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Ausgabe:

1947

Spalte:

157-163

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Otto

Titel/Untertitel:

Achtzehn Sätze über Kirche und Theologie 1947

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zusage ja nur, daß im Falle des (>ehorsams die Heilsverheißung
Jahwes über Israel bestehen bleibt; andererseits ergibt sich
durch das infolge sekundärer Erweiterungen übergroß und
überschwer gewordene Fluchkapitel Dt. 28f. eine bedeutsame
Eingrenzung des präsentischen Heiles, das dem Gottesvolk
vom Dt. zugesprochen wird1. So zeigt das Dt., besonders in
seinen späteren Erweiterungen, eine gewisse Präponderanz des
Gesetzes gegenüber dem Evangelium.

Das Verhältnis des Dt. zum Eschatologischen ist in mehrfacher
Hinsicht ein Problem. Zunächst ist festzustellen, daß es
schlechterdings jenseits all der breiten volkseschatologischen
Vorstellungen steht, die wir von den Propheten aufgenommen
und eigenwillig abgewandelt finden und die in dem Denken
des Israel der Königszeit doch offenbar einen breiten Raum

eingenommen haben. Liest mau die Propheten, so scheinen
ihnen gegenüber die präsentischen Heilsprädikationen des Dt.
wie aus einer anderen Welt zu kommen. Indessen, das Dt. ist
doch nicht ohne jedes Moment der Erwartung Die fiktive
Situation Israels im Augenblick des Hörens des Dt ist eigentümlich
: Es vernimmt am Horeb die Erwählung durch Jahwe
als eine präsentische, ja perfekte Tatsächlichkeit ■ aber die sich
damit verbindenden Heilsgaben, die der nblTJ. der rtDia und
der niTlM werden sich erst mit dem Einzug iii das verheißene
Land verwirklichen. Bedenkt man nun, daß das Dt. ja faktisch
das Israel der späteren Königszeit anredet, so ist es offenbar
paradoxerweise der Meinung, daß Israel doch noch vor der
eigentlichen Realisierung der Heilszusagen Jahwes steht

Sam'al und Hamat in ihrem Verhältnis zu Hattina, Unki und Arpad

Ein Bericht über einen Beitrag zur Territorialgeschichte der nordsyrischen Staaten im neunten und achten Jahrhundert v. Chr

Von Karl Elliger, Tübingen

Otto Eißfeldt zum 60.GebttoUtog

Die Arbeil verdankt ihre Entstehung der Notwendigkeit,
im Zusammenhang einer demnächst in der ZDVP oder im
PJB erscheinenden Untersuchung über Sach. 9, 1—8 (,,Ein
Zeugnis aus der jüdischen Gemeinde im Alexanderjahr 332")
die Konjektur von Procksch zu Sach. 9, 1 b, die rein graphisch
zweifellos sehr ansprechend ist, auf ihren realen Hintergrund
zu prüfen. Die Fortsetzung 9, 2 würde ergeben, daß Hamat
(am Orontes) und das durch die deutschen Ausgrabungen berühmt
gewordene Sam'al-zendschirli (am Fuß des Amanus-
gebirges) irgendwann einmal Grenznachbaru waren. Die Nachforschung
nach der geschichtlichen Möglichkeit einer solchen
Situation wuchs sich von selbst zu einer Studie über die territorialgeschichtliche
Entwicklung der in Frage kommenden
nordsyrischen Staaten aus. Da Hamat und Sam'al als assyrische
Provinzen sicher nicht aneinander gegrenzt haben, weil
zwischen ihnen für die weiteren Provinzen Hatarikka, Kullani
und Arpad Raum bleiben muß, konnte sich"die Untersuchung
•uif die dem Einbruch der Assyrer voraufgehende Zeit beschränken
, wo sie als selbständige Staaten bzw. Reiche in der
Uberlieferung erscheinen.

Das Ergebnis ist auch hier negativ. Im 9. Jahrhundert
ist es das Reich Hattina mit der Hauptstadt Kunulua (am
Ubergang der direkten [!] Straße Alexandrette-Aleppo über
den afrin), das fast das ganze Talgebiet des 'afrin mindestens
von der Gegend von 'azäz ab beherrscht und sich noch über
den Orontes hinweg ein Stück ins Westorontesland hinein erstreckt
, also einen deutlichen Querriegel bildet. Im 8. Jahrhundert
ist zwar das Reich Hattina zerfallen. Aber Unki,
dessen Name in dem der heutigen Landschaft el-'amk um den

See von Antiochien fortlebt und das den Löwenanteil an
Hattina geerbt hat, sowie das neue vergrößerte Reich Arpad
verwehren noch immer die gemeinsame Grenze zwischen
Sam'al und Hamat, obwohl letzteres sich inzwischen beträchtlich
nach Norden ausgedehnt hat, vor allem durch die Personalunion
mit La'asch-Hadrach. Das Ergebnis ruht auf der Grundlage
einer eingehenden topographischen und territorialgeschichtlichen
Analyse der Quellen, die in 4 Abschnitten dargestellt
werden: Assurnasirpals II. Inschriften; Salmanassars
III. Inschriften; die nichtassyrischen Quellen der Zwischenzeit
(zendschirli-, Zakir-, sudschin-Inschriften); Tiglatpilesers
III. Inschriften. Dabei wird die nebensächliche und anscheinend
mehr nach Norden tendierende Rolle Sam'als deutlich,
das sich an politischer Kraft mit Reichen wie Arpad und
Hamat nicht vergleichen kann. Bei dem Stand der über die
ersten Anfänge kaum hinaus gediehenen topographischen Erforschung
Syriens, die wie z. B. Dussauds Topographie histo-
rique de la Syrie antique et mddievale 1927 vielfach noch mit
sehr vagen Namensauklängen auf der modernen Landkarte
arbeitet, ist in den Einzelheiten manches unsicher geblieben,
vielleicht manches noch einen Grad unsicherer, als es in dieser
Studie dargestellt ist. Aber in großen Zügen läßt sich ein Bild
der territorialgeschichtlichen Entwicklung gewinnen, das mit
höchster Wahrscheinlichkeit jedenfalls Prockschs Vorschlag
zunichte macht.

Wie sich das damit angeschnittene Problem von Sach.
9,1 f. positiv löst, zeigt die andere eingangs erwähnte
Abhandlung, auf die hier noch einmal hingewiesen werden
darf.

DAS GESPRÄCH: WISSENSCHAFTLICHE THEOLOGIE UND KIRCHE

Achtzehn Sätze über Kirche und Theologie

Von Otto Dibelius, Berlin

I.

Zunächst muß gesagt werden, was unter den Worten, die
itn Folgenden gebraucht werden, verstanden werden soll. Ohne
dies gellt es unter Deutschen nun einmal nicht.

a) Unter Kirche verstehen wir ,,die uns geschichtlich gewordene
Kirche, die die irdische Gestalt ist, in der ihren Gliedern
die heilige allgemeine Kirche, die wir glauben, für diese
Zeit gegeben ist". D. h. zu deutsch: wenn wir hier ,.Kirche"
sagen, so meinen wir die Kirche von Berlin-Brandenburg oder
von Westfalen oder zu welcher Kirchenprovinz wir gehören,
hl und mit ihren Gemeinden, Ämtern und Werken und was
sonst ihr Leben ausmacht.

b) Mit dem Wort Theologie soll gemeint sein: die wissenschaftliche
Bemühung um das rechte Verständnis der Heiligen
Schrift und um die systematische Zusammenfassung der Erkenntnisse
, die bei dieser Bemühung gewonnen werden — also
«as, was mau theologische Exegese und üogmatik nennt. Da

, aber von wissenschaftlicher Bemühung im eigentlichen Sinn
und von selbständig gewonnenen Erkenntnissen immer nur bei

') M. Noth: In piam memoriam (A. Bulmcrincq). Abhandlungen der
Herder-Gesellschaft und des Herder-Institutes zu Riga, 6. Bd., Nr. 3, Riga
'938, 127 ff.

wenigen die Rede sein kann, die Frage aber, um die es uns
geht, nicht die Frage eines kleinen Kreises von Gelehrten ist,
so verstehen wir unter „Theologie" nicht nur die selbständige
wissenschaftlicheArbeit, sondern zugleich die Einsichten und
LTrteile, die von andern übernommen worden sind und nun
für richtig gehalten werden. In diesem Sinne darf gesagt werden
, daß jeder denkende Christ und vollends jeder Pfarrer
seine Theologie hat, auch wenn er nicht darum weiß.

II.

Die Theologie ist eine Lebeusfunktion der Kirche, so wie
das Atmen eine Lebeusfunktion des Körpers ist. Eine Kirche
ohne Theologie ist undenkbar. Wenn die Theologie stürbe, so
wäre die Kirche tot. Denn die Kirche verkündigt das Evangelium
. Man kann aber nicht verkündigen, ohne den Inhalt
dieser Verkündigung so oder so zu verstehen. Und die evangelische
Kirche, die sich mit ihrer ganzen Existenz unter die
Heilige Schrift gestellt weiß, kann niemals aufhören, mit
heißem Bemühen zu erforschen, wie die Heilige Schrift recht
zu verstehen sei und wie ihre einzelnen Aussagen in rechter
Weise miteinander verbunden werden müssen, damit die Heils-
wahrheit Gottes unverkürzt und unverfälscht weitergegeben
werden kann.