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Ausgabe:

1948 Nr. 6

Spalte:

325-328

Autor/Hrsg.:

Beth, Karl

Titel/Untertitel:

Über Möglichkeit und Wirksamkeit des Gebets 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 6

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Prämissen arbeitet, die z. B. das Wunder a priori leugnen, ist
für diesen Stoff von vornherein inadäquat. Wunderangst ist
ebenso töricht wie Wundersucht, weil beide nicht auf den
Sinn der Metawirklichkeit achten, die sich im Heiligen erschließt
. Deshalb muß die Erforschung des Heiligen und der
Heiligen vom Willen zu neuen Einsichten erfüllt sein. Es gilt
zu versuchen, auch befremdliche Phänomene zu verstehen,
statt sie zu leugnen, und auch vor den rätselhaftesten Dingen
nicht vorschnell zu kapitulieren. Nigg hat ein richtiges Empfinden
dafür, daß es sich die rationalistische Kritik gegenüber
dem Phänomen des Heiligen im Grunde viel zu bequem
macht: durch die Prämisse, daß es all dies gar nicht gibt und
geben darf, was den eigentlichen Lebensbereich des Heiligen
ausmacht, dispensiert sie sich von der Erfassung und Durchdringung
dieses Lebensbereiches, dessen Realitäten ihre

eigenen Prämisse in Frage stellen und ihr primitives rationalistisches
Weltbild umstürzen könnten.

Durch die Aufstellung dieser Grundsätze hat Nigg ohne
Zweifel die Bahn freigemacht für eine neue adäquate Erfassung
charismatischer Typen der christlichen Frömmigkeit und für
die Wiedergewinnung einer Schicht der Metawirklichkeit, für
die der modernen Zeit unter dem Einfluß unangemessener
Denkkategorien und Anschauungsformen das Sensorium sehr
zu ihrem Schaden verkümmert ist. Es wäre zu wünschen, daß
sich diese Betrachtungsweise des Heiligen auch auf anderen
Wissenschaftsgebieten durchsetzen würde, wie z. B. innerhalb
der Kunstgeschichte, wo ja auch die Deutung religiöser Kunstwerke
— vor allem im Bereich der ostkirchlichen und mittelalterlichen
Kunst — unter der Anwendung inadäquater Kategorien
der Auslegung und der Kritik besonders zu leiden hat.

über Möglichkeit und Wirksamkeit des Gebets

Einige Bemerkungen von Karl Beth, Chicago

„Ich kann nicht beten." „Ich habe das Beten verlernt,
weiß nicht, wie es anfangen." „Ach, ich möchte ja so gern
beten!" — Das sind Worte, wie sie nur zu oft des Seelsorgers
Ohr treffen, sei es mit Holm und Spott ausgesprochen, sei es
aus der zerrissenen Seele, die in ihrer Betrübnis nicht aus
ihrer Desintegriertheit zur Ruhe gelangen kann.

Was ist es denn, das in den meisten Fällen das Beten
erschwert oder unmöglich macht ? — Im allgemeinen nichts
anderes als die persönliche Einstellung zur Umgebung und zu
sich selbst.

Es ist kein Wunder, daß in Zeitläuften wie in den gegenwärtigen
jene Klagen lauter erschallen. Wenn wir während
der Jahre der letzten zwei Kriege samt ihrem Drum und Dran
unausgesetzt Särge mit teurem Inhalte in die Erde senkten;
wenn unzählige Menschen sarglos und sorglos unter die
dünnste Epidermis dieses Planeten verscharrt wurden, so
mochte es uns wohl bisweilen dünken, als ob wir unsere eigene
persönliche Vergangenheit wie wertlos gewordenen Abfall
mitverschauf elten, als nähmen wir teil in dumpf halbbewußtem
Zustand der Seele an einem einzigen, lang gedehnten, um so
verständlicheren Sterbeusakt. Massenhaftes Sterben und Verderben
grinst uns an wie die selbstvertäudliche Rache der
Natur oder des Weltgeschehens an dem Unverstand der Bestie
Mensch. Was wir um uns her gewahren, zeigt ein Weggerafftwerden
ohne Schicksal, ein Verhängnis ohne Wahl, ein plötzliches
Aufhören ohne vorherige Vollendung, hinausgeschleu-
derte Saat ohne Aussicht auf Ernte, ja ohne Keimkraft . . .
Das alles schien, scheint noch immer zu illustrieren jene Sinnlosigkeit
der Existenz, welche der moderne französische
Denker Jean-Paul Sartre zum Ausgangspunkt seines „Exi-
stenzialismus" machte, zum Auf bau einer Weltansicht, die ein
Chaos aus dem Reiche des Dämonischen aufsteigen läßt.

Schlimmer noch, wo man mit dem chaotischen Eindruck
spielt, den die phänomenale Welt macht. Die Welt scheint
ins Chaos zu versinken. Schon die Antike kannte, bestaunte
das Chaos, aber sie ließ den Kosmos aus dem Chaos entstehen,
Ordnung und Zweck aus dem Tohuwabohu. Dieser Formel
setzt man heut auf Grund reicher Erfahrung entgegen: Aus
dem Kosmos das Chaos. Es ist die Sinnlosigkeit, die als Fazit
aller Kultur erscheint. Wo jedoch rohe Kräfte sinnlos walten,
da kann sich kern — Gebet gestalten.

Warum aber erklärt mau denn die Welt für sinnlos ? Weil
man nicht den Sinn in ihr findet, der einem genehm ist und weil
man außerstande ist, sie anders zu gestalten, da man sie ja
in langer Anstrengung gerade so gemacht hat. Ebenso: Gott
existiert nicht, weil er so ist, wie er ist, statt so zu sein, wie
wir ihn wollen. Wir befinden uns nun einmal unentrinnbar in
einer Umgebung, die gerade durcii ihre Unaufhebbarkeit sich
zeigt als das Produkt des „Geistes, der stets verneint" und
nicht als dessen, der das Gute schafft.

Die Sphäre dieses Geistes, der steten Verneinung, ist tatsächlich
diejenige, aus der heraus wir gemeinhin zu beten versuchen
.

Natürlich ein vergebliches Bemühen.

Wir mögen uns dabei beobachten, wie wir unmittelbar aus
unseren alltäglichen Gedanken heraus und im Vollbewußtsein
unserer Kultur- und Weltbejahung Bitten um eben diese
Kultur und Welt vorbringen. Es ist diese unsere ungeistige
und ungöttliche Welt, mit der im Herzen und für eben deren
guten Bestand wir uns an Gott wenden: die Welt unserer Vorstellung
, unseres Willens und unserer Wunsche. Da macht's
gar nicht mehr viel aus, ob solcher Beter jene Welt ernsthaft
verneint und als sinnlos erkennt oder als den Inbegriff seiner
Ziele bejaht. Es ist die Welt des Geistes der Verneinung!

Der Mensch, der seine Wünsche, seine eigenen oder seines
Kreises Anliegen an Gott heranbeten will, wandelt auf einem
Gleise, das nicht auf jene freie Höhe führt, wo Gebetsluft geatmet
wird. Wir stehen vor dem grundsätzlichen Unterschied,
ob wir etwas an Gottes Willen heranbeten wollen, oder ob
wir etwas aus Gottes Willen herausbeten. Die erste dieser zwei
Arten des Betens erscheint uns als ganz natürlich. Deshalb
erwähne ich sie hier nicht im Sinne eines Verwerfungsurteils,
sondern in dem eines einfachen Erfahrungsurteils, auf Grund
zahlreicher Eingeständnisse von seelsorgerlicher wie von
Laienseite. Wir stehen vor der einfachen Tatsache: der Mensch,
der vom lastenden Druck seiner Tagesarbeit und Sorgen sich
zur Religion wendet, um für einige Weile in die Höhe zu
fliegen, vielleicht in einer flüchtigen Ruhepause (ach! wer hat
denn solche schon ? außer bei den Primitiven Afrikas fand
ich sie unter den „im Leben Stehenden" kaum), dieser Mensch
ist eben im Augenblick seiner Wendung zur Frommheit voller
Pläne, Wünsche, unerledigter Geschäfte, dringender Aufgaben
und Sorgen, die ihn so völlig in Anspruch nehmen, daß er sich
von ihnen nicht schlichtweg frei machen kann. So begibt er
sich mit ihnen in die andere Sphäre, alles das zu weihen.
Dazu ist ja die Religion da, so hörten wir oftmals sagen, eben
dazu, das Alltägliche zu verklären. Wie käme er dazu, sein
tägliches Werk lür nichts zu achten in eben dem Augenblick,
wo er sich mit Himmelsglanz umgeben möchte ? Er wird vielleicht
seine Sorgen und Pläne auf Gott werfen wollen, da
der Allweise und Allwissende besser als er seine Fehler und
Bedürfnisse versteht.

Aber nun ist's doch zweierlei, ob der Beter für diese seine
Anliegen die wahre Weihe und die Einordnung in Gottes
Willen sucht oder ob er sie an sich und ebenso, wie sie seinem
Begehren entspringen, zum Gegenstand seines Betens macht.
So gewiß der rechte Fromme all sein Denken und Streben
vor Gott bringen und in Gott reinigen muß, es bleibt dennoch
dabei, daß innerhalb des christlichen Geistes die persönlichen
und auch die gemeinschaftlichen Anliegen als solche zu allerletzt
kommen, ja daß der Beter ihrer überhaupt nur dann erwähnen
kann, wenn er sich von vornherein ausgeschaltet hat.
Denn der Beter kann ihnen nur dann einen zutreffenden Platz
im Gebete sichern, wenn er seinen eigenen Willen mit demjenigen
Gottes identifiziert hat. Geht er den umgekehrten
Weg, so kann er nicht sicher sein, Gott zu begegnen. Doch
dies ist das Wesentliche des Gebets, nämlich dies, mit Gott
zusammen zu sein, mit Gott zu sprechen, von ihm Antwort
oder Weisung zu erhalten, von ihm geleitet, inspiriert zu sein.

Man darf es nie übersehen, daß im christlichen Gebet
Gott der eigentlich Sprechende ist. Denn es ist ja überhaupt
erst dadurch ermöglicht worden, daß Gott sich zu uns gewendet
hat in einem geschichtlichen Akte. Es ist dadurch
möglich geworden, daß Jesus Christus, der geschichtlich greifbar
gewordene Faktor in Gottes Wesen, die entscheidende
Geschichtsweude herbeigeführt hat, dadurch, daß der göttliche
Logos zur Welt gesprochen hat; dadurch, daß Gott trotz
alles Unglaubens und trotz aller Ablehnung seitens der Welt
sich als die Eine absolute Geschichtsmacht erwiesen hat, als
derjenige, welcher „zu Stand und Wesen bringt, was Seinem
Rat gefällt". Unser echtes Gebet ist daher in erster Linie die
Autwort auf dies Reden Gottes in die Welt hinein. Oder, in
anderen Worten, es ist die Anerkennung des in die Geschichte
eingreifenden, die Geschichte „dennoch" lenkenden, die Welt
„dennoch" regierenden Gottes.

Also ist unser Gebet zuerst Anerkennung Gottes, Bekenntnis
zum Vater, Anbetung. Mit Anbetung beginnt und
mit Anbetung schließt unser Mustergebet. Wer das Vater-