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Ausgabe:

1947 Nr. 3

Spalte:

169-170

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Oehler, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Zum Missionscharakter des Johannesevangeliums 1947

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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109

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 3

170

10. Aus dem Genannten folgt: Im Grunde gehören Kirche
und theologische Wissenschaft völlig zueinander, sie sind einander
zugeordnet, sie sind aufeinander angewiesen.

Darüber hinaus aber ist festzustellen: Kirche und theologische
Wissenschaft bilden ein Gegenüber nur innerhalb des
Raumes der Kirche. Die theologische Wissenschaft arbeitet
völlig im Raum der Kirche. Sie gehört zum Leib Christi nicht
nur in ihren Vertretern, sondern auch in ihrem Arbeiten.

Aber innerhalb des Raumes der Kirche gibt es das Gegenuber
, weil es in ihr ganz verschiedene Arten von Ämtern
Diensten, Arbeiten und Aufgaben gibt. Daraus gerade resultiert
die fruchtbare Spannung zwischen Kirche und theologischer
Wissenschaft.

Jegliche Arbeit im Raum der Kirche aber ist Dienst zur
Ehre des dreieinigen Gottes.

Berlin Qerhard Jacob i

NEUES TESTAMENT

0 e h 1 e r, Wilhelm, d. Dr.: Zum Missionscharakter des Johannesevangeliums
. Gütersloh: C. Bertelsmann 1941. 112 S. 8"= Beitr. z. Förd. christl.
Theologie. Bd. 42, H. 4. RM 3—.

Die vorliegende Schrift will den Nachweis für die These
erbringen, die der Verf. schon in seiner 1936 erschienenen Arbeit
,,Das Johannesevangelium eine Missionsschrift für die Welt"
ausgesprochen hatte, daß das Joh.-Ev. „die einzige für Nicht-
christen bestimmte Schrift des NT., das einzige ausgeführte
Beispiel der Heidenpredigt der Apostel (neben Apg. 17)" sei
(S. 112); es sei eine „Werbeschrift", eine Missionsschrift.
Durch diese Annahme will der Verf. die Rätsel des Joh.-Ev.,
für die er einen recht offenen Blick hat, lösen. Er sieht diese
vor allem in dem Verhältnis der joh. Reden zur Verkündigung
des synopt. Jesus, was den Inhalt, wie was die Form betrifft,
und er erkennt an, daß das Joh.-Ev. in Sprache und Stil eine
starke Annäherung an die hellenistische Umwelt zeigt. Die Erklärung
dafür liege im Missionszweck des Ev.; mit dem Aufweis
des „ausgesprochen missionarischen Charakters" geht der
des „wesentlich christlichen Charakters" Hand in Hand.

Für die These ist es freilich fatal, daß für c. 21 und für
c. 15—17 eine Ausnahme gemacht werden muß: c. 21 sei ein
Nachtrag oder Nachwort des Evangelisten (von dessen Schreiber
in V. 24t. abgeschlossen), und c. 15—17 sei (wie 1. Joh.)
ein Stück Genieindepredigt des Evangelisten (dazu ist nach
S. 68, 2 und S. 100 auch 13, 34f. zu rechnen, da diese Verse
am überlieferten Ort den Zusammenhang unterbrechen und
aus anderem Zusammenhang eingefügt worden seien). Und
zwar finde sich in c. 15—17 eine ältere Darstellung des Abschieds
Jesu („mehr ein Stimmungsbild"), „während der Dialog
über den „Weg" in 13, 31—14, 31 auf Grund dieser älteren
Niederschrift'gearbeitet worden wäre" (S. 110). Uber das Zustandekommen
des heutigen Textes gibt der Verf. freilich
keine Rechenschaft.

Der Nachweis für die These wird nun zunächst (A) so
geführt, daß die wichtigsten Begriffe des Joh.-Ev. untersucht
werden. Gewiß ist es richtig, daß Ttwreveiv ein entscheidender
Begriff des Joh.-Ev. ist und hier (wie in Act.) im Sinne des
hellenistischen, aus der Mission erwachsenen Christentums gebraucht
wird, daß er also die Annahme des von den Missionaren
gepredigten Kerygmas und damit den Glauben an die
Gottessohnschaft Jesu bedeutet. Indessen ist das noch kein
Beweis dafür, daß das Joh.-Ev. ein Missionsevangelium ist;
denn dieser Glaubensbegriff wird ja auch innerhalb der Gemeinde
zum herrschenden. Auch das Iva niotevotte 20, 31 —
die Richtigkeit der Lesart vorausgesetzt — kann die These
nicht beweisen. Ebensowenig sind beweiskräftig die Begriffe,
die nach der Meinung des Verf. dein Anspruch des Evglisten
auf Augenzeugenschaft Ausdruck geben (aijueiov, iffAv, tfeCtofritt,
H*(>rvpeiv), zumal die Problematik dieser Begriffe nur unvollständig
erörtert wird. Bei der Behandlung der Begriffe Sohn
(Gottes) und Menschensolm wird überhaupt nicht sichtbar,
wie aus ihrer Verwendung der Missionszweck des Joh.-Ev. hervorgehen
soll; die Absicht des Verf. ist hier aucli sichtlich
»lehr die, den Zusammenhang des Joh.-Ev. mit der gemein-
ehristlichen Tradition zu beweisen. Anders steht es freilich mit
dem Logosbegriff, der „die beste Anknüpfung bei suchenden
Heiden" bot (S. 36), und ähnlich bei Begriffen wie j>ai, J»iJ(
M'h'hta und Mrf»-, deren joh. Gebrauch ja deutlich den Einfluß
der hellenistischen Sprache bezeugt. Indessen: kann das
0»ehr beweisen, als daß das Ev. auch von heidnischen Lesern
gelesen werden will? Muß das Joh.-Ev. um deswillen schon
Missionsschrift im eigentlichen Sinne gelten, so daß man
daraufhin wagen dürfte, c. 15—17 auszuschalten ? Wie sehr den
verf. seine Theorie irreleiten kann, zeigt seine Auffassung von
*« '3: die dreifache Negation (oix aifidtcov oiäi Ix 9d4Mato$
°yxu» ovdi ix O-ehj/ixtoi avSj>6i) wende sich, indem sie jeden
bedanken an das Geschlechtliche bei der Gotteskindschaft abwehre
, gegen Mysterienkulte, die das religiöse Sehnen der Zeit
durch geschlechtliche Ausschweifungen zu befriedigen suchten
; „wo wäre der Anlaß zu solcher Abwehr gewesen wenn
nicht in einer Missionsschrift, die für heidnische Leser bestimmt
war?" (S. 45L). Aber war denn der Zweck sakramentaler
awovaia in den Mysterienkulten die Erzeugung von Kindern
als Gotteskindern?!

Unter B wird der Charakter des Joh.-Ev. als einer Werbeschrift
weiter aufgezeigt: 1) an der Bedeutung des Dialogs für
Werbeschriften, — während doch in Wahrheit die Dialogform
eine Schrift nur als Lehrschrift erweisen kann; und hatte eine
solche nur Sinn für die außerhalb der Gemeinde Stehenden ? —

2) an den Streitgesprächen des Joh.-Ev., die sich gegen das
Judentum wenden; denn jüdische Angriffe werden, wie der
Verf. meint, wohl der Anlaß für die Abfassung der Werbeschrift
gewesen sein, so daß der Evglist seinem Ev. zugleich —
dem missionarischen Zweck untergeordnet — den Charakter
einer antijüdischen Streitschrift geben mußte. „So wird die
Heidenchristenheit gewappnet zum Kampfe gegen die jüdischen
Angriffe, und deu Heiden wird die Gottessohnschaft
Jesu bewiesen" (S. 81 f.). Ja, zeigt nicht schon diese Formulierung
, daß die antijüdische Polemik ihre Bedeutung gerade
so für die Gemeinde wie für die tga Befindlichen hatte ? —

3) an der Auswahl und Gestaltung des Stoffes. Daß die Auswahl
der Wundergeschichten speziell durch den missionarischen
Zweck motiviert sei, vermag ich nicht einzusehen; die
pädagogischen Gründe, die Lehre J esu durch Wundergeschich-
ten zu veranschaulichen (S. 94), gelten doch gewiß nicht nur
für die Heidenpredigt! Ebensowenig leuchtet es ein, daß die
Reduktion der Gestalt des Täufers auf die Rolle des Zeugen,
die Fortlassung der Einsetzung des Herrenmahles und der
Züge der Schwäche Jesu in der Passionsgeschichte durch den
missionarischen Zweck veranlaßt seien. All das erklärt sich
doch mindestens ebensogut aus den Interessen der heiden-
christlichen Gemeinde. Und die gleiche Erklärung genügt für
die spärliche Auswahl alter Herrenworte und für die Form der
joh. Reden.

So kann ich nur urteilen, daß der Verf. zwar aufs neue
veranschaulicht hat, daß das Joh.-Ev. der Sphäre der palästinensischen
Evangelientradition ferngerückt ist und in die hellenistische
Welt gehört, daß es ein spezifisch heidenchristliches
Ev. ist. Ich bestreite auch nicht, daß es auf heidnische Leser
missionierend wirken soll, wohl aber, daß als seine eigentlichen
Leser Heiden gedacht sind, glaube vielmehr, daß der Evglist
in erster Linie christliche Leser im Blick hat, deren Erkenntnis
er fördern will. Auch die Anonymität der Evgelisten (den der
Verf. für den Zebedaiden Johannes hält) endlich scheint mir
für den missionarischen Zweck nicht das Geringste zu beweisen
. Für sie gibt es genügend andere Gründe, deren einen
der Verf. ja auch neben dem missionarischen gelten läßt. Sind
denn nicht alle unsere Evangelien ursprünglich anonym gewesen
?

Marburg R. Bult mann

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Scharl, Dr. theol. Emmeran: ReeapitulatiO mundi. Dar Rekapitulation
begriff des Heiligen Irenaus und seine Anwendung auf die Korpjrwjlt.
Freiburg I. Br.: Herder 1941. (XII, 138 S.) gr. 8" = Freiburger Theolog.
Studien H. 60. RM 5.20.

Die Irenaeus-Forschung der letzten Generation ging darauf
aus, das Werk des Kirchenvaters in seine einzelneu Bestandteile
zu zergliedern, die verschiedenen Schichten der
Überlieferung aufzudecken und einen immer schärferen Blick
für das Disparate und sich theologisch z.T. geradezu Ausschließende
zu gewinnen. Den Abschnitt, den A. von Har-
nack im I.Bande seiner „Dogmeugeschichte" dem Irenaeus
gewidmet hat (S.567—630), könnte man als die Zusammenfassung
dieser Bemühungen bezeichnen, und die gelegentliche
Bemerkung, daß Irenaeus „streng genommen überhaupt nur
Fragmente geliefert hat" (S.594, A.2), gibt das letzte Ziel an,
das auf diesem Wege zu erreichen war. Man strebte ihm noch

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