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Ausgabe:

1948 Nr. 5

Spalte:

265-268

Autor/Hrsg.:

Heussi, Karl

Titel/Untertitel:

Schriften zur Geschichtslogik und zur Geschichtstheologie, I. 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 5

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was das Textwort in uns weckt, sofern es innerhalb der biblischen
Botschaft bleibt" (S. 5). Also der Text als Anreger
der eigenen Subjektivität, gewiß einer biblisch aufgebauten
Subjektivität, aber gerade nicht der Primat des Hörens auf
den Inhalt des Textes! Aber Hauri arbeitet in der Durchführung
ganz korrekt exegetisch und wendet dann das Resultat
gerade der Exegese an. So wird man vermuten dürfen,
daß er in der „Einführung" sagen wollte: Ich bringe nicht die
Exegese als die Predigt auf die Kanzel, sondern vor allem die
„Anwendung"! Wieviel Exegese auf die Kanzel gehört, darüber
kann man, wie gesagt, streiten; aber daß echte Exegese
stattgefunden haben muß und daß sie es ist, die die „Anwendung
" dirigiert, darüber sollte Einigkeit herrschen, und
Hauri handelt wirklich demgemäß. Ja, seine Predigten
bringen sogar reichliche Exegese auf die Kanzel, was besonders
zu loben ist. Daß es dabei wirkliche Predigten sind
und keine Seminararbeiten aus dem neutestamentlichen Seminar
(diese sind an ihrem Platze natürlich aller Ehre wert), das
hat Hauri empfunden und in die mißverständliche These gefaßt
. — Gerhard Schade1 war, da er ein neues Hören biblischer
Wörter ermöglichen wollte, in besonderer Gefahr, nun
dem „Subjektivismus" als Methode zu huldigen. Er ist aber
wirklicher Exegese treu geblieben, und das macht sein Büchlein
in der heutigen Lage zu einem willkommenen Instrument
und gibt ihm dauernden Wert. Die „Subjektivität" bekommt
ihr Recht durch Heranziehung des „schönen Schrifttums". —
Wir schließen unseren Literaturbericht mit dem Blick auf ein
tiefernstes Heft von Theophil Flügge2, das eigentlich zu
schade ist, auf Exegese und Anwendung untersucht zu werden.
Aber gerade dieses Heft regt eine in unseren Zusammenhang
fallende Frage an. Flügge macht in seinen Erzählungen mit
dem Hören auf Gottes Wort solchen Ernst, daß er Jesum
selbst als den im Elend des Krieges und der Flucht persönlich
Gegenwärtigen einführt! Ist das nun exegetisch gesehen der
Gipfel der „Subjektivität" — oder der Gipfel der „Objektivität
" ? Jedenfalls ist es Glaube, und zwar aus dem Hören
(2. Kor. 13, 3. 4. 5).

Die Untersuchung der genannten Werke auf „Exegese
und Verkündigung" bzw. Exegese und Anwendung in der Verkündigung
ergibt schlüssige Folgerungen. 1. Die Verkündiger
sind heute mehr als je in Gefahr, sich selbst zu verkündigen
und nicht den Inhalt des Textes. Zwar ist die Zeit vorbei, wo
man unter dem „Sich selbst" die mehr oder minder reiche
Persönlichkeit des Verkündigers, seine Philosophie, Weltanschauung
u. dgl. verstehen mußte. Aber heute ist es der
jeweilige Glaubensstandpunkt des Verkündigers, seine Theologie
, seine christliche Einstellung, oder auch die der heutigen
Gemeinde. Ist dieser Glaubensstandpunkt usw. tief, so erhält
der Hörer solcher Verkündigung eine schätzenswerte „Anwendung
", aber gerade nicht die Anwendung des Textinhalts,
er „hört" also nicht eigentlich auf das Wort. Ist der Verkündiger
ärmlicher oder verwirrt, so kommt der Hörer durch
solches Hören zu Schaden. 2. Der eigene Glaubensstand, die
eigene Theologie ist ein Hilfsmittel dazu, ein Vorverständnis
des Textes zu gewinnen; dieses Vorverständnis muß aber alsbald
durch die literarisch-geisteswissenschaftliche Exegese
korrigiert werden. 3. Das bedeutet nicht, daß die literarischgeisteswissenschaftliche
Exegese über den Glauben gesetzt
wird, Herrin der Verkündigung wird, sondern nur, daß die
Art, die Gottes Wort literarisch an sich trägt, beim Hören
und Verkündigen in Betracht gezogen werden muß. Tritt uns
Gottes Wort literarisch entgegen, so ist eben literarischgeisteswissenschaftliche
Exegese nötig, um ihm gerecht zu
werden; daß das Glaubenshören wichtiger ist, schließt nicht
aus, daß die literarisch-geisteswissenschaftliche Exegese wichtig
ist! 4. Nun ist aber Exegese eine Wissenschaft, die mit
wechselnden Resultaten und mit Hypothesen auftritt, wie jede
Wissenschaft. Wie soll der Verkündiger da mitkommen, wie
soll er die bleibenden Resultate von den zeitbedingten unterscheiden
? Hier liegt eine Aufgabe der exegetischen Wissenschaft
; sie selbst muß Kompendien einer Exegesis perennis
verfassen und diese Kompendien popularisieren. Es ist ja
keine Herablassung, wenn der Wissenschaftler selbst dafür
sorgt, daß die Resultate seiner Wissenschaft für die Praxis
greifbar werden. Und seitdem die Exegese nicht mehr über
die Bibel herrschen, sondern sie auslegen will, seitdem ist
den Exegeten dieser Blick auf die Praxis der Verkündiger
möglich.

Schriften zur Geschichtslogik und zur Geschichtstheologie. I.

Von Karl Heussi, Jena

In dem Buche von Julius Jakob Schaaf über Geschichte
und Begriff3 haben wir einen sehr ernsthaften Beitrag zur formalen
Geschichtsphilosophie vor uns. Die Theologen wird besonders
die Auseinandersetzung mit der Geschichtsmetaphysik
von Ernst Troeltsch interessieren (S. 4—40). Es wird klargestellt
, daß Troeltschs Konzeption ein Abglanz des Hegel-
schen Panlogismus und der romantischen Organologie ist
(S. 5). Die Grundproblematik von Troeltsch wird scharf herausgearbeitet
, die von ihm verwendeten Begriffe (z. B. die
geschichtliche Bewegung, die historische Zeit, die Anschauung,
das Erkennen des Fremdseelischen, die von Troeltsch angenommenen
verschiedenen Logiken) werden durchleuchtet, mit
dem Ergebnis, daß der Verf. immer „das gerade Gegenteil der
Ansichten Troeltschs als den richtigen Sachverhalt" betrachtet
(S. 24). Der Verf. bittet aber, und das möge man in den
theologischen Kreisen respektieren, in diesen „wesentlich
kritischen Untersuchungen kein übelwollendes Verkleinern
der Gestalt Troeltschs" erblicken zu wollen, „dessen Größe
es war, die ganze Problematik und Tragik des Historismus
so sehr wie kein anderer in eigener Person verkörpert zu
haben" (S. 4). Weitaus der größte Teil des Buches (S. 41—153)
kritisiert die Geschichtsmethodologie Max Webers und sucht
in scharfsinniger und kenntnisreicher Auseinandersetzung mit
ihm den eigenen Standpunkt zu entwickeln. Webers Leistung
erscheint Schaaf mit Recht als der bei weitem sorgfältigste,
methodisch strengste Versuch einer Rationalisierung des Geschichtlichen
(S. 41). Der Begriff der Individualität, die Wertbeziehung
als formendes Prinzip der Geschichtslogik, das Wirksame
als Wesen der Geschichte und der Typusbegriff werden

') Schade, Gerhard: Biblische Wörter neu gehört. Hamburg: Agentur
des Rauhen Hauses. 48 S. 8".

') Flügge, Theophil: Jesus in Alt Ukta. Wie Jesus bei uns war im

Krieg und auf der Flucht. Erzählt von Theophil Flügge, gezeichnet von Ursula
Kükenthal. Berlin: Christi. Zeitschriften-Verlag 1948. 47 S., 8 Tat. 8". Kart.
RM. 4.50.

") Schaaf, Julius Jakob, Dr.: Geschichte und Begriff. Eine kritische
Studie zur Geschichtsmethodologie von Ernst Troeltsch und Max Weber.
Tübingen: J. C. B.Mohr 1946. IV, 156 S. gr. 8°. RM 6.—.

in oft ziemlich schwierigen Gedankengängen erörtert, im
ganzen recht lehrreich, wenn es auch nicht an polemischen
Überspitzungen fehlt.

Nicht geschichtsphilosophischer, sondern rein erkenntnis-
kritischer Art ist die kleine, ältere Schriften des Verf. kurz
zusammenfassende Schrift von Rudolf Laun über die Grundlagen
der Erkenntnis1. Laun handelt auf wenigen Seiten sehr
klar und selbständig über die Probleme der Erkenntnistheorie.
Er zeigt, daß unsere Erlebnisinhalte entweder willkürlich oder
notwendig sind. Von diesem Ausgangspunkt her ergeben sich
ihm die Bereiche der Welt. Es sind nicht zwei, das Immanente
und das Transzendente, sondern vielmehr drei: das rein
Immanente (das Ich), das zugleich Immanente und Transzendente
(die von mir erlebte Notwendigkeit) und das nur Transzendente
(alles von mir nicht erlebte Unbekannte). Ein großer
Teil der Ausführungen ist dem Satz vom Grunde gewidmet.
Laun sagt, man könne seinen Standpunkt „vielleicht" „als
einen hypothetisch-kritischen rationalen Realismus" bezeichnen
(S. 45). Es wäre interessant zu erfahren, wie sich die speziellen
Probleme der formalen Geschichtsphilosophie von hier
aus gestalten würden, etwa das Problem der Auslese oder das
der historischen Objektivität.

Die mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus erfolgende
beispiellose Erschütterung aller Lebensgebiete hat in
den kirchlichen Kreisen die Frage nach dem Walten Gottes in der
Geschichte mit großer Schärfe neu empfinden lassen. Es ist
interessant, zu sehen, wie die verschiedenen theologischen und
kirchlichen Richtungen mit dem gewaltigen Problem fertig zu
werden suchen. Es ist kein wissenschaftliches, es ist ein praktisches
, ein religiöses, ein ethisches Problem; seine Behandlung
führt auf den Boden des erbaulichen Traktats und der Predigt.
Die wissenschaftliche Berichterstattung kann nicht zur Frage
der Richtigkeit der verfochtenen Thesen Stellung nehmen. Sie
kann lediglich diese Thesen als Ausdruck der Lage zu ver-

') Laun, Rudolf: Die Grundlagen der Erkenntnis. Tübingen: j. c.

B.Mohr 1946. 47 S. 8" = Philosophie und Geschichte. Eine Sammlung von
Vorträten und Schriften aus dem Gebiet der Philosophie und Geschichte 68.
RM 1.50.