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Ausgabe:

1947 Nr. 3

Spalte:

143-152

Autor/Hrsg.:

Würthwein, Ernst

Titel/Untertitel:

Amos 5, 21-27 1947

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 3

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ihre Bezeugung und ihren Untergang. Damit ist sein Ziel eng
umgrenzt. Sein Werk stellt sich ganz hinein in die von Stummer
mit Recht herangezogene Polemik der Philosophen wie
der Juden und Christen und hat wohl auch von dort her vor
allem für seine Argumentation und seine historische Erklärung
manche Anregung empfangen.

Aber gerade wenn diese Themastellung deutlich wird,
wird damit auch der eigentliche Wert dieses Buches erkennbar
. Auf der einen Seite ist es kaum zu überschätzen, denn
es bringt konkrete Nachrichten über die vorislamische Religion
der Araber, die sonst nicht mehr vorhanden sind. Auf der
anderen Seite will Ibn al-Kalbi nur ein bestimmtes Thema
abhandeln, nämlich eben die Götzenbilder. Ob man dann wirklich
sagen darf, wie Nyberg1 es tut, es ergebe sich ein Bild des
arabischen Heidentums, oder mit R. Klinke-Rosenberger2,
Ibn al-Kalbis Buch sei ,,die einzige altarabische Monographie
über das arabische Heidentum" und ließe „ein eindrucksvolles
Bild desselben vor uns erstehen", oder gar ,,das Götzenbuch
deckt älteste Religionsverhältnisse auf" ? Wo das Werk so
beurteilt wird, muß das zu einer Fehldeutung dieses Heidentums
führen, denn es erweckt dann wirklich den Eindruck,
als ob die arabische Religion in Stein- und Bilderdienst aufgegangen
wäre. Wenn aber Ibn al-Kalbi nur den Bilderdienst
behandelt hat, so ist damit weder gesagt, daß er das Heidentum
überhaupt darstellen wollte, noch, daß er die wesentliche Seite
dieser Religion damit getroffen hat. Der Bilderdienst war für
den, der die Religion nach ihren äußeren Formen beurteilte,
sicher bedeutsam genug, ob aber damit ihr Wesen bestimmt
war, bleibt zum mindesten noch offen.

So muß jetzt erst die Frage gestellt werden, welche Funktion
der von Ibn al-Kalbi dargestellte Stein- und Bilderdienst
innerhalb der arabischen Religion gehabt hat, ob diese sich
wirklich in ihm erschöpft oder ob er nur ein mehr oder weniger
bedeutsames Glied gewesen ist.

Auszugehen ist davon, daß Ibn al-Kalbi ja nicht Reste
der altarabischen, sondern solche der spätarabischen Religion
überliefert, einer Religion, die schon im Zerfall begriffen war,
nicht erst seit dem Auftreten Muhammeds, sondern schon vorher
'. Nyberg erinnert mit Recht an die Darstellung der altnordischen
Sagas von der germanischen Religion in der Zeit
der Einführung des Christentums; die Erfahrungen Hrafnkels
u. a. entsprechen genau denen der Araber1.

Ibn al-Kalbi überliefert also Erinnerungen an eine Religion
, die schon in der Zeit vor Muhammed in Auflösung begriffen
war. Diese Erinnerungen enthalten aber nur das, was
von Bildern und Steinen zu sagen war. Entweder hat er damit
wirklich das Wesentliche der vormuhammedanischen Religion
dargestellt. Dann wäre aber weiter zu fragen, ob das so entstandene
Bild alte Zustände wiedergibt oder ob es nur der
Spätzeit, der Verfallszeit, entspricht. Gegen die erste Möglichkeit
läßt sich aber anführen, daß wir von anderen Göttern
und Vorstellungen wissen, die im Buch der Götzenbilder keine
Rolle spielen, wie z. B. der vorislamischen Allahverehrung.

So ist es wohl überhaupt wahrscheinlicher, daß Ibn al-

Kalbi alles andere, Götter, Dämonen, Sterne, Geister, Ahnen
und deren Kult fortgelassen hat; denn für diese alle gibt es,
wenn auch geringe, Belege aus anderen Quellen. Dann aber
darf man sich von Ibn al-Kalbi nicht dazu verführen lassen,
den alten Arabern vorwiegend Steinkult zuzuschreiben; denn
er will nur einen Ausschnitt darstellen und weiß nur von einer
Zeit, in der der Verfall der Kulte schon offenkundig war.

So wertvoll demnach Ibn al-Kalbis Nachrichten für die
Zeit der Auflösung sind, so fragt sich doch, wieviel aus ihnen
für das Wesen altarabischen Glaubens zu entnehmen ist.
Nyberg1 ist da freilich guter Zuversicht: „Nach der Darstellung
des Ibn al-Kalbi ist es unzweifelhaft, dal.! die altarabische
Religion keinen richtigen Unterschied zwischen den
Gottheiten und ihrer heiligen Stätte kennt." Er erklärt,
warum er so rasch bereit ist, Ibn al-Kalbis Darstellungen
anzuerkennen, im folgenden Satz: „In der Vorstellung vom
Göttlichen ist das Grundlegende die übernatürliche magische
Kraft, die in gewissen Naturgegenständen konzentriert ist."
Diese allgemeine Voraussetzung über die Anfänge religiöser
Vorstellungen scheint also durch Ibn al-Kalbis Darstellung
bestätigt zu werden, und so darf man diese Überlieferungen
für alt halten. Wie aber, wenn diese Voraussetzung nicht
stimmt, wenn die unpersönliche magische Kraft nicht am Anfang
, sondern am Ende der Entwicklung steht ? Es ist hier
nicht der Ort, diese letzten Voraussetzungen zu klären2; aber
solange das Verhältnis von Religion und Magie, von Gottheit
und Macht nicht wirklich geklärt ist, kann man nicht auf
Grund allgemeiner Sätze historische Urteile fällen. Was aus
älteren Quellen, wie den südarabischen und nabatäischen Inschriften
, aber auch den wenigen klassischen Nachrichten sich
entnehmen läßt, deutet jedenfalls nicht auf einen magischen
Machtglauben, sondern auf sehr persönlich empfundene Gottheiten
, die nicht mit irgendwelchen Steinen oder Bildern
identifiziert werden können1.

Wenn also bei Ibn al-Kalbi al-Lat als viereckiger Felsblock
erscheint oder nach al-Azraqi1 Manat als schwarzer
unförmiger Stein, so sind das nicht Anfangsstufen einer jäh
abgebrochenen Entwicklung, sondern letzte Stadien eines ehemals
reicheren Glaubens. Was sich in der Erinnerung erhalten
hatte, waren Winkelkulte, unter denen nur der Kult von Mekka
eine gewisse Bedeutung sich bewahrt hatte.

Wo man sonst die Gottheiten in der Spätzeit wohnend
glaubte, etwa in Bäumen oder Quellen, ist natürlich dem
Buch Ibn al-Kalbis bei seiner Themastellung gar nicht zu
entnehmen. Wahrscheinlich gab es ebensoviel Quellen, Bäume
u. a., die als Sitze einer Gottheit galten, doch waren alle
diese Kulte ebenso wie der Bilderdienst gewiß auf der absteigenden
Linie.

Was wir Ibn al-Kalbi entnehmen können, ist nach allem
kein Zeugnis der altarabischen, geschweige denn der alt-
semitischen Religion, sondern ein wertvoller Ausschnitt der
spätarabischen Religion in der Zeit ihres Verfalls. Was davon
aus älterer Zeit stammen mag, ist nur auf Grund eingehender
Untersuchung der einzelnen Nachrichten festzustellen.

Arnos 5, 21-27

Von Ernst Würthwein, Tübingen

Die Bedeutung dieser Stelle liegt bekanntlich darin, daß
sie bei der Erörterung der Frage, wie sich die sog. klassischen
Propheten zum Kultus stellten, als wichtiges Zeugnis herangezogen
zu werden pflegt. Gewöhnlich wird sie so verstanden,
als lehne der Prophet hier jeglichen Kultus radikal ab. Von
älteren Exegeten sei Marti augeführt, der unseren Abschnitt
als erste jener Prophetenstellen hervorhebt, „welche den Kultus
verwerfen, vgl. Hos 6, 6, Jes 1, 10—17, Mch 6, 6—8, Jer 7,
2if."e. Von neueren nenne ich A. Weiser. Er spricht von
einem „vernichtenden Urteil gegen den gesamten Kultus".
„Der einheitliche, in sich fest geschlossene Gedankengang des
Wortes richtet sich nur gegen den Kultus, den Arnos genau
wie 4,4t. und 5,4t. grundsätzlich ablehnt." .....nicht

') A. a. 0. S. 355.
•) A. a. 0. S. 26. 27.

*) Vgl. die Angaben über Ja'uq, Nasr, Ri'-am, al-Lat, al-Uzza, Hubal,
Du-'I-Halasa, Sa'd, Fals S.7; 14, 3—5; 22,8ff. || 29, llff.; 23, 14ff.; 37,3ff.

') Vgl'. Baetke, Die Religion der Germanen«, S. 133.

■) K.Marti.Das Dodekapropheton. KHC. (1904) S. 194. — Vgl. weiter
z.B. B.Stade, Biblische Theologie des Alten Testaments (1904) S. 218;
E.Kautzsch, Biblische Theologie des Alten Testaments (1911) S. 234.

Otto Eißfeldt zum 60.Geburtstag

Götzen- oder Bilderdienst, sondern der gesamte Kultus hat
mit Jahwe nichts zu tun."*

Die Entwicklung der alttestamentlichen Wissenschaft in
den letzten Jahrzehnten legt die Frage nahe, ob der Wortlaut
unseres Abschnittes zu solcher Deutung zwingt. Seitdem die
neuere Forschung, unter der die Siegmund Mowinckels besonders
hervorgehoben zu werden verdient, neben den Propheten
auch andere Nachrichten des Alten Testaments, in erster Linie
die Psalmen, für die Erkenntnis des religiös-kultischen Lebens
Israels fruchtbar zu machen verstand, erscheint uns dieses in
einem wesentlich anderen Lichte als früher. Wir gewinnen
einen Eindruck davon, daß es nicht nur in Saus und Braus
bei den Opferstätten zuging, durch Schlemmen und Saufen

') A. a. O. S. 360.

■) Vgl. Baetke, Das Hellige Im Germanischen, S. 1 ff., dessen grundsätzliche
Ausführungen eine wessentliche Kritik der heute weithin üblichen Auffassung
darstellen.

■) Vgl. z.B., was über Wadd und Nasr bei den Südarabern, über Manat>
al-Lat und Du-sara bei den Nabatäern überliefert ist.

«) S. Klinke, S. 88.

•) A.Weiser, Die Profetie de» Arnos. BZAW. 53 (1929) S. 228.