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Ausgabe:

1947

Spalte:

179-180

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Descoqs, P. Pietro

Titel/Untertitel:

Schema Theodiceae 1947

Rezensent:

Jelke, Robert

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der Wurzel bis in die Zweige oder den Lebensaltern des Menschen
von der Kindheit bis zur Höhe des Greisenalters. Es
bleiben bei Herder ungelöste Fragen und Probleme; aber das
Aufdecken dieser Probleme, das Aufwerfen all der Fragen, die
auch uns noch belasten, das ist sein großes Verdienst. So hat
er wirklich die „Befreiung des geschichtlichen Bewußtseins"
uns als Erbe hinterlassen.

Hannover-Kleefeld Hermann Schuster

Descoqs, P. Pictro, s. j.: Schema Theodiceae. Uber primuj de Dei

cognos cibilitate. Paris: Beauchesne et ses fils 1941. VIII, 227 S. gr. 8».

Das Buch ist ein Compeudium im Sinne eines zusammenfassenden
Überblicks über die beiden ersten Bände einer vom
gleichen Verfasser stammenden groß angelegten Apologetik,
die den Titel trägt: Praelectiones theologiae naturalis. Diese
beiden Bände sind 1932 und 1935 erschienen, während Band
drei und vier noch ausstehen. Unser Buch soll eine Einführung
in das größere Werk sein, die in gedrängter Form, auch möglichst
zusammengezogenem Wortlaute einen Überblick gibt,
der für das Studium der breit angelegteren Darstellung des
Stoffes nützlich und fruchtbar sein möchte. Als Leser denkt
er sich insbesondere seine eigenen Schüler, aber auch sonst
Interessierte, denen das Buch Lust zur Durcharbeitung des
Hauptwerkes machen soll.

Das könnte den Gedanken erwecken, als wäre unser Buch
selbst nur ein dürftiger Uberblick und ziemlich unzureichender
Auszug aus dem größeren Werke. Aber davon kann kehle Rede
sein. Das Buch, das nicht weniger als 227 sehr eng gedruckte,
dabei verhältnismäßig großformatige Seiten zählt, ist alles
andere als ein knapper Uberblick. Bedenkt man, daß es ja von
der Gesamtdarstellung der Apologetik erst die Hälfte bringt,
so ist sofort klar, daß unser Buch auch manche nicht knappe
Apologetik an Umfang wohl übertrifft.

Um eine Apologetik handelt es sich. Der Verfasser beginnt
damit, daß er auf die doppelte Bedeutung des Begriffes Theo-
dicea hinweist. Wir haben zu unterscheiden zwischen „Theo-
dicea" vox primo a Leibnizio usurpata in opere ,,Essais de
theodicee" (1710), ubi ad versus Bayle iutendebat defendere
justitiam Dci ejusque Providentiam contra objektiones malis
mundi prolatas und „Theodicea" als „Theologia naturalis"
quae solis viribus rationis instituitur per oppositionein ad,,Theo-
logiam supernaturalem" quae a datis revelationis diviuae pro-
ficiscitur. Ganz in Ubereinstimmung mit dem katholischen
Sprachgebrauch, der uns Protestanten ferner liegt, wird dann
im Sinne des zweiten Verständnisses des Wortes die Theodice
definiert als „Scientia de Deo (objectum matejiale), naturali
rationi comparata (objectum formale)". Ks ist somit eine Fundamentaltheologie
oder Apologetik, mit der wir es zu tun haben.

Vom Ganzen einer solchen Fundamentaltheologie bringt
unser Buch nach bereits Gesagtem nur den ersten Teil, nur die
cognoscibilitas Dei. Diese wird gefaßt als cognoscibilitas exi-
stentiae Dei und als cognoscibilitas essentiae Dei, die beide in
einzelnen sectiones, die die verschiedenartigen argumenta (die
efficatia, valida, invalida und iusufficentia) vorführen. Das
Einzelne wird allemal thematisch in sog. theseis zunächst begrifflich
scharf formuliert und dann in weiterer Erläuterung
dieser theseis möglichst allseitig zur Darstellung und Abgrenzung
von anderer Auffassung gebracht. Im ganzen sind es 19
solcher Thesen, deren erste zur Gewinnung eines Bildes von
der sorgsamen, wohldurchdachten Art dieser Thesen hier mitgeteilt
sei: Propositio „Deus existit" dicenda est per sc nota
quoad se, si jam supponitur existentia certa Dei. Cum vero non
sit per se nota quod nos, necessario debet posse demoustrari,
si re vera Deus est. Praejudicia autem agnosticisini sujuslibet
speciei contra possibilitatem hujus demonstrationis sunt absolute
vana. Vielleicht daß durch diese Probe auch erkenntlich
wird, daß wir es in unserem Buche mit einem Latein zu tun
haben, das nur durch einige französische Zitate durchbrochen
ist, welches geradezu als klassische Form des mittelalterlich-
scholastischen Lateins anzusprechen ist. Unser Autor ist auch
sprachlich bei seinem Meister Thomas in die Schule gegangen.
Dem mit diesem Latein Vertrauten bietet unser Buch so kaum
besondere Schwierigkeiten.

Wichtiger indessen als alles dieses dürfte ein Wort über die
theologische Bedeutung dieser Fuudamentaldogmatik sein.
Steckt in dem ganzen Bemühen wirklich eigenes Forscheu und
damit wirkliche Wissenschaft ? Immer wieder hat man die Meinung
vertreten, daß nach der berühmten Encyclica Leos XIII.
vom 4. 8. 79, die Thomas zum Philosophus catholicus erklärt
und gegenüber den Irrungen der modernen Philosophie
dazu aufruft: „Sancti Tliomae sapientam restituatis et quam
latissime propagatis", eine wirklich freie, von forschendem
Geiste getragene Wissenschaft auf dem Boden der katholischen
Kirche nicht mehr möglich sei. Demgegenüber hat aber doch

die katholische Philosophie sich bemüht, den Nachweis zu erbringen
, daß auch dem au diese Encyclica sich haltenden Philosophieren
wirkliche Aufgaben bleiben, deren Lösung sich
lohne. Da blieb zunächst die Aufgabe einer Kritik im Sinne
einer Selbstbestimmung und sich einlebenden Einstellung in
das klassische vorliegende System katholischer kritischer Philosophie
, eben in das System des Thomas, so wie es vorliegt.
Es blieb aber doch auch in gewissen Grenzen die Möglichkeit
eigenen produktiven Philosophierens, und das in dem Sinne,
daß die in Betracht kommenden Fragen (Objektivität von
Wahrheit, Realit ät der Außenwelt, Willensfreiheit, Unsterblichkeit
der Seele, Dasein mit Eigenschaften Gottes) nicht einfach-
hin tradiert, sondern in eigener produktiver Auseinander
setzung mit den modernen Realwissenschaften und Philosophien
behandelt werden. Während nun in Deutschland beide
Richtungen von Anfang an ziemlich gleich stark gepflegt
wurden, war in der französischen Neuscholastik Jahrzehnte
hindurch die erste Richtung durchaus prävalierend. Der durch
die beiden Dominikauer Sertillanges und Garrigou-Lagrauge
begründete „jüngere" Thomismus beherrschte lange Zeit das
Feld allein. Aber der Cursus philosophius der Jesuiten, der uns
in der Behandlung der zweiten Aufgabe entgegentritt, i t doc h
nicht ausgeblieben. In unserem Autor hat er einen recht markanten
Vertreter gefunden. Mau braucht nur den Index drio
masticus unseres Buches mit Namen wie Nietzsche, Jaspers,
Otto u. a. anzusehen und bekommt einen Findruck von dem
eifrigen Bemühen unseres Autors, seinem Thomismus eine
Form zu geben, die ernstes Ringen mit den Problemen der
Gegenwart zeigt. Also kein totes, sondern in seinem Aufgaben -
kreise und seiner Eigenart recht lebendiges Buch.

Heidelberg Robert Jelkc

Brenel, Hjalmar: Etiska niotiv i Henrik Ibsens dramatiska diktniiig.

Stockholm: Svcnska Kyrkans Oiakonistyrelses Bokförlag [HM1]. XVI,
320 S. gr. 8». H». 6.—.

Brenel beleuchtet von dem theologischen Standpunkt
Arvid Ruuestams aus das dramatische Werk Ibsens. Kr zeigt,
wie die großen Gestalten Ibsens auf ihr Ich bezogen sind, wie
Catüina von der Machtgier, Frau Inger vom Triebe groß zu
werden, Brand vom Fanatismus der Gesetzeserfüllung, Julian
vom Geltungsdrang, Peer Gynt von phantastischen persönlichen
Zielen (die er in der Welt der Illusionen auslebt, da sie
sich durch aktiven Einsatz nicht verwirklichen lassen), Ekdal
von der Erfinder-Ruhmsucht besessen ist und das Leben in
der Gemeinschaft für alle nur ein Mittel ist, ihr Ich zu steigern.
Der christliche Glaube führe eine solche Haltung auf die Erbsünde
zurück. Ibsen suche die Gründe in Kindheitserleb-
nisseu, Erziehungsfehlern und in der geltenden ,.Moral", die
eine Moralverfälschung sei. Beide Betrachtungen, die christlich
-theologische und die tiefenpsychologische (bei Ibsen etwa
im Sinne der Individualpsychologie), brauchen einander nicht
auszuschließen, obwohl die Kthik der Individualpsychologie
nicht die christliche Ethik ist (und Eingliederung in die Gemeinschaft
nicht die christliche „Lösung"). Doch wird bei
beiden ja die Egozentrizität als Ursache einer negativen
Seeleuverfassung und als Gruudschaden angesehen. Auch bei
Ibsen: Wenn er auch die großen ichbezogenen „Idealisten"
sympathisch schildert, so weiß er doch und bringt es deutlich
genug zum Ausdruck, daß sie so das Glück und die wahre Erfüllung
ihres Lebens nicht erlangen. So kommt es bei diesen
und anderen Gestalten der Ibsenschen Dramen zu einer Umkehr
, zu einer Lebenswende. Entscheidend dafür ist die Erfahrung
vergebender und opfernder Liebe. Zwar ist es die
Liebe von Menschen (Solveig, Hedvig usw.), aber sie ist doch
nicht nur Eros, sondern Agape, und sie ist, wie ich meinen
möchte, ein Zeichen der göttlichen Liebe, die Ibsen (in der
ihm und vielen anderen seines Zeitalters eigenen Zurückhaltung
) durch die menschliche Liebe erscheinen und im „Brand"
ganz durchbrechen läßt. Die menschliche Liebe bekommt nicht
nur, wie Brenel ausführt, dieselbe Qualität wie die göttliche
Liebe, sondern sie ist meines Erachtens doch irgendwie im
Sinne Ibsens Ausfluß der göttlichen Liebe. Ibsen grenzt nicht
nur, wie Brenel feststellt, ans Religiöse, sondern ist religiös.
Anders als aus dieser verborgenen Religiosität heraus ist der
innerste Kern der Ibsenschen Dramen (auch der rein „ethisch"
erscheinenden) kaum zu erfassen. Daß Ibsen für das Ethische
eine objektive Verankerung sucht, arbeitet auch Brenel heraus
, und er deutet auch an, daß man „Fügung" bei Ibsen
findet (Julians Machtstreben war ein Mittel dafür, daß Gott
seine Geschichte vollbringen konnte). Brenels Untersuchung
ist durch die Schärfe der theologischen Methode, mit der sie
dem Sinn der Dichtung beizukommeu sucht, ausgezeichnet.
Z. Zt. Berlin Wilhelm K n e v c 1 s