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Ausgabe:

1947 Nr. 3

Spalte:

166-167

Autor/Hrsg.:

Mulert, Hermann

Titel/Untertitel:

Christentum, Kirchentum, Theologie 1947

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165

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 3

166

Zur Frage: Wissenschaft, Theologie und Kirche

i-

Die Theologie ist Wissenschaft. — Wollte man diese Bestimmung
etwa als unerheblich für die Theologie erklären,
so würde man auf den Weg geraten, entweder die Theologie —
durch eine neue Begriffsbestimmung von Wissenschaft —
über die anderen Wissenschaften herrschen zu machen oder
sie selber einer Herrschaft der Kirche zu unterwerfen.

2.

Die Theologie ist nicht der Mutterschoß der Wissenschaft
. Mag das auch historisch so oder ähnlich gewesen sein,
weil voreinst Religion und Kultur ineinander lagen, so ist
die Selbstunterscheidung der Wissenschaft von der Religion
{und von der Theologie) eine Sache der Klärung, und nicht
einfach der Unbotmäßigkcit, gewesen.

3-

Die Funktion der Wissenschaft ergibt sich 1. aus den
('.rundlagen von Bewußtsein und Sein, 2. aus dem Sachgebiet,
das der Bearbeitung vorliegt, 3. aus der Geschichte.

Die Wissenschaft ist also 1. methodische Erkenntnis,
2. Sacherforschung, 3. Oemeinschaftsangelegenheit, drei Bestimmungen
, die natürlich nicht als Scheidungen psychologischer
oder historischer Art, sondern als Unterscheidungen
logischer Art zu verstehen sind.

T " *•

Weder die Wissenschaft, noch auch die Theologie, sind
also von den Instanzen her zu definieren, durch die sie etwa
beauftragt werden, sondern von den Problemen her, durch
die sich ihre geistige Notwendigkeit ergibt.

5-

Die Notwendigkeit der Theologie ergibt sich somit I. aus
dem Verhältnis von Gottesglauben und Wclterkenntnis
(Glauben und Wissen), 2. aus der Erfahrungsfülle, die, als
in diesem Verhältnis beschlossen, durch Vergangenheit und
Gegenwart vorliegt, 3. aus der Tatsache, daß der Gottesglaube
in Zeit und Welt nicht etwa bloß als allgemeine Religion,
sondern gerade als Glaubensgemeinschaft geschichtlich faßbar
ist.

6.

Als Erörterung der Probleme von Glaube und Wissen
steht die Theologie in enger Beziehung und steter Auseinandersetzung
mit der Philosophie und ihrer Geschichte, sowie
mit der gesamten Natur- uncl Geisteswissenschaft überhaupt,
nicht zuletzt natürlich mit der Religionswissenschaft. Sie ist
im Kreise der Wissenschaften der Hinweis auf die grundsätzliche
Grenze, die der Wissenschaft als solcher gesteckt ist.

7-

In diesem Zusammenhange bereits, nicht weniger aber
in der noch zu erwähnenden Mannigfaltigkeit der theologischen
Forschungs- und Lehrfächer, ist die Bedeutung und Notwendigkeit
der These von der Offenbarung zu erörtern.

8.

Die Offenbarung ist nicht Eröffnung von Lehrsätzen,
noch Stiftung einer Religionsgemeinschaft, noch Entzündung
religiösen Lebens. Das, und noch anderes, gehört unter die
Frage, was sich im Gefolge der Offenbarung befindet. Sie ist
vielmehr Selbstkundgabe "und Selbsterschließung Gottes, wie
denn deren Notwendigkeit auch an der grundsätzlichen Begrenztheit
des bloßen Wissens und an der unlösbaren Ausweglosigkeit
des geschichtlichen Daseins der Menschheit aufweisbar
ist.

9-

Die Selbstoffenbarung Gottes, zu der sich der christliche
Glaube bekennt, fällt in eben dieses geschichtliche Dasein
der Menschheit. Wir reden also von geschichtlicher Offenbarung
. Sie ist die in Jesus Christus sich abschließende Geschichte
Gottes mit der Menschheit, durch die auf die Bedeutung
des Bösen in der Welt der Finger gelegt und die Vergebung
der Sünde gültig gemacht und verkündigt wird. In
diesem Geschehen, und in der Botschaft davon, sieht der christliche
Glaube das eigentliche Geheimnis der Geschichte beschlossen
.

10.

Die innere und äußere Erfahrung durch die Zeiten hindurch
, die mit jener Offenbarung und ihrer Verkündigung gegeben
ist, bildet in ihrer Gesamtheit den Inhalt der theologischen
Wissenschaft und ihrer Disziplinen. Als Wissenschaft
von der Bibel (Alten und Neuen Testaments) und von der
Geschichte des christlichen Glaubens, von seiner Lehre und

von seiner Gestalt als Kirche, steht die Theologie wieder in
enger Beziehung und steter Auseinandersetzung mit der Gesamtheit
der Wissenschaften, — in die jener Bestand mehr
oder weniger ebenfalls eingeht. Die Theologie entwickelt
forschend und lehrend, das Verständnis dieses Bestandes
unter Orientierung an dem gekennzeichneten Offenbarungsglauben
.

11.

Die Scharung um diesen und um -die Botschaft die er
verkündigt, ist die christliche Kirche. In ihr gewinnt der
Glaube seine geschichtliche Gestalt. Sie ist, wie die Theologie
mit der Gesaintgeschichte in enger Beziehung und steter Auseinandersetzung
, so daß die Wechselwirkung zwischen Theologie
und Kirche sich von selbst ergibt. Wie sich überhaupt
für die Wissenschaft die Aufgaben dadurch immer neu stellen

und abwandeln, daß das Erkennen in die Zeit gehört _wie

also auch die Theologie durch das Verhältnis von Wissenschaft
und Zeit überhaupt immer mit bedingt ist, so ist sie vornehmlich
und naturgemäß mit der Kirche dadurch verbunden, daß
sie mit ihr in dieselbe Zeit gestellt ist.

12.

,.Verbunden mit" heißt nicht „gebunden durch". Die
„Verbundenheit mit" ist eine durch die Sache geforderte
Selbstverständlichkeit. Die „Gebundenheit durch" wäre eine
Entfremdung des Erkennens von der Aufgabe seiner Wahr
heits- und Sacherforschung.

13-

Wie Staaten, Völker und jegliche Gegenwart au der Unabhängigkeit
der Wissenschaft ein Interesse haben, um sich
an der Erkenntnis des Wahren zu orientieren, so gehört auch
zum Selbstverständnis der Kirche die theologische Orientierung
, — wie wiederum zum Selbstverständnis der Theologie die
Verbundenheit mit der Kirche gehört.

»4- ,

Wie es die Aufgabe der Kirche ist, im geschichtlichen
und staatlichen Leben öffentlich und zugleich nach innen zu
wirken, nicht aber es zu leiten, so hat wiederum das staatliche
und öffentliche Leben ein Interesse an der öffentlichen
und zugleich nach innen zurückwirkenden Arbeit der theologischen
Wissenschaft, wie an aller wissenschaftlichen Arbeit
und akademischen Berufsausbildung.

15-

Die Zusammengehörigkeit von Theologie und Kirche gestaltet
sich, trotz zeitweiliger, geschichtlich sich wandelnder
Krisen, umso lebendiger und enger, je weniger ein kirchenrechtliches
Abhängigkeitsverhältnis fixiert ist. Die Zusammengehörigkeit
der Theologie mit aller Wissenschaft gestaltet sich,
trotz der Eigenheit ihrer Aufgaben, um so fruchtbarer, je
selbstverständlicher die Kirche und ihr Wort, trotz ihrer Freiheit
, auch Sache des öffentlichen Interesses und Lebens ist
und dieses sich nicht auf eine Parole bloßer Diesseitigkeit
festlegt.

Oreifswald Rudolf Hermann

Christentum, Kirchentum, Theologie

1. Christen alter und neuer Zeit haben davon geredet, daß
auch die Kirche in Sünde gefallen ist. Man fand diesen Sündenfall
namentlich darin, daß die Kirche es sich gern gefallen ließ,
von Konstantin mit weltlicher Macht ausgestattet zu werden.
Die Versuchung, in klerikaler Herrschsucht oder im Willen zu
politischer Macht zu verweltlichen, besteht auch für evangelische
Kirchen und sonstige evangelische Verbände.

2. Aber die Gefahr, dem Sinne Jesu zuwider zu handeln,
liegt nicht nur einerseits für den einzelnen Christen, andrerseits
für die Kirche vor, sondern auch für den Einzelnen in
seinem Verhältnis zur Kirche. Sich nicht um die Gemeinschaft
zu kümmern verstößt gegen das Gebot der Liebe; sie hochzuschätzen
bedeutet aber, daß man leicht Irdischem zu viel
Ehrfurcht entgegenbringt und dem ewigen Gott zu wenig.
Alles Kirchentum ist seinem Wesen nach sowohl Mittel als
auch Gefahr für echte Frömmigkeit. Es bleibt eine Spannung
zwischen selbständiger Gewissenhaftigkeit und demütiger
Liebe zur Gemeinschaft.

3. Jesus war nicht wissenschaftlicher Theolog, sondern
mehr. Kam trotzdem im Christentum wissenschaftliche Theologie
auf, so hat solche einerseits die Neigung, ihre Lehre
immer genauer auszubauen, andrerseits die, das Überlieferte
zu bezweifeln. Jenes bedeutet die Gefahr, daß das praktische
Christentum leidet, über der „reinen Lehre" die Liebe im
Herzen und die Tat im Leben zu kurz kommt; die Kritik am