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Ausgabe:

1948 Nr. 4

Spalte:

203-208

Autor/Hrsg.:

Allgeier, Arthur

Titel/Untertitel:

Methodische Folgerungen aus der neuen römischen Psalmenübersetzung 1948

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203

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 4

204

Inhaltlich sind sie zwar gut, aber auch nicht unübertrefflich
. Christus und die Apostel haben es besser gemacht. „Wenn
wir Christus haben, werden wir leicht Gesetze aufrichten und
alles richtig beurteilen. Ja, wir werden neue Dekaloge machen,
wie Paulus tut durch alle Briefe und Petrus, am meisten
Christus im Evangelium. Und diese Dekaloge werden herrlicher
sein als Moses' Dekalog" (WA. 39, 1 S. 47 übersetzt).

Luther war konservativ. Daher lag ihm der Gedanke fern,
die überkommenen zehn Gebote durch andres zu ersetzen. Daß
er sie aber sogar als „höchsten Schatz, von Gott gegeben",
preist, muß einen andern Grund haben.

Gegenüber Papisten und Schwärmern mit ihren selbsterdachten
großen, schweren Werken geben die zehn Gebote
dem armen Maidlein Recht, das „eines jungen Kinds wartet
und treulich tuet, was ihr befohlen ist" (640, ßf.). Diese
Schlichtheit der Gottesforderung in den zehn Geboten ist dem
Glauben gemäß. Die zehn Gebote rechtfertigen den im Glauben
gelebten Alltag der weltlichen Berufe gegen alle Ubergeistlichkeit
von Möncherei und Schwärmertum. Daher ergreift sie der
Glaube mit Inbrunst.

Der Glaubende bleibt bei aller Übernahme der zehn Gebote
frei und selbstverantwortlich vor Gott. Die Pflicht zur
eigenen sittlichen Entscheidung wird ihm durch die Gebote
wohl erleichtert, aber nicht abgenommen. Doch läßt er es sich
nicht nehmen, im Streit der Autoritäten die Autorität der zehn
Gebote als Gottesoffenbarung geltend zu machen und sie den
menschlichen Autoritäten innerhalb und außerhalb der Kirche
gegenüberzustellen. „Laß auftreten alle Weisen und Heiligen,
ob sie könnten ein Werk hervorbringen als diese Gebote, so
Gott mit solchem Ernst fordert . . . (645, 34—36). Die Gott
verdrängenden menschlichen Autoritäten arten — nicht nur
im Papsttum — in eine Gewaltherrschaft über die Gewissen
aus, wie die Erfahrung bis in die jüngste Vergangenheit hinein
lehrt. Deshalb hat es etwas Befreiendes, in den zehn Geboten
die heiligen Gottesforderuugen zu haben, die das Gewissen
jedem Versuch der Knebelung entgegenhalten kann.

Methodische Folgerungen aus der neuen römischen Psalmenübersetzung

Von Arthur Allgeier, Freiburg i. Br.

Am 24. März 1945 hat Papst Pius XII. die Öffentlichkeit
mit einer neuen Psalmenübersetzung überrascht1, welche
nicht nur für die katholischen Theologen eine einschneidende
Bedeutung besitzt, sondern darüber hinaus allgemeine geschichtliche
und grundsätzliche Beachtung verdient. Denn
man muß bis auf Hieronymus zurückgehen, um innerhalb der
katholischen Kirche einen ähnlichen Vorgang zu finden, und
erinnert sich der Unruhe, welche 1516 die Annotationes des
Erasmus erregt haben, worin erstmals gewagt wird, am Wortlaut
der Vulgata zu rühren. Jetzt legt ein Papst selbst Hand
an. Kein Wunder, wenn die Konferenz des Rektors des Bibelinstituts
, P. August Bea S. J., welchem die Aufgabe zugefallen
war, die neue Ubersetzung auszuarbeiten, am 25. April
1945 über Ursprung und Eigenart des Werkes große Aufmerksamkeit
erregte. Sie erschien danach im Druck in der Zeitschrift
„Biblica" 26 (1945), 203—257 und nun in wesentlich
erweiterter Form als eigene Schrift (Rom 1946); französische
Ubersetzung (Paris 1947). Da fremde Literatur immer noch
schwer zugänglich ist, so erfülle ich gern die Bitte der Schriftleitung
, darüber zu berichten.

Die neue Ubersetzung deckt sich mit der Vulgata selten.
Ihr Kenner stößt auf Abweichungen verschiedener Art und
Bedeutung, bald rein formaler, grammatischer, stilistischer,
aber nicht selten inhaltlicher exegetischer Natur.

Die Änderungen betreffen schon die Wortwahl und berühren
hier auch die Eigennamen, weil zu den Eigenarten der
Vulgata gehörte, mit der Septuaginta, nomina propria zu
übersetzen. Ursprüngliche Eigennamen, welche die Septuaginta
etymologisiert, werden grundsätzlich wieder hergestellt:

119 (120), 5

Heu mihi, quia incolatusmeus Heu mihi, quod dego in Mo-

prolongatus est! soch,
Habitavi cum habitantibus habito in tentoriis Cedar!

Cedar;

21 (22), 13 (tauri) pingues ] Basan || 28 (29), 6 dilectus ] Sarion
vgl. auch 41 (42), 7 in monte modico ] ex Monte Misar |j
94 (95). 9 sicut in irritatione . . . secundum diem tentationis ]
ut in Meriba, ut die Massa.

17 (18), 2 V N

Diligam te, Domine, fortitudo Diligo te, Domine, fortitudo

mea. Dominus firmamen- mea, Domine, petra mea,

tum meum et refugium arx mea, liberator meus,

meum et liberator meus. ., _

Deus meus adiutor meus, et Deus meu% ™Pes mea' 111

sperabo in eum; <luanl confugio,

protector meus et cornu salu- clipeus meus, cornu salutis

tis meae et susceptor meus. meae, praesidium meum

') Liber Psalmorum cum canticis Breviarii Romani. Nova e
textibus primigeniis interpretatio latina cum notis criticis et exegeticis, cura
professorum Pontificii Instituti Biblici edita. Roma: Pont. Inst. Bibl. 1945.
XXXII, 349 S. 2. Aufl. 1945. Eine liturgische Ausgabe nach der Anlage des
Römischen Breviers ist gleichzeitig in der Libreria Vaticana u. a. erschienen.

Ähnlich scheuen sich die neuen Ubersetzer aber auch
nicht die Anthropomorphismen, welche V gemindert oder gemildert
haben, in der alten krassen Schärfe auszudrücken.

Anderseits wird das Wort Christus gegen wnctus ausgewechselt
, i^o/ioloyeofiai = confiteri gegen celebrare, gratias engere
oder laudare. Grammatisch ist bemerkenswert der Kasusgebrauch
von misereri, benedicere, maledicere, der Instrumentalis
statt der Verwendung der Präposition iv — in o.ä.
Auch der Tempusgebrauch ist der lateinischen Grammatik angepaßt
, das aoristische Futurum bzw. Imperfektum nicht
selten einfach präsentisch wiedergegeben.

Bisher unverständliche Stellen erhalten jetzt einen vernünftigen
Sinn:

76 (77), 11 Et dico: «Hic est dolor meus,

Dixi: nunc coepi: haec muta- quod mutata est dextera
tio dexterae excelsi. Altissimi.»

Von der Eigenart der neuen Ubersetzung (N) macht sich
der Kenner der Vulgata (V) am leichtesten eine Vorstellung
durch die Gegenüberstellung eines ganzen Psalmes. Dafür sei
28 (29) gewählt.

V N

Afferte Domino, filii Dei: Tribuite Domino, filii Dei

äfferte Domino filios arie- Tribuite Domino gloriam et

tum. potentiam!

2. Afferte Domino gloriam Tribuite Domino gloriam no-
et honorem, afferte Do- minis eius, adorate Domi-
mino gloriam nomini eius: num in ornatu sacro.
adorate Dominum in

atrio saneto eius.

3. Vox Domini super aquas, Vox Domini super aquas!
Deus maiestatis intonuit: Deus maiestatis intonuit:
Dominus super aquas Dominus super aquas mul-
multas. tas!

4. Vox Domini in virtute, Vox Domini cum potentia!
vox Domini in magnifi- vox Domini cum magnifi-
centia. centia!

5. Vox Domini confringen- Vox Domini confringit cedros,
tis cedros: et confringet Dominus confringit cedros
Dominus cedros Libani. Libani.

6. Et comminuet eas tarn- Facit subsilire, ut vitulum,
quam vitulum Libani: et Libanum, et Sarion, utpul-
dilectus quemadmodum lum bubalorum.

filius unicornium.

7. Vox Domini intercidentis Vox Domini elicit flammas
flammam ignis: ignis,

8. Vox Domini coneutientis vox Domini coneutit deser-
desertum et commovebit tum, Dominus coneutit de-
Dominus desertum Cades. sertum Cades.

9. Vox Domini praeparan- Vox Domini contorquet quer-
tis cervos, et revelabit cus et decorticat Silvas: et
condensa: et in templo in templo eius omnes di-
eius omnes dicent glo- cunt: Gloria!

riam.