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Ausgabe:

1948 Nr. 4

Spalte:

220-221

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Tarvainen, Olavi

Titel/Untertitel:

Paavo Ruotsalainen als lutherischer Christ 1948

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 4

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der geistigen Macht der Kirche; denn ihr Latein war nicht
nur ein Verständigungsmittel der römischen Kurie mit den
Hispaniern, Galliern, Iren, Goten usw., sondern ihre geistige
Substanz war nur lateinisch ausgeprägt, wie auch der Staatsgedanke
des Mittelalters römisch-christlich, die lateinische
Sprache ein Wesenselement der geistigen Einheit des Abendlandes
ist. Der Mangel an „Originalität" der mittelalterlichen
Dichtung erkärt sich aus ihrer Traditionsgebundenheit; so
entwickelt sich fast unmerklich aus der silbenzählenden
augustinischen Hymnendichtung die mittelalterliche rhythmisierte
Poesie der Carmina Burana. So wird uns in wenigen,
meisterlichen Strichen ein anschauliches Bild einer Entwicklung
vermittelt, die über Räume und Zeiten hinweg ganzheitlich
gesehen wird: hinter den Einzelheiten steht die Idee und
der Geist, der alles durchdringt.

München J. B. Hofmann

Andersen, Niels Knud: Aerkebiskop Jens Grand. En kirkevetshistorisk
Underszfgeise. Kabenhavn: G. E.C. Gads Forlag 1943. 151 S. gr. 8" - Teo-
loglske Studier No. 4, Dansk Teologisk Tidskrift II. Afd.

In Andersens Schrift geht es um zwei Probleme: einmal
um den politischen Charakter des Erzbischofs von Lund Jens
Grand (13. Jahrhundert), zum anderen um den Kampf des
kanonischen Rechts gegen das germanische Kirchenrecht und
dessen Entwicklungen im 13. und 14. Jahrhundert speziell in
Dänemark. Das germanische Kirchenrecht, hinter welchem
Ulrich Stutz und seine Schüler die „Eigenkirche", hier die
„Eigenkirche" des Königs, sehen lehrten, begann im 13. Jahrhundert
vom Lehensrecht und Privatkirchenrecht her stärkere
Positionen zu beziehen; und zwar nahm die dänische Krone
hierzu Anleitung von Deutschland, wo der Bischof hinsichtlich
der temporalia als der Lehensmann des Königs behandelt
wurde, also seine fürstlichen Rechte durch Verleihung der
Krone hatte. Hingegen das mit neuer Vehemenz vordringende
kanonische Recht erblickte im Bischof den Mann der Kirche,
und da das Papsttum die Suprematie der Kirche über jede
weltliche Ordnung verfocht, so hatte nach kirchlicher Auffassung
die lehensrechtliche und privatkirchenrechtliche Linie
der kanonischen zu weichen, und das betraf hauptsächlich das
Kirchengut und den Einfluß darauf. Jens Grand ging in die
dänische Geschichte ein als einer der schärfsten Kämpfer gegen
die dänische Krone, als unruhiger Charakter, als ein gewalttätiger
Prälat. Andersen unternimmt es, den Erzbischof als
Verfechter des kanonischen Rechts gegen das herkömmliche
königliche Recht über die Kirche, besonders gegen dessen
neuere lehensrechtliche und privatkirchenrechtlicheEntwick-
lung, demnach als einen kanonistisch korrekten Prälaten zu
erweisen. Dieser Erweis ist gelungen; denn Andersen hat
recht: seine Auffassung stimmt besser mit den Quellen überein
als die der früheren Darsteller. Reste bleiben {das gibt
Andersen selbst zu). Dabei wird Andersen nicht einfach zum
Sachwalter des kanonischen Rechts, er weiß immer wieder die
Stärke des Königsrechtes in den Besitzangelegenheiten der
Kirche zu würdigen. Der Erzbischof ist Lehensträger des
Königs, aber freilich: geistlicher Lehensträger — und als Geistlicher
steht er zum kanonischen Recht.

Die vorliegende Abhandlung ist eine Bearbeitung (und zwar der verkürzte
I. Teil dieser Bearbeitung — der 11. Teil liegt uns nicht vor —) der Preisaufgabe
des Jahres 1939 der Kopenhagener Theologischen Fakultät, welche
„eine Darstellung des Streites zwischen Jens Grand und der dänischen Krone"
verlangte, „beleuchtet von dem Gegensatz zwischen kanonischem und dänischem
Recht her". (Der Verf. hatte schon eine Abhandlung über den Einfluß
des kanonischen Rechts auf die Jütländische Satzung [Jyske Lov] veröffentlicht
[in der Festschrift auf Jyske Lov 1941] und stellte einen Artikel über die
mittelalterlichen Theorien betreffend das Verhältnis von Staat und Kirche in
Aussicht.) Seine Quellen sind: Acta Processus Litium Inter Regem Danorum
Et Archiepiscopum Lundensem, ed. Krarup et Norvin 1932. — En historisk
Beskriffvelse om en Ercke-Biskop uti Lund, som hed Her Jens Grand, udgivet
af Huitfeldt 1599 (= Faengselskraniken). — Briefe und Akten im neuen Diplo-
matarium Danicum (im Erscheinen begriffen). — Dänische Annalen und
Schenkungsurkunden. — Zwei deutsche Chroniken, eine Reimchronik auf Jens
Grand und seine Bremer Erzbischofszeit, und eine niederdeutsche Chronik von
Rynesberg und Schene, beide gedruckt bei J. M. Lappenberg, Geschichtsquellen
des Erzstifts und der Stadt Bremen 1841.

Andersen stützt seine These hauptsächlich mit folgenden Tatsachen. Jens
Grand (ca. 1250—1327) hatte in Italien (Bologna?) und Paris hauptsächlich
das kanonische Recht studiert (Paris züliebe nahm er den Beinamen „Grand"
an) und war als Professor in decretis (= Dr. juris canonici) nach Dänemark
zurückgekommen. Dort wurde er in den 70er Jahren Dompropst von Roskilde
und begann alsbald den Kampf für die Suprematie des kanonischen Rechts über
die lehensrechtlichen Forderungen des Königs. So fand er Wege, des Königs
Mitpatronat über die Michaelskirche in Slagelse zu umgehen; so gründete er
am Dom zu Roskilde mit Darangabe seines Gesamtvermögens sechs neue

Kanonikate mit Residenzpflicht, so daß der König diese Kanoniker nicht zu
Staatsgeschäften heranziehen noch Staatsdiener in diese Kanonikate setzen
konnte. 1289 wurde Jens Grand zum Erzbischof von Lund erwählt, kanonisch
richtig vom Domkapitel, aber gegen den Willen der regierenden Königswitwe,
also ohne die nachfolgende Konfirmation durch die Krone; merkwürdigerweise
leistete Jens Grand nach der Wahl der Krone den Treueid und den Lehenseid
und erhielt (wohl durch Überreichung der Fahne) Land, Leute und Güter
als ein Lehen des Königs. Aber alsbald ging er (mit Briefen des Königs) nach
Rom, resignierte sein ganzes Erzbistum in die Hände des Papstes, der Papst
suchte selbst einen Kandidaten für den Erzsitz Lund, seine Wahl fiel auf Jens
Grand, der nun vom Papste Ernennung, Konfirmation und Konsekration
empfing — und nun als Erzbischof secundum canones constitutus nach Lund
zurückkam! Das Ganze spricht eine deutliche Sprache im Sinne der These
Andersens: Jens Grand ein bewußter Vorkämpfer der päpstlichen Suprematie
über alles Königsrecht! In seiner kurzen Erzbischofszeit in Lund (schon 1294
wurde er vom Königshause gefangengesetzt, was kanonisch ein Sacrilegium, aber
auch nachdem Königsrecht eine Untat war) hielt Jens Grand 2 Provinzialsyno-
den, die nach des Papstes Willen der Verkündigung der jeweils neuen päpstlichen
Canones dienten — weswegen z. B. der König von England solche Synoden
verbot. Noch mehr: Jens Grand erneuerte auf diesen Provinzialsynoden die
Vejle-Konstitution von 1256, nach der bei Gefangensetzung eines Bischofs
durch die weltliche Macht das Interdikt auf das Land fiel, entsprechend der
Bestimmung Innozonz II. Si quis suadente diabolo — ein Hauptschlag gegen
die Königsmacht über die Bischöfe. Auch konfirmierte Jens Grand selbst den
zum Bischof von Roskilde kanonisch gewählten Jens Krag, ohne den König
einzubeziehen, und weigerte sich, kanonisch korrekt, die vom Domkapitel vollzogene
Wahl zugunsten des Kandidaten des Königs, des Magisters Martin,
zu kassieren. In der Sache des Friedens zwischen Dänemark und Norwegen,
des Friedens der dänischen Krone mit den „Friedlosen" (den fälschlich als
Königsmörder Verfehmten) verweigerte der Erzbischof dem König die Kriegsfolge
und verbot den Seinigen die Teilnahme am Kriege, suchte vielmehr wirklich
Frieden zu stiften, als Mann der Kirche und nicht des Königs. In all dem
wiederholte er etwa, was schon Jacob Erlandsen als Erzbischof von Lund im
Sinne des kanonischen Rechts gegen das Königsrecht getan und ersteht hatte
(über ihn: Norvin, Jacob Erlandsens Kamp for Kirkeretten, Scandia V.).

Erschwerend für die Arbeit Andersens war es, daß noch keine Untersuchung
über die dänische Anwendung der germanischen Rechtsauffassnng
erschienen war, ebenso keine Untersuchung über das Problem der dänischen
Bischofswahlen im Mittelalter. Sicher ist aber, daß schon König Waldemar
bei seinem Aufenthalt in Deutschland die deutschen lehensrechtlichen Grundsätze
kennengelernt hatte, und daß die Anwesenheit deutscher Fürsten und
deutscher Offiziere in Dänemark den deutschen Einfluß verstärkte. (Das Wort
„Investitur" kommt aber in den dänischen Quellen höchst selten vor, doch
gerade in dem Schenkungsbrief Jens Grands 1288: collacio und investitura
für die 6 von ihm gestifteten Kanonikate behält er sich auf Lebenszeit vor.)

Mit der Arbeit Andersens sind nun jene dänischen Historiker und Kirchenhistoriker
ins Unrecht gesetzt (auch die Romane von Ingemann), welche
Jens Grand als den streitsüchtigen Prälaten schlechthin zeichneten. Dazu gehört
auch die deutsche Biographie G. Lintzers: Studien zur Geschichte Johannes
Grands, Erzbischofs von Bremen, 1933 (Jens Grand starb als Erzbischof
von Bremen, wohl in Avignon, „in Romana curia"). Schon Ludwig Holberg
hatte aber 1899 (im Vorwort zu Kirke og Len) dafür plädiert, daß erst eine
gründliche Prüfung der Positionen, wo das dänische Recht in Opposition zum
kanonischen Recht stand, zu geschehen habe, ehe man über den Streit und den
Erzbischof urteile. J. Oskar Andersen (History of the Church in Denmark
1936) hatte auf den kirchenrechtlichen Punkt Gewicht gelegt und Hai Koch
(Danmarks Kirke gennem Tiderne 1939) diesen Punkt als ausschlaggebend bezeichnet
. Von Hai Koch stammt ja wohl auch das Thema der Preisaufgabe
von 1939. — Ein abschließendes Urteil (machten die Umstände den Mann
oder der Mann die Umstände?) wäre erst nach Einsicht in den II. Teil der
Abhandlung möglich.

Wertingen Leonhard Fendt

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Tarvainen, oiav: Paavo Ruotsalainen als lutherischer Christ. Helsinki
: Akademische Buchhandlung [1944]. 78 S., 1 Abb. 8"= Schriften der
Luther-Agricola-Gesellschaft in Finnland 6. RM 2.70.

Paavo Ruotsalainen (1777—1852) ist der Träger der bedeutendsten
neueren Erweckungsbewegung in Finnland.
Hjalmar Holmqvist nennt ihn (Lärobok i kyrkohistoria II,
1924, S. 351) „die bedeutendste kirchengeschichtliche Persönlichkeit
Finnlands im 19. Jahrhundert". So geschieht uns
Deutschen ein dankenswerter Dienst, wenn Tarvainen in
deutscher Sprache Biographisches, Theologisches und Seelsorgerliches
im Bilde des großen Finnen zu dem Zwecke vorlegt
, Ruotsalainen als einen lutherischen Christen zu erweisen.

Ruotsalainens schriftlicher Nachlaß besteht in 83 Briefen; sie wurden
herausgegeben von Akiander (Historiska Upplysningar VI und VII) und von
Kares und Suurkari (Suomen Kirkkohistoriallisen seuran toimituksia XII, 2).
R. selbst war des Schreibens unkundig und diktierte seine Briefe. Will man
ein ganzes Bild von R. bekommen, so muß man die Erinnerungen an R. stu