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Ausgabe:

1948 Nr. 1

Spalte:

11-20

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Günther

Titel/Untertitel:

Die Häresie des Kolosserbriefes 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 1

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Die Abwehr der Irrlehre gibt dem Kolosserbrief des
Paulus seine besondere Prägung. Paulus streitet wider sie ausdrücklich
zwar nur in dem begrenzten Abschnitt 2, 4—23,
aber schon die positive Entfaltung des Evangeliums 1, 15—20
ist terminologisch und gedanklich deutlich durch die Antithese
zur Häresie bestimmt, und der Brief wird im ganzen
von dieser Frontstellung her in seinem Aufbau durchsichtig und
in seiner Eigenart begreiflich1. Der Brief gibt von der Lehre
der Gegner freilich kein vollständiges und in allen Einzelzügen
sicheres Bild. Daß Paulus sich an mehreren Stellen
wörtlich auf sie bezieht, an einigen ihre Termini und charakteristischen
Schlagworte polemisch aufnimmt, an anderen ihre
Begriffe seinen eigenen Darlegungen positiv dienstbar macht,
ist von der Forschung ziemlich einhellig anerkannt, Umfang
und Art seiner Bezugnahme auf die gegnerische Lehre ist
jedoch nicht überall mit Sicherheit festzustellen'. So bleibt
der Versuch einer Rekonstruktion der kolossischen Häresie
mit Vermutungen und Möglichkeiten belastet. Gleichwohl
lassen sich aus den Angaben des Briefes eine Reihe charakteristischer
Züge erheben und zu einem Ganzen zusammenfügen.
Gelingt es, dem Einzelnen und dem Ganzen seinen religions-
geschichtlichen Ort zuzuweisen, so ist der uns erwünschte
Grad von Sicherheit erreicht und der Verdacht vager Kombinationen
und Hypothesen abgewehrt.

Die Häresie des Kolosserbriefes

Von Günther Bornkamm, Göttingen

Prof. D. Walter Bauer in Verehrung zum 70. Geburtstag

Irrlehrer ihre oroixeta-Lehre nicht beziehungslos neben die
Lehre von Christus gesetzt oder gar im bewußten Gegensatz
zu ihr entwickelt haben, sondern daß sie die Verehrung der
Weltelemente für einen integrierenden Bestandteil des
Christusglaubens hielten. Gerade gegenüber der häretischen
j Verschmelzung der ator/rftz-Lehre mit dem Christusglauben
stellt Paulus die Unvereinbarkeit beider mit radikaler Schärfe
an den Anfang seiner Polemik (2, 8) und begründet diese
schroffe Antithese eben mit jenem Satz ön lv m'n» Mtroixei näv
rb nh'iQMfia rfjs #e<wyros oto/ianxwg (2, 9). Sicher haben die Irrlehrer
nicht die Meinung vertreten wollen, daß die Gottesfülle
nichtrin Christus wohne. Eine christliche Erlösungslehre, die den
Engelmächten die Göttlichkeit zuerkennt, Christus aber nicht,
ist in der Geschichte des frühen Christentums nicht denkbar.
Im Gegenteil, die Häresie wird auch ihrerseits den Satz 2, 9
vertreten haben, nur mit dem Unterschied, daß sie das iv avr<fi
nicht in Gegensatz stellte zu der Einwohuung des göttlichen
nlrjowfLa in den oroiyjta, sondern die Gottesfülle in Christus in
seinem Verhältnis zu den Elementen gegeben sah. Der mythologische
und christologische Ausdruck dieser Lehre dürfte
darum der gewesen sein, daß die Gegner die oroixeia tov x6o/uov
selbst als oöifta Christi bzw. als seine Glieder, und Christus als
Inbegriff der Weltelemente verstanden1.

I.

Was läßt sich dem Kolosserbrief selbst über die Irrlehre
entnehmen? — Das erste und wichtigste Kennzeichen der
kolossischen Häresie ist nach 2, 8. 20 ihre Lehre von den Weltelementen
. Paulus stellt sie 2,~5 Christus gegenüber, nennt sie
2, 10 und 2, 15 fyxai und Hovoiai und charakterisiert die Irrlehre
2, 18 zusammenfassend als d-fjrjoxüa. tä>v äyyekwv. Daraus
folgt, daß die aroi/cia roxi xöofiov personhafte, engelische
Mächte sind. Die Polemik gegen den orot^zä-Dienst im Gal.
bestätigt die Vorstellung. Paulus könnte sie Gal. 4, 2 schwerlich
n i. den knltQonoi und oixovöfioi, denen die Kinder bis zu ihrer
Mündigkeit unterstellt sind, vergleichen und sie 4, 8f. als <pvott
fcij övrts »toi bezeichnen, in deren Dienst die Galater standen,
wenn die oxoi/eia ton xöofiov diesen nicht als personhafte,
göttliche Wesen erschienen wären. Da zu ihrer Verehrung sowohl
nach Gal. 4, 10 wie Kol. 2, 16 die Beachtung bestimmter
Festtage und Zeiten gehört, wird man mindestens auch an die
Verehrung von Gestirnmächten zu denken haben3. Offenbar,
besagt die häretische Lehre, daß in den otoiytla tov xoaftov das
j nXr^wfia der Gottheit wohne, wie aus der deutlich polemisch und
' antithetisch formulierten Wendung Kol. 2, 9 6ri iv avtc5 xatoixeZ
näv tö nXrtQa)fia rr,s »törtjtos acofiazixüis (cf. I, 19) erhellt1. Die
oror/ETa tov xoofiov stellen nach 2, 20 den Menschen unter bestimmte
Soyfiara, sie sind die Autoritäten und Hüter des vöfio*,
; denen der Gläubige in „Demut" (2, 18. 23) sich zu unterwerfen
hat. Wer ihren „Satzungen" gehorcht, die festgesetzten Festtage
und Zeiten innehält und bestimmten asketischen Vorschriften
genügt, hat die Verheißung, an den in den Elementen
waltenden Gotteskräften Anteil zu empfangen. So wird man
aus der ebenfalls wohl antithetischen Formulierung
iv aii.s rxe^h'Qmfiiva (2, 10) als häretische Lehre schließen
dürfen5. Die Bestätigung bieten wiederum die Angaben des
Gal., der ebenso wie der Kol. die otor/eititov xöoftov mit den
gesetzgebenden Engeln (3, 19) identifiziert und das Dasein
unter der Knechtschaft der otoiy.eia als das Sein unter dem
Gesetz (4, 5; 3, 13. 23) beschreibt.

Man wird aber noch mehr sagen dürfen. Auf Grund der
eindeutigen Tatsache, daß die kolossische Häresie eine christliche
Irrlehre ist und nicht irgendeine Spielart heidnischer
oder judischer Religion, darf man füglich schließen, daß die

') Ich sehe darum keinen zwingenden Grund, Kol. für deuteropaulinisch
zu halten. Anders steht es für Eph, der schon wegen seiner Abhängigkeit von
Kol. als deuteropaulinisch gelten muß. Vgl. W. Ochel, Die Annahme einer Bearbeitung
des Kolosserbriefes im Epheserbrief. Marburger Diss. 1934.

») Vgl. vor allem M. Dibelius HNT 12 (1927«) Exk. zu 2, 8 und 2, 23
und Lohmeyer, Der Brief an^die Kolosser|S. 3ff. Sehr abweichend E. Percy,
Die Probleme der Kolosser- und Epheserbriefe, Skrifter Utgivna av Kungl.
Humanistiska Vetenskapssamfundet i Lund XXXIX. Lund 1946, S. 137ff.

•) Vgl. H. Schlier, Der Galaterbrief (1941), S. 134. — An die Verehrung
der Himmelskörper dachte bereits die altkirchliche Exegese. Vgl. Augustin
de civ. del IV, 11.

') Vgl. Dibelius z. St., Lohmeyer S. 4. 105f.

') Lohmeyer a.a.O. S. 4ff., 106ff., 129.

II.

Alle diese aus den Aussagen des Kol. erhobenen und erschlossenen
Einzelzüge bestätigen sich, wenn man den weiteren
und engeren religionsgeschichtlichen Horizont absucht, auf
dem sie sich erheben. Erst von hier aus werden auch eine
Reihe weiterer Züge und Motive verständlich, die wir in den
Aussagen des Briefes bisher übergangen haben.

Wir sind der Notwendigkeit enthoben, auf die Vorgeschichte
des Begriffes oroiyeia tov xöo/iov und seine Bedeutung
in der synkretistischen Umwelt des Urchristentums
hier genauer einzugehen. Diese Arbeit ist wiederholt und mit
übereinstimmendem Ergebnis geleistet2. Der Begriff meint die
elementaren Kräfte und Gewalten des Kosmos, die in den Erscheinungen
der Natur und den Schicksalen der Menschen-
weit geheimnisvoll und gebieterisch, lebenbedrohend und
lebenspendend walten. Daß der Begriff geprägt ist und ein
Schlagwort der Häresie enthält, hätte nach den reichlichen
Belegen für seine astrale, theologische und dämonologische
Verwendung aus persisch-chaldäischer Astrologie, orientalisch
-hellenistischen Mysterien und gnostischeu Spekula-
tionon nicht neuerdings bestritten werden sollen3. Die spekulativen
und mythologischen Vorstellungen, in denen der Begriff
der Elemente begegnet, sind freilich so mannigfaltig und
die Formeln des Kol. und Gal. so spärlich, daß eine Reihe
von Fragen für die in Frage stehende Häresie unbeantwortet
bleiben müssen. Welche Vorstellungen man im einzelnen mit
dem Begriff der Elemente verband, nach welcher Ordnung
und Zahl sie miteinander verbunden waren, wie sich in ihrer
Lehre Gestirne oder Tierkreise mit den stofflichen Elementen
des Kosmos verbanden — darüber ist keine Klarheit zu gewinnen
. Wohl aber scheint mir kein Zweifel darüber möglich
zu sein, daß die kolossische Elementenlehre in den Zusammenhang
der uralten, im hellenistischen Synkretismus verbreiteten
und wirksamen Mythologie und Spekulation der orientalischen
Aion-Theologie gehört. Ihre Ursprünge reichen zurück in die
indo-iranische Kosmogonie und ihre Vorstellung von einer
Weltengottheit, deren Riesenleib sich aus den Elementen des
Weltalls zusammensetzt4. Der kosmogonische Mythus vom

■) Lohmeyer S. 125 A. 3, E. Käsemann, Leib und Leib Christi (1933),
S. 140.

•) Literatur bei Schlier zu Gal. 4, 3 (S. 133), dazu schon A. Dieterich,
Abraxas (1891), S. 56ff., Percy a. a. O., S. 156ff.
•) Percy a. a. O., S. 166f.

«) Reitzenstein-Schaeder, Studien zum antiken Synkretismus (1926),
S. 72ff. Die iranisch-babylonische Herkunft der Elementen- und Engelspekulation
und des Aion-Mythos belegt besonders deutlich die von Reitzen-
stein (Hellenist. Mysterienrel. [1927'J, 171 und Vorgesch. der christl. Taufe
127ff.) behandelte, auch von Lohmeyer S. 7 Anm. 2 zitierte und in ihrer
eigentümlichen Parallelität zu den Aussagen des Kol. erkannte Stelle aus
Nikomachos von Gerasa (Theol. arithmet. S. 42f. Ast), wo Athene als Siebenzahl
(d. h. als Aion) und die Gestirnsphären als Engel und Erzengel bezeichnet
werden. Die dr»ifache Funktion der otoi/era, In denen das nXtjooifia der
Gottheit sich darstellt, der Kosmos seinen Bestand hat und das Leben der
Frommen seine göttlichen Normen findet, ist in der iranischen Lehre von den