt zu zeigen, wie dieser

') Corpus Schwenckfeldianorum (15 Bde. Leipzig 1907—1939) III, 812
—824. 846—858 (Im Folgenden wird das Corpus nach Band- und Seitenzahl
ohne weitere Angaben zitiert). Auf diese beiden Schriften ist die Darstellung
der Tauflehre'Schwenckfelds gegründet, die Erich Seeberg in seinem Aufsatz
„Der Gegensatz zwischen Zwingli, Schwenckfeld und Luther" gegeben hat
(In: Reinhold-Seeberg-Festschrift I, Zur Theorie des Christentums. Leipzig
1929, S. 43—80). Sonst ist die Spezialforschung über Schwenckfeld in neuerer
Zeit nur noch durch den Aufsatz von Emanuel Hirsch, „Zum Verständnis
Schwenckfelds", wesentlich gefördert worden (In: Festgabe . . . Karl Müller
zum 70. Geburtstage dargebracht. Tübingen 1922, S. 145—170). Ein guter
Beitrag zur Erhellung der Biographie Schwenckfelds ist der Vortrag von
Julius Endriß, „Kaspar Schwenckfelds Ulmer Kämpfe", Ulm 1936. Vgl. im
übrigen Heinrich Bornkamm, Mystik, Spiritualismus und die Anfänge des
Pietismus im Luthertum, Gießen 1926, und die hierher gehörenden Abschnitte
seines Buches „Luther und Böhme", Bonn 1925.

') Diese Darlegungen sind in allen Schriften und Briefen verstreut. An
selbständigen Schriften größeren Umfangs sind noch zu nennen der Brief an
Johann Bader 1531 (Von Kiudertauff IV, 240—261), der Brief an den Landgrafen
Philipp von Hessen 1535 (Ein bedencken vom Kindertauff V, 385—400),
dasjuditium „Vber das new Buechlin der Tauffbruedcr" 1542 (VIII, 168—214)
und die Schriften gegen Matthias Flacius (XI11—XV, a. d. Jahren 1553 bis 1557).

*) Ebenso auch später in dem „Judicium von den jetzigen bestelten Prc-
dikanten . . ." 1534 (V, 122—142, z. B. 134—135). Schwenckfelds „ethisches
Anliegen" stellt auch Hans Emil Weber (Reformation, Orthodoxie und Rationalismus
1. Teil 1. Halbband. Gütersloh 1937, S. 281—289) als erstes heraus,
ehe er auf die „gnostische Verkehrung" zu sprechen kommt.

') Schwenckfeld, Luther und der Gedanke einer apostolischen Reformation
. Berlin 1911, S. 70—96.

Ansatz Schwenckfelds Theologie ebenso verdirbt wie befruchtet. Er konnte es
nicht zeigen, weil er es nicht zeigen wollte, weil er es mit seinem Buche unternommen
hatte, Schwenckfeld als den willkommenen Erneuerer der heutigen
evangelischen Kirche zu preisen. So kommt es zu einem unverhältnismäßig
großen Kapitel über Schwenckfelds „Kirchenideal" (S. 99—156), während das
„Heilserlebnis" zwar als grundlegend für Schwenckfelds Leben sowohl als für
seine Lehre (S. 56) erkannt, aber unzureichend und teilweise falsch dargelegt
wird (S. 48—57). Falsch sind auf jeden Fall die Analogien aus dem Bekehrungserlebnis
des späteren Pietismus, bei August Hermann Francke und Johannes
Evangelista Gcßner, trotz aller sonst aufzuzeigenden Verbindungslinien).

Der praktische Ansatz verleitet Schwenckfeld dazu, sein
theologisches Nachdenken einseitig auf die innere Erneuerung
des Menschen zu richten. Nur die Wiedergeburt
, die nicht allein geglaubt, sondern empfunden sein
will, gibt die Gewähr des heiligen Lebens.

So heißt es schon in der erwähnten „Ermanung" von
1524: , ,Darumb vbe sich alhie ein yder . . . das her eygentlich
erkenn vnd ym hertzen fuelen lernne den gunstigen lieben
willen so gott der vater vmb Christus wille zu ihm tregt / her
wirt sich wol von sunden hinfur euthalden ..." (II, 50/52).
Später sagt er mit deutlicher Absetzung der wahren „christlichen
Taufe" von der am Kinde vollzogenen äußeren Taufhandlung
und unter völliger Gleichsetzung dieser wahren
Taufe mit der Wiedergeburt in der Schrift „Von dem Kinder-
tauf" 1530: „Dyß ist der Christenlich tauf das hinfur der
getaufft nit ein alter mensch / chain sundiger mensch mer
vor got sej / sonder gantz new . . . Hie muß etwas empfunden
werden sonst ist der trost nichts . . ." (III, 813). Das innerliche
Empfinden ist die Geistestaufe, denn „Wo aber innerlich
nichts wäre empfangen / oder nichts würde empfunden /
das ist wo der mensch nit durch Christum im heiligen Geist
getäufft wäre / wie obgemeldet / so würd das eußerliche eben
als viel trösten vnd erfreuwen / als ein Weinkrantz / da kein
wein im keller ist / Es wäre ein lärer trost / da keine ergetzung /
freud oder settigung nachfolgte" (VII, 449 Brief an Johann
Sigismund Werner. 1541)'. Die Wiedergeburt geschieht in der
Buße. In dem „Catechismus auff etliche fragen vnd Antwort
vom Christlichen glauben / vnd vom grund vnd anfang vnnscr
säligkeit" (1531) wird gefragt: „Wie möcht ich dann zu der
widergepurt kummen. Antwort / durch ain bekerung oder
rechtgeschaffne bestendige büß (IV, 221). Gewiß ist Schwenckfeld
mit der Bibel vertraut genug, um zu wissen, daß die Erneuerung
nicht Menschenwerk, sondern Widerfahrnis durch
Gott ist. Gott kommt allein in Christus, der im wiedergeborenen
Herzen Wohnung nimmt, zum Menschen. Christus
ist Wort, Geist, Wasser, Brot, Wein — alles zugleich 2. „Wenn
wir Denen ( = den) im glauben recht ergreiffen / vnd mit den
Schnürlin der Liebe zu vns ins hertze ziehen / so haben wir
Tauffe / Nachtmal vnd alles / Denn in Ihm ist die fülle" (VIII,
227. Sendbrief an Elisabeth von Laubenberg. 1542), Christus
vollzieht zwar als das lebendige Wort Gottes die Wiedergeburt
. Er ist selber das Wasser in Joh. 3, 5 (VII, 444 Brief
an Johann Sigismund Werner. 1541). Aber doch können Buße,
Bekehrung, Glaube des Menschen in solcher Weise als Korrelat-

') Schwenckfeld konnte sich auf die bekannte Stelle aus Luthers Magni-
ficat berufen: „Niemant kanß aber von dem heiligen geist habenn / er erfareß
vorsuchs vnd empfinds denn" (W. A. VII, 546. H[einrich[ W[ilhelm] Erbkam,
Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation. Hamburg
u. Gotha 1848, S. 418). Richard H[einrich] Grützmacher (Wort und Geist.
Leipzig 1902, S. 10) nennt dieses Lutherwort eine „genuin mystische Stelle"
(vgl. ebenda S. 39). Auch Erbkam a.a.O. S. 418 sah das Charakteristikum
bereits mit der Betonung der inneren Erfahrung gegeben. Der Begriff der
Mystik wird dabei aber allzu weit gefaßt. Ähnliches ist gegenüber Heinrich
Bornkamm (Protestantismus und Mystik. Gießen 1934) zu bemerken. Borr.-
kamm bezeichnet als das Urgeheimnis der Mystik „ein unmittelbares Innesein
Gottes, das nicht des Wortes, der Offenbarung, des Gedankens bedarf" (a. a. O.
S. 4). Für diese „Mystik" im weiteren Sinne sollte man besser nur den Terminus
„Spiritualismus" verwenden. Die Mystik im engeren und eigentlichen
Sinne umschreibt Bornkamm so: „Wie in den Tiefen der Natur wird der
Mystiker auf dem Grunde der eigenen Seele über alles Aussagbare hinaus des
Gottes gewiß, der ihn im Innersten wie draußen das All durchwirkt ... im
eigenen Seelengrund bleibt der Mensch ewig bei sich selbst" (a.a.O. S. 12).

■) Nach Anführung von I. Kor. 4, 15; Joh. 3, 5; 1. Petr. 1, 23; Jes. 12, 3
und Off. 22, 1: „Weichs Im grund alles ains vnd nichts anders dann Christus
der bronn des Lebens ist" (XIV, 182 Antwort vnd Gegenbericht . . . 1554).
Ober diesen Mangel an Präzision macht sich schon Flacius lustig: „Was ist
er aber für ein toller Heiliger, dem das Wort Gottes das Wesen selbst ist, das
Evangelium ist ihm das Wesen Gottes, unsere Erneuerung ist ihm das Wesen
Gottes, alle Gaben des heiligen Geistes sind ihm das Wesen Gottes" (Verlegung
der kurzen Antwort des Schwenckfeld 1554, zit. bei Erbkam a. a. O. S. 417).