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Ausgabe:

1948

Spalte:

199-204

Autor/Hrsg.:

Schott, Erdmann

Titel/Untertitel:

Luthers Verständnis des ersten Gebots 1948

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J99

Theologische Literaturzeitung 194& Nr. 4

echtchristliehe Reaktion gegen die Verweltlichung ausgelegt
wird.

Praktische Theologie
Der praktischen Theologie zuzuzählende Schriften sind in
großer Zahl veröffentlicht worden, aber größtenteils sind sie
der praktisch-kirchlichen und geistlichen Betätigung so sehr
angepaßt, daß es kaum zweckentsprechend ist, sie bei der
Vorführung wissenschaftlicher Untersuchungen zvi berücksichtigen
. Doch ist zu bemerken, daß alle Bischöfe der evangelisch
-lutherischen Volkskirche Finnlands Hirtenbriefe und Bewertungen
der Lage — sowohl gesondert als auch in Gesamtausgaben
— veröffentlicht haben, Schriften, die sich auf vielseitige
theologische Sachkenntnis gründen; es dürfte begründet
sein, die vorteilhafte Tatsache festzustellen, daß vier der
gegenwärtigen sechs Bischöfe unserer Kirche ehemalige Universitätsprofessoren
sind und alle Fächer der Theologie vertreten
(Erzbischof Aleksi Lehtonen: praktische Theologie,
Bischof Sormunen: systematische Theologie, Bischof Salo-
mies: Kirchengeschichte, Bischof Gulin: Exegetik). Die
wissenschaftliche Theorie der praktischen Theologie vertreten
in unserer Fakultät in Helsinki Prof. D. Dr. Aarni Voipio
(geb. 1891), der in der Berichtszeit unter anderem zwei notwendige
Lehrbücher für den Universitätsunterricht, Hymno-
logie (1940) und Homiletik (1946) veröffentlicht hat, und in
Abo Prof. D. G. O. Rosenqvist (geb. 1893), gegenwärtig Rektor
der Akademie Abo, der unter anderem die Beziehung der
modernen kirchlichen Verkündigung zur Seelsorge (1942, auf
schwedisch) behandelt und eine umfassende Gesamtdarlegung
der Stellung und Entwicklung der finnischen Kirche in den
kritischen Zeiten der letztvergangenen 50 Jahre (1946, auf
schwedisch) geschrieben hat. — Doz. D. Martti Haavio (geb.
1897) hat in seiner Dissertation die Aufgaben der religiös-sittlichen
Schulerziehung (1941) und die grundlegende Tätigkeit
der finnischen Kirche in der Volksbildungsarbeit durch die
Jahrhunderte (1947) dargelegt. Fragen der religiösen Erziehung
und der christlichen Weltanschauung überhaupt hat in
mehreren Schriften der Oberpfarrer D. Paavo Virkkunen
(geb. 1874) beleuchtet, eine der führenden Persönlichkeiten in
der finnischen Kirche. Aus dem Gebiet der Homiletik und der
Geschichte des finnischen Kirchengesangbuchs hat Doz. D.
Onni Kurvinen (geb. 1911) zwei Untersuchungen veröffentlicht
. Eine der zentralen Persönlichkeiten der jüngeren Geistlichkeit
Finnlands ist D. Martti Simojoki (geb. 1908), Leiter
der homiletisch-katechetischen Übungen in der Helsinkier Fakultät
, der außer einigen Arbeiten über praktisch-kirchliche

Fragen und rein geistlichen Veröffentlichungen eine umfassende
Untersuchung über die Lehraufgabe der Predigt
(1947) geschrieben hat.

Für die finnische Theologie ist es kennzeichnend, daß ihre
Berührung mit der Gemeinde eng ist. Die führenden Theologen
sind am kirchlichen Leben des Landes aktiv beteiligt.
Da in der finnischen Theologie im allgemeinen eine gemäßigte
Einstellung vorherrschend gewesen ist, stehen die Geistlichen
und das eigentliche Gemeindevolk der theologischen Forschung
meist mit Vertrauen gegenüber. Dieses positive Verhältnis
wird z.B. dadurch bezeugt, daß das gemeinsame Organ der
filmischen Theologen, „Teologinen Aikakauskirja" ( = Theologische
Zeitschrift, begründet 1896, gegenw. Hauptschriftleiter
A. F. Puukko), fast die gesamte Geistlichkeit des Landes zu
ihren Beziehern zählt vind daß die praktisch-kirchliche Zeitschrift
„Vartija" (begründet 1888, gegenw. Hauptschriftleiter
Martti Simojoki) auch wissenschaftlich-theologische Fragen
aufmerksam verfolgt. Zu den ordentlichen jedes 5. Jahr nach
Bistümern zusammentretenden Synoden der Geistlichen erscheint
stets ein von einem Pfarrer des betreffenden Bistums
geschriebenes, mehr oder weniger wissenschaftliches Buch, das
Gegenstand der Aussprache auf der Synode ist; meistens sind
diese Werke, von denen sich eins oder das andere unter den
schon oben vorgeführten Untersuchungen befindet, aus den
Gebieten der Bibel-, Pastoral- oder systematischen Theologie
gew esen.

Die wissenschaftlichen theologischen Gesellschaften : Finnische
Theologische Literaturgesellschaft (begründet 1891),
Kirchengeschichtliche Gesellschaft in Finnland (begründet
1891), Finnische Exegetische Gesellschaft (begründet 1938)
und Luther-Agricola-Gesellschaft in Finnland (begründet 1940)
haben ihre Tätigkeit fortgesetzt und in der Berichtszeit außer
mehreren der oben angeführten Werke einzelner Forscher auch
einige Fest- und Sammelschriften veröffentlicht, in denen mancher
ältere und jüngere Forscher — auch die allerjüngste Generation
— kleinere Untersuchungen hat erscheinen lassen dürfen.
Die brennendste Frage der heutigen finnischen Theologie ist es,
die Beziehungen zu der Theologie anderer Länder wieder aufnehmen
zu können. Möglichkeiten, Literatur zu erhalten, an
Konferenzen teilzunehmen und Stipendiaten zu entsenden,
scheinen sich denn auch immer mehr aufzutun. Man hofft aufs
innigste, daß die herkömmlichen Beziehungen auch zu der
Theologie des Mutterlandes der Reformation die finnische
theologische Forschung wieder zu befruchten vermöchten.

Luthers Verständnis des ersten Gebots
(Gott und Glaube im Großen Katediismus)

Von Erdmann Schott, Greifswald

Wenn Luther über das erste Gebot redet, so betont er
zweierlei:

1. Das erste Gebot gebietet den Glauben.

2. Das erste Gebot ist das Hauptgebot, Quelle und Inbegriff
aller andern Gebote.

Der innere Zusammenhang dieser beiden Sätze ist deutlich.
Die zentrale Stellung, die sie dem Glauben im sittlichen Leben
geben, findet sich trotz gelegentlicher Ansätze in der römischen
Theologie nirgends. Sie ist das reformatorisch Neue in Luthers
Auslegung der zehn Gebote (Joh. Meyer, Historischer Kommentar
zu Luthers Kl. Kat. 1929, 171 u. F. Voges in ZsystTh.
18, 178—185). Soweit herrscht wohl Einstimmigkeit in der
evangelischen Theologie.

Wenn wir nun jeden Satz für sich betrachten, so ist der
zweite minder problematisch als der erste, zumal er auch von
Seiten der alttestamentlichen Wissenschaft bestätigt wird.
Denn daß grade der eifernde Gott mit der sittlichen Forderung
hervorbricht, gibt dem AT und in ihm dem Dekalog seine
Eigenart und Überlegenheit, ja Einzigartigkeit in der Religionsgeschichte
(Baumgärtel, Eigenart der alttestamentlichen
Frömmigkeit 1932, 32ff.).

Wie steht es aber mit dem Satz, daß das erste Gebot den
Glauben gebietet ? Luther hat zu dieser Frage im Großen Katechismus
Ausführungen gemacht, die eine lebhafte Kontroverse
hervorgerufen haben (Literatur bei K. Thieme, Die
Augsburgische Konfession . . . 1930, 1061, 1071). Er geht vom
Wortlaut des ersten Gebots aus: „Du sollst nicht andre Götter
haben", und fragt: Was heißt einen Gott haben, oder was ist
Gott ? Antwort: Gott haben, heißt ihm von Herzen trauen
und glauben; und Gott ist das, worauf man sein Herz hängt
und verläßt. Das Trauen und Glauben des Herzens macht

sowohl Gott wie Abgott. Wenn also verboten ist, andre Götter
zu „haben", so ist damit verboten, andern Göttern zu vertrauen
, mithin geboten, dem rechten Gott allein zu trauen
(560, 5 ff.)1. In diesem Zusammenhang sagt Luther die umstrittenen
Worte: „Ist der Glaube und Vertrauen recht, so
ist auch dein Gott recht, und wiederumb, wo das Vertrauen
falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht.
Denn die zwei gehören zuhaufe, Glaube und Gott" (560,
17—22).

Wodurch unterscheidet sich aber das rechte Vertrauen
vom unrechten und der rechte Gott vom falschen ? A. Ritsehl
verweist zur Antwort sofort auf Christus. Er bringt damit
Luthers Gedanken nicht voll zur Geltung. Der Unterschied
zwischen rechtem und unrechtem Vertrauen liegt nach Ritsehl
bei Luther darin, „ob man den richtigen Weg der Erkenntnis
Gottes durch Christus einschlägt oder nicht. Denn echter und
aufrichtiger Glaube wird nur in der Relation auf die echte
Offenbarung Gottes ausgeübt" (Rechtfert. u. Versöhn. 2. Aufl.
3. Bd. 199). Schon der Ausdruck „echte Offenbarung" ist
nicht glücklich, wenn auch der Gedanke, daß rechter Glaube
immer Christusglaube ist, zweifellos zu den unaufgebbaren
Grundlagen reformatorischer Theologie gehört. Vor allem
übersieht Ritsehl, daß Luther an unserer Stelle ausschließlich
vom Glaubens- und Gottesbegriff aus argumentiert und —
offenbar mit Bedacht — in beiden Katechismen das erste
Hauptstück behandelt, ohne ausdrücklich von Christus zu
reden.

') Wo nichts andres vermerkt ist, beziehen sich die Zahlen auf „Die
Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche". Herausgegeben vom
Deutschen EvangelischenKirchenausschuß 1830.