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Ausgabe:

1948 Nr. 5

Spalte:

286-288

Autor/Hrsg.:

Doerne, Martin

Titel/Untertitel:

Kirche und theologische Fakultäten 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 5

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kirchlichen Auftrages beider willen, niemals zu einer Bevormundung
des einen Teiles durch den anderen führen, wohl
aber zur praktischen Mitarbeit theologischer Lehrer in der
Kirchenleitung einerseits und zu einem wirksamen Angehörtwerden
der Kirchenleitung bei der Auswahl des theologischen
Dozentennachwuchses und vor der Berufung der
theologischen Lehrer andererseits.

10. Die theologischen Fakultäten, die sich im theologischen
Lehramt der Kirche wissen, werden gerade deshalb
ohne Neid auf besondere kirchlich-theologische Ausbildungsstätten
(Kirchliche Hochschulen, Seminare u.dgl.)
blicken, die aus der besonderen kirchlichen Entwicklung der
Vergangenheit oder aus der besonderen konkreten Notlage der
Gegenwart heraus entstehen. Die theologische Fakultät sollte
dabei ihren einzigartigen Auftrag, die Vereinigung von Forschung
und Lehre in der Universitas litterarum, ganz besonders
wirksam herausarbeiten. Sie wird sich aber durch das
Vorhandensein kirchlicher Hochschulen immer wieder selbstkritisch
an ihre besonderen Gefahrenpunkte mahnen lassen:
die mangelnde kirchliche Vita communis zwischen Lehrern
und Studierenden; die Gefahr einer kirchenfremden wissenschaftlichen
Isolierung und die mangelhafte wissenschaftliche
Vorbildung der heutigen Studierenden hinsichtlich der Sprachen
und der Allgemeinbildung. Auf allen diesen Gebieten
haben die kirchlichen Hochschulen ihr besonderes Daseinsrecht
vor den Kirchenleitungen und vor den theologischen
Fakultäten zu erweisen. Dabei wird, um die Entstehung eines
Clerus minor zu vermeiden, an dem Grundsatz des theologischen
Universitätsstudiums für alle künftigen Geistlichen
festzuhalten sein, sofern die von der Kirchenleitung an die
Fakultäten zu richtenden Voraussetzungen (vgl. These 2 und
6—9) zutreffen.

11. Die auf Vertrauen ruhende, praktische Zusammenarbeit
zwischen Kirchenleitung und theologischer Fakultät hat
sich kirchlich zu bewähren in der Mitarbeit des theologischen
Lehrers in seiner Kirche und Kirchengemeinde, in dem Amt
der Universitätsprediger, in dem Mitleben der theologischen
Fakultät mit dem Leben der Studentengemeinde und in dem
Bemühen um eine geistlich begründete Lebensgemeinschaf*
der Theologiestudierenden, etwa durch Einrichtung von Kon-
vikten, die von Kirchenleituug und theologischer Fakultät
gemeinsam zu schaffen und zu tragen wären. Dabei wird das
Vertrauen zwischen Kirche und Theologie um so tiefer begründe
* sein, je mehr das theologische Lehramt zugleich seelsorgerlichen
Dienst geistlicher Hilfe an den Studierenden (im
Einzelgespräch; in der Bibellese und im Gebet) ausrichtet und
sich dabei nicht nur mit dem Wirken eines Studentenpfarramtes
begnügt.

12. Dieses praktische Zusammenwirken von Kirchenleitung
und theologischer Fakultät aus ihrer kirchlichen Verantwortung
gilt auch der Gewinnung des rechten und ausreichenden
Nachwuchses; durch das Eintreten für besondere
humanistische Vorbildungsstätten, trotz und wegen der Einheitsschule
; durch Förderung besonderer Vorstudieneinrichtungen
, die den alten Sprachen und der Allgemeinbildung
dienen und auch Nichtabiturienten den Zugaug zum theologischen
Studium bahnen sollten, endlich durch die von beiden
Seiten zu bejahende Forderung, daß der junge Theologe von
Beginn seines Studiums an mit seiner Kirche und ihren geordneten
Ämtern in Beziehung tritt (Studentenpfarrer; Kirchlicher
Mentor; Kirchliche Freizeiten; Vorstellung bei Superintendent
und Bischof).

13. Praktisches Zusammenwirken führt Kirchenleitung
und theologische Fakultät auf dem Gebiet des theologischen
Prüf ungswesens zusammen, weil es keine wissenschaftliche
Prüfung in rechter Theologie gibt, die von dem kirchlichen
Quellgrund dieser Theologie absieht, und weil es keine kirchliche
Prüfung für das Predigt- und Hirtenamt gibt ohne rechtschaffene
wissenschaftlich-theologische Kenntnis und Arbeit.
Beides, die wissenschaftliche und die kirchliche Seite der
Prüfung wird zweckmäßigerweise, um der Prüflinge willen, in
einem Prüfungsakt zusammengefaßt, sofern nicht außerkirchliche
Bestimmungen das unmöglich machen und die
Kirchenleitung gegen ihren Willen zwingen sollten, ihre
Prüfung pro licentia concionandi getrennt von einer wissenschaftlichen
Universitätsprüfung vorzunehmen. Bei der Prüfung
sollten sich die theologischen Hochschullehrer im besonderen
Maße als im Amt der Kirche befindlich wissen und
sollte die Kirchenleitung sich vertrauensvoll der Mitwirkung
des theologischen Lehrers als eines Lehrers der Kirche bedienen
. Unaufgebbar für eine Kirchenleitung aber bleibt, daß
sie selbst, am besten durch den Bischof und seine geistlichen
Mitarbeiter, sich das Urteil darüber vorbehält, wer in den
Dienst der Kirche treten kann und wer nicht.

14. Praktisches, gemeinsames Wirken ist der Kirchenleitung
und der theologischen Fakultät, die beide der Verkündigung
und der ständigen Selbstreinigung der Kirche
dienen wollen, auch anbefohlen bei der theologischen
Fortbildung der Geistlichen, die zu den vornehmsten
Pflichten echter geistlicher Leitung gehört. Die Bedeutung
der amtlichen Pfarrkonvente, der freien theologischen Konferenzen
und Arbeitsgemeinschaften unter den Geistlichen,
der Pfarrerkurse und Pfarrerrüstzeiten, sowie die pflichtmäßige
Forderung und Förderung des theologischen Einzelstudiums
kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Gerade
hier aber ergibt sich, ohne organisatorische und rechtliche
Schwierigkeiten, ein weites Feld vertrauensvoller Zusammenarbeit
, bei der sich bewähren wird, daß Kirche und Theologie
nicht ohne einander zu leben vermögen.

Berlin F. W. Krummacher

Kirche und theologische Fakultäten

(vom Standort der Fakultäten aus gesehen)

I. Grundsätze

1. Theologie ist eine Lebcnsfunktion, ein „Amt" der
Kirche, nämlich die kritische Selbstbesinnung der Christenheit
auf ihren im Glauben ergriffenen göttlichen Ursprung und
auf die Wahrheit ihres in diesem Ursprung gegründeten Seins.
Die wissenschaftlichen Aufgaben der Theologie stehen nicht
beziehungslos neben dieser ihrer eigensten Funktion reformatorisch
-kritischer Selbstbesinnung, sondern sind ihr zugeordnet
. — Diese Wesensbestimmung gilt unabhängig von allem
Wandel der Organisationsformen theologischer Lehre und
Forschung und ebenso von allen wechselnden Formen kirchlicher
Verfassung. Sie ist das Fundament für alle Gespräche
über das Verhältnis von Kirche und Theologie.

2. Die theologischen Fakultäten sind nicht „die Theologie
"; es gehört zur Integrität und Gesundheit des Lebens der
Kirche, daß auch außerhalb der Fakultäten theologische
Lehre, Forschung, Geisterprüfung geübt wird. Wiederum
sind die Kirchenleitungen nicht „die Kirche"; es wäre Ein-'
bruch eines evangeliumswidrigen Denkens, wenn die Kirchenleitungen
es als ihre Pflicht und Vollmacht ansähen, alle
theologische Forschungs- und Lehrarbeit lückenlos unter ihre
Kontrolle zu bringen. Die Fakultäten haben nicht das Monopol
der Theologie, die verfaßten Kirchen nicht die theologische
Generalzensur. Daraus folgt für die Fakultäten jedoch nicht
die Ablösung von der verfaßten Kirche. Als Stätten der Vorbildung
für das Amt der Kirche sind sie auf eine nahe Verbindung
und Arbeitsgemeinschaft mit der verfaßten Kirche
angewiesen.

3. Die gegenwärtige Lage fordert eine neue Klärung des
Verhältnisses von verfaßter Kirche und Fakultäten. Dazu
nötigt die neue innere Hinwendung der Theologie zur Kirche,
wie sie sich seit den 1920er Jahren vollzog, ebenso wie die
1933 akut gewordene, in ihren Wurzeln viel ältere Vertrauenskrisis
zwischen den Fakultäten und weiten Kreisen der das
Leben der Kirche tragenden Gemeinde. Diese Klärung darf
nicht nur in Form einer rechtlich-organisatorischen Greuz-
setzung erfolgen. Sie muß auf eine vom Evangelium aus gewonnene
Gesamtsicht des „Amtes" der Theologie in der Kirche
aufgebaut sein. Erhebliche Ansätze dafür liegen in der theologischen
wie in der kirchenrechtlich-prinzipiellen Besinnung
der letzten zwei Jahrzehnte schon vor.

4. Gegen den Bestand der theologischen Universitätsfakultäten
wird eingewandt, daß sie unter kirchen- und geistes-
geschichtlichen Voraussetzungen entstanden sind, die heute
nicht mehr in Kraft stehen. Ihre Geschichte während der
letzten 200 Jahre zeigt neben großen Leistungen, die der ganzen
Kirche zugute kamen, auch gefährliche Züge einer Entfremdung
von ihrem kirchlich-glaubensmäßigen Lebensgrund. Solange
aber die Korrektive wirksam bleiben, die im „Wesen"
christlicher Theologie gegenüber allen ihren Abirrungen bereitliegen
, besteht für die im Namen der Kirche handelnden
Verfassungsorgane kein ausreichender Grund, die Universitätsfakultäten
durch einen neuen Typus theologischer Lehrstätten
zu ersetzen. Die im Rahmen der Universität gegebene
unmittelbare Wechselverbindung zwischen der Theologie und
den übrigen Wissenschaften, die heute wieder fruchtbarer und
intensiver als in den letzten Jahrzehnten bewährt wird, bedeutet
nicht nur für das theologische Studium, sondern auch
für die Selbstkritik der Theologie und darüber hinaus für die
christlich-kirchliche Verantwortung gegenüber dem Geistesleben
einen nicht zu unterschätzenden Gewinn. Darum ist es
ratsam, die geschichtlich gewachsene Form der theologischen
Fakultät als Normalform theologischer Lehre auch kirchlicher-