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Ausgabe:

1948 Nr. 4

Spalte:

209-211

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jung, Carl G.

Titel/Untertitel:

Das goettliche Kind in mythologischer und psychologischer Beleuchtung 1948

Rezensent:

Herter, Hans

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209

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 4

210

Glasenapp, Heimuth von: Die Religionen Indiens. Stuttgart: Alfred

Kröncr 1944. 391 S. kl. 8». Geb. RM 4.50.

Dieses reichhaltige Buch faßt in vorzüglicher Weise in
konzentrierter Form zusammen, was der Verf. in seinen großen
Werken „Der Hinduismus" (1922), „Der Jainismus" (1925)
Und „Der Buddhismus in Indien und im Fernen Osten" (1936)
"1 breiter Ausführlichkeit geboten hat.

Das Buch zerfällt in 5 Abschnitte. Zunächst werden die Voraussetzungen
und Vorstufen der indischen Hochreligionen erörtert, d. h. vor allem die primitiven
Grundlagen, aus denen die hochreligiösen Olaubensformen Indiens erwuchsen
, und die nach dem Gesetz der Erhaltung in der Religionsgeschichte
auch heute noch als Religion des niederen Volkes bestehen geblieben sind.
Der zweite Abschnitt behandelt die Religion des Veda in ihren verschiedenen
Entwicklungsstadien. Im dritten Abschnitt werden die Religionen der klassischen
Zeit (Brahmanismus, Jainismus, Buddhismus) dargestellt, deren Ausbreitung
und Stellung in Süd-, Mittel- und Ostasien im vierten Abschnitt
«handelt werden. Der letzte Abschnitt gibt ein Bild vom Hinduismus der
neueren Zeit in der ganzen bunten Vielgestaltigkeit, die ihn auszeichnet.

Das Buch ist in der schlichten, ungemein ansprechenden
BW sprachgewandten Weise geschrieben wie alle Werke
f1 •v- G.s. Sachlich informiert das Werk auf Grund um-
"ssender eigener Forschungen und Kenntnisse des Verf .s auf
uas beste über die für den Laien verwirrende Fülle der Erscheinungen
der indischen Religionswelt.

Bonn Gustav Mensching

JUng, e.G., und K. Kerinyl: Das göttliche Kind in mythologischer
und psychologischer Beleuchtung. Amsterdam: Pantheon. Akadem. Ver-
'agsanst. 1940. 124 S.,5 Tafelabb. gr. 8". - Albae Vigiliae H. VI/VII.

RM 5.40.

#. Kerenyi geht von dem Phänomen aus, daß die griechischen
'Otter in einer bestimmten Altersstufe vorgestellt sind, in der
■»Ca nlr Wesen am besten ausdrückt, manche aber auch als
"id erscheinen und schon dann durch gewaltige Taten ihre
?an/-.e Lebensfülle offenbaren. Man hat diesen Sachverhalt bis-
tr r llnmer unter einem „biographischen" Gesichtspunkt beachtet
; der Glaube, daß die Götter gezeugt und geboren
o^fSj1' involvierte ja notwendigerweise, daß sie einmal das
jr a.diu 111 der Kindheit durchgemacht hatten, wenn ihre weitere
ntwicklung auch abrupt in dem Alter enden mußte, in dem
an sieh den einzelnen dauernd dachte. Durch die wirksame
hah unK- daß sich schon so früh ihre volle Arete gezeigt
Un 1 ' Wurde freilich alles in ein wunderbares Licht gerückt,
{KP so dachte man sieh ihr Wachstum auf ähnlich übematür-
£.ne Weise in ganz kurzer Zeit vollendet; erst die Alexan-
iSel? haben sie dem Menschlichen zu nähern versucht, indem
(v la.ne'i ein nach Jahren zählendes Heranreifen zuschrieben
in. Bonnensia 1929, 87ff.; Lit. s. Burs. Jahresber. CCLV
'937.79).

Weis ,r6llyi glaubt nun, daß diese bisherige Anschauungs-
"üe a° wunderbaren Moment der Götterkindheit nicht ge-
<k-s t? ^ecn"ung trage; nach ihm geht die Vorstellung etwa
,Soj | ermeskindes nicht von der Vorstellung dieses Gottes als
Jttjfj1 aus. sondern ist eine Variante der ganz alten Könnest
il1 <les Drkindes, das sich zu dieser und andern Götter-
MobtC entfaltet hat. Das Urkind steht außerhalb jeder
y^^*Dhlschen Entwicklung und entspricht einem zeitlos gül-
(uiul v eItSe''alte", nämlich dem Phänomen der Entstehung
hl0ß Verwandlung) schlechthin, nicht als ,.Allegorie" mit
'ielik -1 Bildwert, sondern als „Symbol", das durch die Wirk-
bttnd selbst <largeboten wird. Mit dieser „Urgestalt" ver-
zusta "■ ersclK'int als Ausdruck des noch undifferenzierten Ur-
"ufta'1 1 ^ic" Vorsl-<'"ung des Urwassers, aus dem das Urkind
I>lu] Ucllt. ein Mythologem, das bei den Vorsokratikern als
(Jas ?j°P.ueln fortlebt. Die Lage des ürkindes ist weiter durch
ljr'w °tiv urweltlicher Einsamkeit, namentlich inmitten des
vaj' SScrs. charakterisiert, und sie spezifiziert sich als Ver-
abaSS! otler wenigstens mit der Mutter geteilte Verlassenheit,
5&» durcl1 den unerwarteten Kraftbeweis des Kindes.
pischpgaSz alte Konzeption liegt nach Kerenyi vor der olym-
Vater £ Religion, die Zeus nicht mehr als Kind, sondern als
an jr ke"nt. Ihren geographischen Bereich findet er zunächst
heil,.„• 1 der Vorstellung vom Zeuskind in Kreta, im vorigen
* 11 (',riechcnland und in Altitalien (Iuppiter puer in
f'«nk,eu <la er aber außer indischen und ägyptischen auch
Wem,,,"~uKrischo Sagen (erste deutsche Wiedergabe ei

iiesispi n™arcI'ens S- 27ff ) dazu in Beziehung setzt (Poly-
fiiilrt '?s -s- 54). hält er sie nicht nur für altmediterran, sondern
oder fin . eillt noc1' weiter reichende Urschöpfung zurück
s°'ltön einzelne Zeugen doch voneinander unabhängig sein

^' wenigstens auf eine gemeinsame Disposition dazu.
Cn°ther- ■ 1>ORitio11 wird weiter unterbaut durch die psy-
apeutisehen Darlegungen Jungs, der die Bildung von

Mythologemen bei zivilisierten Menschen in Zuständen herabgesetzter
Bewußtseinsintensität wie Träumen, Tagträumen,
Delirien, Visionen usw. verfolgt und die Uberzeugung vertritt,
daß diese dem chronischen Dämmerzustand des Bewußtseins
der mythenbildenden primitiven Vorwelt ziemlich genau entsprächen
, wenn es sich bei ihnen auch nicht um geordnete und
in der Regel unmittelbar verständliche Sinnzusammenhänge
handle, sondern um eine meist unverständliche und irrationale
Folge von Bildern, welche aber trotzdem nicht eines verborgenen
Sinnzusammenhaltes ermangele (S. 87f.). Diese
Mythologeme oder, wie er sie nennt, „Archetypen" zählt er
zu denjenigen Äußerungen des Unbewußten, die nicht aus
individueller Anamnese entstehen, sondern aus kollektiv vererbten
Strukturelementen |ler menschlichen Seele stammen
und daher in jedem beliebigen Individuum autochthon wiederzuerstehen
vermögen, ohne daß an den Einfluß einer Tradition
und Verbreitung durch Migration gedacht werden könnte. Er
schreibt ihnen sogar eine große Bedeutung für den psychischen
Zustand des Einzelnen zu, da das differenzierte Bewußtsein,
immer von Entwurzelung bedroht, der Kompensation bedürfe,
um jener Einheit der Persönlichkeit nicht zu entraten, als
deren mythisches Symbol er den Hermaphroditismus betrachtet
. So beobachtet er denn die Motive des Kind-Mythologems,
Verlassenheit und heldische Epiphanie, bei spontanen und
therapeutisch ausgelösten „Individuationsprozessen" und
sucht aus ihnen bestimmte Situationen dieser Reifungsgänge
der Persönlichkeit zu diagnostizieren, begnügt sich aber, das
Wesen solcher Vorstellungen, auch wo sie bei den Primitiven
auftreten, zu „umschreiben", da eine Deutung sie auf eine
Stufe des Bewußtseins heben und damit entstellen würde.

Ich kann Jungs Darlegungen nicht fachmännisch beurteilen
, wenn ich auch bemerken möchte, daß mir der Anteil
des Traditionellen neben dem spontan aus dem kollektiven
Unbewußten Aufsteigenden in seinen Belegen S. 93ff. nicht
zu verkennen scheint. Betrachten wir hier nur die griechischen
Beispiele Kereuyis: ihnen gilt ja wohl sein Hauptinteresse,
aber seine Kronzeugen muß er sich aus andern Mythologien
holen, und das hat seinen guten Grund: die Griechen gehören
eben nicht zur primitiven Vorwelt und haben die Kindheit
ihrer Götter als eine Altersstufe innerhalb einer zeitlichen Entwicklung
verstanden. Trotzdem mag es aber nicht sinnlos erscheinen
, nach Spuren des absoluten Kindes bei ihnen zu
suchen. Für Kerenyi ist es nun gleichgültig, ob die von ihm
hierfür in Anspruch genommenen Zeugnisse früh oder spät
sind, denn ein solches uraltes Mythologem braucht ja nicht
kontinuierlich tradiert zu sein, sondern kann zu jeder Zeit
plötzlich wieder an die Oberfläche kommen. Nur müßte es
in diesem Falle auch wirklieh so auftauchen, daß es einzig als
Rückgriff auf den Archetypos erklärt werden könnte. Eros
aber ist nicht von alters her Kind, sondern zunächst Ephebe
oder wenigstens Mellephebe, und erst mit oder kurz vor der
hellenistischen Zeit ist er noch weiter verjüngt worden; das
geschieht unter unserer Kontrolle im Zuge der allgemeinen
nach dem Genre tendierenden Entwicklung, die weit über den
Kindkomplex hinausgeht und nicht so plötzlich und zusammenhangslos
auftritt, daß sie als Aufbruch eines Urmotivs
aus dem Unbewußten genommen werden könnte. Kerenyi
selbst scheint allerdings auch den Epheben Eros unter seine
These subsumieren zu wollen (so wohl S. 62), vielleicht in der-
.elbeii Weise wie den unbärtigen Apoll'm und Heimes des
4. Jahrhunderts, deren Jünglingsgestalt er S. 77f. als eine
Konzession der späteren olympischen Ordnung an das alte
Götterkind-Mythologem erklärt. Das ist aber ebenso bedenklich
wie die Großzügigkeit, mit der er überhaupt Jugendliche
verschiedenster Altersstufen einbezieht, obwohl das Urmotiv
in seiner präzisen Form eigentlich ein eben entstandenes Kind
voraussetzt. Auch das mannweibliche Wesen mag zwar einen
noch unbestimmten Anfang allen Werdens symbolisieren
können, aber der griechische Hermaphroditos ist für den Kind-
archetypos nicht anzuführen, da er durchweg als erwachsen
gedacht wird.

Kenhiyi selber fordert in allen Fällen, wo das Mythologem
erkannt werden soll, mit vollem Rechte, „daß die derart bezeichneten
Phänomene eine tatsächliche Ähnlichkeit mit
chronologisch bestimmbar frühen Erscheinungen der Menschheitsgeschichte
zeigen" (S. 70). Aber hier wird nicht jeder
gleich schnell zufriedenzustellen sein. Wenn z. B. Eros wirklich
Urkind sein soll, wo ist denn seine Ureinsamkeit und wo
das Urwasser ? Bei Aphrodites Aufstieg aus dem Meer haben
wir zwar das Wasser und, wenn man will, auch die Einsamkeit
, aber kein Kind, denn die Anadyomene wird ebensowenig
als kleines Mädchen gedacht wie Athena, als sie aus dem
Haupte des Zeus sprang. Der Delphinreiter hilft auch nicht
aus der Verlegenheit, da für ihn das Kindliche ebenfalls durch-